Index
20/01 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB)Norm
B-VG Art7 Abs1 / GesetzLeitsatz
Abweisung eines Parteiantrags auf Aufhebung einer Regelung des ABGB betreffend die Bewertung von Schenkungen an Pflichtteilsberechtigte; Anpassung von Schenkungen zu Lebzeiten auf den Todeszeitpunkt nach einem Verbraucherpreisindex der Statistik Austria im Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers; keine Bedenken gegen die – bei Übertragung der geschenkten Sache unter Lebenden – Wertänderungen durch allfällige NutzungsrechteRechtssatz
Der Hauptantrag und der erste Eventualantrag auf Aufhebung des §788 zweiter Satz ABGB sind zu eng gefasst: §788 ABGB bildet für die Beurteilung der allfälligen Verfassungswidrigkeit der Rechtslage eine untrennbare Einheit; es ist nämlich nicht auszuschließen, dass sich der Sitz der behaupteten Verfassungswidrigkeit (auch) in §788 erster Satz ABGB befinden könnte. Abweisung des - zulässigen - zweiten Eventualantrags auf Aufhebung des §788 ABGB idF BGBl I 87/2015: Der VfGH vermag entgegen dem Vorbringen der Bundesregierung nicht zu erkennen, dass das Gesetz im Falle der begehrten Aufhebung einen Inhalt bekäme, der dem Gesetzgeber überhaupt nicht mehr zusinnbar wäre. Die Bewertung der geschenkten Sache wäre diesfalls anhand der bereinigten Rechtslage vorzunehmen. Die Bedenken des Antragstellers richten sich darüber hinaus (ausschließlich) gegen die angefochtene Bestimmung, die auch nicht in einem untrennbaren Zusammenhang mit anderen Bestimmungen steht. So ist - anders als dies die Bundesregierung in ihrer Äußerung vertritt - eine Anfechtung der §§782 und 792 ABGB nicht erforderlich.
Es ist zunächst nicht zu beanstanden, dass die Bewertung der geschenkten Sache gemäß der angefochtenen Bestimmung zu jenem Zeitpunkt, zu dem die Schenkung "wirklich gemacht" worden ist, somit im Zeitpunkt des "Vermögensopfers", zu erfolgen hat. Mit der Zuwendung der geschenkten Sache kann der Geschenknehmer nämlich als Eigentümer über diese verfügen und sie etwa auch veräußern. Er trägt ab diesem Zeitpunkt - wie jeder andere Eigentümer auch - die Gefahr einer Verschlechterung oder Zerstörung der geschenkten Sache, kann aber gleichermaßen auch einen allfälligen Nutzen aus ihr ziehen. Darüber hinaus hat der Gesetzgeber in der angefochtenen Bestimmung angeordnet, dass der solcherart ermittelte Wert "sodann auf den Todeszeitpunkt nach einem von der Statistik Austria verlautbarten Verbraucherpreisindex anzupassen" ist. Der Gesetzgeber verfolgt mit dieser Regelung ausweislich der Materialien das Ziel, die zu Lebzeiten des Verstorbenen zugewendeten Vermögenswerte möglichst gleichmäßig an die Verhältnisse im Todeszeitpunkt heranzuführen.
Dem Gesetzgeber kommt bei den Modalitäten dieser Anpassung der Bewertung auf den Todeszeitpunkt ein weiter rechtspolitischer Gestaltungsspielraum zu. Es steht ihm nämlich insbesondere frei, einfache und leicht handhabbare Regelungen zu treffen. Der Gesetzgeber überschreitet den ihm zukommenden rechtspolitischen Gestaltungsspielraum mit der angefochtenen Bestimmung nicht.
Der Antragsteller führt zutreffend aus, dass der auf den Todeszeitpunkt angepasste Wert der geschenkten Sache vielfach nicht ident mit dem Verkehrswert zu diesem Zeitpunkt sein wird. Dies ist jedoch eine Folge der - verfassungsrechtlich unbedenklichen - Regelung, dass der Geschenknehmer unter Lebenden ab dem Zeitpunkt der Schenkung der Liegenschaft(en) das Risiko von allfälligen Wertänderungen zu tragen hat. Im Übrigen ist dem Gesetzgeber nicht entgegenzutreten, wenn er die Werte von Liegenschaften im Zuwendungszeitpunkt mittels einer Indexierung gleichmäßig an den Todeszeitpunkt heranführen möchte. Mit dieser Regelung verfolgt der Gesetzgeber das Ziel, dass es nicht darauf ankommen soll, wann die Schenkung einer Liegenschaft an einen Pflichtteilsberechtigten gemacht worden ist, weil sämtliche Schenkungen nach einem einheitlichen Index auf den Todeszeitpunkt angepasst werden.
Der VfGH muss im vorliegenden Verfahren nicht auf die Frage eingehen, ob und unter welchen Voraussetzungen Nutzungsrechte an der geschenkten Liegenschaft bei der Bewertung im Zuwendungszeitpunkt zu berücksichtigen sind. Es liegt nämlich im rechtspolitischen Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers, eine Bewertungsvorschrift in Bezug auf Liegenschaften zu schaffen, wonach Nutzungsrechte an der geschenkten Sache zu Lasten des Geschenknehmers außer Betracht zu bleiben haben, wenn feststeht, dass die Belastung im Zeitpunkt des Erbanfalles mit Sicherheit wegfallen wird.
Darüber hinaus ist die angefochtene Bestimmung nicht zu beanstanden, weil die Schenkung ein zweiseitiges Rechtsgeschäft ist, zu dessen Zustandekommen die privatautonome Zustimmung (auch) des Geschenknehmers erforderlich ist. Dieser ist dementsprechend nicht verpflichtet, einen Schenkungsvertrag unter Lebenden - allenfalls unter gleichzeitiger Vereinbarung einer Personalservitut - einzugehen. Gleichermaßen stünde es dem Geschenknehmer auch frei, mit dem Geschenkgeber eine Schenkung auf den Todesfall zu vereinbaren.
Dass eine Schenkung unter Lebenden - anders als eine Schenkung auf den Todesfall (vgl §780 Abs2 ABGB) - zum Zeitpunkt des "Vermögensopfers" bewertet wird, ist aus verfassungsrechtlicher Sicht unbedenklich, zumal der Geschenknehmer einer Schenkung (hier: einer Liegenschaft) unter Lebenden bereits vor dem Erbanfall Eigentümer der geschenkten Sache werden und über diese verfügen kann. Eine unsachliche Ungleichbehandlung des Geschenknehmers unter Lebenden einerseits und des Geschenknehmers auf den Todesfall andererseits liegt daher schon aus diesem Grund nicht vor.
Schlagworte
Erbrecht, Schenkung, Rechtspolitik, Privatautonomie, Rechtsgeschäft unter Lebenden, VfGH / Parteiantrag, VfGH / Prüfungsumfang, Bewertung Grundvermögen, EventualantragEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2021:G188.2021Zuletzt aktualisiert am
20.12.2022