TE Vwgh Erkenntnis 1996/1/25 95/06/0014

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Veröffentlicht am 25.01.1996
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Index

L37155 Anliegerbeitrag Aufschließungsbeitrag Interessentenbeitrag
Salzburg;
L82000 Bauordnung;
L82005 Bauordnung Salzburg;
L82305 Abwasser Kanalisation Salzburg;
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);

Norm

BauRallg;
BauTG Slbg 1976 §61 Abs2 litb;
B-VG Art7 Abs1;
LandbauO Slbg 1952 §11;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Degischer und die Hofräte Dr. Giendl, Dr. Bernegger, Dr. Waldstätten und Dr. Köhler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. König, über die Beschwerde

1. des Dr. O und weiteren 5 Beschwerdeführern, alle in S, vertreten durch Dr. F, Rechtsanwalt in S, gegen den Bescheid der Salzburger Landesregierung vom 15. November 1994, Zl. 1/02-33.294/2-1994, betreffend Baubewilligung (mitbeteiligte Partei: Gemeinde B, vertreten durch den Bürgermeister), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird, soweit mit ihm die Vorstellung hinsichtlich der Auflagen Punkte 13. und 15. abgewiesen worden ist, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben; im übrigen wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.

Das Land Salzburg hat den Beschwerdeführern insgesamt Aufwendungen in der Höhe von S 13.040,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Die Beschwerdeführer sind Miteigentümer des auf der Grundparzelle Nr. 1358/3, KG B I, befindlichen Wohnhauses, G-Weg 54, B. Dieses Wohnhaus (Haus 2) wurde im Jahr 1954 ohne Vorliegen einer baubehördlichen Bewilligung zusammen mit drei weiteren Häusern, nämlich Haus 1 auf dem Grundstück Nr. 1384/5, Haus 3 auf dem Grundstück Nr. 1358/4 und Haus 4 auf dem Grundstück Nr. 1357/3, jeweils KG B I, errichtet.

Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Salzburg-Umgebung vom 28. Dezember 1955 wurden die genannten Grundstücke gemäß den Bestimmungen der zum damaligen Zeitpunkt in Geltung gestandenen Salzburger Landbauordnung nach Maßgabe der vorgelegten Vermessungspläne aus dem Jahre 1954 zum Bauplatz erklärt.

Mit Bescheid des Bürgermeisters der mitbeteiligten Partei vom 24. Jänner 1957 wurde u.a. für das Wohnobjekt, dessen Miteigentümer die Beschwerdeführer sind, die befristete baubehördliche Bewilligung für die Höchstdauer von 20 Jahren erteilt. In der Folge wurde vom Bürgermeister der mitbeteiligten Partei eine auf 20 Jahre befristete "Bewohnungs- und Benützungsbewilligung" für die Häuser 2 und 3 erteilt.

Nach Durchführung einer baupolizeilichen Überprüfung am 23. November 1977 wurde mit Bescheid des Bürgermeisters der mitbeteiligten Partei vom 23. November 1977 die Bewohnungs- und Benützungsbewilligung gemäß § 91 Salzburger Landbauordnung für die Objekte G-Weg Nr. 54 und 56 erteilt.

Eine weitere, auf fünf Jahre befristete Benützungsbewilligung gemäß § 17 Baupolizeigesetz wurde mit Bescheid des Bürgermeisters der mitbeteiligten Partei vom 21. Dezember 1983 erteilt.

Mit Eingabe vom 29. Oktober 1985 suchten u.a. die Beschwerdeführer als Miteigentümer des Wohnobjektes G-Weg 54 unter Vorlage eines Sanierungsprojektes um die baubehördliche Bewilligung für die Sanierung der bestehenden Wohnanlage an.

In einem Aktenvermerk vom 13. Mai 1992 ist u.a. festgehalten, daß von den Beschwerdeführern zu den im folgenden näher angeführten Auflagen Punkte 13. bis 17. eine Ausnahmegenehmigung gemäß § 61 Abs. 2 Salzburger Bautechnikgesetz beantragt werde.

Mit Bescheid des Bürgermeisters der mitbeteiligten Partei vom 23. Juni 1992 wurde im Spruchpunkt I u.a. den Beschwerdeführern als Miteigentümern der Grundstücke Nr. 1357/2, 1358/3 und 158/4, je KG B I, die baubehördliche Bewilligung zur Errichtung von zwei Wohnhäusern auf den genannten Grundstücken nach Maßgabe des vorgelegten Projektes unter Vorschreibung zahlreicher Auflagen erteilt. Die für das vorliegende Beschwerdeverfahren relevanten Auflagen in den Punkten 13. bis 17. lauteten:

"13. Sämtliche Stiegen und Treppenaufgänge haben den Mindestbreiten und Mindeststeigungsverhältnissen, Handläufe entsprechend BauTG, zu entsprechen und sind umzubauen. Die Eintragungen im Einreichplan (Einreichplan) sind diesbezüglich unzureichend.

14.

Entsprechend der Wärmeschutzverodnung der Salzburger Landesregierung sind die Außenwände wärmeschutztechnisch zu isolieren bzw. der Nachweis über den vorhandenen Wärmeschutz zu erbringen.

15.

Die bestehenden WC-Anlagen und Badezimmer entsprechen nicht den Bestimmungen des BauTG und sind auf die Mindestgrößen umzubauen.

16.

Der Nachweis über mindestens 1,5 Parkplätze pro Wohneinheit ist nachzubringen. (Es muß festgestellt werden, daß die Gemeinde Flächen von Herrn E für die Schaffung von Parkplätzen erworben hat, diese jedoch durch Aufstellen von Blumenkisten und Absperrungen nicht für Parkplätze benützt werden. Diese Absperrungen und Blumenkisten vor dem Haus 1 und 4 sind zu entfernen und als Parkplätze ordnungsgemäß zu kennzeichnen. Ebenso sind Schutzmaßnahmen vor dem Haus 4, die das Eindringen von Abgasen in die im Kellergeschoß gelegenen Fenster verhindern, anzubringen.

17.

Laut Gutachten des Kaminkehrermeisters sind 2 Wohnungen derzeit nicht benutzbar und es sind daher 2 zusätzliche Kamine für die jeweiligen Wohnungen zu errichten."

In Spruchpunkt III wurden u.a. die Anträge auf Erteilung einer Ausnahmegenehmigung in bezug auf die Auflagen 13. - 17. als unbegründet abgewiesen, da mit diesen Auflagen ein bautechnischer Mindeststandard gewährleistet werden solle, dessen Einhaltung keine unbillige Härte darstelle.

In der ausschließlich gegen die eingeräumte Frist und die Auflagen 13. - 17. erhobenen Berufung führten die Beschwerdeführer ihre Auffassung, daß die Auflagen der Punkte 13. bis 17. des erstinstanzlichen Bescheides wirtschaftlich und technisch unzumutbar seien und eine unbillige Härte darstellten, wie folgt aus:

"Die Abänderung der Stiegen- und Treppenaufgänge auf die Mindestbreite und Mindeststeigungsverhältnisse im Sinne des Bautechnikgesetzes bedingt, daß sämtliche Räume, welche an das Stiegenhaus direkt anschließen, verkleinert werden müßten, d.h. daß auch Mauern niedergerissen und versetzt werden müssen. Damit aber müßte wohl das gesamte Haus innen ausgehöhlt und neu errichtet werden. Dies steht aber wirtschaftlich in keinem Verhältnis zum erreichten Ziel, weshalb mit Sicherheit eine unbillige Härte im Sinne des § 61 Abs. 2 BautechnikG vorliegt.

Das gleiche gilt für Punkt 15. der Vorschreibungen, da durch die Vergrößerung der WC-Anlagen bzw. Badezimmer ebenfalls die Mauern der Wohnräume niedergerissen und verändert werden müssen. Dies würde darüber hinaus zu Einbauten in Wohnräume führen, die diese kaum mehr bewohnbar erscheinen lassen. Auch in diesem Punkt steht der zu tätigende Aufwand in keinem Verhältnis zu dem erreichten Ziel, da die Kosten der Umbauarbeiten eine derartige Höhe erreichen würden, daß es beinahe schon billiger wäre, ein neues Haus zu errichten."

Im Berufungsverfahren nahm der bautechnische Sachverständige u.a. wie folgt Stellung:

"...

2.

Die Abänderung der Stiegen- und Treppenaufgänge auf die Mindestbreiten und Steigungsverhältnisse im Sinne des BTG wurde vorgeschrieben, da bei den vorhandenen Anlagen Sturz- und Verletzungsgefahr besteht, wie bereits in der Verhandlungsschrift vom 17.2.1989, Zahl 1638/-85/Fu, festgestellt. Der Planverfasser der Einreichunterlagen hat hinsichtlich der Sanierungsmaßnahmen keine bzw. unzureichende Angaben in den Plänen eingetragen.

Die Baubehörde kann keine Ausnahme gemäß 61 Abs. 2

gewähren, da die Forderung nach Abs. 2 lit a nicht erfüllt ist. Ob darüber hinaus eine unbillige Härte vorliegt, kann erst im Einzelfall nach vorliegenden Sanierungsvorschlägen des Planverfassers beurteilt werden.

3.

Die vorhandenen Bade- und WC-Anlagen entsprechen keinesfalls den gesetzlichen Bestimmungen und sind unter Hinweis auf die Stellungnahme von Herrn Dr. T, Sprengelarzt, in der auf den besorgniserregenden Zustand der sanitären Anlagen und die unbedingt erforderlichen Sanierungsmaßnahmen hingewiesen wird, zu sanieren.

Die Mindestgrößen der WC-Anlagen ergeben sich aus den

technischen Erfordernissen. Bezüglich der Badezimmergröße könnte im Einzelfall von der geforderten Mindestgröße abgegangen werden. Die Größenanforderung an das Bad dienen dazu, die Benützbarkeit des Bades, erforderlichenfalls auch als WC, durch Personen, die einen Rollstuhl brauchen, sicherzustellen."

Mit Bescheid der Gemeindevertretung der mitbeteiligten Partei vom 11. November 1992 wurde gemäß § 22 Abs. 4 Sbg. Baupolizeigesetz 1973 in Verbindung mit § 66 Abs. 4 AVG der Berufung der Beschwerdeführer insoweit Folge gegeben, als die durch den erstinstanzlichen Bescheid vorgeschriebene Frist für die Durchführung der Baumaßnahmen bis 31. Dezember 1993 verlängert wurde. Im übrigen wurde die Berufung als unbegründet abgewiesen.

Auch die gegen den Berufungsbescheid erhobene Vorstellung der Beschwerdeführer wurde mit dem angefochtenen Bescheid als unbegründet abgewiesen. Es sei zutreffend, daß die Stellungnahme des bautechnischen Sachverständigen im Berufungsverfahren den Beschwerdeführern nicht zur Kenntnis gebracht worden sei. Die Berufungsbehörde beziehe sich auch auf die gutachtliche Stellungnahme. Im Berufungsbescheid werde vor allem darauf verwiesen, daß der bautechnische Sachverständige bei Nichterfüllung der Auflage "Punkt 14." (wohl gemeint: Auflage 13.) eine Sturz- und Verletzungsgefahr befürchte. In diesem Zusammenhang habe der bautechnische Sachverständige auf die Verhandlungsschrift vom 17. Februar 1989 hingewiesen, in der er bereits diese Sturz- und Verletzungsgefahr festgestellt habe. Die Verhandlungsschrift vom 17. Februar 1989 enthalte folgende Textpassage: "Die Außenanlagen, Treppen und Wege und die Stiegenanlagen im Inneren des Gebäudes sind so zu sanieren bzw. neu zu errichten, daß sie dem Steigungsverhältnis, das im Bautechnikgesetz festgelegt ist, entsprechen, und eine Sturz- und Verletzungsgefahr aufgrund schlechter oder schadhafter Bodenbeläge ausgeschlossen wird." Während somit in der Verhandlungsschrift vom 17. Februar 1989 von der "Vermeidung" einer Sturz- und Verletzungsgefahr die Rede gewesen sei, sei im Rahmen der gutachtlichen Stellungnahme im Berufungsverfahren diese Sturz- und Verletzungsgefahr als derzeit akut bestehend dargestellt worden, weshalb eine beantragte Ausnahme von den bautechnischen Erfordernissen nicht möglich gewesen sei. Es seien jedoch durch die im Berufungsverfahren eingeholte gutachtliche Stellungnahme des bautechnischen Sachverständigen keinerlei neue Sachverhaltselemente hervorgekommen. Der Sachverständige habe lediglich im erstinstanzlichen Verfahren hervorgekommene Tatsachen wiederholt. Den Beschwerdeführern sei somit der Sachverhalt des Berufungsverfahrens zur Gänze und unverändert bekannt gewesen. Die Verletzung des Parteiengehörs sei kein wesentlicher Verfahrensmangel, da die Stellungnahme des Sachverständigen aufgrund "ihrer inhaltlichen Dürftigkeit" ohnehin kaum als Gutachten zu bezeichnen sei und sich auf Wiederholungen beschränke. Es erwüchsen den Beschwerdeführern daraus keinerlei Nachteile. Der Inhalt dieser Stellungnahme sei bereits im erstinstanzlichen Verfahren vorgelegen und hätten die Beschwerdeführer diesem bereits in der Berufung wirksam entgegentreten können. Weiters hätten maßgebliche Einwendungen hinsichtlich dieser Stellungnahme im Vorstellungsverfahren vorgebracht werden können. Die Beschwerdeführer hätten auch im ganzen Verfahren nicht belegen können, daß die Erfüllung der bautechnischen Erfordernisse eine unbillige Härte für sie bedeute. Es sei weiters schlüssig, wenn die Berufungsbehörde unter Hinweis auf den Ausschußbericht zu § 61 Abs. 2 Bautechnikgesetz meine, daß allein der Umstand einer nachträglichen baubehördlichen Bewilligung nicht als unbillige Härte zu werten sein werde. Darüber hinaus blieben die Beschwerdeführer den gutachtlichen Beweis dafür schuldig, daß die Vollziehung der bekämpften Auflagenpunkte technisch und rechtlich nicht möglich wäre. Schon im erstinstanzlichen Verfahren sei es ihnen möglich gewesen, auf gleicher fachlicher Ebene den gutachtlichen Stellungnahmen der Sachverständigen, die der Erteilung von Ausnahmen gemäß § 61 Abs. 2 Bautechnikgesetz ablehnend gegenübergestanden seien, entgegenzutreten. Eine solche gutachtliche Stellungnahme auf gleicher fachlicher Ebene hätten die Beschwerdeführer im Verfahren nicht vorgelegt. Es sei somit den Baubehörden auch nicht möglich gewesen, zu überprüfen, ob die Beschwerdeführer bei Erfüllung der gegenständlichen Auflagen "das Haus mehr oder minder neu" bauen müßten, da die Beschwerdeführer ihr Vorbringen durch keinerlei nachprüfbare Fakten in Form von privaten Gutachten oder auch Kostenvoranschlägen belegt hätten. Die Baubehörde zweiter Instanz hätte daher zutreffend das Vorliegen einer Ausnahme gemäß § 61 Abs. 2 Bautechnikgesetz verneint.

In der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde wird die Rechtswidrigkeit des Inhaltes und die Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht. Die Beschwerdeführer erachten sich in ihrem Recht auf Gewährung von Ausnahmen von den Anforderungen des Sbg. Bautechnikgesetzes im Einzelfall gemäß § 61 Abs. 2 lit. b Sbg. Bautechnikgesetz verletzt.

Die belangte Behörde hat eine Gegenschrift erstattet, die Verwaltungsakten vorgelegt und die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 61 Abs. 2 lit. b Salzburger Bautechnikgesetz, LGBl. Nr. 75/1976 in der im Zeitpunkt der Erlassung des Berufungsbescheides anzuwendenden Stammfassung (im folgenden: BauTG), kann die Baubehörde über die im § 61 Abs. 1 genannten Fälle hinaus Ausnahmen von den aufgrund dieses Gesetzes aufgestellten bautechnischen Erfordernissen im Einzelfall gewähren, wenn und soweit

"b)

die Einhaltung der betreffenden Vorschrift nach der besonderen Lage des Einzelfalles eine unbillige Härte darstellen würde;".

Gemäß § 61 Abs. 3 BauTG müssen die allgemeinen Anforderungen gemäß §§ 1 bis 4 bei der Erteilung von Ausnahmen in einer dem Zweck des bautechnischen Erfordernisses, von dem die Ausnahme gewährt wird, entsprechenden, zumindest jedoch in einer diesen Zweck noch ausreichend erfüllenden Weise gewahrt sein. Dies ist durch Gutachten der nach dem Gegenstand der Ausnahme in Betracht kommenden bautechnischen und erforderlichen weiteren Sachverständigen festzustellen. Gemäß § 61 Abs. 4 BauTG hat die Erteilung der Ausnahme nur über begründeten Antrag und unter Anführung ihres Grundes gemäß Abs. 1 oder 2, sowie - ausgenommen die Fälle nach Abs. 1 lit. a sowie Abs. 2 lit. d - unter genauer Anführung der Bestimmung dieses Gesetzes, von der die Ausnahme gewährt wird, zu erfolgen. Sie kann unter Beachtung dieser Erfordernisse auch mit der Baubewilligung verbunden werden.

Die Beschwerdeführer wenden sich zunächst dagegen, daß die auch von der belangten Behörde festgestellte Verletzung des Parteiengehörs im Berufungsverfahren von der belangten Behörde als nicht wesentlich angesehen worden sei. Die gutachtliche Stellungnahme des bautechnischen Sachverständigen sei nach Auffassung der Beschwerdeführer "völlig unvollständig", da er sich mit den Argumenten der Beschwerdeführer in der Bauverhandlung am 15. Mai 1992, wenn man auf die Begutachtung des Sachverständigen vom 17. Februar 1989 abstelle, nicht habe auseinandersetzen können. Auf die Frage, ob eine unbillige Härte vorliege, gehe der Sachverständige im Berufungsverfahren nicht ein, da dies erst nach Vorliegen von Sanierungsvorschlägen des Planverfassers beurteilt werden könnte. Der Sachverständige hätte die Frage der unbilligen Härte aufgrund des an Ort und Stelle vorhandenen Bestandes beurteilen können und müssen. Der Sachverständige wäre von der belangten Behörde anzuleiten gewesen, sich mit der Frage der unbilligen Härte und den von den Beschwerdeführern vorgetragenen Argumenten in diesem Zusammenhang auseinanderzusetzen. Wäre den Beschwerdeführern die Möglichkeit einer Stellungnahme eingeräumt worden, hätten sie die Ergänzung des Gutachtens um die verfahrenswesentlichen Punkte beantragt oder aber selbst ein Privatgutachten beigebracht.

Dieser Rüge kommt keine Berechtigung zu. Die Berufungsbehörde hat die gutachtliche Stellungnahme des bautechnischen Sachverständigen im Berufungsverfahren nur insoweit herangezogen, als er im Zusammenhang mit den in Auflage 13. erwähnten Stiegen- und Treppenaufgängen das Bestehen einer Verletzungs- und Sturzgefahr unter Verweis auf seine Feststellungen in der Verhandlung vom 17. Februar 1989 (gemeint wohl die am 15. September 1989 fortgesetzte Verhandlung) angenommen hat. Die Berufungsbehörde stellte offensichtlich im Hinblick auf § 61 Abs. 3 leg. cit. fest, daß eine Ausnahme in bezug auf die Auflage Punkt 13. schon deshalb nicht in Betracht komme, weil bei den vorhandenen Anlagen eine erhebliche Sturz- und Verletzungsgefahr bestehe. Die Sturz- und Verletzungsgefahr bei Benützung der Stiegen- und Treppenaufgänge war aber - wie die belangte Behörde zutreffend ausführt - bereits im erstinstanzlichen Verfahren durch den bautechnischen Sachverständigen festgestellt worden. Die Beschwerdeführer hatten überdies im Berufungs- und im Vorstellungsverfahren die Möglichkeit, zur Frage der Sturz- und Verletzungsgefahr Stellung zu nehmen.

Sofern die Beschwerdeführer aber der Behörde - wie schon im Vorstellungsverfahren - entgegenhalten, sie habe sich mit dem Argument, die Sturz- und Verletzungsgefahr in den Stiegen- und Treppenaufgängen liege nicht vor, weil das verfahrensgegenständliche Haus seit 1957 bestehe, bewohnt werde und noch nie ein Sturz passiert sei, nicht auseinandergesetzt, ist den Beschwerdeführern Recht zu geben. In diesem Zusammenhang ist insbesondere von Bedeutung, daß die Annahme einer Sturz- und Verletzungsgefahr in bezug auf sämtliche Stiegen und Treppenaufgänge im verfahrensgegenständlichen Haus 2 vom bautechnischen Sachverständigen schon in der fortgesetzten Verhandlung am 15. September 1989 in keiner Weise näher begründet wurde. Es fehlt auch jegliche Befundaufnahme über die Stiegen und Treppenaufgänge. Es handelt sich dabei auch schon deshalb um einen wesentlichen Verfahrensmangel, weil der Verwaltungsgerichtshof an der Überprüfung der Schlüssigkeit der Feststellung der Sturz- und Verletzungsgefahr angesichts mangelnder Darstellung in den Plänen und mangels entsprechenden Befundes und schlüssigen Gutachtens des Bausachverständigen gehindert ist. Mangels Vorliegens eines schlüssigen und nachvollziehbaren Gutachtens zur Frage der Sicherheit auf den verfahrensgegenständlichen Stiegen und Treppenaufgängen (siehe § 1 BauTG) kann den Beschwerdeführern auch nicht entgegengehalten werden, sie hätten dieser Auffassung des Sachverständigen auf gleicher fachlicher Ebene entgegentreten müssen. Da sich erst die Berufungsbehörde bei der Vollziehung des § 61 BauTG auf das Vorliegen der Sturz- und Verletzungsgefahr bezogen hat, war der von den Beschwerdeführern in der Vorstellung erhobene angeführte Einwand auch rechtzeitig erhoben. Da die belangte Behörde diesen Verfahrensmangel nicht aufgegriffen hat, stellt sich der angefochtene aufsichtsbehördliche Bescheid insofern schon aus diesem Grund als inhaltlich rechtswidrig dar.

Die Beschwerdeführer machen weiters geltend, die belangte Behörde habe zu Unrecht festgestellt, daß von den Beschwerdeführern das Vorliegen einer unbilligen Härte im Sinne des § 61 Abs. 2 lit. b BTG nicht habe bewiesen werden können. Dies nehme die Behörde insbesondere deshalb an, weil die Beschwerdeführer kein privates Gutachten oder auch Kostenvoranschläge vorgelegt hätten. Diese Auffassung der belangten Behörde verstoße gegen den Grundsatz der Amtswegigkeit im Verwaltungsverfahren. Es bestehe zwar eine Mitwirkungspflicht der Partei, dieser sei aber von den Beschwerdeführern entsprochen worden.

Da - wie dargelegt - das Vorliegen eines Hindernisses gemäß § 61 Abs. 3 leg. cit. für die Gewährung einer Ausnahme gemäß § 61 Abs. 2 leg. cit. in bezug auf die Stiegen- und Treppenaufgänge von der belangten Behörde nicht in einem mängelfreien Verfahren festgestellt wurde, kommt auch diesem Vorbringen grundsätzliche Bedeutung zu, da die belangte Behörde bei anderer Beantwortung der Erfüllung der Anforderungen gemäß §§ 1 bis 4 im Sinne des § 61 Abs. 3 BauTG jedenfalls auch auf die Frage des Vorliegens der unbilligen Härte gemäß § 61 Abs. 2 lit. b BauTG eingehen mußte. Diesem Vorbringen kommt aber auch in bezug auf die geltend gemachte Ausnahme betreffend die Auflage Punkt 15. (betreffend die WC-Anlagen und Badezimmer) Bedeutung zu, da in diesem Zusammenhang das Vorliegen der Voraussetzungen gemäß § 61 Abs. 3 leg. cit. von der belangten Behörde gar nicht angenommen und ausschließlich § 61 Abs. 2 leg. cit. angewendet wurde.

Auch mit diesem Vorbringen sind die Beschwerdeführer im Recht. Sie haben zwar, als sie am 15. Mai 1992 den Antrag auf Erteilung einer Ausnahme gemäß § 61 Abs. 2 lit. b BTG stellten, diesen Antrag nicht näher begründet. Ein Verbesserungsauftrag seitens der Behörde erster Instanz erfolgte nicht. Die Beschwerdeführer legten diese Gründe in der Berufung näher dar. So führten sie aus, daß die "Abänderung der Stiegen- und Treppenaufgänge auf die Mindestbreite und Mindeststeigungsverhältnisse im Sinne des Bautechnikgesetzes bedingt, daß sämtliche Räume, welche an das Stiegenhaus direkt anschließen, verkleinert werden müßten, d.h. daß auch Mauern niedergerissen und versetzt werden müssen. Damit aber müßte wohl das gesamte Haus innen ausgehöhlt und neu errichtet werden. Dies stehe aber wirtschaftlich in keinem Verhältnis zum erreichten Ziele, weshalb mit Sicherheit eine unbillige Härte im Sinne des § 61 Abs. 2 BautechnG" vorliege. Das gleiche gelte für Punkt 15. der Vorschreibungen, da durch die Vergrößerung der WC-Anlagen bzw. Badezimmer ebenfalls die Mauern der Wohnräume niedergerissen und verändert werden müssen. Dies würde darüber hinaus zu Einbauten in Wohnräume führen, die diese kaum mehr bewohnbar erscheinen ließen. Auch in diesem Punkt stehe der zu tätigende Aufwand in keinem Verhältnis zu dem "erreichten Ziel", da die Kosten der Umbauarbeiten eine derartige Höhe erreichen würden, daß es beinahe schon billiger wäre, ein neues Haus zu errichten.

Da ein gemäß § 61 Abs. 4 BauTG entsprechend begründeter Antrag der Beschwerdeführer in bezug auf die Auflagen Punkte 13. und 15. vorlag, wäre es entsprechend ihrer amtswegigen Ermittlungspflicht gemäß § 39 Abs. 2 AVG Sache der Berufungsbehörde gewesen, die von ihr für erforderlich erachteten weiteren Beweise zur Frage des Vorliegens einer unbilligen Härte und der technischen und rechtlichen Unmöglichkeit der Ausführung dieser Auflagen aufzunehmen. Die Beschwerdeführer rügen somit zutreffend, daß die belangte Behörde den Amtssachverständigen mit diesen Fragen von Amts wegen hätte befassen müssen.

Nicht im Recht sind die Beschwerdeführer allerdings, wenn sie sich darauf berufen, daß die Baubehörden - so behaupten die Beschwerdeführer - dieselben Mängel, die in den Auflagenpunkten

13. bis 17. angesprochen seien, bei den Häusern 1 und 4 dulden würden. Selbst wenn es zuträfe, daß die Baubehörden gleichartige Auflagen hinsichtlich der Häuser 1 und 4 rechtswidrigerweise nicht erlassen haben, kann daraus für die Frage der Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit des vorliegenden Verwaltungsverfahrens nichts abgeleitet werden (vgl. in diesem Sinne u.a. die Erkenntnisse des Verfassungsgerichtshofes vom 28. Juni 1976, Slg. Nr. 7836, und vom 29. Juni 1981, Slg. Nr. 9169, im Zusammenhang mit dem Gleichheitssatz). Auch in dem Fall, daß die Baubewilligung vom 24. November 1957 rechtswidrigerweise mit einem jederzeitigen Widerruf und einer Befristung erteilt worden wäre, könnte daraus nicht abgeleitet werden, daß diese Bewilligung in eine unbefristete umzudeuten wäre.

Unzutreffend ist auch, daß die Behörden die Rechtslage anzuwenden gehabt hätten, die im Jahr 1954 gegolten hat. Es sind vielmehr - wie unbestritten - zeitlich befristete baurechtliche Bewilligungen bzw. Benützungsbewilligungen bis Ende 1988 erteilt worden. Ungeachtet dessen haben die Beschwerdeführer mit einer Eingabe vom 29. Oktober 1985 die Erteilung der nachträglichen Bewilligung der bestehenden Wohnhausanlage beantragt, über die dann Jahre nach Auslaufen der befristeten Benützungsbewilligung aus dem Jahre 1983 mit Bescheiden vom 23. Juni bzw. 11. November 1992 aufgrund der jeweils im Zeitpunkt der Entscheidung geltenden Rechtslage entschieden wurde.

Grundsätzlich kann der belangten Behörde nicht entgegengetreten werden, wenn sie wie die Berufungsbehörde der Auffassung war, daß allein der Umstand einer nachträglichen Bewilligung nicht als unbillige Härte gewertet werden könne. Dabei übersieht die belangte Behörde allerdings, daß es im verfahrensgegenständlichen Verwaltungsverfahren nicht darum geht, daß rechtswidrig gebaut und in der Folge eine nachträgliche Baubewilligung beantragt wurde. Im vorliegenden Fall wurden vielmehr befristet - letztlich für die Zeit von 1957 bis 1988, also für 31 Jahre - baurechtliche Bewilligungen bzw. Benützungsbewilligungen erteilt. In einem solchen Fall kann nicht von vornhereine ausgeschlossen werden, daß das Vorliegen einer unbilligen Härte unter Umständen zu bejahen wäre.

Abschließend ist klarzustellen, daß sich die aufgezeigten Mängel, die von der belangten Behörde nicht aufgegriffen wurden, nur auf die bekämpften Auflagen Punkte 13. und 15. beziehen. In bezug auf die Auflagen Punkte 14., 16. und 17. haben die Beschwerdeführer ihren Antrag auf Ausnahme gemäß § 61 Abs. 2 BauTG schon im Bauverfahren nicht begründet. Sie führen dazu auch in der Beschwerde nichts Näheres aus. Es mußte daher der Beschwerde, soweit sie sich auch auf diese Auflagenpunkte bezieht, schon aus diesem Grund der Erfolg versagt bleiben.

Es stellt sich aber, wie schon ausgeführt worden ist, als inhaltliche Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides dar, daß sich die belangte Behörde - wie die Berufungsbehörde - in bezug auf die beantragte Ausnahme hinsichtlich der Auflagen Punkte 13. und 15. auf die nicht ausreichende Darlegung des Vorliegens einer unbilligen Härte im Sinne des § 61 Abs. 2 BTG durch die Beschwerdeführer berufen hat.

Der angefochtene Bescheid war daher, soweit er die aufgezeigten Mängel des Berufungsbescheides im Hinblick auf die Auflagen Punkte 13. und 15. nicht aufgegriffen und die Vorstellung zu Unrecht abgewiesen hat, gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben. Im übrigen war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Der Ausspruch über den Kostenersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung, BGBl. Nr. 416/1994.

Das Mehrbegehren in bezug auf einen dreißigprozentigen Streitgenossenzuschlag und auf Umsatzsteuer war im Hinblick auf den in der genannten Verordnung bestimmten Pauschalsatz für Schriftsatzaufwand abzuweisen.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1996:1995060014.X00

Im RIS seit

28.09.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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