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82/02 Gesundheitsrecht allgemeinNorm
B-VG Art139 Abs1 Z3, Art140 Abs1 Z1 litdLeitsatz
Zurückweisung eines Individualantrags auf Aufhebung des COVID-19-ImpfpflichtG mangels unmittelbaren Eingriffs in die Rechtssphäre; Unzulässigkeit des Antrags mangels Legitimation; keine Verpflichtung zur Impfung sowohl im Antragszeitpunkt als auch im Entscheidungszeitpunkt auf Grund der COVID-19-Nichtanwendungsverordnung; keine Zuordnung der Bedenken betreffend die Anfechtung gesundheitsrechtlicher Gesetzes- und VerordnungsbestimmungenSpruch
Der Antrag wird zurückgewiesen.
Begründung
Begründung
I. Antrag
Mit dem vorliegenden, auf Art139 Abs1 Z3 B-VG und Art140 Abs1 Z1 litc B-VG gestützten Antrag vom 6. Mai 2022 begehren die antragstellenden Parteien, das Bundesgesetz über die Pflicht zur Impfung gegen COVID-19 (COVID-19-Impfpflichtgesetz – COVID-19-IG), BGBl I 4/2022, idF BGBl I 22/2022 (samt weiteren Eventualanträgen), das Bundesgesetz betreffend Datensicherheitsmaßnahmen bei der Verarbeitung elektronischer Gesundheitsdaten und genetischer Daten (Gesundheitstelematikgesetz 2012 – GTelG 2012), BGBl I 111, idF BGBl I 39/2022 (samt weiteren Eventualanträgen), das Epidemiegesetz 1950 (EpiG), BGBl 186, idF BGBl I 21/2022 (samt weiteren Eventualanträgen), eine näher bezeichnete Wortfolge in §1 Abs5d des Bundesgesetzes betreffend vorläufige Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 (COVID-19-Maßnahmengesetz), BGBl I 12/2020, idF BGBl I 6/2022, §1 Z1 des Bundesgesetzes vom 3. Juli 1973 über die Entschädigung für Impfschäden (Impfschadengesetz), BGBl 371, idF BGBl I 5/2022 und §750 des Bundesgesetzes vom 9. September 1955 über die Allgemeine Sozialversicherung (Allgemeines Sozialversicherungsgesetz – ASVG), BGBl 189, idF BGBl I 60/2022 (samt Eventualantrag) als verfassungswidrig sowie die Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz über die Pflicht zur Impfung gegen COVID-19 (COVID-19-Impfpflichtverordnung – COVID-19-IV), BGBl II 52/2022 (samt weiteren Eventualanträgen), die Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz betreffend die vorübergehende Nichtanwendung des COVID-19-Impfpflichtgesetzes und der COVID-19-Impfpflichtverordnung, BGBl II 103/2022 (samt weiteren Eventualanträgen), und die Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz, mit der nähere Regelungen zur eHealth-Anwendung Elektronischer Impfpass getroffen werden (eHealth-Verordnung – eHealthV), BGBl II 449/2020, idF BGBl II 112/2021 (samt weiteren Eventualanträgen) als gesetzwidrig aufzuheben.
II. Rechtslage
Das Bundesgesetz über die Pflicht zur Impfung gegen COVID-19 (COVID-19-Impfpflichtgesetz – COVID-19-IG), BGBl I 4/2022, ist in seiner Stammfassung gemäß §20 Abs1 leg cit am 5. Februar 2022 in Kraft getreten und wurde mit BGBl I 22/2022 mit Geltung ab 18. März 2022 (betreffend §1 Abs2 und 3, §2 Z5, §3 Abs2, 3, 5 und 6, §3a samt Überschrift, §10 Abs2 und 3, §11 Abs1, §15 Abs1, §16 Abs2 Z2, 3 und 6 sowie §20 Abs2, 5 und 6) bzw ab 11. April 2022 (betreffend §2 Z11, §3b samt Überschrift sowie §7 Abs1, 2a, 2b und Abs5) teilweise novelliert.
Mit Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz betreffend die vorübergehende Nichtanwendung des COVID-19-Impfpflichtgesetzes und der COVID-19-Impfpflichtverordnung (im Folgenden: COVID-19-Nichtanwendungsverordnung), BGBl II 103/2022, wurde gemäß §19 Abs2 COVID-19-IG im Einvernehmen mit dem Hauptausschuss des Nationalrates (§18 Abs1 COVID-19-IG) durch den BMSGPK verordnet, dass die §§1, 4, 10 und 11 COVID-19 IG und die §§1 und 4 der COVID-19-IV ab 12. März 2022 bis 31. Mai 2022 "nicht auf Sachverhalte anzuwenden [sind], die sich nach Inkrafttreten dieser Verordnung ereignen". Die Verordnung wurde mit BGBl II 198/2022 dahingehend novelliert, dass die Nichtanwendung der obgenannten Bestimmungen sowie der §§3, 3a und 3b COVID-19-IG bis zum 31. August 2022 verlängert wurde.
III. Antragsvorbringen
Zur Antragslegitimation bringen die antragstellenden Parteien auf das Wesentliche zusammengefasst vor, ein Teil der antragstellenden Parteien genieße einen aufrechten Genesenenstatus auf Grund einer vor weniger als sechs Monaten durchgemachten COVID-19-Erkrankung oder sei geimpft. Sie seien daher ab 1. Juni 2022, spätestens aber teilweise ab Anfang Oktober 2022 gemäß §1 Abs1 des angefochtenen Gesetzes verpflichtet, sich einer Schutzimpfung gegen COVID-19 zu unterziehen, und somit unmittelbar betroffen. Die vorläufige Aussetzung der Impfpflicht durch die Verordnung BGBl II 103/2022 ändere an dem Umstand der unmittelbaren Betroffenheit nichts, da die angefochtene Impfpflicht erhebliche nachteilige Vorwirkungen äußern würde, wodurch ein weiteres Zuwarten mit der Anfechtung unzumutbar wäre.
Zudem würden alle antragstellenden Parteien jederzeit mit der Verwirklichung des sie speziell verpflichtenden Tatbestandes der Impfpflicht rechnen müssen, zumal die vorläufige Aussetzung der Impfpflicht jederzeit per Verordnung widerrufen werden könne.
In der Sache machen die antragstellenden Parteien insbesondere die Verletzung der folgenden verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte geltend: Recht auf Leben, Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens, Glaubens- und Gewissensfreiheit, Datenschutz, Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter, Recht auf ein faires Verfahren und Gleichheitssatz.
IV. Zulässigkeit
1. Der Antrag ist unzulässig.
2. Gemäß Art140 Abs1 Z1 litc und Art139 Abs1 Z3 B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Verfassungswidrigkeit von Gesetzen und die Gesetzwidrigkeit von Verordnungen auf Antrag einer Person, die unmittelbar durch diese Verfassungswidrigkeit bzw Gesetzwidrigkeit in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, wenn das Gesetz bzw die Verordnung ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides für diese Person wirksam geworden ist. Wie der Verfassungsgerichtshof in seiner mit VfSlg 8009/1977 und 8058/1977 beginnenden ständigen Rechtsprechung ausgeführt hat, ist daher grundlegende Voraussetzung für die Antragslegitimation, dass das Gesetz bzw die Verordnung in die Rechtssphäre der betroffenen Person unmittelbar eingreift und sie – im Fall seiner Verfassungswidrigkeit bzw ihrer Gesetzwidrigkeit – verletzt. Hiebei hat der Verfassungsgerichtshof vom Antragsvorbringen auszugehen und lediglich zu prüfen, ob die vom Antragsteller ins Treffen geführten Wirkungen solche sind, wie sie Art140 Abs1 Z1 litc und Art139 Abs1 Z3 B-VG als Voraussetzung für die Antragslegitimation fordert (vgl zB VfSlg 10.353/1985, 15.306/1998, 16.890/2003).
Der Verfassungsgerichtshof geht grundsätzlich davon aus, dass die bekämpften Gesetzesbestimmungen auch im Zeitpunkt seiner Entscheidung für den Antragsteller noch entsprechend wirksam sein müssen (vgl VfSlg 12.999/1992, 16.621/2002, 16.799/2003, 17.826/2006, 18.151/2007, 20.397/2020), was in der Regel dann nicht mehr der Fall ist, wenn die bekämpften Bestimmungen bereits außer Kraft getreten oder wesentlich geändert worden sind. Es ist aber nicht von vornherein ausgeschlossen, dass auch bereits außer Kraft getretene Regelungen die Rechtssphäre des Antragstellers aktuell berühren (vgl etwa VfSlg 20.397/2020, 20.399/2020 jeweils mwN).
3. Entgegen der Ansicht der antragstellenden Parteien entfaltet das COVID-19-IG keinen unmittelbaren Eingriff in ihre Rechtssphäre:
3.1. Die antragstellenden Parteien übersehen nämlich, dass die Verpflichtung zur Impfung, die insbesondere in §1 und §4 COVID-19-IG normiert ist (vgl VfGH 29.4.2022, G29/2022), auf Grund der COVID-19-Nichtanwendungsverordnung, BGBl II 103/2022, bereits im Zeitpunkt der Antragstellung am 6. Mai 2022 nicht mehr auf die antragstellenden Parteien anwendbar war. Es ist sohin schon zum Zeitpunkt der Antragstellung ein Rechtsschutzinteresse der antragstellenden Parteien zu verneinen (vgl VfGH 17.6.2022, G113/2022).
3.2. Da die COVID-19-Nichtanwendungsverordnung, BGBl II 103/2022, idF BGBl II 198/2022 auch im Entscheidungszeitpunkt des Verfassungsgerichtshofes die Nichtanwendung der Verpflichtung zur Impfung weiterhin (vorerst bis zum 31. August 2022) anordnet, kann auch zu diesem Zeitpunkt kein Rechtsschutzinteresse bejaht werden (vgl VfGH 17.6.2022, G113/2022).
4. Schon aus diesem Grund ist der auf Aufhebung des gesamten COVID-19-IG gerichtete Hauptantrag – samt damit im Zusammenhang stehender Eventualanträge in Bezug auf die Aufhebung einzelner Normen des COVID-19-IG – als unzulässig zurückzuweisen.
5. Soweit die antragstellenden Parteien die Aufhebung einzelner Bestimmungen des Gesundheitstelematikgesetzes 2012 (samt weiteren Eventualanträgen), des Epidemiegesetzes 1950 (samt weiteren Eventualanträgen), einer näher bezeichneten Wortfolge in §1 Abs5d COVID-19-Maßnahmengesetz, §1 Z1 Impfschadengesetz und §750 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (samt Eventualantrag) sowie der COVID-19-Impfpflichtverordnung (samt weiteren Eventualanträgen), der Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz betreffend die vorübergehende Nichtanwendung des COVID-19-Impfpflichtgesetzes und der COVID-19-Impfpflichtverordnung (samt weiteren Eventualanträgen) und der eHealth-Verordnung (samt weiteren Eventualanträgen) begehren, ist dem Vorbringen entgegenzuhalten, dass zu den einzelnen Bestimmungen der näher bezeichneten Gesetze bzw Verordnungen keine konkret zugeordneten Bedenken vorgebracht wurden (vgl etwa VfGH 2.3.2015, G140/2014 ua). Diesen Anträgen ist nicht mit hinreichender Deutlichkeit zu entnehmen, mit welcher Verfassungs- bzw Gesetzesbestimmung die jeweils bekämpfte Norm in Widerspruch stehen soll und welche Gründe für diese Annahme sprechen (siehe VfGH 29.4.2022, G45/2022 mwN).
Dass im Übrigen "alle angefochtenen Normen […] in einem inneren Zusammenhang" stehen würden, wird von den antragstellenden Parteien zwar behauptet, nicht jedoch nachvollziehbar und schlüssig dargelegt. Es bleibt daher offen, inwiefern die genannten Bestimmungen mit (nach Auffassung der antragstellenden Parteien) den den Sitz der Verfassungs- bzw Gesetzwidrigkeit bildenden Bestimmungen in einem konkreten Regelungszusammenhang stehen und eine untrennbare Einheit mit diesen bilden (vgl VfGH 30.9.2020, G144/2020 ua mwN). Schon deshalb erweisen sich diese weiteren Anträge als unzulässig.
6. Da es sich bei den vom Verfassungsgerichtshof dargelegten Mängeln um keine behebbaren Formgebrechen, sondern um Prozesshindernisse handelt, ist der Antrag schon deshalb als unzulässig zurückzuweisen. Bei diesem Ergebnis kann dahingestellt bleiben, ob der Antrag noch aus anderen Gründen unzulässig ist.
V. Ergebnis
1. Der Antrag ist daher als unzulässig zurückzuweisen.
2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs3 Z2 lite VfGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.
Schlagworte
COVID (Corona), VfGH / Individualantrag, Geltungsbereich (zeitlicher) einer Verordnung, Geltungsbereich (zeitlicher) eines Gesetzes, VfGH / Legitimation, VfGH / Bedenken, VfGH / PrüfungsumfangEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2022:G152.2022Zuletzt aktualisiert am
16.12.2022