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82/02 Gesundheitsrecht allgemeinNorm
B-VG Art18Leitsatz
Abweisung von Anträgen auf Aufhebung einer — hinreichend bestimmten — Bestimmung des EpidemieG 1950 betreffend die Überprüfung der Zulässigkeit von Absonderungsmaßnahmen durch die Bezirksgerichte; kein Verstoß der gerichtlichen Überprüfung verwaltungsbehördlicher Absonderungsmaßnahmen gegen den Grundsatz der Trennung von Verwaltung und Gerichtsbarkeit auf Grund der Zulässigkeit der Entscheidung (auch) durch ordentliche Gerichte nach dem PersFrSchGRechtssatz
Die Anträge zweier Bezirksgerichte auf Aufhebung des §7 Abs1a letzter Satz EpidemieG 1950 (EpiG) idF BGBl I 63/2016 werden abgewiesen. Im Übrigen: Zurückweisung der Anträge. Die antragstellenden Gerichte begehren auch die Aufhebung des §7 Abs1a vorletzter Satz EpiG in der - im Zeitpunkt der Antragstellung maßgeblichen Fassung - BGBl I 104/2020. Dieser Satz wurde nach der Antragstellung durch BGBl I 90/2021 geändert. Es ist daher auszuschließen, dass die antragstellenden Gerichte §7 Abs1a vorletzter Satz EpiG idF BGBl I 104/2020 noch anzuwenden haben. Der Antrag des Bezirksgerichtes Amstetten und der Hauptantrag des Bezirksgerichtes Bludenz sind daher, soweit sie sich auf §7 Abs1a vorletzter Satz EpiG idF BGBl I 104/2020 beziehen, als unzulässig zurückzuweisen, ohne dass dies - infolge der Trennbarkeit des vorletzten und des letzten Satzes - auf die Zulässigkeit der Anfechtung des §7 Abs1a letzter Satz EpiG durchschlägt. §7 Abs1a letzter Satz EpiG ist mit Wirkung vom 22.10.2021 aufgehoben worden (weshalb die Anträge nunmehr als Feststellungsanträge zu werten sind). Es ist jedoch zumindest denkmöglich, dass das Bezirksgericht Amstetten und das Bezirksgericht Bludenz diese Bestimmung weiterhin anzuwenden haben, zumindest um zu beurteilen, wie sie mit bereits von Amts wegen eingeleiteten Verfahren zur Überprüfung von Freiheitsbeschränkungen weiter umzugehen haben. Diese Bestimmung ist daher (nach wie vor) präjudiziell.
Hinreichende Bestimmtheit des §7 Abs1a EpiG:
§7 Abs1a EpiG sah im Falle der Absonderung einen doppelten Rechtsschutzmechanismus vor: Einerseits konnte die angehaltene Person beim zuständigen Bezirksgericht die Überprüfung der Zulässigkeit und die Aufhebung der Freiheitsbeschränkung beantragen; über solche Anträge auf Überprüfung der Zulässigkeit der Anhaltung war auch noch nach Beendigung der Anhaltung zu entscheiden (vgl idS auch §50 Abs26 zweiter Satz EpiG). Andererseits hatte das Bezirksgericht von Amts wegen in längstens dreimonatigen Abständen ab der Anhaltung (oder der letzten Überprüfung) die Zulässigkeit der Anhaltung zu überprüfen, sofern die Anhaltung nicht vorher aufgehoben wurde. Diese amtswegige, fortlaufende und begleitende Kontrolle endete daher, weil ihr Zweck erschöpft war, mit dem Ende der Anhaltung. Mangels verfahrenseinleitenden Antrages, an dessen Erledigung aus rechtsstaatlichen Gründen auch noch nach Ende der Anhaltung ein Rechtsschutzinteresse bestand, waren daher von Amts wegen initiierte Prüfungsverfahren mit dem Ende der Anhaltung einzustellen (§50 Abs26 zweiter Satz EpiG bezieht sich nur auf auf Antrag "anhängig" gemachte Prüfungsverfahren). Gegenstand solcher amtswegiger Überprüfungsverfahren war lediglich die Zulässigkeit (das Vorliegen der Voraussetzungen) einer (weiteren) "Anhaltung" im Zeitpunkt der Überprüfung durch das Bezirksgericht (und demnach nicht die Prüfung des die Anhaltung auslösenden Bescheides oder Befehls- und Zwangsaktes; E v 29.09.2022, E4450/2021), weshalb sich auch die Frage nach dem Verhältnis der bezirksgerichtlichen Zuständigkeit zur amtswegigen Überprüfung der Anhaltung zu einer allfälligen Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte zur Entscheidung über Bescheid- oder Maßnahmenbeschwerden (eine andere, potentiell konkurrierende Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte war nicht normiert) nicht gestellt hat.
Zur Überprüfung war - wie sich aus dem systematischen Zusammenhang zu §7 Abs1a zweiter Satz EpiG ergab - das Bezirksgericht zuständig, in dessen Sprengel der Anhaltungsort lag, woran auch die Aufhebung dieses Satzes durch E v 10.03.2021, G380/2020 ua mit Wirkung vom 09.04.2021 nichts geändert hat. Die Überprüfung hatte "in sinngemäßer Anwendung des §17 des Tuberkulosegesetzes", der einer Auslegung zugänglich ist, zu erfolgen; im Übrigen hatten die Bezirksgerichte die Vorschriften des außerstreitigen Verfahrens anzuwenden.
Kein Verstoß gegen den Grundsatz der Trennung von Justiz und Verwaltung:
Die Bundesregierung hält der Begründung des Gerichtsantrags entgegen, dass gemäß Art6 Abs2 PersFrSchG periodische Überprüfungen von Anhaltungen auf unbestimmte Dauer (lediglich) ordentlichen Gerichten oder unabhängigen Behörden zugewiesen werden könnten. Schon daraus, dass der - in Verfassungsrang stehende - Art6 Abs2 PersFrSchG neben den Behörden auch die Gerichte nenne, sei der Schluss zu ziehen, dass solche Gerichtszuständigkeiten unter dem Blickwinkel des Art94 B-VG grundsätzlich keinen verfassungsrechtlichen Bedenken begegnen würden. Mit diesem Einwand ist die Bundesregierung im Recht: Die Bundesverfassung gibt mit Art6 PersFrSchG zu erkennen, dass sie mit der Überprüfung verwaltungsbehördlich veranlasster Anhaltungen (auch) durch ordentliche Gerichte rechnet und diese damit akzeptiert. §7 Abs1a letzter Satz EpiG stand daher nicht in Widerspruch zu Art94 B-VG.
Entscheidungstexte
Schlagworte
COVID (Corona), Bezirksgericht, Verwaltungsgericht Zuständigkeit, Landesverwaltungsgericht, Gericht Zuständigkeit, VfGH / Präjudizialität, VfGH / Gerichtsantrag, Geltungsbereich (zeitlicher) eines Gesetzes, Gerichtsbarkeit Trennung von der Verwaltung, Gewaltentrennung, Freiheit persönliche, Auslegung systematische, RechtsstaatsprinzipEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2022:G97.2021Zuletzt aktualisiert am
16.12.2022