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Auswertung in Arbeit!Norm
Auswertung in Arbeit!Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Grünstäudl und die Hofrätin Dr. Leonhartsberger sowie den Hofrat Dr. Eisner als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Derfler, über den Antrag der S H in W, vertreten durch die Schönherr Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Schottenring 19, auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Behebung von Mängeln der ordentlichen Revision gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom 9. Mai 2022, Zl. VGW-106/078/4534/2021-52, (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Magistrat der Stadt Wien), den Beschluss gefasst:
Spruch
Dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird stattgegeben.
Begründung
1 Mit Erkenntnis vom 9. Mai 2022, Zl. VGW-106/078/4534/2021-52, wies das Verwaltungsgericht Wien (im Folgenden: Verwaltungsgericht) - im Beschwerdeverfahren - den Antrag der Wiedereinsetzungswerberin auf Erteilung einer Bewilligung zur Errichtung einer neuen öffentlichen Apotheke an einem näher beschriebenen Standort mit einer näher bezeichneten Betriebsstätte ab. Gleichzeitig wurde die ordentliche Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für zulässig erklärt.
2 Dagegen erhob die Wiedereinsetzungswerberin per Post beim Verwaltungsgericht Revision.
3 Mit Mängelbehebungsauftrag vom 11. Juli 2022, der Wiedereinsetzungswerberin am 15. Juli 2022 zugestellt, stellte das Verwaltungsgericht die Revision gemäß § 30a Abs. 2 VwGG zwecks Beibringung sieben weiterer Ausfertigungen der Revision samt Beilagen (§ 24 Abs. 3 VwGG) binnen einer Woche ab Zustellung zurück.
4 Innerhalb offener Frist langten beim Verwaltungsgericht per Einschreibebrief unter Wiedervorlage der ursprünglich eingebrachten Revision samt Gebührennachweis und des Originals des Mängelbehebungsauftrags 4 weitere Ausfertigungen der Revision samt Gebührennachweisen und 2 Ausfertigungen des bekämpften Erkenntnisses ein. Das (nur zum Teil vorhandene) Einbringungskuvert ist mit einem roten Aufkleber mit dem Titel „Schadensprotokoll / Report“ und einer zugehörigen Geschäftszahl (2869313) versehen.
5 Laut Aktenvermerk des Verwaltungsgerichts vom 20. September 2022 teilte die Rechtsvertretung der Wiedereinsetzungswerberin dem verfahrensführenden Richter telefonisch mit, dass offenbar nach postalischen Problemen Ausfertigungen der Revision und der damit bekämpften Erkenntnisse bei einem näher bezeichneten Notariat eingelangt seien. Im Hinblick auf einen angekündigten Wiedereinsetzungsantrag sei für den 22. September 2022 ein Termin zur Akteneinsicht vereinbart worden.
6 Das Verwaltungsgericht legte dem Verwaltungsgerichtshof mit Begleitschreiben vom 23. September 2022 die ordentliche Revision samt Verfahrensakten vor.
7 Mit einerseits per Web-ERV und andererseits persönlich überbrachtem Schriftsatz vom 29. September 2022 wurde beim Verwaltungsgerichtshof seitens der Einschreiterin unter Anschluss von jeweils 8 Ausfertigungen der ordentlichen Revision vom 29. Juni 2022 samt Beilagen ein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der mit Verfügung des Verwaltungsgerichts vom 11. Juli 2022 gesetzten Frist zur Behebung von Mängeln der ordentlichen Revision gestellt.
8 Der Antrag wird im Wesentlichen damit begründet, dass die Vertreterin der Wiedereinsetzungswerberin durch einen Anruf eines näher bezeichneten Notariats am 16. September 2022 erstmals erfahren habe, dass die am 19. Juli 2022 bei der Post vollständig, rechtzeitig und ordnungsgemäß aufgegebene Postsendung mit den Unterlagen zur Mängelbehebung am Postweg teilweise verloren gegangen und in der Folge nur unvollständig beim Verwaltungsgericht eingelangt sei. Nach Übergabe an die Post sei es im Verteilerzentrum zu einer Beschädigung dieser Postsendung wie auch einer Postsendung des genannten Notariats gekommen. Dabei habe ein Mitarbeiter der Post offenbar irrtümlich einen Teil des Inhalts der den Mängelbehebungsauftrag erfüllenden Postsendung falsch - nämlich zur Sendung des Notariats - zugeordnet. Daher sei bloß ein Teil der dem Mängelbehebungsauftrag entsprechenden Postsendung, nämlich 5 Ausfertigungen der ordentlichen Revision, 2 Kopien des angefochtenen Erkenntnisses, 5 Kopien des Gebührennachweises sowie das Original des Mängelbehebungsauftrags, beim Verwaltungsgericht eingelangt. Der Rest der Postsendung sei an den vom Notariat bezeichneten Empfänger gelangt. Es liege damit ein unvorhergesehenes und unabwendbares, weder von der Wiedereinsetzungswerberin noch von deren Rechtsvertretung verschuldetes, ausschließlich bei der Post liegendes Schadensereignis vor.
9 Das Wiedereinsetzungsvorbringen wurde mit diversen Nachweisen unterlegt: Einer schriftlichen Erklärung eines Rechtsanwalts und einer Kanzleiassistentin über die Vorbereitung der alle erforderlichen Unterlagen zur Mängelbehebung enthaltenden Postsendung, einer schriftlichen Erklärung eines Kanzleimitarbeiters über die Übergabe der unversehrten Sendung an die Post, einer Kopie des Postaufgabebuchs mit dem Eintrag „Postamt 1010 Wien, 19.07.2022, 17:46“, einer E-Mail an die Adresse „nachforschung@post.at“ mit dem Ersuchen um Aufklärung zum Geschäftsfall Nr. „2869313“, einem Aktenvermerk über die telefonische Aufklärung der Post vom 23. September 2022 über die Beschädigung der zur Mängelbehebung vorgesehenen Sendung und einer Postsendung eines Notariats samt Vermischung der Inhalte, einem Schadensprotokoll betreffend die Sendung des genannten Notariats, einer Erklärung einer Mitarbeiterin des Empfängers der Sendung des Notariats, wonach in der erhaltenen Sendung Revisionsschriftsätze und weitere Beilagen enthalten gewesen seien, die nicht für den Empfänger bestimmt gewesen und nach telefonischer Rücksprache mit dem absendenden Notariat mit Zeitverzögerung an den Absender zurückgeschickt worden seien, einer das genannte Telefongespräch und den Eingang von 3 Revisionen, 6 Erkenntnissen und 3 Gebührennachweisen am 16. September 2022 bestätigenden Erklärung einer Angestellten des Notariats, die darüber hinaus festhielt, am selben Tag telefonisch den Vertreter der Revisionswerberin von diesem Umstand informiert zu haben, sowie einem Aktenvermerk jenes Rechtsanwalts, der die Mängelbehebung vorbereitet hatte, über das Telefonat mit der Mitarbeiterin des Notariats.
10 Gemäß § 46 Abs. 1 VwGG ist einer Partei, wenn sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis - so dadurch, dass sie von einer Zustellung ohne ihr Verschulden keine Kenntnis erlangt hat - eine Frist versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet, auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen. Dass der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.
11 Eine Partei, die einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung einer Frist stellt, hat den Wiedereinsetzungsgrund im Wiedereinsetzungsantrag glaubhaft zu machen und bereits im Antrag taugliche Bescheinigungsmittel beizubringen (vgl. VwGH 18.3.2021, Ra 2021/20/0024; 20.11.2020, Ra 2020/05/0048, mwN).
12 Im gegenständlichen Fall wird unter Bedachtnahme auf die vorgelegten Bescheinigungsmittel, gegen deren inhaltliche Richtigkeit keine Bedenken bestehen, als bescheinigt festgestellt, dass das Poststück, das sämtliche zur ordnungsgemäßen Mängelbehebung geeigneten Unterlagen (8 Ausfertigungen der ordentlichen Revision, 8 Kopien des angefochtenen Erkenntnisses des Verwaltungsgerichts, 8 Gebührennachweise sowie den originalen Mängelbehebungsauftrag) enthielt, am 19. Juli 2022 bei der Post aufgegeben wurde. Offenbar im Verteilerzentrum der Post fiel jedenfalls ein Teil des Inhalts der Sendung aufgrund einer Beschädigung des Kuverts aus diesem heraus und wurde versehentlich in ein anderes - ebenfalls beschädigtes - Kuvert eines Notariats eingelegt. Beim Verwaltungsgericht langten aufgrunddessen lediglich 5 Ausfertigungen der ordentlichen Revision, 2 Kopien des angefochtenen Erkenntnisses, 5 Kopien des Gebührennachweises sowie das Original des Mängelbehebungsauftrags ein. Innerhalb der vom Verwaltungsgericht gesetzten Frist zur Mängelbehebung erfolgte somit keine vollständige Behebung der Mängel der Revision. Von diesem Umstand erfuhr der Vertreter der Wiedereinsetzungswerberin erstmals am 16. September 2022.
13 Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs stellt der Umstand, dass eine Sendung nach Übergabe an die Post verloren geht und nicht bei der Behörde einlangt, ein unvorhergesehenes und unabwendbares Ereignis dar, das zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand berechtigt (vgl. VwGH 14.10.2015, 2013/17/0137, mwN). Dabei handelt es sich um ein Ereignis, das der Absender offensichtlich nicht einrechnet, kann doch im Hinblick auf die Zuverlässigkeit des Postverkehrs auch unter Bedachtnahme auf die zumutbare Aufmerksamkeit und Voraussicht von der Partei nicht erwartet werden, dass sie diesen Umstand einrechnet (vgl. wiederum VwGH 18.3.2021, Ra 2021/20/0024, mwN). Dies gilt gleichermaßen für Fälle des bloß teilweisen Verlusts der Sendung.
14 Da nach der Rechtsprechung auch der Verlust eines nicht eingeschriebenen Briefes kein den minderen Grad des Versehens übersteigendes Verschulden darstellt, weil auch ohne diese besondere Form der Postaufgabe mit dem Einlangen des Schriftstückes bei der Behörde gerechnet werden kann (vgl. neuerlich VwGH 14.10.2015, 2013/17/0137, mwN), ist fallbezogen eine einem Wiedereinsetzungsantrag entgegenstehende Verletzung der gebotenen Sorgfalt nicht gegeben.
15 Somit war dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 46 Abs. 1 VwGG stattzugeben. Dadurch tritt das Verfahren gemäß § 46 Abs. 5 VwGG in die Lage zurück, in der es sich vor dem Eintritt der Versäumung befunden hat.
Wien, am 16. November 2022
Schlagworte
Auswertung in Arbeit!European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2022:RO2022100025.J00Im RIS seit
15.12.2022Zuletzt aktualisiert am
15.12.2022