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L10014 Gemeindeordnung Gemeindeaufsicht GemeindehaushaltNorm
AVG §10 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Hnatek und die Hofräte Dr. Puck, Dr. Höfinger, Dr. Köhler und Dr. Zens als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Fegerl, über die Beschwerde der Gemeinde Marienkirchen an der Polsenz, vertreten durch Dr. O, Rechtsanwalt in G, gegen den Bescheid der Oberösterreichischen Landesregierung vom 10. Mai 1995, Zl. Gem-7522/8-1995-Si, betreffend Kanalanschlußgebühr (mitbeteiligte Parteien: 1. E und 2. K, beide in St. Marienkirchen), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Das Land Oberösterreich hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Mit Bescheid des Bürgermeisters der beschwerdeführenden Gemeinde vom 29. März 1994 wurde den mitbeteiligten Parteien für den Ausbau des Dachboden ihres Wohnhauses im Gebiet der beschwerdeführenden Gemeinde eine Kanalanschlußgebühr von S 23.265,-- vorgeschrieben.
Begründet wurde diese Vorschreibung unter Hinweis auf die Kanalgebührenordnung der Gemeinde vom 13. Juni 1991 durch nähere Darstellung, wie sich der Betrag errechne. Da es sich um die Änderung eines angeschlossenen Grundstückes durch Neu-, Auf-, Zu- oder Umbau handle, sei eine ergänzende Kanalanschlußgebühr in dem Umfang zu entrichten, als gegenüber dem bisherigen Zustand eine Vergrößerung der Berechnungsgrundlage gegeben sei.
Gleichzeitig wurde den mitbeteiligten Parteien auch eine ergänzende Wasseranschlußgebühr (mit getrenntem Bescheid) vorgeschrieben.
Die mitbeteiligten Parteien erhoben in einem einzigen Schriftsatz eine Berufung, in deren Kopf die Geschäftszahlen beider erstinstanzlichen Gemeindebescheide genannt wurden, darauf hingewiesen wurde, daß in "umseits näher bezeichneter Verwaltungsrechtsangelegenheit" dem einschreitenden Rechtsvertreter Vollmacht erteilt worden sei und die Vorschreibung gemäß "Wassergebührenverordnung" der mitbeteiligten Gemeinde zu Unrecht erfolgt sei. Als nähere Bezeichnung der "Verwaltungsrechtsangelegenheit" findet sich auf Seite 1 der Berufung außer der Angabe der beiden Geschäftszahlen der Hinweis "wegen:
Interessentenbeiträgegesetz 1958". Beantragt wurde in der Berufung die Aufhebung des angefochtenen Bescheides.
Als Begründung wurde in der Berufung darauf hingewiesen, daß Verjährung des Abgabenanspruches eingetreten sei. Über diese Berufung erging zunächst nur eine Berufungsvorentscheidung betreffend den Bescheid über die Wasseranschlußgebühr. Aufgrund eines Schriftsatzes der mitbeteiligten Parteien, in dem darauf hingewiesen wurde, daß sich die Berufung auch gegen den Bescheid betreffend die Kanalanschlußgebühr gerichtet habe, erging sodann auch eine Berufungsvorentscheidung über die diesbezügliche Berufung. Mit Berufungsvorentscheidung des Bürgermeisters der beschwerdeführenden Gemeinde vom 8. Juli 1994 wurde die Berufung abgewiesen und der erstinstanzliche Bescheid bestätigt. Die mitbeteiligten Parteien stellten den Antrag auf Entscheidung über die Berufung; mit Bescheid vom 4. Oktober 1994 wies der Gemeinderat der beschwerdeführenden Gemeinde die Berufung ab. Weder die Berufungsvorentscheidung, noch die Berufungsentscheidung gingen auf die Frage, ob ein ausreichender Berufungsantrag im Sinn des § 193 Oö LAO vorgelegen sei, ein, sondern wiesen die Berufung mit inhaltlicher Begründung ab. In der Begründung dieses Bescheides wurde offen gelassen, ob die Kanalgebührenordnung 1977 oder 1991 anwendbar sei, und darauf hingewiesen, daß die Anzeige der Vollendung der Bauarbeiten für die (nachträglich) mit Bescheid vom 3. März 1994 baubehördlich genehmigten Räumlichkeiten erst im Februar 1994 erfolgt sei. Auf Grund der dagegen erhobenen Vorstellung erging der nunmehr angefochtene Bescheid der belangten Behörde, mit welchem diese den Bescheid des Gemeinderats der beschwerdeführenden Gemeinde aufhob und die Sache zur neuerlichen Entscheidung an die Gemeinde verwies. Begründend führte die belangte Behörde insbesondere aus, daß aufgrund der von der belangten Behörde durchgeführten Erhebungen durch von den mitbeteiligten Parteien vorgelegte Professionistenrechnungen nachgewiesen sei, daß das in Rede stehende Dachgeschoß "frühestens" 1981 benützbar gewesen sei. Wenngleich es grundsätzlich zutreffe, daß die ergänzende Kanalanschlußgebühr gemäß der Verordnung des Gemeinderats der mitbeteiligten Gemeinde vom 7. Dezember 1977 mit dem Einlangen der Anzeige über die Vollendung der Bauarbeiten bei der Gemeinde fällig sei, stehe im Beschwerdefall der Gebührenvorschreibung § 152 Abs. 1 Oö LAO entgegen. Demnach verjähre das Recht, eine Abgabe festzusetzen, binnen fünf Jahren, bei hinterzogenen Abgaben binnen 10 Jahren. Gemäß § 3 Abs. 1 Oö LAO entstehe der Abgabenanspruch, sobald der Tatbestand verwirklicht sei, an den die Abgabenvorschrift die Abgabenpflicht knüpfe. Im Beschwerdefall bedeute dies, daß der Abgabenanspruch mit der Benützung der fertiggestellten Dachgeschoßräume im Jahre 1981 entstanden sei. Die ergänzende Kanalanschlußgebühr sei daher bis spätestens Ende Dezember 1986 vorzuschreiben gewesen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der die Verletzung im subjektiven Recht auf Selbstverwaltung mit der Behauptung, die Entscheidung der belangten Behörde sei objektiv rechtswidrig und verstoße gegen das der Beschwerdeführerinin nach dem oberösterreichischen Interessentenbeiträgegesetz 1958 eingeräumte Recht, infolge von Zu-, Auf- bzw. Umbauten von bereits an die örtliche Kanalisation angebundenen Gebäuden eine zusätzliche Kanalanschlußgebühr einzuheben, geltend gemacht wird.
Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten der beschwerdeführenden Gemeinde vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der beantragt wird, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1. Soweit in der Gegenschrift der belangten Behörde darauf hingewiesen wird, daß für die vorliegende Beschwerde kein Beschluß des Gemeinderats der beschwerdeführenden Gemeinde vorliege, obwohl gemäß § 43 Abs. 1 der Oö Gemeindeordnung 1990, LGBl. Nr. 91, (nur) der Gemeinderat berechtigt sei, Beschwerden an den Verwaltungsgerichtshof zu erheben, ist darauf hinzuweisen, daß nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die gemäß § 58 Abs. 1 Oö Gemeindeordnung dem Bürgermeister übertragene Vertretungsmacht dazu führt, daß Vertretungshandlungen des Bürgermeisters nach außen wirksam sind, auch wenn hiefür allenfalls erforderliche Beschlüsse des Kollegialorgans Gemeinderat nicht vorliegen (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom 31. Jänner 1995, Zl. 93/05/0082, mit Hinweis auf das Erkenntnis eines verstärkten Senates 10.147 A/1980). Die unter Berufung auf die Vollmachterteilung durch den Bürgermeister der beschwerdeführenden Gemeinde erhobene Beschwerde ist daher wirksam eingebracht, auch wenn der nach der Gemeindeordnung erforderliche Beschluß des Gemeinderats fehlen sollte.
2. Zur Frage der Wirksamkeit der Berufung gegen den erstinstanzlichen Bescheid betreffend die ergänzende Kanalanschlußgebühr:
Der beschwerdeführenden Gemeinde kann nicht darin gefolgt werden, daß die Berufung gegen den erstinstanzlichen Bescheid nicht wirksam ausgeführt worden sei. Wenngleich einzuräumen ist, daß in der Begründung der Berufung, in der nur von einem Bescheid (in der Einzahl) die Rede ist, nur die Wassergebührenordnung als gesetzliche Grundlage, die unrichtig angewendet worden sei, genannt wird, und in welcher die Aufhebung "des Bescheides" begehrt wird, kann im Hinblick auf die Zitierung der Geschäftszahl beider Bescheide, die den mitbeteiligten Parteien mit einem Kuvert gemeinsam zugestellt worden waren, davon ausgegangen werden, daß die Absicht, beide Bescheide mit Berufung zu bekämpfen, erkennbar war und die Berufung insbesondere die Bescheidbezeichnung gemäß § 193 lit. a Oö LAO enthielt. Die inhaltlichen Ausführungen zur Verjährung können auf beide Bescheide bezogen werden, sodaß vom Vorliegen einer Begründung im Sinne des § 193 lit. d Oö LAO ausgegangen werden kann (§ 63 Abs. 3 AVG ist entgegen den Ausführungen in der Beschwerde im Falle der Berufung gegen die Kanalanschlußgebühr nicht anwendbar).
3. Tragender Grund für die Aufhebung des letztinstanzlichen Gemeindebescheides war es, daß die Gemeindebehörden die gemäß § 152 Abs. 1 OÖ LAO eingetretene Verjährung nicht beachtet hätten. Die belangte Behörde kommt zu dieser Beurteilung auf Grund des von ihr durchgeführten Ermittlungsverfahrens hinsichtlich der Errichtung der in Rede stehenden Wohnung im Dachgeschoß des Wohngebäudes der mitbeteiligten Parteien, aufgrund dessen die belangte Behörde davon ausgeht, daß die in Rede stehende Wohnung spätestens 1981 benützbar gewesen sei.
4. Zunächst ist hinsichtlich der im Beschwerdefall anzuwendenden Rechtslage festzuhalten, daß nach dem Grundsatz der Zeitbezogenheit von Abgabenvorschriften grundsätzlich jene Vorschriften heranzuziehen sind, die in dem Zeitpunkt, in dem der Sachverhalt verwirklicht wurde, an den das Gesetz oder die Verordnung das Entstehen der Abgabenpflicht knüpft, gegolten haben (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 20. Mai 1988, Zl. 86/17/0178, oder vom 30. Oktober 1991, Zl. 86/17/0149). Im Beschwerdefall ist die belangte Behörde insoweit zutreffend davon ausgegangen, daß die Kanalgebührenordnung der beschwerdeführenden Gemeinde vom 7. Dezember 1977 anzuwenden ist, soweit der Sachverhalt, an den die Abgabenpflicht geknüpft werden soll, vor dem Tag des Inkrafttretens der Kanalgebührenordnung 1991 liegt.
5. Gemäß § 5 Abs. 2 der Kanalgebührenordnung der beschwerdeführenden Gemeinde vom 7. Dezember 1977 entsteht - wovon an sich auch die belangte Behörde ausgegangen ist - die Verpflichtung zur Zahlung der ergänzenden Kanalanschlußgebühr mit dem Einlangen der Anzeige über die Vollendung der Bauarbeiten bei der Gemeinde. Dies ergibt sich aus dem Wortlaut der Regelung, auch wenn die Bestimmung unter der Überschrift "Fälligkeit" in die Verordnung aufgenommen wurde. Im Gegensatz zu § 5 Abs. 1 der Verordnung, der die Fälligkeit hinsichtlich der Kanalanschlußgebühr regelt, enthält Abs. 2 auch die Regelung über das Entstehen des Anspruches.
Die belangte Behörde hat aus dieser Bestimmung jedoch den Schluß gezogen, daß der Abgabenanspruch mit der Benützung der fertiggestellten Dachgeschoßräume entstanden sei und schon im Hinblick darauf den Eintritt der Verjährung bejaht.
6. Dieser Auffassung der belangten Behörde kann nicht gefolgt werden. Sieht der durch Gesetz oder Verordnung geregelte Abgabentatbestand das Entstehen des Abgabenanspruches mit dem Einlangen einer im Baurecht geregelten Anzeige vor, kann nicht davon ausgegangen werden, daß im Falle des Unterbleibens dieser Anzeige das Entstehen des Abgabenanspruches etwa mit der tatsächlichen Benützung eintrete. Da § 152 lit. a Oö LAO - ebenso wie § 6 dritter Satz Oö Abgaben-Verfahrensgesetz, LGBl. Nr. 45/1955, der bis zum 31. Dezember 1984 gegolten hat - den Beginn der Verjährungsfrist mit dem Ablauf des Jahres festsetzt, in dem der Abgabenanspruch ENTSTANDEN ist, kann im Beschwerdefall durch die bloße Benützung der in Rede stehenden Räumlichkeiten die Verjährungsfrist nicht zu laufen begonnen haben.
7. Das Unterbleiben der baurechtlichen Anzeige führt auch nicht dazu, daß etwa - worauf die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid hilfsweise rekurriert - die Verjährungsfrist für den Fall der Hinterziehung von Abgaben anwendbar wäre. Auch die Verjährung "hinterzogener Beträge" im Sinn des § 153 lit. a iVm § 152 Abs. 2 Oö LAO (bzw. früher § 6 zweiter Satz Oö Abgaben-Verfahrensgesetz) setzt den Beginn des Fristenlaufes nach § 153 lit. a Oö LAO bzw. § 6 dritter Satz Oö Abgaben-Verfahrensgesetz voraus.
8. Da somit keine Abgabenpflicht nach der Kanalgebührenordnung 1977 entstanden ist, kann eine allfällige Abgabenpflicht der mitbeteiligten Parteien gegebenenfalls auf die Kanalgebührenordnung 1991 der beschwerdeführenden Gemeinde gestützt werden. Ausführungen zu einer allfälligen Verjährung des diesbezüglichen Anspruches enthält der angefochtene Bescheid nicht.
9. Der angefochtene Bescheid erweist sich damit als inhaltlich rechtswidrig und war somit gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
10. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 416/1994. Die Abweisung des Mehrbegehrens betrifft die angesprochenen Stempelgebühren, von deren Entrichtung die beschwerdeführende Gemeinde gemäß § 2 Z. 2 Gebührengesetz 1957 im Rahmen ihres öffentlich-rechtlichen Wirkungsbereiches (wozu die Vorschreibung von Abgaben auf Grund von Landesgesetzen und die damit im Zusammenhang stehende Beschwerdeführung vor dem Verwaltungsgerichtshof gemäß Art. 119a Abs. 9 B-VG zählen) befreit ist.
Schlagworte
Vertretungsbefugter juristische PersonEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1996:1995170207.X00Im RIS seit
11.07.2001