TE Vfgh Erkenntnis 1993/12/9 V59/93, V60/93

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Veröffentlicht am 09.12.1993
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Index

41 Innere Angelegenheiten
41/02 Staatsbürgerschaft, Paß- und Melderecht

Norm

B-VG Art18 Abs2
B-VG Art139 Abs1 / Prüfungsgegenstand
B-VG Art139 Abs4
Erlaß des Bundesministers für Inneres vom 01.12.87. Zl 79.003/42 - II/14/87 ."Fremdenpolizeigesetz-Novelle 1987
Durchführung".
BGBlG 1985 §2 Abs1 litf
FremdenpolizeiG §3
FremdenG §18

Leitsatz

Feststellung der Gesetzwidrigkeit eines fremdenpolizeilichen Durchführungserlasses aufgrund nicht erfolgter Kundmachung des als Rechtsverordnung zu qualifizierenden Erlasses im Bundesgesetzblatt; imperativer Inhalt und erforderliches Maß an Publizität gegeben; Außerkrafttreten des Erlasses gleichzeitig mit dem FremdenpolizeiG; keine gesetzliche Grundlage im neuen FremdenG

Spruch

1. Der Erlaß des Bundesministers für Inneres vom 1. Dezember 1987, Zl. 79.003/42 - II/14/87 ("Fremdenpolizeigesetz-Novelle 1987; Durchführung"), war gesetzwidrig.

2. Der Bundesminister für Inneres ist zur unverzüglichen Kundmachung dieses Ausspruches im Bundesgesetzblatt verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1. Mit Bescheiden vom 2. März 1992 verhängte die Bezirkshauptmannschaft Dornbirn über die Beschwerdeführerinnen, zwei Schwestern türkischer Staatsangehörigkeit, bis zum 3. März 1997 befristete Aufenthaltsverbote gemäß §3 Abs1 und 2 Z6 iVm. §4 des Fremdenpolizeigesetzes, BGBl. 75/1954, idF des Bundesgesetzes BGBl. 21/1991 (im folgenden: FrPolG - beachte jedoch auch die Novelle BGBl. 406/1991; das FrPolG ist gemäß §86 Abs3 Fremdengesetz, BGBl. 838/1992, mit Ablauf des 31. Dezember 1992 außer Kraft getreten): Die Beschwerdeführerinnen hätten in ihrem Antrag auf Erteilung eines Sichtvermerkes zur Einreise nach Österreich unrichtige Angaben über den Zweck und die beabsichtigte Dauer ihres Aufenthalts gemacht und so die Erteilung des Sichtvermerkes erschlichen.

Den dagegen rechtzeitig erhobenen Berufungen der Beschwerdeführerinnen gab die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Vorarlberg mit ihren Bescheiden vom 9. November 1992 keine Folge.

2. Diese Bescheide bekämpfen die Beschwerdeführerinnen mit auf Art144 Abs1 B-VG gestützten und zu B1854/92 und B1895/92 protokollierten Beschwerden an den Verfassungsgerichtshof, in denen ua. die Verletzung der durch Art3 und Art8 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte und die Verletzung in Rechten wegen Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnung behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Bescheide beantragt wird. Zum Vorwurf der Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnung wird ausgeführt, daß die belangte Behörde den Erlaß des Bundesministers für Inneres vom 14. November 1985, Zl. 70.030/10-II/14/85, ohne ihn im Bescheid zu zitieren, angewandt habe. Dieser als Rechtsverordnung zu wertende Erlaß sei jedoch nicht ordnungsgemäß kundgemacht worden.

3. Die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Vorarlberg als belangte Behörde legte die Akten der Verwaltungsverfahren vor, verzichtete aber darauf, eine Gegenschrift zu erstatten.

4. Dem in den Beschwerden angeführten Erlaß, "soweit darin Bestimmungen über die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes getroffen werden", wurde mit Erlaß des Bundesministers für Inneres vom 30. Oktober 1986, Zl. 79.003/20 - II/14/86, derogiert. Dieser wiederum wurde durch den in Prüfung gezogenen Erlaß vom 1. Dezember 1987, den der Bundesminister für Inneres auf Ersuchen dem Verfassungsgerichtshof vorlegte, aufgehoben.

Dieser Erlaß, dessen Gegenstand mit "Fremdenpolizeigesetz-Novelle 1987; Durchführung" umschrieben ist, enthält ua. nach wörtlicher Wiedergabe des §3 FrPolG idF des Bundesgesetzes BGBl. 575/1987 Ausführungen zum Aufbau der Neuregelung und deren Vollzug. Dazu heißt es ua. etwa auf Seite 8 und 9: Zur Erlassung eines Aufenthaltsverbotes sind "zeitlich länger zurückliegende, aber nicht getilgte Verurteilungen nur dann (heranzuziehen), wenn der Fremde sich in der Zeit nach der Verurteilung bzw. nach dem Strafvollzug bis zur Bescheiderlassung so verhalten hat, daß auf Grund dessen weiterhin die Annahme einer Gefährdung der öffentlichen Ruhe, Ordnung oder Sicherheit oder der anderen relevanten (Art8 Abs2 MRK) öffentlichen Interessen gerechtfertigt ist."; auf Seite 11 zu §3 Abs2 Z6 leg.cit.: "Die Anwendbarkeit dieses Tatbestandes wird auf solche unrichtige Angaben eines Fremden beschränkt, die für dessen paßrechtliche und fremdenpolizeirechtliche Beurteilung maßgeblich sind. Weiters sind nur solche unrichtige Angaben zu berücksichtigen, die vom Fremden gemacht wurden, um sich die Einreise oder die Aufenthaltsberechtigung gemäß §2 Abs1 des Fremdenpolizeigesetzes zu verschaffen ..."; auf Seite 13: "..., so ist der betroffene Fremde niederschriftlich davon in Kenntnis zu setzen und darauf hinzuweisen ..."; "..., ist nur in wirklich gravierend notwendig erscheinenden Fällen Gebrauch zu machen.";

"..., so ist, wenn zu diesem Zeitpunkt eine Abschiebung noch nicht erfolgt ist, von dieser vorerst Abstand zu nehmen, ...";

auf Seite 14: "Weiters ist vor einer allfälligen Abschiebung ... zu prüfen, ob ...". Weiters werden ganz konkrete Verwaltungsstraftatbestände angeführt, die als schwerwiegend iSd.

§3 Abs2 Z2 leg.cit. anzusehen seien.

5.1. Aus Anlaß dieser Beschwerden leitete der Verfassungsgerichtshof mit Beschluß vom 25. Juni 1993 von Amts wegen ein Verfahren zur Prüfung des Erlasses des Bundesministers für Inneres vom 1. Dezember 1987, Zl. 79.003/42 - II/14/87, ob seiner Gesetzmäßigkeit (Art139 Abs1 B-VG) ein.

5.2. In den Gründen des Prüfungsbeschlusses wird ausgeführt, es scheine, daß der zuletzt genannte Erlaß des Bundesministers für Inneres infolge seiner Versendung an die Sicherheitsbehörden in die Rechtsordnung Eingang gefunden habe und sich nicht mit schlichten normlosen Hinweisen nach Art einer Richtlinie begnüge, sodaß er die Rechtsstellung der Fremden unmittelbar zu gestalten scheine. Der Verfassungsgerichtshof hegte das Bedenken, der anscheinend als Rechtsverordnung einzureihende Verwaltungsakt leide an einem Kundmachungsmangel, da er entgegen §2 Abs1 lit. f des Bundesgesetzes über das Bundesgesetzblatt 1985, BGBl. 200, nicht im Bundesgesetzblatt publiziert worden sei.

6. Der im Verordnungsprüfungsverfahren zur schriftlichen Stellungnahme aufgeforderte Bundesminister für Inneres vertrat zur Frage des Rechtscharakters des in Prüfung gezogenen Erlasses mit folgender Begründung die Auffassung, daß es sich nicht um eine Rechtsverordnung handle:

"Zu §3 Abs1:

Die im Rundschreiben enthaltenen Ausführungen zu §3 Abs1 FrPG wurden entweder wörtlich oder sinngemäß den erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage (243 BlgNR 17. GP) entnommen. Darüber hinausgehende substantielle Äußerungen normativen Inhalts wurden nicht getroffen.

Zu §3 Abs2:

Auch bei der Erläuterung des §3 Abs2 FrPG hat sich das Bundesministerium für Inneres weitgehend auf die erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage gestützt.

Soweit dies nicht der Fall war (siehe Seite 6 letzter Absatz und Seite 7 erster Absatz des Rundschreibens) wurden die Behörden angewiesen, bei der Begründung von Bescheiden, mit denen Aufenthaltsverbote erlassen werden, entsprechende Sorgfalt zu üben. Dies ist bei Beachtung des rechtsstaatlichen Prinzips zwingend geboten. Überdies wurden Ausführungen hinsichtlich der Erlassung von Aufenthaltsverboten, die ausschließlich auf die Generalklausel des §3 Abs1 FrPG gestützt werden, getroffen, ohne allerdings den nachgeordneten Sicherheitsbehörden in der Sache selbst ein konkretes Verhalten zur Pflicht zu machen. Das Bundesministerium für Inneres hat in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, daß an der Überwachung des Eintrittes von Personen in das österreichische Bundesgebiet ein besonderes sicherheitspolizeiliches Interesse besteht, was der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes entspricht.

Auf Seite 8 (unten) des Rundschreibens wurde ausgeführt, daß bereits länger zurückliegende, aber nicht getilgte strafgerichtliche Verurteilungen zur Erlassung eines Aufenthaltsverbotes nur dann heranzuziehen sind, wenn der Fremde sich in der Zeit nach der Verurteilung bzw. nach dem Strafvollzug bis zur Bescheiderlassung so verhalten hat, daß auf Grund dessen weiterhin die Annahme einer Gefährdung der öffentlichen Ruhe, Ordnung oder Sicherheit oder der anderen relevanten öffentlichen Interessen (Art8 Abs2 MRK) gerechtfertigt ist. Diese Vorgangsweise ist bereits durch die verfassungsmäßige Verpflichtung, die privaten und familiären Interessen des betroffenen Fremden entsprechend zu berücksichtigen, geboten, sodaß auch in diesen Ausführungen keine normative außenwirksame Anordnung gesehen werden kann. Der Verfassungsgerichtshof hat im Erkenntnis G212-215/92 vom 13.3.1993 festgestellt:

'Die Behörde hatte sich daher bei Vollziehung der litd des §25 Abs3 Paßgesetz 1969 damit auseinander zu setzen, ob ein Aufenthalt des konkreten Sichtvermerkswerbers im Bundesgebiet die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit derart gefährden würde, daß die in Art8 Abs2 EMRK umschriebenen öffentlichen Interessen einen Eingriff in das Privat- und Familienleben des Antragstellers rechtfertigen.'

Übertragen auf die Problematik der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes bedeutet das, daß das Ausmaß der möglichen Gefährdung der öffentlichen Ruhe, Ordnung oder Sicherheit zu den Auswirkungen auf das Privat- und Familienleben des Fremden in Beziehung zu setzen ist. Erweist sich der behördliche Eingriff (die Erlassung des Aufenthaltsverbotes) als unverhältnismäßig, so wäre er gesetzwidrig und hat daher zu unterbleiben.

Zu §3 Abs3:

Der erste Absatz der Erläuterungen zu §3 Abs3 FrPG (Seite 12 des Rundschreibens) ist im wesentlichen dem Ausschußbericht (336 BlgNR 17.GP) entnommen.

Im vorletzten Absatz auf Seite 12 werden die Behörden hingewiesen, auf welche Umstände bei der Interessenabwägung gemäß §3 Abs3 FrPG insbesondere Bedacht zu nehmen ist. Dies ergibt sich allerdings ebenfalls unmittelbar aus §3 Abs3 letzter Satz FrPG.

Die folgenden Ausführungen (Seite 13) enthalten Erläuterungen und Anweisungen in verfahrensmäßiger Hinsicht. Den Behörden wird durch diese Ausführungen allerdings kein bestimmter Inhalt der Sachentscheidung zur Pflicht gemacht.

Die in zwei Schritten vorzunehmende Prüfung der Zulässigkeit der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes ergibt sich aus der Konstruktion des §3 Abs3 FrPG. Die Anweisung an die Behörden, den betroffenen Fremden im Falle der Abstandnahme von der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes niederschriftlich in Kenntnis zu setzen, verbunden mit dem Hinweis, daß er bei neuerlicher Verwirklichung eines Tatbestandes nach §3 Abs2 FrPG mit der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes rechnen müßte, ist keine generell-abstrakt formulierte Anweisung zur Entscheidungsfindung der Behörde in einer bestimmten Richtung. Der Fremde, dessen Aufenthalt im Bundesgebiet ja eine Gefahr für die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit im Sinne von §3 Abs2 FrPG darstellt, soll in diesem Fall darauf aufmerksam gemacht werden, daß bei neuerlicher Verwirklichung eines in §3 Abs2 leg.cit. genannten Tatbestandes die Interessenabwägung gemäß §3 Abs3 durchaus auch zu seinen Ungunsten ausgehen könnte.

Das Gebot, die aufschiebende Wirkung einer Berufung gemäß §64 Abs2 AVG 1950 nur in wirklich gravierenden Fällen auszuschließen, ist dahingehend zu verstehen, daß ein langjährig im Bundesgebiet aufhältiger Fremder nicht Gefahr laufen sollte, allenfalls auf Grund eines unverhältnismäßigen behördlichen Eingriffs außer Landes geschafft zu werden. Auch hier obliegt es aber letztendlich der für das Verfahren zuständigen Behörde, die Entscheidung über den allfälligen Ausschluß der aufschiebenden Wirkung einer Berufung zu treffen. Bei einem Vergleich mit der geltenden Rechtslage müßte man bei Berücksichtigung des Art1 Z2 des 7. Zusatzprotokolls zur EMRK zu einem analogen Ergebnis kommen.

Art13 MRK sieht für jedermann die Möglichkeit zur Einbringung einer wirksamen Beschwerde bei einer nationalen Instanz vor. Damit ein Fremder von diesem Recht Gebrauch machen kann, scheint es sachlich gerechtfertigt, im Falle der Einbringung einer Beschwerde an die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts mit der Abschiebung zuzuwarten, bis über einen allfälligen Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung abgesprochen worden ist. Hier ist allerdings ausschließlich die Zeitfrage von Relevanz, während dieses Zuwarten auf die Sachfrage selbst keinen Einfluß hat.

Die Behörden sind überdies verpflichtet, im Zusammenhang mit aufenthaltsbeendenden Maßnahmen in jedem Stadium ihres Tätigwerdens das Refoulement-Verbot zu beachten (vgl. §13a FrPG). Das Bundesministerium für Inneres hat auf diese Verpflichtung wiederholt in einschlägigen Rundschreiben hingewiesen. Auch der in Prüfung gezogene Erlaß 79.003/42-II/14/87 enthält den Hinweis, daß ein Fremder nicht außer Landes geschafft werden darf, wenn er glaubhaft macht, daß er im Heimatland eine Bedrohung im Sinne des Art3 MRK zu befürchten hat. Da die Abschiebung in einem solchen Fall jedenfalls unzulässig ist, ergäbe auch die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes wenig Sinn, weil der Fremde ja weiterhin - allerdings nicht rechtmäßig - im Bundesgebiet aufhältig wäre.

Allgemeines:

Das Bundesministerium für Inneres geht davon aus, daß der in Prüfung gezogene Erlaß gemäß Art20 Abs1 B-VG allgemein als systematisch gegliederte Zusammenfassung des Inhaltes der gesetzlichen Regelungen, in den bloß innerdienstliche Angelegenheiten betreffenden Punkten als Weisung, nicht jedoch als Rechtsverordnung zu betrachten ist. Sofern im genannten Erlaß Weisungen enthalten sind, werden die nachgeordneten Behörden zu einer an Sinn und Zweck des Gesetzes orientierten Vorgangsweise angehalten, ohne aber gleichzeitig festzulegen, in welchen konkreten Fällen die Voraussetzungen für die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes als gegeben zu betrachten sind oder nicht.

Der Behörde bleibt es aber trotz Vorliegens eines Runderlasses unbenommen, in konkreten Einzelfällen entsprechend deren Beurteilung vorzugehen, auch wenn hiefür aus dem Erlaß Argumente abgeleitet werden können, ohne sich dem Vorwurf eines rechtswidrigen Verhaltens auszusetzen. Wäre der in Prüfung gezogene Erlaß als Verordnung zu betrachten, so würde die Behörde im Falle einer vom Erlaß abweichenden Vorgangsweise rechtswidrige Maßnahmen ergreifen, worauf auch hingewiesen worden wäre.

Darüber hinaus ist jede dem Bundesministerium für Inneres nachgeordnete Behörde selbstverständlich berechtigt, Sachverhaltskonstellationen, die im Erlaß nicht angesprochen sind oder die eine vom Erlaß abweichende Vorgangsweise rechtfertigen, zur Beurteilung an das Bundesministerium für Inneres heranzutragen, was sinnvollerweise wiederum zu allgemeinen schriftlichen Ausführungen des Bundesministeriums für Inneres führen muß, die allen Vollzugsbehörden zur Kenntnis gebracht werden müssen.

Die den Behörden durch den in Prüfung gezogenen Erlaß auferlegte Verpflichtung, bestimmte Verfahrensschritte aktenmäßig und somit nachweislich festzuhalten (zB in einer Niederschrift) sowie bestimmte Elemente in die Begründung von Bescheiden aufzunehmen, entspricht dem Gebot der Nachprüfbarkeit von behördlichen Entscheidungen durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechtes und ist Ausfluß des rechtsstaatlichen Prinzips der Bundesverfassung.

Das Bundesministerium für Inneres gelangt daher zum Ergebnis, daß es sich bei dem in Prüfung gezogenen Erlaß 79.003/42-II/14/87 vom 1.12.1987 nicht um eine Rechtsverordnung handelt und somit ein Kundmachungsmangel gemäß §2 Abs1 litf des Bundesgesetzes über das Bundesgesetzblatt 1985, BGBl. Nr. 200, nicht vorliegt."

II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

1. Zu den Prozeßvoraussetzungen:

1.1. Beide Beschwerdeführerinnen in den Anlaßbeschwerdesachen bekämpfen Bescheide der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Vorarlberg, womit über die Beschwerdeführerinnen bis zum 3. März 1997 befristete Aufenthaltsverbote gemäß §3 Abs1 und 2 Z6 des FrPolG verhängt wurden. Gemäß §11 Abs2 und 3 des mit Ablauf des 31. Dezember 1992 außer Kraft getretenen FrPolG war gegen eine Entscheidung der Sicherheitsdirektion über Berufungen gegen Bescheide, mit denen ein Aufenthaltsverbot erlassen wurde, keine weitere Berufung zulässig.

Da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen zutreffen, sind beide Anlaßbeschwerden zulässig.

1.2.1. Der in Prüfung gezogene Rechtsakt bezeichnet sich als "Runderlaß". Er ist von einer Verwaltungsbehörde, dem Bundesminister für Inneres, an Verwaltungsbehörden gerichtet, nämlich an alle Sicherheitsdirektionen und Bundespolizeidirektionen.

Der Bundesminister für Inneres hängt - sinngemäß zusammengefaßt - der Auffassung an, sein Erlaß besäße in Wahrheit keine normative Funktion. Es würden lediglich die nachgeordneten Behörden zu einer an Sinn und Zweck des Gesetzes orientierten Vorgangsweise angehalten, soweit nicht ohnehin nur der Inhalt der gesetzlichen Regelung systematisch gegliedert zusammengefaßt werde.

1.2.2. Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (zB VfSlg. 8647/1979, 11472/1987) ist für die Qualität als Verordnung nicht der formelle Adressatenkreis und die äußere Bezeichnung und auch nicht die Art der Verlautbarung, sondern nur der Inhalt des Verwaltungsaktes maßgebend.

Schon der Prüfungsbeschluß nannte eine Reihe von ("Erlaß"-)Formulierungen, die - unmißverständlich - imperativ gehalten sind (und sich nicht etwa in einer bloßen Wiederholung des Gesetzestextes erschöpfen), indem sie das Gesetz bindend auslegen (VfSlg. 5905/1969), und für eine allgemein bestimmte Vielzahl von Personen unmittelbar Geltung beanspruchen (dazu zB VfSlg. 4759/1964, 8649/1979, 8807/1980, 9416/1982, 10170/1984, 10518/1985, 11467/1987).

Zumindest Teile des in Prüfung genommenen, insgesamt untrennbar verknüpften Verwaltungsaktes, der zunächst allein schon zufolge seiner Versendung an Sicherheitsbehörden jenes Maß an Publizität erlangte, das erforderlich war, daß der Erlaß Eingang in die Rechtsordnung fand (vgl. etwa VfSlg. 7281/1974 und VfSlg. 10602/1985), haben also - angesichts ihrer nach dem Gesagten imperativ-generellen Fassung - verpflichtenden Charakter, und zwar sowohl für die formal angesprochenen Sicherheitsbehörden als auch für die betroffenen Fremden selbst. Soweit sich die Äußerung des Bundesministers für Inneres darauf beruft, das Rundschreiben stütze sich auf die Erläuterungen zur Regierungsvorlage (243 BlgNR 17. GP), wird dadurch die Auffassung des Verfassungsgerichtshofes geradezu bestätigt. Denn die Erläuterungen zur vorgeschlagenen Neufassung des §3 FrPolG gehen ersichtlich über das hinaus, was im Gesetz selbst angeordnet ist. Es handelt sich deshalb beim in Prüfung genommenen Erlaß um eine Norm, die als "Verordnung" iSd. Art139 B-VG Bestandteil der Rechtsordnung wurde (vgl. zB VfSlg. 8649/1979, 10607/1985, 11467/1987).

Da der Verfassungsgerichtshof bei Überprüfung eines angefochtenen Administrativaktes diese Verordnung - gleich, ob sie in Spruch oder Begründung des Bescheides angeführt wurde (vgl. VfSlg. 11272/1987) - heranzuziehen und damit iSd. Art139 Abs1 Satz 1 B-VG anzuwenden hat (vgl. VfSlg. 11467/1987), wird er die in Prüfung stehende Rechtsverordnung bei den - zulässigen - Anlaßbeschwerden anzuwenden haben.

Damit erweist sich auch das Verordnungsprüfungsverfahren als zulässig.

2. Zur Sache selbst:

Der Verfassungsgerichtshof äußerte im Einleitungsbeschluß das Bedenken, daß der in Prüfung genommene Erlaß an einem Kundmachungsmangel leide.

Dieses Bedenken trifft zu:

Der Erlaß des Bundesministers für Inneres ist - wie soeben dargetan - als Rechtsverordnung zu qualifizieren.

Die Art und Weise seiner Kundmachung widerspricht dem Gebot des §2 Abs1 litf des Bundesgesetzes über das Bundesgesetzblatt 1985, BGBl. 200 (demzufolge ua. Rechtsverordnungen der Bundesminister im Bundesgesetzblatt verlautbart werden müssen).

§3 FrPolG, in dessen Ausführung die Verordnung ergangen ist, ist zwischenzeitig außer Kraft getreten. Wenn diese Bestimmung auch in wesentlichen Punkten den §§18 und 19 Fremdengesetz entspricht (vgl. etwa VfGH 21.6.1993, B615/93), besteht doch ein hier entscheidender Unterschied darin, daß §3 FrPolG der Behörde bei ihrer Entscheidung Ermessen einräumte, §18 Fremdengesetz jedoch solches nicht tut; vielmehr ist nunmehr eine gebundene Entscheidung vorgesehen. Der in Prüfung gezogene Erlaß ist deshalb zugleich mit dem FrPolG außer Kraft getreten. Es war daher auszusprechen, daß der in Prüfung gezogene Erlaß gesetzwidrig war.

Die Verpflichtung des Bundesministers für Inneres zur unverzüglichen Kundmachung des Ausspruches erfließt aus Art139 Abs5, erster Satz, B-VG und §60 Abs2 VerfGG 1953.

III. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4, erster Satz, VerfGG 1953 ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

Schlagworte

Fremdenpolizei, Aufenthaltsverbot, VfGH / Prüfungsgegenstand, Verordnung, RechtsV, VerwaltungsV, Verordnungsbegriff, Verordnung Kundmachung, Fremdenrecht, Ermessen, Geltungsbereich (zeitlicher) einer Verordnung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1993:V59.1993

Dokumentnummer

JFT_10068791_93V00059_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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