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10/07 Verfassungs- und VerwaltungsgerichtsbarkeitNorm
B-VG Art53 Abs3Leitsatz
Abweisung des Antrags eines Viertels der Mitglieder des ÖVP-Korruptions-Untersuchungsausschusses auf Entscheidung einer Meinungsverschiedenheit (mit der Bundesministerin für Justiz) betreffend zweier Verlangen auf ergänzende Beweisanforderung; kein völliger Ausschluss der (potentiellen) abstrakten Relevanz der Kommunikation von nicht mit der ÖVP verbundenen Personen für den Untersuchungsgegenstand; hinreichende Begründung des Nicht-Zusammenhangs der Korrespondenz einer Vielzahl von Personen mit dem Untersuchungsgegenstand durch die BMJRechtssatz
Der VfGH hat in E v 23.09.2022, UA 77/2022 ua, ausgesprochen, dass die im Zusammenhang mit Verfahren nach Art138b Abs1 Z3 B-VG angestellten Überlegungen grundsätzlich auch auf Verfahren gemäß Art138b Abs1 Z4 B-VG übertragbar sind. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass die Beurteilung der Frage, ob für den Untersuchungsausschuss vorzunehmende Erhebungen gemäß Art53 Abs3 B-VG im Zusammenhang mit dem Untersuchungsgegenstand stehen, zunächst dem informationspflichtigen Organ obliegt. Für ein informationspflichtiges Organ, das die begehrten Beweiserhebungen durchzuführen hat, besteht daher grundsätzlich eine höhere Begründungsanforderung als für den Untersuchungsausschuss bzw dessen Minderheit. Ist die (potentielle) abstrakte Relevanz einer ergänzenden Beweisanforderung für den Untersuchungsgegenstand - wie im vorliegenden Fall - nicht offenkundig, so sind jedoch auch die Anforderungen an die Begründungstiefe durch das informationspflichtige Organ herabgesetzt.
Die BMJ vertritt ua die Auffassung, es sei im vorliegenden Fall nicht offenkundig, inwiefern die begehrten Beweiserhebungen betreffend namentlich genannte SPÖ- und FPÖ-PolitikerInnen den geforderten Zusammenhang mit dem Untersuchungsgegenstand und somit eine abstrakte Relevanz für diesen aufwiesen. Es wäre an den Antragstellern gelegen, bei jeder einzelnen in den in Rede stehenden Verlangen genannten Person einen Zusammenhang zum Untersuchungsgegenstand herzustellen und darzulegen, aus welchen konkreten Gründen aus der auszuwertenden Kommunikation auf eine Vorteilsgewährung an mit der ÖVP verbundene Personen geschlossen werden könnte; dies sei jedoch nicht erfolgt (der unspezifische [und zum Teil unzutreffende] Verweis darauf, dass es sich bei den in den Verlangen genannten Personen um SpitzenpolitikerInnen mit "entsprechendem" Einfluss handle [gehandelt habe], stelle keinen Bezug zum Untersuchungsgegenstand her; auch der in einem Verlangen enthaltene Verweis darauf, dass eine dort genannte Person sowohl bei der Beschlussfassung über die Umwandlung der ÖBIB zur ÖBAG als auch bei der Bestellung von MMag. T. S. zum Alleinvorstand der ÖBAG eine wesentliche Rolle gespielt habe, stelle keine substantiierte Begründung für den geforderten "Zusammenhang mit dem Untersuchungsgegenstand" dar).
Wie der VfGH in seinem Erkenntnis VfSlg 20370/2020 festgestellt hat, begründet der Untersuchungsgegenstand den Rahmen des Tätigkeitsbereiches des Untersuchungsausschusses, bindet diesen und bildet gleichzeitig die Begrenzung der diesem übertragenen Befugnisse. Zugleich dient die Festlegung des Untersuchungsgegenstandes aber auch dem Schutz der betroffenen Organe, weil damit deren Verpflichtung zur Vorlage von Akten und Unterlagen konkretisiert sowie der Umfang bestimmt wird, innerhalb dessen sie Ersuchen um Beweiserhebungen Folge zu leisten haben.
Wenngleich im vorliegenden Fall dem Untersuchungsgegenstand samt den Beweisthemen und der Begründung mit hinreichender Deutlichkeit entnommen werden kann, dass dessen Ziel nicht auf die Untersuchung von Sachverhalten gerichtet ist, die die begehrten Beweiserhebungen betreffen (deren abstrakte Relevanz für den Untersuchungsgegenstand somit nicht offenkundig ist), kann nicht völlig ausgeschlossen werden, dass auch die Kommunikation von nicht mit der ÖVP verbundenen Personen auf Grund besonderer Konstellationen eine (potentielle) abstrakte Relevanz für den Untersuchungsgegenstand haben kann. Dies berechtigt die Minderheit allerdings im vorliegenden Fall nicht dazu, die Auswertung des vorliegenden Datenbestandes auf Korrespondenzen "mit Bezug zu" bzw "unter Beteiligung von" über 50 namentlich genannten Personen zu verlangen, die der SPÖ und der FPÖ zuzurechnen sind bzw waren. Vielmehr wäre es diesfalls der Minderheit übertragen, eine nähere Begründung dafür zu geben, dass die begehrten Beweiserhebungen im Zusammenhang mit dem Untersuchungsgegenstand liegen. Wie die Gesetzesmaterialien zu §24 und §25 VO-UA ausführen, beziehen sich ergänzende Beweisanforderungen - "[i]m Unterschied zum grundsätzlichen Beweisbeschluss, der eine allgemeine Aufforderung insbesondere zur Übermittlung aller bezughabenden Akten und Unterlagen enthält" - auf "bestimmte Beweismittel im sachlichen Zusammenhang mit dem Untersuchungsgegenstand". Unter "einem 'bestimmten Beweismittel' ist dabei nicht ein genau bezeichneter Akt zu verstehen, sondern ein konkret umschriebener Vorgang im Rahmen der Verwaltung. Die Bestimmtheitsanforderung soll bloße Erkundungsbeweise oder 'Bepackungen' ausschließen".
Die Anforderungen an eine Begründung im oben ausgeführten Sinn werden auch nicht durch die Begründung eines Beweiserhebungsverlangens in Bezug auf W. K. erfüllt, in der die Antragsteller eine "wesentliche Rolle" des W. K. bei der Beschlussfassung über die Umwandlung der ÖBIB zur ÖBAG und bei der Bestellung von T. S. zum Alleinvorstand der ÖBAG unter bloßem Hinweis auf den Ausschussbericht des Ibiza-Untersuchungsausschusses " behaupten, ohne diese Behauptung derart zu präzisieren, dass sie es erlaubt, einen Zusammenhang mit dem Untersuchungsgegenstand herzustellen.
Die BMJ hat in ihrem Schreiben an den ÖVP-Korruptions-Untersuchungsausschuss somit hinreichend begründet, dass die begehrten Beweiserhebungen nicht im Zusammenhang mit dem Untersuchungsgegenstand stehen und sie deshalb von deren Durchführung (samt Übermittlung der daraus gewonnenen Ergebnisse) Abstand genommen hat.
Entscheidungstexte
Schlagworte
Untersuchungsausschuss, Beweise, Bundesminister, Minderheiten, Nationalrat, VfGH / UntersuchungsausschussEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2022:UA92.2022Zuletzt aktualisiert am
12.12.2022