Index
32/01 Finanzverfahren allgemeines AbgabenrechtNorm
BAO §217 Abs7Beachte
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Büsser und den Hofrat Mag. Novak sowie die Hofrätin Dr.in Lachmayer als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Löffler, LL.M., über die Revision der P GmbH in I, vertreten durch die Prof. Pircher & Partner Steuerberatungs GmbH in 6020 Innsbruck, Anton-Melzer-Straße 7, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom 9. Juni 2022, Zl. RV/3100072/2020, betreffend Säumniszuschlag, den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Mit Bescheid vom 9. Juli 2019 wurde gegenüber der Revisionswerberin ein erster Säumniszuschlag festgesetzt, weil die Umsatzsteuer 04/2019 nicht rechtzeitig entrichtet worden war. Daraufhin stellte die Revisionswerberin einen Antrag gemäß § 217 Abs. 7 BAO auf Nichtfestsetzung des Säumniszuschlags, mit der Begründung, es habe ein Firewall-Problem bestanden, weshalb eine E-Mail des Steuerberaters mit der Bekanntgabe der Zahllast nicht zugestellt worden sei. Deshalb sei die Bezahlung erst verspätet erfolgt.
2 Das Finanzamt wies den Antrag ab. Die dagegen erhobene Beschwerde wurde mit Beschwerdevorentscheidung abgewiesen, woraufhin die Revisionswerberin einen Vorlageantrag stellte.
3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesfinanzgericht die Beschwerde als unbegründet ab. Nach Wiedergabe des Verfahrensganges ging es von folgendem Sachverhalt aus: Die Revisionswerberin sei eine als Bauträgerin bzw. im Bereich Projektentwicklung tätige GmbH. Die Alleingesellschafterin der Revisionswerberin, die M GmbH, stehe im Eigentum zweier niederländischen Gesellschaften; die beiden Geschäftsführer der Revisionswerberin seien in den Niederlanden ansässig. Die Revisionswerberin sei Teil eines Konzerns mit weiteren sieben Gesellschaften in Österreich. Die Umsatzsteuervoranmeldung für April 2019 sei am 13. Juni 2019 an das Finanzamt übermittelt worden. Die Entrichtung der gem. § 21 Abs. 1 UStG 1994 am 17. Juni 2019 fälligen Abgabe sei am 9. Juli 2019 erfolgt. Die Erstellung der laufenden Buchhaltung sowie insbesondere der Umsatzsteuervoranmeldungen erfolge durch die österreichische steuerliche Vertretung der Revisionswerberin. Ebenso würden die Umsatzsteuervoranmeldungen durch den steuerlichen Vertreter beim jeweils zuständige Finanzamt eingereicht. Nach Einreichung der Umsatzsteuervoranmeldung erfolge die Übermittlung von Buchhaltungsreporten und allfälligen Zahllasten durch den steuerlichen Vertreter an die Revisionswerberin per Mail. Die Zahllasten würden an die Geschäftsführung des Unternehmensverbundes, dem die Revisionswerberin angehöre, für sämtliche Firmen in einem Sammelmail übermittelt. Die Übermittlung der monatlichen Buchhaltungsreporte erfolge gesondert. Ergebe die Umsatzsteuervoranmeldung keine Zahllast, sondern eine Gutschrift, werde nur ein Buchhaltungsreport übermittelt.
4 Der Einreichung der Umsatzsteuervoranmeldungen sei in der Kanzlei des steuerlichen Vertreters ein Kontrollmechanismus vorangestellt. Dieses „Klientenmonitoring“, welches über das Buchhaltungsprogramm abgewickelt werde, werde vom Buchhalter selbst und vom Leiter der Buchhaltung durchgeführt. Das Buchhaltungsprogramm gebe automatisiert einen Überblick über die zu bearbeitenden Buchhaltungen und stelle pro UVA-Periode farblich dar, ob eine Umsatzsteuervoranmeldung bereits abgegeben worden und beim Finanzamt bereits eingegangen sei. Die entsprechende Liste werde vom Buchhalter überprüft. Darüber hinaus kontrolliere der Leiter der Buchhaltung „in der Woche des 15. in jedem Monat“ bei allen relevanten Klienten täglich, ob die Umsatzsteuervoranmeldung noch einzureichen sei und informiere nötigenfalls den zuständigen Buchhalter. Der Ausgang der dargestellten Mailnachrichten unterliege nur der Kontrolle durch den jeweiligen Mitarbeiter; eine darüberhinausgehende Kontrolle durch eine weitere Person finde nicht statt. Im Unternehmen der Revisionswerberin selbst erfolge keine Überwachung von Abgabenzahlungsfristen. Nicht festgestellt habe werden können, dass von der Kanzlei des steuerlichen Vertreters eine E-Mail mit der entsprechenden Benachrichtigung hinsichtlich der errechneten Zahllast an die Revisionswerberin geschickt, sowie ein Buchhaltungsreport für April 2019 übermittelt worden sei.
5 Zur Beweiswürdigung führte das Bundesfinanzgericht aus, die Revisionswerberin habe auf Vorhalt keine Angaben zum behaupteten EDV/Firewall-Problem machen können. Ein Ausdruck der versendeten Mail, eine Ausgangsbestätigung oder Serverprotokolle des steuerlichen Vertreters zum Nachweis, dass eine Versendung der E-Mail mit der Benachrichtigung der Zahllast für Umsatzsteuer 04/2019 überhaupt stattgefunden habe, seien trotz Aufforderung nicht vorgelegt worden. Derartiges sei nicht mehr abrufbar. Seitens des steuerlichen Vertreters sei auf Anfrage des Bundesfinanzgerichtes ausgeführt worden, dass grundsätzlich alle ein- und ausgehenden Mails im Outlook-Programm und auf dem Mail-Server dauerhaft archiviert würden. Weshalb jene eine E-Mail, mit der die Revisionswerberin über die Umsatzsteuerzahllast 04/2019 informiert worden sei, nicht archiviert und nicht mehr aufrufbar sei, sei nicht nachvollziehbar. Es habe auch keine E-Mail betreffend Buchhaltungsreport vorgelegt werden können. Es entspreche der Lebenserfahrung anzunehmen, dass ein Steuerberater jeden Schrift- und Mailverkehr mit seinen Klienten, auch abseits gesetzlicher Aufbewahrungspflichten, aufbewahre bzw. archiviere, schon um etwaige Haftungsfolgen zu vermeiden. Dass ausgerechnet jene E-Mails, welche - aus nicht mehr nachvollziehbaren Gründen - die Revisionswerberin nicht erreicht hätten, zufällig außerdem weder im Ausgangsordner noch grundsätzlich auf dem Mailserver des Steuerberaters abrufbar sein sollten, sei nicht glaubhaft. Es sei vielmehr anzunehmen, dass, nach rechtzeitiger Übermittlung der Umsatzsteuervoranmeldung ans Finanzamt, schlicht übersehen worden sei, diese E-Mails zu versenden.
6 In der Geschäftsorganisation der Revisionswerberin existiere kein Kontrollmechanismus zur Überwachung der Einhaltung von Abgabenzahlungsverpflichtungen. Das Klientenmonitoring beim steuerlichen Vertreter reiche nicht über die Einreichung der Umsatzsteuervoranmeldung hinaus. Es umfasse nicht die Überwachung der Mitteilung einer allfälligen Zahllast an die Revisionswerberin. Der Nachrichtenausgang werde ausschließlich vom jeweiligen Mitarbeiter selbst überwacht.
7 In der rechtlichen Beurteilung führte das Bundesfinanzgericht aus, Voraussetzung für die Herabsetzung bzw. Nichtfestsetzung des Säumniszuschlages nach § 217 Abs. 7 BAO sei es, dass kein grobes Verschulden hinsichtlich der verspäteten Entrichtung der streitgegenständlichen Umsatzsteuer vorliege.
8 Aus dem gesamten Vorbringen im Rechtsmittelverfahren sei nicht ersichtlich bzw. sei nicht einmal behauptet worden, dass die Revisionswerberin über irgendeine Form von Kontrollsystem verfüge, das die Einhaltung von Abgabenzahlungsfristen sicherstellen solle. Unter diesen Umständen könne ein fehlendes grobes Verschulden der Revisionswerberin an der nicht rechtzeitigen Entrichtung der Umsatzsteuer 04/2019 nicht angenommen werden. Weshalb es der Revisionswerberin nicht möglich oder zumutbar sein sollte, die vom steuerlichen Vertreter monatlich übermittelten Buchhaltungsreporte zu sichten bzw. kontrollieren und schon daraus anstehende Umsatzsteuerzahllasten zu ersehen, sei nicht nachvollziehbar. Ebenso hätte der Revisionswerberin im konkreten Fall auffallen müssen, dass überhaupt kein Buchhaltungsreport für April 2019 übermittelt worden sei. Schon im Hinblick darauf, dass die Revisionswerberin nach dem Vorbringen nicht habe wissen können, ob für einen bestimmten Zeitraum eine Umsatzsteuerzahllast zu begleichen sein könnte, hätte sie ein an die im Rechtsmittelverfahren geschilderten Besonderheiten angepasstes Kontrollsystem einrichten müssen, welches die Einhaltung von Abgabenzahlungsterminen sicherstelle.
9 Aus dem Vorbringen zum „Klientenmonitoring“ des steuerlichen Vertreters sei ersichtlich, dass eine Überwachung der befassten Buchhalter durch den Leiter der Buchhaltung damit ende, dass die Umsatzsteuervoranmeldungen rechtzeitig und richtig beim Finanzamt eingereicht würden. Daran anschließende Benachrichtigungen der Klienten oblägen ausschließlich den befassten Buchhaltern. Im Revisionsfall würde dies bedeuten, dass das Übersehen der Versendung des E-Mails, mit dem die Revisionswerberin über die Umsatzsteuerzahllast 04/2019 hätte informiert werden sollen, ein Verschulden einer Dienstnehmerin des steuerlichen Vertreters darstellen würde. Ein solches wäre dem steuerlichen Vertreter dann anzulasten, wenn ihn betreffend diese Dienstnehmerin ein grobes Auswahl- bzw. Überwachungsverschulden träfe, bzw. dass dieses Versehen unbemerkt blieb, einer mangelhaften Kanzleiorganisation des steuerlichen Vertreters zuzuschreiben wäre.
10 Die Revisionswerberin sei bisher sämtlichen Abgabenzahlungspflichten fristgemäß nachgekommen. Dies spreche für die grundsätzliche Zuverlässigkeit der Buchhalterin, die für die Einreichung der Umsatzsteuervoranmeldung 04/2019 und die im Anschluss an die Revisionswerberin zu versendenden E-Mails zuständig gewesen sei. Ein Auswahl- oder Kontrollverschulden betreffend diese konkrete Mitarbeiterin könne dem steuerlichen Vertreter daher nicht zur Last gelegt werden. Allerdings bestehe bei der Betreuung der Revisionswerberin und deren Mutter- bzw. Schwestergesellschaften durch den steuerlichen Vertreter ein besonderes System: Die betreffenden Klienten verließen sich, ungeachtet dessen, dass für sie nach ihrem Vorbringen eine allfällige Zahlungsverpflichtung von Monat zu Monat nicht vorhersehbar sei, was für sich schon eine besondere Sorgfalt im Umgang mit Zahlungsfristen bedinge, bei der Frage, ob Umsatzsteuer zu zahlen sei oder nicht, ausschließlich auf eine Benachrichtigung durch den steuerlichen Vertreter. Angesichts dieser gesteigerten Verantwortung wäre vom steuerlichen Vertreter durch geeignete Maßnahmen sicherzustellen gewesen, dass keine Zahlungsfristen übersehen werden. Der Umstand, dass bis zum fraglichen Zahlungstermin im Juni 2019 noch nie ein vergleichbarer Fehler passiert sei, vermöge nicht über einen hier völlig fehlenden Kontrollmechanismus hinwegzutäuschen. Aufgrund der Umstände des Revisionsfalls sei somit dem steuerlichen Vertreter, ebenso wie der Revisionswerberin selbst, ein die Anwendung des § 217 Abs. 7 BAO ausschließendes grobes Verschulden vorzuwerfen: Es obliege ausschließlich dem oder der betreffenden Mitarbeiter(in) des steuerlichen Vertreters, die unmittelbaren Vorkehrungen für die rechtzeitige Abgabenentrichtung in Form einer E-Mail zu treffen, ohne dass der- oder diejenige dabei einer Kontrolle unterläge. Es sei nicht erkennbar, dass unter diesen Umständen eine Kanzleiorganisation des steuerlichen Vertreters existiere, die die Wahrnehmung von Abgabenzahlungsfristen sicherstelle, zumal auch den zuverlässigsten Mitarbeitern Fehler unterlaufen könnten.
11 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die zu ihrer Zulässigkeit vorbringt, nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes müsse der Parteienvertreter eine ausdrücklich angeordnete Postaufgabe nicht auf ihr tatsächliches Stattfinden kontrollieren. Die Anwendung desselben Maßstabes auf den elektronischen Schriftverkehr folge schon aus dem Sachlichkeitsgebot. Würde man von steuerlichen Vertretern verlangen, auch den Abgang von E-Mails zu kontrollieren, wäre die Überwachungspflicht überspannt und nicht mehr verhältnismäßig.
12 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
13 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
14 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
15 Gemäß § 217 Abs. 7 BAO kann auf Antrag ein Säumniszuschlag herabgesetzt oder nicht festgesetzt werden, wenn den Steuerpflichtigen kein grobes Verschulden an der Säumnis trifft.
16 Grobes Verschulden fehlt, wenn überhaupt kein Verschulden oder nur leichte Fahrlässigkeit vorliegt. Eine (lediglich) leichte Fahrlässigkeit liegt vor, wenn ein Fehler unterläuft, den gelegentlich auch ein sorgfältiger Mensch begeht. (vgl. VwGH 20.5.2010, 2008/15/0305; 22.11.1996, 95/17/0112). Das (grobe) Verschulden des Vertreters ist dem Verschulden des Vertretenen gleichzuhalten (vgl. VwGH 25.11.1999, 99/15/0118). (Grobes) Verschulden von Arbeitnehmern der Partei (oder der Parteienvertretung) ist nicht schädlich. Entscheidend ist diesfalls, ob der Partei selbst (bzw. ihrer Vertretung) grobes Verschulden, insbesondere grobes Auswahl- oder Kontrollverschulden anzulasten ist (vgl. VwGH 26.1.2017, Ra 2014/15/0007).
17 Die Revision bringt vor, das Bundesfinanzgericht weiche von der (insoweit vergleichbaren) Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu Überwachungspflichten bei der Postaufgabe ab. Mit Blick auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Postaufgabe (Hinweis auf VwGH 11.3.1992, 91/13/0129; 11.3.2010, 2008/16/0034) erscheine es unverhältnismäßig und nicht sachgerecht, beim Versand elektronischer Post höhere Anforderungen an ein kanzleiinternes Kontrollsystem zu stellen als bei konventioneller Post. Damit übersieht sie, dass das Bundesfinanzgericht nicht nur ein grobes Verschulden des steuerlichen Vertreters, sondern mit ausführlicher Begründung auch ein grobes Verschulden der Revisionswerberin angenommen hat. Dagegen wendet sich die Revision nicht, weshalb sie schon aus diesem Grund zurückzuweisen war.
Wien, am 11. November 2022
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2022:RA2022150065.L00Im RIS seit
09.12.2022Zuletzt aktualisiert am
14.12.2022