Index
001 Verwaltungsrecht allgemeinNorm
ASVG §225 Abs1 Z6Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer und die Hofrätin Dr. Julcher als Richterinnen sowie den Hofrat Mag. Cede als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Sasshofer, über die Revision der Pensionsversicherungsanstalt in Wien, vertreten durch Dr. Anton Ehm und Mag. Thomas Mödlagl, Rechtsanwälte in 1050 Wien, Schönbrunner Straße 42/6, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 29. November 2021, L501 2228617-1/9E, betreffend Beitragsgrundlagen nach dem ASVG (mitbeteiligte Partei: MMag. DDr. A H in E, vertreten durch Dr. Franz Haunschmidt und Mag. Peter Breiteneder, Rechtsanwälte in 4020 Linz, Herrenstraße 6), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
1 Der Mitbeteiligte befand sich in der Zeit von 28. November 1992 bis 30. September 2004 als Geistlicher (Weltpriester) der Katholischen Kirche im Geistlichen Stand und war infolgedessen gemäß § 5 Abs. 1 Z 7 ASVG von der Vollversicherung nach dem ASVG ausgenommen. Für den genannten Zeitraum hat die Diözese X einen Überweisungsbetrag gemäß § 314 ASVG an die Pensionsversicherungsanstalt (PVA) geleistet.
2 Ausgehend davon, dass gemäß § 225 Abs. 1 Z 6 ASVG Zeiten, für die ein Überweisungsbetrag nach § 314 ASVG geleistet worden ist (im Fall des Mitbeteiligten somit der Zeitraum von 28. November 1992 bis 30. September 2004), als Beitragszeiten anzusehen sind, stellte das Bundesverwaltungsgericht mit dem angefochtenen Erkenntnis im Beschwerdeverfahren die Höhe der für den Mitbeteiligten geltenden Beitragsgrundlagen für den Beitragszeitraum von 28. November 1992 bis 30. September 2004 gemäß § 243 Abs. 1 Z 1 fünfter Fall ASVG in jeweils bestimmter Höhe fest. Dazu führte es aus, dass die belangte Behörde (die PVA) im angefochtenen Bescheid den Standpunkt vertreten habe, dass für die Bemessung der Höhe der strittigen Beitragsgrundlagen „in erster Linie die tatsächlichen Bezüge“ relevant seien, weshalb auf die dem Mitbeteiligten zugeflossenen Geld- und Sachbezüge der Diözese X abgestellt werden müsse. Demgegenüber sei aber dem Vorbringen der Beschwerde zu folgen, wonach es auf die Höhe des üblichen Arbeitsverdienstes eines körperlich und geistig gesunden Versicherten von ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten ankomme und im vorliegenden Fall die in einem eingeholten Sachverständigengutachten angeführten Gehaltsansätze einer Universitätslaufbahn berücksichtigt werden müssten. Mit der 48. ASVG-Novelle durch BGBl. Nr. 642/1989 sei § 243 ASVG dahingehend geändert worden, dass als Beitragsgrundlage nicht mehr der „nach § 314 als Entgelt geltende Betrag“ gilt, sondern ein Betrag in der Höhe des in der betreffenden Zeit üblichen Arbeitsverdienstes eines körperlich und geistig gesunden Versicherten von ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten (Art. IV. Z 2). Zugleich seien auch die in § 314 Abs. 4 ASVG vormals enthaltene Bezugnahme auf das „auf den Monat entfallende Entgelt (§ 49), auf das der Geistliche im letzten Monat vor seinem Ausscheiden Anspruch gehabt hat“ (erster Satz) und die (bloß) subsidiäre Heranziehung des üblichen Arbeitsverdienstes eines Versicherten (zweiter Satz) entfernt worden und an deren Stelle zur Ermittlung des - hier nicht verfahrensgegenständlichen - Überweisungsbetrages die für Arbeiter in Betracht kommende Berechnungsgrundlage nach § 308 Abs. 6 ASVG getreten (Art. IV. Z 10). Die Auffassung der PVA, dass der Wortlaut von § 314 ASVG durch die Novelle beibehalten worden sei und lediglich in § 243 Abs. 1 ASVG „transferiert“ worden sei, erweise sich damit als unzutreffend.
3 Gestützt auf ein berufskundlich-arbeitspsychologisches Sachverständigengutachten traf das Bundesverwaltungsgericht im angefochtenen Erkenntnis zu den „Bereichen“, in denen ein „körperlich und geistig gesunder Versicherter von ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten“ wie der Mitbeteiligte hätte eingesetzt werden können, Feststellungen gegliedert in drei (hypothetische) Berufslaufbahnvarianten, nämlich „1. Universitätslaufbahn“, „2. Laientheologische Tätigkeit (Pastoralassistent, Pfarrassistent, kirchliche Verwaltung)“ sowie „3. Pädagogischer Dienst an höheren Schulen (Unterrichtstätigkeit)“, und führte dabei - jeweils korrespondierend - aus, welcher „übliche Arbeitsverdienst“ dabei hätte erzielt werden können. In seiner rechtlichen Würdigung hielt das Bundesverwaltungsgericht sodann fest, dass im Fall des Mitbeteiligten die - im Gesamten zu vergleichsweise höheren Beitragsgrundlagen führende - „Universitätslaufbahn“ als maßgeblich anzusehen sei, „zumal“ ein vergleichbarer Versicherter von ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen wie der Mitbeteiligte einen entsprechend hohen Arbeitsverdienst „üblicherweise erzielt hätte“. Als Beitragsgrundlage sei daher der übliche Arbeitsverdienst für die Tätigkeiten im Rahmen der „Universitätslaufbahn (von 1992 bis Mitte 1994 Assistent/Vertragsassistent; von Mitte 1994 bis Mitte 1997 Universitätsassistent in der Habilitationsphase; von Mitte 1997 bis 2000 Universitätsdozent; von 2001 bis 2004 außerordentlicher Universitätsprofessor)“ festzustellen. Die unvollständig zurückgelegten Jahre 1992 und 2004 sowie die Jahre mit wechselndem Arbeitsverdienst (1994 und 1997) seien entsprechend den jeweils zurückgelegten Tagen aliquot berücksichtigt worden.
4 Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das Bundesverwaltungsgericht aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die außerordentliche Revision der PVA.
Der Verwaltungsgerichtshof hat darüber nach Durchführung des Vorverfahrens, in dem der Mitbeteiligte eine Revisionsbeantwortung erstattete, in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
5 Die Revision ist - wie bereits die mit dem Erkenntnis vom 5. April 2022, Ra 2021/08/0047, entschiedene Revision - wegen des im Zulässigkeitsvorbringen aufgezeigten Fehlens von Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Ermittlung der Beitragsgrundlagen nach § 243 Abs. 1 Z 1 fünfter Fall ASVG sowie (nunmehr) deswegen zulässig (und begründet), weil das Bundesverwaltungsgericht von dem - inzwischen ergangenen - Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes zu dieser Rechtsfrage abgewichen ist.
6 Der Verwaltungsgerichtshof hat im zitierten Erkenntnis Folgendes ausgeführt:
„21 Gemäß § 314 Abs. 1 ASVG ist dann, wenn ein gemäß § 5 Abs. 1 Z 7 ASVG von der Vollversicherung ausgenommener Geistlicher der Katholischen Kirche aus dem Geistlichen Stand bzw. ein Angehöriger eines Ordens oder einer Kongregation der Katholischen Kirche aus dem Orden bzw. der Kongregation ausscheidet, von der Diözese bzw. dem Orden (der Kongregation) dem Pensionsversicherungsträger, der auf Grund der vom Geistlichen bzw. vom Angehörigen des Ordens oder der Kongregation ausgeübten Tätigkeit zuletzt zuständig gewesen wäre, ein Überweisungsbetrag zu leisten. Der Überweisungsbetrag wird seit der 48. Novelle zum ASVG, BGBl. Nr. 642/1989, gemäß § 314 Abs. 4 ASVG pauschal mit einem nach der für Arbeiter in Betracht kommenden Berechnungsgrundlage gemäß § 308 Abs. 6 ASVG (für Männer: 45% der Höchstbeitragsgrundlage) festgesetzt. Auf das Entgelt, auf das der Geistliche oder Ordensangehörige im letzten Monat vor seinem Ausscheiden Anspruch gehabt hat, bzw. alternativ auf einen fiktiven Entgeltanspruch kommt es bei der Bestimmung des Überweisungsbetrages - anders als nach der zuvor geltenden Rechtslage - nicht mehr an.
22 Bei der Bildung der für die Pensionsbemessung maßgeblichen Beitragsgrundlage wird aber - um, wie in den ErlRV 1098 BlgNR 17. GP, 15 ausgeführt wird, gegenüber der früheren Rechtslage leistungsrechtliche Nachteile der Versicherten zu verhindern - nicht an die für den Überweisungsbetrag maßgebliche Berechnungsgrundlage angeknüpft. Vielmehr ist die Beitragsgrundlage für Beitragszeiten nach § 225 Abs. 1 Z 6 ASVG (Zeiten nach dem 31. Dezember 1955, für die ein Überweisungsbetrag nach § 314 ASVG geleistet worden ist) gemäß § 243 Abs. 1 Z 1 fünfter Fall ASVG ‚ein Betrag in der Höhe des in der betreffenden Zeit üblichen Arbeitsverdienstes eines körperlich und geistig gesunden Versicherten von ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten‘.
23 Das entspricht der Methode der Berechnung des Überweisungsbetrages nach der Rechtslage vor der 48. Novelle zum ASVG, BGBl. Nr. 642/1989, in jenen Fällen, in denen der Geistliche bzw. Ordensangehörige vor seinem Ausscheiden keinen Anspruch auf Entgelt gehabt hatte.
24 § 243 Abs. 1 Z 1 ASVG idF BGBl. Nr. 642/1989 bietet hingegen nach dem insoweit eindeutigen Gesetzeswortlaut keine Grundlage mehr dafür, dass ein allenfalls tatsächlich bestehender Entgeltanspruch der Beitragsgrundlagenbildung zugrunde gelegt wird. Es ist also stets die Höhe des ‚in der betreffenden Zeit üblichen Arbeitsverdienstes eines körperlich und geistig gesunden Versicherten von ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten‘ zu ermitteln. Angesichts der insoweit übereinstimmenden Formulierung in § 314 Abs. 4 ASVG in der Fassung vor der Novelle BGBl. Nr. 642/1989 kann dazu auf die im Erkenntnis VwGH 23.6.1988, 87/08/0305, zur alten Rechtslage getroffene Aussage zurückgegriffen werden, wonach bei der Ermittlung des in einer bestimmten Zeit üblichen Arbeitsverdienstes eines Versicherten mit einer bestimmten Ausbildung und von bestimmten Kenntnissen und Fähigkeiten grundsätzlich von den zur maßgeblichen Zeit auf dem Arbeitsmarkt gegebenen tatsächlichen Verhältnissen auszugehen ist, die - ähnlich wie im Rahmen eines Verfahrens nach § 273 ASVG - allenfalls unter Beiziehung eines berufskundlichen Sachverständigen festgestellt werden können.
25 Es ist demnach - wie schon der Gesetzeswortlaut nahelegt - zum einen nicht der (potentielle) Verdienst auf Grund einer bestimmten im Orden ausgeübten Tätigkeit maßgeblich, sondern der Verdienst, der bei einer auf Grund der vorhandenen Ausbildung, Kenntnisse und Fähigkeiten möglichen Beschäftigung ‚üblich‘ wäre; für diese Auslegung spricht im Übrigen auch, dass insbesondere in kontemplativen Orden vielfach Tätigkeiten erbracht werden, die sich einer pekuniären Bewertung weitgehend entziehen. Weiters kommt es auf die Verdienstmöglichkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt und nicht auf allfällige kircheninterne Einstufungen an.
26 Die gesetzliche Formulierung ‚eines körperlich und geistig gesunden Versicherten von ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten‘ zeigt zudem, dass generell eine abstrakte Betrachtung Platz zu greifen hat und der Beurteilung nicht die individuelle Person, sondern eine Maßperson zugrunde zu legen ist, bei der jedenfalls körperliche und geistige Gesundheit vorauszusetzen ist.
27 In diesem Sinn ist einerseits - entgegen der in der Revision vertretenen Ansicht der PVA - nicht entscheidend, welche konkreten Tätigkeiten im Orden ausgeübt wurden und wie diese (sei es nach kirchlichen Besoldungsregeln, sei es unter Betrachtung von vergleichbaren Beschäftigungen am allgemeinen Arbeitsmarkt) zu bewerten wären. Andererseits kommt es aber entgegen der Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts auch nicht darauf an, welche Karriere die konkret betroffene Person hypothetisch bei Wegfall des Ordenseintritts durchlaufen hätte. Vielmehr ist von einer abstrakten Maßperson selben Alters auszugehen, die über all jene Ausbildungen, Kenntnisse und Fähigkeiten verfügt, welche die konkret betroffene Person sowohl vor dem Ordenseintritt als auch während der Zeit im Orden erworben hat.
28 Das bedeutet für den vorliegenden Fall, dass zu ermitteln gewesen wäre, welcher Verdienst für eine Person, die wie der Mitbeteiligte über ein abgeschlossenes Studium an der Universität für Bodenkultur verfügt, mehrere Jahre im Verwaltungsdienst eines Landes tätig war und während der Zeit im Orden - vom Bundesverwaltungsgericht in Verkennung der Maßgeblichkeit dieser Sachverhaltselemente nicht festgestellte - weitere Kenntnisse und Fähigkeiten erworben hat, während der Zeiten, für die ein Überweisungsbetrag geleistet wurde, möglich gewesen wäre. Dabei genügt es, sich auf einige typische Berufsbilder und Tätigkeiten zu beschränken. Aus den sich daraus ergebenden fiktiven Entgeltansprüchen wären dann für die einzelnen Beitragszeiträume Durchschnittsbeträge zu ermitteln, die als üblicher Arbeitsverdienst im Sinn des § 243 Abs. 1 Z 1 fünfter Fall ASVG der Beitragsgrundlagenberechnung zugrunde zu legen sind.“
7 In seiner Revisionsbeantwortung führt der Mitbeteiligte aus, dass das Bundesverwaltungsgericht von diesem Erkenntnis nicht abgewichen sei, und begründet dies damit, dass er „sämtliche Diplomprüfungen und die Rigorosen im Studium der Fachtheologie mit der Note Sehr Gut absolviert“ habe und „[s]owohl die Diplomarbeit wie auch die theologische Dissertation ... im Fach Kirchenrecht ... mit Sehr gut benotet“ worden seien. Es sei also „von einer Maßperson auszugehen, die bei weitem überdurchschnittliche Studienleistungen erbracht hat und sowohl das Diplomstudium als auch das Doktoratsstudium mit Auszeichnung abgeschlossen hat“. Ausgehend von einem solchen mit großem Erfolg absolvierten auf das Kirchenrecht spezialisierten Ausbildungsgang sei die universitäre Berufslaufbahn „beginnend mit der Stelle eines Universitätsassistenten bis zum a.o. Professor sehr nahe liegend und geradezu typisch für eine Maßfigur mit eben dieser (äußerst seltenen) Ausbildung“, sodass andere Berufskarrieren „weitaus weniger wahrscheinlich bzw. untypisch erscheinen“. Für die sonstigen Berufslaufbahnen als Pastoral-, Pfarrassistent oder als Religionslehrer an höheren Schulen genüge bereits der positive Abschluss eines Diplomstudiums.
8 Mit dem Vorbringen, wonach die universitäre Berufslaufbahn „beginnend mit der Stelle eines Universitätsassistenten bis zum a.o. Professor sehr nahe liegend und geradezu typisch für eine Maßfigur mit eben dieser (äußerst seltenen) Ausbildung“ sei, sodass andere Berufskarrieren „weitaus weniger wahrscheinlich bzw. untypisch erscheinen“, geht die Revisionsbeantwortung von Sachverhaltsprämissen aus, zu denen das angefochtene Erkenntnis keine Feststellungen enthält. Im Übrigen gehen die Ausführungen der Revisionsbeantwortung darüber hinweg, dass der Verwaltungsgerichtshof im zitierten Erkenntnis nicht allein eine einzige (und auch nicht notwendigerweise die lukrativste) von mehreren möglichen hypothetischen Berufslaufbahnen für maßgeblich erachtet hat, sondern ausgeführt hat, dass es „genügt ..., sich auf einige typische Berufsbilder und Tätigkeiten zu beschränken“ und sodann „aus den sich daraus ergebenden fiktiven Entgeltansprüchen ... für die einzelnen Beitragszeiträume Durchschnittsbeträge zu ermitteln, die als üblicher Arbeitsverdienst im Sinn des § 243 Abs. 1 Z 1 fünfter Fall ASVG der Beitragsgrundlagenberechnung zugrunde zu legen sind“. Demgegenüber hat das Bundesverwaltungsgericht dem angefochtenen Erkenntnis die (nicht näher begründete) Ansicht zugrunde gelegt, dass - ausgehend von mehreren in seinen Sachverhaltsfeststellungen dargestellten Varianten möglicher Berufslaufbahnen im Fall des Mitbeteiligten „die - im Gesamten zu vergleichsweise höheren Beitragsgrundlagen führende - ‚Universitätslaufbahn‘“ als maßgeblich anzusehen sei.