TE OGH 2022/9/19 1R99/22v

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Veröffentlicht am 19.09.2022
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Kopf

Das Oberlandesgericht Wien hat als Rekursgericht durch die Senatspräsidentin des Oberlandesgerichts Dr. Jesionek als Vorsitzende sowie den Richter und die Richterin des Oberlandesgerichts Mag. N. Schaller und Mag. Klenk in der Rechtssache der klagenden Partei Verein A*, **, vertreten durch Kosesnik-Wehrle & Langer Rechtsanwälte KG in Wien, wider die beklagten Parteien 1. C* AG, **, vertreten durch Freshfields Bruckhaus Deringer Rechtsanwälte PartG mbH in Wien, und Posser Spieth Wolfers & Partners Partnerschaft von Rechtsanwälten mbH in Berlin, im Einvernehmen mit Dr. Thomas Kustor und Dr. Sabine Prossinger, Rechtsanwälte in Wien, 2. F* GmbH & Co OG, **, vertreten durch Pressl Endl Heinrich Bamberger Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, wegen Unterlassung und Urteilsveröffentlichung (Gesamtstreitwert EUR 18.000,--), über den Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Handelsgerichts Wien vom 25.4.2022, 11 Cg 52/18m-78, in nicht öffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

         I. Die Rekursbeantwortung wird zurückgewiesen.

         II. Dem Rekurs wird Folge gegeben.

         Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben und die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.

         Die Rekurskosten sind weitere Verfahrenskosten.

         Der Revisionsrekurs ist jedenfalls unzulässig. 

Text

Begründung

Mit dem angefochtenen Beschluss trug das Erstgericht dem Kläger auf, binnen vier Wochen einen Kostenvorschuss von EUR 1,800.000,-- bei Gericht zu erlegen, widrigenfalls die Einholung des beantragten Sachverständigengutachtens unterbleibe.

Gegen diesen Beschluss richtet sich der rechtzeitige Rekurs des Klägers mit dem Antrag auf Abänderung dahin, ihm nur den Erlag eines Kostenvorschusses von EUR 300.000,-- aufzutragen. Hilfsweise wird ein Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag gestellt.

Der Beklagte beantragt die Zurückweisung des Rekurses; hilfsweise wird sinngemäß beantragt, ihm nicht Folge zu geben.

Zu Punkt I. (Zurückweisung der Rekursbeantwortung):

Gem § 521a ZPO ist das Rekursverfahren nach Streitanhängigkeit grundsätzlich zweiseitig. Einseitig ist das Rekursverfahren aber bei Rekursen gegen bloß verfahrensleitende Beschlüsse. Der Kostenvorschussauftrag ist eine prozessleitende Verfügung im engeren Sinn und das Rekursverfahren daher einseitig (OLG Innsbruck 3 R 13/12d = SV 2012, 157; OLG Wien 1 R 16/18g; 1 R 93/17d; 9 Ra 89/17z; 8 Ra 42/17f; 16 R 203/02v = WR 954; Krammer in Fasching/Konecny³ III/1 § 365 ZPO Rz 31; M. Bydlinski in Fasching/Konecny² Vor §§ 425 ff ZPO Rz 10; aA Frauenberger in Fasching/Konecny³ III/1 § 332 ZPO Rz 16/1).

Die somit unzulässige Rekursbeantwortung war daher zurückzuweisen.

Zu Punkt II. (Entscheidung über den Rekurs):

Gem § 365 iVm § 332 Abs 2 ZPO ist der Beschluss, mit dem ein Sachverständigenkostenvorschuss aufgetragen wird, nur hinsichtlich seiner Höhe und nur dann anfechtbar, wenn der Gesamtbetrag der einer Partei aufgetragenen Vorschüsse EUR 4.000,-- übersteigt.

Im vorliegenden Fall ist der Rekursantrag des Klägers darauf gerichtet, ihm nicht EUR 1,800.000,--, sondern nur EUR 300.000,-- als Kostenvorschuss aufzutragen. Ein Auftrag an die Beklagte wird nicht beantragt. Schon daraus ergibt sich, dass sich der Rekurs nicht gegen den Auftrag dem Grunde nach, sondern nur gegen die Höhe des aufgetragenen Vorschusses richtet.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist daher zulässig; er ist im Sinne seines Eventualantrags auch berechtigt.

Als Nichtigkeit macht der Kläger die fehlende Begründung des Beschlusses geltend.

Gem § 528 Abs 1 ZPO müssen (nur) Beschlüsse über widerstreitende Anträge und Beschlüsse, mit denen ein Antrag abgewiesen wird, begründet werden. Nur in diesen – hier nicht vorliegenden – Fällen ist ein unbegründeter Beschluss nichtig, auch wenn eine Begründung in vielen darüber hinausgehenden Fällen zweckmäßig sein wird (siehe M. Bydlinski in Fasching/Konecny III/2³ § 428 Rz 1).

Eine Nichtigkeit liegt daher nicht vor.

Als Mangelhaftigkeit des Verfahrens macht der Kläger geltend, dass das Erstgericht das Messprogramm nicht mit den Prozessparteien erörtert habe. Der Kläger habe in der Verhandlung vom 21.10.2021 angeboten, drei KFZ für Messungen zur Verfügung zu stellen, worauf der Erstrichter angekündigt habe, im Sinne einer Waffengleichheit der Beklagten die Stellung von drei geeigneten KFZ aufzutragen. Sodann sei dem Sachverständigen aufgetragen worden, ein Messprogramm zu erstellen und eine Kostenschätzung abzugeben. Dieser habe das Messprogramm erstellt und die Messkosten mit EUR 284.707,-- pro Fahrzeug, bei sechs Fahrzeugen also EUR 1,755.414,-- geschätzt. Im Hinblick auf die hohen Kosten habe der Sachverständige angeregt, das Messprogramm im Rahmen einer Verhandlung zu erörtern. Dazu sei den Parteien eine Stellungnahme eingeräumt worden. In dieser habe der Kläger kostenreduzierende Änderungen am Messprogramm vorgeschlagen und insbesondere vorgebracht, dass die Testung von mehr als einem Fahrzeug überschießend sei, wenn schon beim ersten getesteten Fahrzeug die von der Beklagten gegenüber ihren Kunden ausgeschlossenen Verschlechterungen durch das Softwareupdate festzustellen seien.

Statt der vom Sachverständigen angeregten Erörterung habe das Erstgericht die Parteien nur beauftragt bekanntzugeben, ob der Antrag auf Einholung des Sachverständigengutachtens trotz der hohen zu erwartenden Kosten aufrecht bleibe. Daraufhin habe der Kläger nochmals auf seine Stellungnahme hingewiesen und klargestellt, den Antrag derzeit im Umfang der Testung eines Fahrzeuges unter den in der Stellungnahme genannten Abänderungen des Messprogramms aufrechtzuerhalten. Daraufhin habe das Erstgericht begründungslos den bekämpften Beschluss gefasst und dem Kläger einen Kostenvorschuss aufgetragen, der nicht nur absolut hoch sei, sondern auch 100 mal so hoch wie der Streitwert.

Diese Ausführungen geben den für diese Entscheidung wesentlichen Akteninhalt zutreffend wieder. Davon ausgehend ist Folgendes auszuführen:

Die Höhe des gem § 365 iVm § 332 Abs 2 ZPO aufzutragenden Kostenvorschusses zur Deckung der Sachverständigenkosten hat dem mit der Aufnahme des Beweises verbundenen Aufwand zu entsprechen. Maßgeblich sind der voraussichtliche Arbeitsumfang des Sachverständigen und die Vorschriften des GebAG (vgl RIS-Justiz RS0132304). Durch den Kostenvorschuss sollen die Parteien auch eine realistische Grundlage für die Einschätzung erhalten, mit welchem Aufwand sie für die Erreichung ihres Prozessziels zu rechnen haben (RS0132304 [T3]).

Betreffend die Notwendigkeit von Erhebungen zur Festlegung der Höhe des Kostenvorschusses ist nach der Judikatur zu differenzieren (vgl OGH 16 Ok 5/18y, 16 Ok 6/18w = RS0132304; OLG Wien 2 R 48/19x): Danach kann es durchaus zulässig sein, wenn sich das Gericht bei der Abschätzung der Höhe des Kostenvorschusses an seiner Praxiserfahrung orientiert. Anderes gilt, wenn der Vorschuss eine besondere Höhe erreicht, etwa - wie der OGH zu beurteilen hatte - in zweierlei Hinsicht, nämlich sowohl absolut (EUR 120.000,-) als auch relativ (doppelter Streitwert). Jedenfalls bei besonders hohen Kosten werden Gegenstand und Umfang der Beweisaufnahme (Art der Fragestellung und auf deren Beantwortung jeweils entfallender Aufwand) sowie allenfalls in Betracht kommende Alternativen mit den Parteien zu erörtern sein. Soweit Erhebungen notwendig sind, diese jedoch nicht durchgeführt werden, liegt ein Verfahrensmangel vor.

Im vorliegenden Fall wurde der Sachverständige mit der Erstellung eines Messprogramms und mit einer Kostenschätzung unter der in der Verhandlung erörterten Prämisse von sechs zu messenden Fahrzeugen beauftragt. Da sich daraus voraussichtliche Kosten von fast EUR 1,8 Mio ergaben, regte er im Hinblick auf die Höhe dieser Kosten eine Erörterung des Messprogramms an. Die Klägerin erstattete konkrete Vorschläge zur Kostenreduzierung.

Im Hinblick auf die Anregung des Sachverständigen und den Vorschlag der Klägerin wäre das Erstgericht nach obiger Judikatur im Hinblick auf die sowohl absolut als auch relativ zum Streitwert enorm hohen Kosten verpflichtet gewesen, vor einer Entscheidung über die Höhe des Kostenvorschusses mit den Parteien und dem Sachverständigen nochmals allfällige Alternativen zum geplanten, sehr aufwändigen Messprogramm mit sechs Fahrzeugen zu erörtern, um den Aufwand zu reduzieren. Das Verfahren blieb daher mangelhaft, weshalb die angefochtene Entscheidung aufzuheben und dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufzutragen war.

Aus Anlass des Rekurses wird zur Vermeidung unnötiger hoher Verfahrenskosten an die Ausführungen des OGH zu 4 Ob 147/20a (= ON 57) erinnert: Das noch verfahrensgegenständliche zweite Eventualbegehren enthält mehrere Bedingungen; sämtliche aufgezählten Bedingungen müssen erfüllt sein, um dem Unterlassungsgebot stattgeben zu können. Dies wurde auch in der Verhandlung vom 4.5.2021 (ON 60) zutreffend erörtert (und ebenso zutreffend festgehalten, dass auch das dritte Eventualbegehren noch offen ist). Die Klage kann somit nur erfolgreich sein, wenn die Softwareupdates zu erhöhter Rußbildung führen, diese erhöhte Rußbildung Probleme im Abgasrückführsystem - wie das schnellere Verrußen des Partikelfilters - verursacht, diese Probleme im Abgasrückführsystem ein häufiger erforderliches Regenerieren bedingen, und dieses häufigere Regenerieren zu einem erhöhten Kraftstoffverbrauch führt.  In der Verhandlung vom 21.10.2021 wies der Sachverständige darauf hin, dass diese Kausalkette technisch nicht nachvollziehbar ist, weil Abgasrückführsystem und Partikelfilter zwei technisch voneinander völlig unabhängige Dinge seien, und zwar ein Verrußen des Partikelfilters, nicht aber ein Problem des Abgasrückführsystems technisch geeignet sein könnte, ein häufigeres Regenerieren zu bedingen (ON 65 S 2 drittletzter Abs).

Auch wenn der Sachverständige diese technische Unschlüssigkeit zu Unrecht auf einen Irrtum des Rekursgerichts zurückführte, bedeutet dies in Wahrheit, dass nach Ansicht des Sachverständigen (wenn auch erst im Rahmen einer Erörterung und nicht in einer gutachterlichen Stellungnahme geäußert) schon aus zwingenden technischen Gründen nicht alle in den noch offenen Klagebegehren enthaltenen Bedingungen erfüllt sein können. Die vom Erstgericht daraus gezogene Konsequenz, im Auftrag an den Sachverständigen von dieser Kausalkette abweichen zu wollen (ON 65 S 2 vorletzter Abs), scheint im Hinblick auf mögliche hohe frustrierte Kosten nicht zielführend. Vielmehr schiene vor Erteilung eines Gutachtensauftrags eine Erörterung mit dem Kläger über eine allfällige Umformulierung seines Klagebegehrens sinnvoll.

Zu den Rekurskosten:

§ 41 GebAG regelt das Rechtsmittelverfahren gegen Beschlüsse, mit denen „eine Sachverständigengebühr bestimmt wird“, und zwar unabhängig davon, ob es sich um ein Zivil- oder ein Strafverfahren handelt. Dessen Abs 3 bestimmt, neben der Zulässigkeit des Protokollarrekurses und schriftlicher Rekurse ohne anwaltliche Fertigung, dass ein Kostenersatz nicht stattfindet. Ohne nähere Begründung erstreckt die stRsp diesen Ausschluss des Kostenersatzes auf alle Kosten im Rahmen der Gebührenbestimmung, so auch auf Rekurse, mit denen Kostenvorschüsse aufgetragen werden (OLG Wien 16 R 203/02v = RW0000073, 13 R 108/07b, 8 Ra 38/09f uva; Obermaier, Kostenhandbuch³ Rz 1.120; Krammer/Schmidt/Guggenbichler, SDG – GebAG4 § 41 E 154 ff).

§ 41 GebAG (und damit auch dessen Abs 3 letzter Satz) hat den Fall vor Augen, dass es in einem Beschluss unmittelbar um die Sachverständigengebühr (dem Grund und/oder der Höhe nach) geht, weshalb neben den Verfahrensparteien jedenfalls auch der Sachverständige legitimiert ist, einen solchen Beschluss anzufechten (vgl § 40 Abs 1 und § 41 Abs 1 GebAG). Hingegen verfolgen die Verfahrensparteien in der Frage der Gebührenbestimmung idR keine gegenläufigen Interessen, sodass der Ausschluss eines Kostenersatzes hier sinnvoll ist. Für eine analoge Anwendung von § 41 Abs 3 letzter Satz GebAG auf das Rekursverfahren bei Aufträgen zum Erlag eines Kostenvorschusses nach § 365 iVm § 332 Abs 2 ZPO (an dem der Sachverständige nicht beteiligt ist) gibt es keinen Grund.

§ 8a JN, der Rechtsmittelentscheidungen über die Gebühren der Sachverständigen und Dolmetscher dem Einzelrichter überträgt, findet nach überwiegendem Verständnis auf die Entscheidung über Gebührenvorschüsse keine Anwendung (OLG Wien 1 R 107/16m; 15 R 169/12a; 13 R 191/12x; 2 R 217/13s = SV 2014, 111; 3 R 27/14h uva; Krammer, SV 2012, 42 [Glosse zu OLG Wien 13 R 234/11v]). Ebensowenig ist nach Auffassung des erkennenden Senats (1 R 197/14v; 1 R 5/20t = RW0000829) § 41 Abs 3 letzter Satz GebAG über den Ausschluss des Kostenersatzes auf einen Rechtsstreit über eine Auszahlungsanordnung anzuwenden, weil eine solche kein Beschluss ist, „mit dem eine Sachverständigengebühr bestimmt wird“ (§ 41 Abs 1 GebAG).

In konsequenter Fortschreibung dieser Gedanken gelangt der erkennende Senat daher – in ausdrücklicher Abkehr von der bisherigen stRsp - zu dem Ergebnis, dass § 41 Abs 3 letzter Satz GebAG auch nicht auf die Entscheidung über Gebührenvorschüsse anzuwenden ist, weil es sich dabei nicht um Beschlüsse handelt, „mit denen eine Sachverständigengebühr bestimmt“ wird.

Dass die Rekurskosten weitere Verfahrenskosten sind, ergibt sich aus §§ 40 Abs 1, 50 Abs 1 ZPO. Ein selbständiger Zwischenstreit iSd § 52 Abs 1 letzter Satz ZPO liegt nicht vor.

Der Ausspruch über die Unzulässigkeit des Revisionsrekurses beruht auf § 528 Abs 2 Z 5 ZPO (RS0044179).

 

Oberlandesgericht Wien

1011 Wien, Schmerlingplatz 11

Textnummer

EW1195

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OLG0009:2022:00100R00099.22V.0919.000

Im RIS seit

09.12.2022

Zuletzt aktualisiert am

09.12.2022
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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