TE Vwgh Erkenntnis 1996/1/29 94/10/0159

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Veröffentlicht am 29.01.1996
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
80/02 Forstrecht;

Norm

AVG §45 Abs2;
AVG §52;
AVG §58 Abs2;
AVG §60;
ForstG 1975 §17 Abs2;
ForstG 1975 §17 Abs3;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Jabloner und die Hofräte Dr. Novak und Dr. Mizner als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Fichtner, über die Beschwerde des Bundesministers für Land- und Forstwirtschaft gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Güssing vom 2. August 1994, Zl. 09/07/2/01-1994, betreffend Rodungsbewilligung (mitbeteiligte Partei: J in K), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Begründung

Am 8. Oktober 1993 beantragte der Mitbeteiligte bei der Bezirkshauptmannschaft Güssing die Erteilung einer Rodungsbewilligung zum Zwecke der Errichtung eines Wildgatters.

Mit dem angefochtenen Bescheid erteilte die belangte Behörde die beantragte Rodungsbewilligung. Nach Hinweisen auf den im Waldfeststellungsverfahren erhobenen Sachverhalt verwies sie in der Begründung des angefochtenen Bescheides zunächst auf die Stellungnahme des forstfachlichen Sachverständigen. Dieser habe dargelegt, daß die Erhaltung der Waldflächen "vordringlich zu bewerten" sei. Auf Grund der geringen Waldausstattung und der möglichen Rutsch- und Erosionsgefährdung seien "innerbetriebliche Vorteile untergeordnet." Der landwirtschaftliche Amtssachverständige und der Vertreter des landwirtschaftlichen Bezirksreferates hätten die Auffassung vertreten, daß die Wildtierhaltung im Rahmen der Fleischproduktion eine arbeits- und kostenextensive Form der Landbewirtschaftung darstelle. Diese Produktionsform könne als alternative Tierhaltung bezeichnet werden und lasse sich somit in ein "derzeitiges agrarpolitisches Konzept" einordnen. Die Behörde sei entgegen dem forstfachlichen Gutachten zur Ansicht gelangt, daß im gegenständlichen Fall das öffentliche Interesse an der Walderhaltung dem öffentlichen Interesse einer "agrargerechten Verbesserung" (Halten von Wildtieren) untergeordnet sei.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die gemäß § 170 Abs. 8 ForstG erhobene Amtsbeschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Gemäß § 17 Abs. 1 ForstG ist die Verwendung von Waldboden zu anderen Zwecken als für solche der Waldkultur (Rodung) verboten. Die Forstbehörde kann aber gemäß Abs. 2 dieser Gesetzesstelle eine Bewilligung zur Rodung erteilen, wenn ein öffentliches Interesse an einer anderen Verwendung der zur Rodung beantragten Fläche das öffentliche Interesse an der Erhaltung derselben als Wald überwiegt. Nach § 17 Abs. 3 ForstG können öffentliche Interessen im Sinne des Abs. 2 insbesondere in der umfassenden Landesverteidigung, im Eisenbahn-, Luft- und öffentlichen Straßenverkehr, im Post- und öffentlichen Fernmeldewesen, im Bergbau, im Wasserbau, in der Energiewirtschaft, in der Agrarstrukturverbesserung sowie im Siedlungswesen begründet sein. Gemäß § 17 Abs. 4 ForstG hat die Behörde bei Abwägung der öffentlichen Interessen im Sinne des Abs. 2 insbesondere auf eine die erforderlichen Wirkungen des Waldes gewährleistende Waldausstattung Bedacht zu nehmen; ferner sind unter diesen Voraussetzungen die Zielsetzungen der Raumordnung zu berücksichtigen.

§ 17 ForstG verpflichtet die Behörde zu einer Interessenabwägung. Eine solche Interessenabwägung setzt voraus, daß festgestellt wird, ob und in welchem Ausmaß ein öffentliches Interesse an einer anderen Verwendung der zur Rodung beantragten Fläche besteht und welches Ausmaß das öffentliche Interesse an der Walderhaltung aufweist. Im Zuge der von § 17 ForstG vorgeschriebenen Interessenabwägung ist auch zu prüfen, ob für das Vorhaben, um das es geht, die Inanspruchnahme von Waldflächen überhaupt und bejahendenfalls in welchem Umfang erforderlich ist (vgl. z.B. das Erkenntnis vom 19. Dezember 1994, Zl. 94/10/0136, und die dort zitierte Vorjudikatur).

Im Beschwerdefall fehlen entsprechende Ermittlungsergebnisse und Feststellungen und eine darauf aufbauende Interessenabwägung zur Gänze. Schon der Sachverständige für Landwirtschaft hat sich im wesentlichen darauf beschränkt, auf ein - nicht näher erörtertes - "agrarpolitisches Konzept" hinzuweisen. Mangels einer Befundaufnahme und nachvollziehbarer fachlicher Schlußfolgerungen steht diese Äußerung nicht auf der Ebene eines Sachverständigengutachtens im Sinne des § 52 Abs. 1 AVG. Es fehlen (daher) auch Sachverhaltsfeststellungen in der Begründung des angefochtenen Bescheides, auf deren Grundlage die Auffassung der belangten Behörde, im vorliegenden Fall sei das Interesse an der Walderhaltung dem öffentlichen Interesse an einer "agrargerechten Verbesserung (Halten von Wildtieren)" untergeordnet, auf ihre Rechtmäßigkeit geprüft werden könnte. Die Annahme eines solchen öffentlichen Interesses hätte konkreter Tatsachenfeststellungen und daraus gezogener fachlicher Schlüsse bedurft, die es der Forstbehörde ermöglicht hätten, in nachvollziehbarer Weise zu dem Ergebnis zu gelangen, die Errichtung eines Wildgatters sei im vorliegenden Fall eine im öffentlichen Interesse gelegene Maßnahme der Agrarstrukturverbesserung, zu deren Verwirklichung die beantragte Rodung erforderlich ist. Der Verwaltungsgerichtshof erinnert in diesem Zusammenhang an seine ständige Rechtsprechung, wonach ein in der Agrarstrukturverbesserung begründetes öffentliches Interesse an einer anderen Verwendung der zur Rodung beantragten Fläche dann zu bejahen ist, wenn die Rodung eine Maßnahme darstellt, die für die Bewirtschaftung eines landwirtschaftlichen Betriebes unter dem Gesichtspunkt der Existenzsicherung dieses Betriebes oder dem gleichermaßen bedeutsamen Blickwinkel der Erfordernisse eines zeitgemäßen Wirtschaftsbetriebes notwendig ist. Nur ein derartiges, Nützlichkeits- und Zweckmäßigkeitserwägungen ausschließendes Verständnis wird dem Ausnahmecharakter einer Rodungsbewilligung gerecht. Bei weiter Auslegung des Begriffes der Agrarstrukturverbesserung könnten diesem allenfalls - im Sinne des öffentlichen Interesses an der Existenz leistungsfähiger landwirtschaftlicher Betriebe - auch mit einer anderweitigen Verwendung von Waldboden verbundene Maßnahmen zugeordnet werden, die durch eine Verbesserung der Ertragssituation eine Sicherung des Bestandes von land- und forstwirtschaftlichen Betrieben, die sonst in ihrer Existenz gefährdet wären, bewirken, sofern die angestrebte Verwendung der land- und forstwirtschaftlichen Tätigkeit zugeordnet und nicht auf anderen zur Verfügung stehenden Flächen ausgeübt werden kann. Rein privatwirtschaftliche Nützlichkeitserwägungen reichen jedoch zur Begründung eines öffentlichen Interesses an einer anderweitigen Verwendung von Waldboden nicht aus (vgl. z.B. das Erkenntnis vom 30. Mai 1994, Zl. 92/10/0458, und die dort zitierte Vorjudikatur).

Den Akten des Verwaltungsverfahrens kann ein Sachverhalt, der dem soeben dargelegten Begriff der Agrarstrukturverbesserung unterstellt oder einem in gleicher Weise im öffentlichen Interesse liegenden Rodungszweck zugeordnet werden könnte, nicht entnommen werden. Es liegen weder Ermittlungsergebnisse noch Sachverhaltsfeststellungen vor, auf deren Grundlage der angefochtene Bescheid auf seine Rechtmäßigkeit geprüft werden könnte. Er war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Schlagworte

Anforderung an ein Gutachten Begründungspflicht und Verfahren vor dem VwGH Begründungsmangel als wesentlicher Verfahrensmangel freie Beweiswürdigung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1996:1994100159.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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