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40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AVG §37;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Leukauf und die Hofräte Dr. Waldner, Dr. Bernard, Dr. Graf und Dr. Gall als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Neumeister, über die Beschwerde des Ing. R in W, vertreten durch Dr. Z, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 23. Februar 1995, Zl. MA 65-8/263/94, betreffend Entziehung der Lenkerberechtigung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.890,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid wurde dem im Jahr 1913 geborenen Beschwerdeführer gemäß § 73 Abs. 1 KFG 1967 die Lenkerberechtigung für Kraftfahrzeuge der Gruppe B entzogen und gemäß § 73 Abs. 2 leg. cit. ausgesprochen, daß ihm bis zur behördlichen Feststellung seiner körperlichen und geistigen Eignung keine neue Lenkerberechtigung erteilt werden darf.
In der Begründung führte die belangte Behörde aus, auf Grund des ärztlichen Sachverständigengutachtens, welches sich auf den Befund eines Facharztes für Psychiatrie und Neurologie stützte, sei der Beschwerdeführer zum Lenken von Kraftfahrzeugen der Gruppe B nicht geeignet. Nach der Zusammenfassung des fachärztlichen Befundes ergäben sich beim Beschwerdeführer eine teilweise erheblich reduzierte kraftfahrspezifische Leistungsfähigkeit und eine deutlich labile Affektlage bei Hinweisen auf eine paranoide Störung.
In der vorliegenden Beschwerde macht der Beschwerdeführer Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend und beantragt die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides.
Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde begehrt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 30 Abs. 1 Z. 1 KDV 1967 gilt als zum Lenken von Kraftfahrzeugen einer bestimmten Gruppe geistig und körperlich geeignet, wer für das sichere Beherrschen dieser Kraftfahrzeuge und das Einhalten der für das Lenken dieser Kraftfahrzeuge geltenden Vorschriften unter anderem ausreichend frei von psychischen Krankheiten und geistigen Behinderungen ist. Gemäß § 30 Abs. 1 zweiter Satz KDV 1967 müssen darüber hinaus die nötige kraftfahrspezifische Leistungsfähigkeit und Bereitschaft zur Verkehrsanpassung gegeben sein. Gemäß § 31 der zitierten Verordnung geltend als ausreichend frei von psychischen Krankheiten und geistigen Behinderungen im Sinne des § 30 Abs. 1 Z. 1 Personen, bei denen weder Erscheinungsformen von solchen Krankheiten oder Behinderungen, noch schwere geistige und seelische Störungen vorliegen, die eine Beeinträchtigung des Fahrverhaltens erwarten lassen. Wenn sich aus der Vorgeschichte oder bei der Untersuchung der Verdacht eines krankhaften Zustandes ergibt, der die geistige Eignung zum Lenken eines Kraftfahrzeuges einschränken oder ausschließen würde, ist eine Untersuchung durch einen entsprechenden Facharzt, die eine Prüfung der kraftfahrspezifischen Leistungsfähigkeit einzubeziehen hat, anzuordnen.
Krankheiten, Behinderungen und Störungen im Sinne der §§ 30 Abs. 1 Z. 1 und 31 KDV sind für eine Entziehung oder Einschränkung der Lenkerberechtigung im Sinne des § 73 Abs. 1 KFG 1967 nur insoweit von Belang, als sie eine "Beeinträchtigung des Fahrverhaltens" (wegen fehlender oder zumindest eingeschränkter Fähigkeiten zum sicheren Beherrschen der Kraftfahrzeuge und zur Einhaltung der für ihr Lenken geltenden Vorschriften) und damit eine Gefährdung der Verkehrssicherheit erwarten lassen. Dies erfordert im Sachverständigengutachten entsprechende Ausführungen über die von einer Krankheit, einer Behinderung oder einer Störung ausgehenden Auswirkungen auf das Verhalten der betreffenden Person im Straßenverkehr, sofern dies - was hier nicht der Fall ist - nicht ohnedies schon auf Grund der Art der Krankheit, Behinderung oder Störung auf der Hand liegt (siehe das hg. Erkenntnis vom 15. Jänner 1991, Zl. 90/11/0087, mwN).
Diesen Anforderungen genügt das ärztliche Sachverständigengutachten, auf das sich der angefochtene Bescheid stützt, nicht. Im Gutachten vom 19. September 1994 wird berichtet, daß die Diagnose des fachärztlichen Befundes vom 2. September 1994 "Verminderte kraftfahrspezifische Leistungsfähigkeit Hinweise auf paranoide Störung" laute, und ausgeführt, daß der Beschwerdeführer derzeit auf Grund der verminderten kraftfahrspezifischen Leistungsfähigkeit und der Hinweise auf eine psychische Gesundheitsstörung zum Lenken eines Kraftfahrzeuges der Gruppe B nicht geeignet sei. Eine Kontrolluntersuchung nach entsprechender nervenfachärztlicher Betreuung sei möglich.
Im ergänzenden Gutachten vom 23. Jänner 1995 wird ausgeführt, die vom Beschwerdeführer vorgelegte fachärztliche Bestätigung des psychiatrischen Krankenhauses der Stadt Wien vom 4. Mai 1994 ändere nichts am erstatteten Gutachten, weil in dieser Bestätigung eine latente psychische Erkrankung nicht ausgeschlossen werde. Auf Grund der bei der Untersuchung vom 11. August 1994 festgestellten Auffälligkeiten (Verfolgungsideen, weitschweifiger Gedankenduktus) sei eine psychiatrische Untersuchung veranlaßt worden, die am 17. August 1994 einschließlich testpsychologischer Untersuchungen durchgeführt worden sei und neben einer verminderten kraftfahrspezifischen Leistungsfähigkeit Hinweise auf eine paranoide Störung ergeben habe.
Weder im Gutachten vom 19. September 1994 noch im ergänzenden Gutachten vom 23. Jänner 1995 wird dargetan, inwiefern die im fachärztlichen Befund vom 2. September 1994 und im ärztlichen Sachverständigengutachten genannten "Hinweise auf eine paranoide Störung" - die nach der Aktenlage durchwegs den Wohnbereich des Beschwerdeführers betroffen haben - eine Beeinträchtigung des Fahrverhaltens im oben beschriebenen Sinn erwarten lassen. Bloß mögliche oder nicht auszuschließende Beeinträchtigungen reichen nicht aus, um aus diesem Grund einen Mangel der geistigen Eignung annehmen zu können. Es muß vielmehr eine Prognose möglich sein, daß voraussichtlich eine derartige Beeinträchtigung eintreten werden. § 31 KDV setzt somit die Wahrscheinlichkeit des Eintrittes einer solchen Beeinträchtigung voraus (siehe dazu die hg. Erkenntnisse vom 21. November 1989, Zl. 88/11/0238, und vom 21. Jänner 1992, Zl. 91/11/0051).
Das ärztliche Sachverständigengutachten und der ihm zugrunde liegende fachärztliche Befund reichen auch nicht aus, um die Annahme zu rechtfertigen, dem Beschwerdeführer fehle die geistige und körperliche Eignung wegen des Mangels der nötigen kraftfahrspezifischen Leistungsfähigkeit (§ 30 Abs. 1 zweiter Satz KDV 1967). Im fachärztlichen Befund ist davon die Rede, daß der Beschwerdeführer bei der testpsychologischen Untersuchung "nur grenzwertig den Erwartungen" entsprochen habe. Eine Quantifizierung der Beeinträchtigung der Reaktionssicherheit und -fähigkeit und der Konzentrationsleistung ist aus dem fachärztlichen Befund nicht erkennbar. Insbesondere kann auf Grund der darin enthaltenen Ausführungen nicht beurteilt werden, ob und welche Leistungskomponenten so stark beeinträchtigt sind, daß die - zum Lenken von Kraftfahrzeugen der Gruppe B - nötige kraftfahrspezifische Leistungsfähigkeit nicht mehr gegeben ist. Im ärztlichen Sachverständigengutachten ist auch nicht vom Fehlen der nötigen kraftfahrspezifischen Leistungsfähigkeit die Rede, sondern nur von einer verminderten kraftfahrspezifischen Leistungsfähigkeit.
Diese Unvollständigkeiten des ärztlichen Sachverständigengutachtens belasten den angefochtenen Bescheid, der sich auf dieses Gutachten stützt, mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG, weshalb der angefochtene Bescheid aufzuheben war.
Der Zuspruch von Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Das Mehrbegehren an Stempelgebührenersatz war abzuweisen, weil unter diesem Titel nur S 390,-- (S 360,-- Eingabengebühr für die Beschwerde und S 30,-- Beilagengebühr für eine Ausfertigung des angefochtenen Bescheides) zugesprochen werden konnten.
Schlagworte
Gutachten Auswertung fremder BefundeAnforderung an ein GutachtenGutachten Überprüfung durch VwGHSachverhalt Sachverhaltsfeststellung Beweismittel SachverständigenbeweisEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1996:1995110149.X00Im RIS seit
12.06.2001Zuletzt aktualisiert am
16.11.2010