TE Lvwg Erkenntnis 2022/7/21 VGW-102/013/3218/2022

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Veröffentlicht am 21.07.2022
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Entscheidungsdatum

21.07.2022

Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)

Norm

B-VG Art. 130 Abs1 Z2

Text

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Verwaltungsgericht Wien hat durch seinen Richter Dr. Helm über die Beschwerde der Frau A. B., …, Wien, gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt durch Räumung der Baustelle neben der U-Bahn-Station C.-straße, wodurch das „Ökodorf Wüste“ zerstört und entfernt werden konnte, am 01.02.2022 in Wien, gegen die LPD Wien als belangte Behörde, nach öffentlicher mündlicher Verhandlung am 21.07.2022 zu Recht erkannt:

I. Die Beschwerde wird, soweit sie sich gegen den Abbau bzw. die Zerstörung von Bauten und die Entfernung darin befindlichen Eigentums richtet, als unzulässig zurückgewiesen, in Übrigen als unbegründet abgewiesen.

II. Die Beschwerdeführerin hat dem Rechtsträger der belangten Behörde (Bund) 737,60 € für zweifachen Schriftsatzaufwand, 57,40 € für Vorlageaufwand und 461,00 € für Verhandlungsaufwand, insgesamt sohin 1.255,00 € an Aufwandersatz, binnen 14 Tagen bei sonstigem Zwang zu leisten.

III. Die Revision ist unzulässig.

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE

1. Mit E-Mail vom 14.03.2022, sohin rechtzeitig, erhob die Einschreiterin Beschwerde gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG, worin sie zum Sachverhalt vorbringt:

„Am 1. Februar um ca. 08:17 Uhr betraten einige hundert Polizeibeamte die von uns besetzte Baustelle neben der U-Bahn Station C.-straße und traten ungefragt und unangekündigt in die Pyramide, sowie in einige private Schlafhütten ein, forderten uns auf, den „Versammlungsort“ zu verlassen und nahmen alle Menschen fest, die der Anordnung keine Folge geleistet haben. Infolgedessen wurde das gesamte „Ökodorf Wüste“ auf Anordnung der Stadt Wien zerstört. Mit Hilfe massiver Polizeipräsenz und Ausübung von Hoheitsgewalt wurde die rechtmäßige Verteidigung unseres Besitzes und Eigentums verhindert. Weder die Räumung noch die Zerstörung waren gerichtlich angeordnet.

Ich, A. B. lebte und wohnte seit Anfang November in der weißen Hütte, die mein Besitz und Eigentum war, da ich sie gebaut habe und das Material besorgt habe. Sie war wärmeisoliert und ausgestattet mit einem Bett, einem einfachen Heizaggregat, einer einfachen Waschgelegenheit und Gegenständen des täglichen Bedarfs. Die Polizei brach ohne Vorankündigung meine von innen verriegelte Hütte gewaltsam auf.

In einer separaten Hütte befand sich unsere Gemeinschaftsküche, ausgestattet mit zwei großen Gasherden, Vorratslager, Koch- und Essgeschirr.

Weiters besaßen wir eine Abwaschstation, eine beheizte Bauhütte mit Werkzeug, Baumaterial, elektrischen Geräten inkl. Ladegeräten, Beleuchtung Schlafgelegenheit, Holzofen, 9 m² Solarpanele zur autonomen Energieversorgung mit dazugehörigen Elektroinstallationen (Batterie, Wechselrichter, Batteriemanagementsystem), eine selbstgebaute Toilette, ein gemietetes öKlo, ein Gemüsebeet, Bäume und Pflanzen, eine Holzhütte mit ca. 2 m³ Brennholz, mehrere Zelte mit Materialien (Banner, Farben, Klettergurte, diverse Baumaterialien und Ersatzteile, Pinseln, Schlafsäcken, Decken, Handtüchern, warme Kleidung), drei weitere isolierte Schlafhütten, einen Turm (auf Stelzen gebaute Schlafgelegenheit mit Decken und Schlafsäcken), eine Feuerschale, drei Tripods und einen Wohnwagen, der ebenfalls als Material-Lager diente.

Zeitweilig wohnte ich auch in der Pyramide. Diese wurde von uns errichtet und ihr Material wurde teilweise gekauft, teilweise gespendet und teilweise von Abbruchhäusern beschafft und dadurch vor unnötiger Verschwendung bewahrt und stand daher in unserem Eigentum. Sie war ausgestattet mit Schlafgelegenheiten (Strohbetten, Matratzen, Iso-Matten, Schlafsäcken, Decken) für uns und unsere Gäste, Waschgelegenheiten, Beleuchtung, WLAN-Router, Stromversorgung, Notebooks, Steckdosen, Mobiltelefonen, Ladegeräten, Büchern, Regale, Gewand, Hygieneartikel und Gegenstände des täglichen Gebrauchs, Sesseln und Sitzbänke, einem Tisch, Essensvorräten, Wasserkanister, Geschirr, einem Holzofen für die Luftheizung und einem für die Wasserheizung, die fast fertiggestellt war, einem Blitzableiter, Thermofenster, zwei festen Türen, Wärmeisolierung, Zimmerpflanzen, Feuerlöscher, Rauchmelder und einer Fahne.

Seit November 2021 übte ich in der Pyramide mein Wohnbedürfnis aus, da ich nahezu jeden Tag dort meinen Alltag verbrachte, meine Gegenstände des täglichen Bedarfs (Zahnbürste, Hygieneartikel, Bücher, Kleidung, etc.) dort lagerte und zusätzlich auch tagsüber viel Zeit mit kochen, lernen, ausruhen, malen, bauen, gärtnern, Gäste empfangen usw. dort verbrachte.

Es handelte sich daher um meine von Art. 8 EMRK geschützte Wohnung. Diese, sowie auch die anderen Wohnstätten (Bauhütte und Schlafhütte von A. B., sowie auch die anderen Schlafhütten) wurden im Zuge der Zwangsräumung zerstört.

Es liegt ein unzulässiger Eingriff in unser Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens und unserer Wohnung iSd Art. 8 EMRK vor, da für so ein massives Einschreiten der Staatsgewalt ein Gerichtsbeschluss erforderlich gewesen wäre.

Als Versammlungsort dienten das große weiße Zelt, die Bühne für Theatervorführungen und Konzerte und die Feuerstellen sowie generell der freie Platz. Soweit die Auflösung der Versammlung gem. Versammlungsgesetz zulässig gewesen wäre- was wir entschieden bestreiten- hätte dies nur für die Versammlungsgegenstände gegolten (somit die Bühne und das weiße Versammlungszelt) nicht aber für die Wohnräume.“

In rechtlicher Hinsicht wird vorgebracht, die Räumung inklusive Zerstörung des „Ökodorfes Wüste“ sei rechtswidrig gewesen, da sie „uns“ ohne den erforderlichen Rechtsweg des Besitzes und Eigentumsrechts beraubt habe und sie in ihrem Recht auf Privat- und Familienleben, auf freie Wahl von Aufenthalt und Wohnsitz, auf Schutz des Hausrechts und Unverletzlichkeit des Eigentums verletzt habe. Außerdem stelle die Auflösung der Versammlung einen Eingriff in die Versammlungsfreiheit dar und sei nur zulässig, wenn sie im Interesse der äußeren und inneren Sicherheit, zur Aufrechterhaltung der Ordnung und der Verbrechenverhütung, zum Schutze der Gesundheit und der Moral und zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig sei. Diese Voraussetzungen seien nicht gegeben gewesen. Selbst wenn man anderer Meinung wäre, würde die sinnlose Bodenversiegelung und Zerstörung der Natur und des Lebensraums für Wildtiere eine Rechtfertigung darstellen. Es sei seit fünf Monaten keine Eigentumsfreiheitsklage und keine Räumungsklage gegen die Besetzer erhoben worden, obwohl die Besetzung zu Beginn nach Besitzrecht rasch hätte geräumt werden können. Da dies unterblieben sei, hätte die Stadt Wien ihren Besitz sehendes Auges aufgegeben.

Es wird daher beantragt, die angefochtene Maßnahme kostenpflichtig für rechtswidrig zu erklären.

2. Mit Schriftsatz vom 20.04.2022 legte die belangte Behörde auftragsgemäß den von ihrem Referat für Vereins-, Versammlungs- und Medienrechtsangelegenheiten elektronisch geführten Verwaltungsakt PAD/21/2260365/VW in Kopie und diesem innenliegend eine Ausfertigung des von ihrem LVT elektronisch geführten Aktes LVT-W 345/4415/2021 vor, sowie eine Abschrift des Berichts „Räumung, Baustellenbesetzung C.-straße – Maßnahmenbericht der ASE Wega – Kontingent Wega 130 von Obstlt. D.. Ergänzend wird darauf hingewiesen, dass das Bezug habende Videomaterial in Form eines USB-Sticks zu VGW-102/013/3277/2022 übermittelt worden sei.

2.1. Unter anderem erstattet die belangte Behörde zu ihrer GZ PAD/22/558624/1 eine Gegenschrift, in der sie zum Sachverhalt vorbringt:

„Am 06.09.2021 erfolgte die Besetzung einer Baustelle der geplanten Stadtautobahn bei der C.-straße in Wien. Ein breites Bündnis aus u.a … und weiteren Organisationen protestierte damit gegen die Zubringerstraße des Großprojekts E.-Autobahn. Durch diese Besetzung sollte die Fortsetzung der Bauarbeiten auf der Baustelle verhindert werden.

Die Besetzung wurde von der LPD Wien als Versammlung im Sinne des

Versammlungsgesetzes gewertet. Die Zusammenkunft der Teilnehmer diente dem zeitlich nicht befristeten Zweck, den Bau der Stadtstraße zu verhindern.

Bemerkt wird, dass diese Versammlung der Behörde niemals als Versammlung schriftlich angezeigt wurde, es handelte sich also um eine unangemeldete Versammlung. Am 06.12.2021 langte bei der LPD Wien ein Schreiben der Stadt Wien, vertreten durch … Rechtsanwälte GmbH, ein. Gemäß diesem sei amtsbekannt, dass durch Aktivisten am Standort C.-straße eine Versammlung stattfinde, um gegen den geplanten Bau der Stadtstraße F. zu protestieren und die Bauführung zu behindern. Die Stadt Wien sei Eigentümerin bzw. Verfügungsberechtigte der gegenständlichen Liegenschaften. Das Bauvorhaben „Stadtstraße F." sei rechtskräftig bewilligt. Der bestehende Dialog zwischen der Stadt Wien und den Aktivisten habe bislang zu keinen

Ergebnissen geführt. Die Aktivisten hätten inzwischen mit Lastkraftwagen Baumaterialien angeliefert und damit begonnen, feste Bauten auf den Liegenschaften zu errichten. Dies geschehe offensichtlich in der Absicht, sich hier für den Winter einzurichten, und verstoße die Errichtung der Bauten gegen die Wiener Bauordnung. Darüber hinaus sei die Stadt Wien vermehrt mit Beschwerden von Bürgern und Anrainern über das Verhalten der Aktivisten konfrontiert. Es handle sich dabei insbesondere um Beschwerden wegen Lärmbelästigung durch Rave-Partys, Verschmutzungen und Meldungen an die Kinder- und Jugendhilfe. Durch die Verzögerung der Bauarbeiten würden hohe Kosten für die Stadt Wien anfallen. Zudem seien Verstöße gegen geltendes Recht festgestellt worden, insbesondere die rechtswidrige Errichtung von Bauten entgegen der Wiener Bauordnung, und weitere Verwaltungsübertretungen gegen die Kampierverordnung, das Bäderhygienegesetz und das Wienei? Naturschutzgesetz. Die Versammlung und die Behinderung der Bauführung könne vor diesem Hintergrund nicht länger akzeptiert werden, zumal die Stadt Wien ausdrücklich erkläre, nunmehr ehestmöglich mit der Bauführung zu beginnen. Aus Sicht der Stadt Wien liege durch die fortgesetzte Abhaltung der Versammlung an dem Standtort eine klare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder des öffentlichen Wohls vor. Daher ersuche die Stadt Wien die

Landespolizeidirektion Wien als zuständige Versammlungsbehörde dringend, die

genannte Versammlung zu untersagen. Aus dem zitierten Schreiben ging insbesondere hervor, dass durch die in Rede stehende Besetzung die geplante Bauführung der Stadt Wien, welche Eigentümerin und Verfügungsberechtigte der Liegenschaften ist, unmöglich gemacht bzw. verhindert wurde.

Nach rechtlicher Prüfung des Sachverhaltes war nach Ansicht der SVA 3, Vereins,

Versammlungs- und Medienrechtsangelegenheiten, HR Mag. G. H., die Auflösung der Versammlung gerechtfertigt und erging am 09.12.2021 das im Akt ersichtliche Schreiben an das LVT.

Zum Zwecke der Versammlungsauflösung begab sich Rat Mag. I. J. in seiner Funktion als Behördenvertreter in Begleitung des stellvertretenden Leiters des LVT Wien, MinRat Mag. K. L., an genannte Örtlichkeit.

Zur Durchführung der bevorstehenden Versammlungsauflösung wurde ein im Freien angetroffener Aktivist ersucht, sämtliche anwesenden Versammlungsteilnehmer aus den vorhandenen Holzbauten und Zelten zu holen, um eine behördliche Mitteilung zu machen. Wenige Minuten danach befanden sich sämtliche anwesenden Aktivisten im Freien. Es handelte sich um sechs Personen. Um 11.05 Uhr wurde von Mag. I. als Behördenvertreter den anwesenden Versammlungsteilnehmern die Auflösung der Versammlung gemäß § 13 Abs. 2 VersG deutlich wahrnehmbar verkündet. Auf den Einsatz von technischen Hilfsmitteln, wie insb. Megafon, konnte aufgrund der überschaubaren Personenanzahl verzichtet werden. Die Versammlungsauflösung wurde im Beisein von MinRat Mag. K. durch folgenden Wortlaut verkündet:

,Im Namen der Landespolizeidirektion Wien habe ich Ihnen folgende Mitteilung zu machen:

Es wurde festgestellt, dass sich in dieser Versammlung gesetzwidrige Vorgänge ereignen weshalb die Versammlung hiermit gern. § 13 Abs 2 VersG aufgelöst wird. Alle Anwesenden sind verpflichtet, den Versammlungsort zu verlassen. Weiters haben Sie dafür zu sorgen, dass die vorhandenen Aufbauten und sonstigen Gegenstände entfernt werden. Die Nichtbefolgung dieser Anordnung stellt eine Verwaltungsübertretung dar. Im Falle der Nichtbefolgung dieser Anordnung kann die Auflösung auch mit Zwangsgewalt durchgesetzt werden.‘

Die Anwesenden nahmen die Verkündung zur Kenntnis, machten jedoch darauf

aufmerksam, dass ein Abbau der vorhandenen Bauten eine längere Zeit („mehrere Wochen") in Anspruch nehmen würde. Ihnen wurde mitgeteilt, dass sich die Behörde dessen bewusst sei, und auch nicht erwartet werde, dass der Ort innerhalb kürzester Zeit komplett geräumt ist, sie jedoch dazu verpflichtet seien, mit den Abbauarbeiten ehestmöglich zu beginnen. Die zwangsweise Durchsetzung der Auflösung unterblieb vorerst, da seitens der Stadt Wien als

Liegenschaftseigentümerin versucht wurde, die Aktivisten zum freiwilligen Verlassen des Geländes zu bewegen. Nachdem diese Bestrebungen zu keinem Erfolg geführt haben, wurde die zwangsweise Räumung schließlich am 01.02.2022 durchgeführt. Zu diesem Zwecke begab sich Rat Mag. I. J. in seiner Funktion als Behördenvertreter im Beisein von HR Mag. M. auf das besetzte Areal, nachdem dieses durch Kräfte der WEGA entsprechend gesichert worden war. In weiterer Folge wurde den vor Ort anwesenden Aktivisten um 08.21 Uhr unter Zuhilfenahme eines Megafons neuerlich die bereits am 09.12.2021 verkündete Auflösung der Versammlung zur Kenntnis gebracht und den Aktivisten eine Frist bis 08.30 Uhr gesetzt, um die

Versammlungsörtlichkeit freiwillig zu verlassen.

Der Wortlaut der Durchsage lautete sinngemäß:

,Hier spricht die Landespolizeidirektion Wien:

Da sich in dieser Versammlung gesetzwidrige Vorgänge ereignen wurde diese nach den Bestimmungen des VersG aufgelöst. Alle Anwesenden sind verpflichtet, den Versammlungsort zu verlassen und auseinanderzugehen.

Sie haben bis 08.30 Uhr Zeit, ihre persönlichen Gegenstände zusammenzupacken und den Versammlungsort zu verlassen.

Die Nichtbefolgung dieser Anordnung stellt eine Verwaltungsübertretung dar und wird zur Anzeige gebrächt. Weiters wird im Falle des Ungehorsams die Auflösung mit Zwangsgewalt durchgesetzt werden und sie haben unter Umständen mit einer Festnahme zu rechnen.‘

Nach Ablauf der Frist wurde mittels neuerlicher Durchsage verkündet, dass nun mit der zwangsweisen Durchsetzung der Auflösung begonnen werde, die vor Ort verbliebenen Aktivisten zur Anzeige gebracht und diese ersucht werden, an der Feststellung der Identitäten mitzuwirken. Um 08.36 Uhr wurde den eingesetzten uniformierten Kräften die Freigabe erteilt, mit der zwangsweisen Durchsetzung der Auflösung zu beginnen. Nachdem die Aktivisten vom Areal entfernt worden waren und das Areal durch Polizeikräfte gesichert worden war, wurde von den anwesenden Bediensteten der Stadt Wien mit dem Abtragen der errichteten Bauten begonnen.“

In rechtlicher Hinsicht wird zur Auflösung der Versammlung vorgebracht, diese sei von der Behörde bereits am 09.12.2021 für aufgelöst erklärt worden. Die in der C.-straße versammelten Personen hätten in der Absicht, die Durchführung von Bauarbeiten zu verhindern, an der Versammlung teilgenommen. Dies sei nicht nur für die Behörde auf der Hand gelegen, sondern es werde auch in der vorliegenden Beschwerde nicht der geringste Zweifel daran gelassen. Ohne die Auflösung der Versammlung wären daher zwei der in Art. 11 Abs. 2 EMRK aufgezählten Schutzgüter, nämlich die Aufrechterhaltung der Ordnung und der Schutz der Rechte anderer, gefährdet gewesen (zum Schutz des Eigentumsrechts wird auf OGH SZ 67/92 verwiesen). Die Auflösung der Versammlung am 01.02.2022 (gemeint offenbar: die nochmalige Verkündung der bereits erfolgten Auflösung), und die anschließend gemäß § 14 Abs. 1 Versammlungsgesetz erteilte Aufforderung an alle Anwesenden, den Versammlungsort zu verlassen, sei daher zu Recht ergangen, wozu auf VfSlg 14.367/1995 verwiesen wird. Was die Räumung der Liegenschaft und die Zerstörung des sogenannten Ökodorfes Wüste betrifft, so sei im Lichte der Rechtsprechung (insbesondere VwGH vom 20.11.2006, Zl. 2006/09/0188) aus dem Beschwerdevorbringen kein Anhaltspunkt dafür zu gewinnen, dass hier unmittelbar Befehls- oder Zwangsgewalt durch Organe der belangten Behörde ausgeübt worden wäre. Die Organe der Sicherheitsbehörde wären zur Entfernung der Gegenstände und Bauten gar nicht mehr in der Lage, geschweige denn zuständig gewesen, bei konsensloser Bauführung den gesetzmäßigen Zustand herzustellen.

Die Räumung der Liegenschaft durch das Abtragen der errichteten Bauten sei nicht durch Organe der LPD Wien, sondern seitens des Grundstückseigentümers der Stadt Wien erfolgt, was die Beschwerdeführerin auch nicht bezweifle (Zitat:

„In Folge dessen wurde das gesamte ,Ökodorf Wüste‘ auf Anordnung der Stadt Wien zerstört“). Die Polizeipräsenz nach Auflösung der Versammlung habe insbesondere der Wahrung der in Art. 11 Abs. 2 EMRK aufgezählten Schutzgüter gedient. Die Räumung (gemeint offenbar: von Gegenständen, nicht von Versammlungsteilnehmern) sei weder in Akt der Hoheitsverwaltung gewesen, noch sei dieser durch Organe der belangten Behörde erfolgt. Es handle sich diesbezüglich nicht um einen Akt unmittelbarer verwaltungsbehördlichen Befehls- und Zwangsgewalt. Daher wird die Zurück- bzw. Abweisung der jeweiligen Beschwerdepunkte sowie der Kostenersatz für jeden Verwaltungsakt beantragt.

2.2. In ihrer am 07.05.2022 erstatteten Stellungnahme schreibt die Beschwerdeführerin von „Ausflüchten der LPD Wien“, welche „vermutlich dieses Gericht zum Narren halten“ sollten. Es sei zutreffend, dass bereits am 09.12.2021 die Räumung des „Camp-Wüste“ polizeilich angeordnet gewesen sei. Der Auftrag an die Besetzer habe eindeutig gelautet, dass alle Bauwerke entfernt werden müssten. Die Räumung sei nie zum Zwecke der Auflösung einer Versammlung erfolgt, sondern zwecks Ermöglichung der Baumaßnahmen der Stadtstraße. Die Polizei habe mit angedrohten und tatsächlich erfolgten Festnahmen, massivem Pfeffersprayeinsatz und der Errichtung großräumiger Absperrungen durch Zäune sowie hunderte Polizeibeamte jedes Besitzrecht und Eigentumsrecht an den Gebäuden verunmöglicht. Der Abriss der Gebäude sei ohne Räumungstitel, Abrissbescheid oder „Eigentumsfreisetzungsklage“ vor den Augen der Polizei in stundenlanger Arbeit mit schweren Gerät erfolgt. Die Polizei sei somit Gehilfe eines illegalen Abrisses von Gebäuden mit hohem fünfstelligen Wert gewesen. Die LPD Wien könne daher nicht die Verantwortung auf andere abschieben.

3. Am 21.07.2022 fand die öffentliche mündliche Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht Wien statt, zu der die Beschwerdeführerin sowie die Zeugen Obstlt. D., RvI N., ladungsgemäß erschienen sind. Die belangte Behörde war durch Frau Mag. O. vertreten. Nach Abschluss des Beweisverfahrens wurde das Erkenntnis verkündet.

3.1. Aufgrund des Akteninhalts und der vorgelegten Unterlagen, Einvernahmen der genannten Zeugen und Parteienvernehmung hat das Verwaltungsgericht Wien folgenden Sachverhalt festgestellt und als erwiesen angenommen:

Das bereits seit geraumer Zeit im Jahr 2021 bestehende Protest-Camp war in der Absicht errichtet worden, den Bau der sogenannten „Stadtstraße“ zu verhindern, da diese von den Versammlungsteilnehmern nicht nur als Mittel zur Erschließung der neuen Siedlungsgebiete, sondern auch als Verbindungstraße zur geplanten Autobahnquerung der E. qualifiziert worden war. Über Ersuchen der Stadt Wien, welche den Eingriff in ihr Eigentum und die Verhinderung der geplanten Bauführung nicht länger hinnehmen wollte, wurde am 09.12.2021 die Auflösung der Versammlung verkündet. Da von den Teilnehmern bereits umfangreiche Bauwerke errichtet worden waren, wurde ihnen Zeit gewährt, diese abzubauen und zu beseitigen. Da diesbezüglich aber keine Absicht der Teilnehmer bestand, sondern diese das Camp auch noch ausgebaut hatten, schritt die belangte Behörde am 01.02.2022 zur Durchsetzung. Ihre Vertreter wiesen mit Megafon nochmals auf die bereits am 09.12.2021 erfolgte Auflösung der Versammlung hin und kündigten die Räumung an (unter „Räumung“ wird in diesem Zusammenhang – wie in der bisherigen Rechtsprechung – die zwangsweise Entfernung der Anwesenden von einem Versammlungsort nach Auflösung der Verhandlung verstanden, und nicht – wie die belangte Behörde dies in ihrer Gegenschrift gebraucht – die Entfernung von Gegenständen). Nach erfolgter, zwangsweiser Durchsetzung der Auflösung wurde das Gelände mit Zäunen gesichert, um die Versammlungsteilnehmer an der Rückkehr zu hindern. Anschließend blieben die Einsatzgruppen der belangten Behörde vor Ort, um die Entfernung der Bauwerke und sonstigen Gegenstände auf dem geräumten Gelände durch die Eigentümerin Gemeinde Wien bzw. von dieser beauftragten Firmen abzusichern. Dabei wurden auch Gegenstände im Eigentum der Beschwerdeführerin weggeräumt, allenfalls auch zerstört.

3.2. Folgende Beweisergebnisse waren maßgeblich:

Die Feststellungen sind im Wesentlichen unbestritten, nur werden die Vorgänge von der Beschwerdeführerin rechtlich anders beurteilt als von der belangten Behörde. Die Beschwerdeführerin bestritt zwar, dass es sich um eine Versammlung gehandelt habe, räumte aber ein, dass sie „natürlich politische Absichten“ gehabt habe, aber überwiegend habe sie dort ihre „Besitzrechte“ wahrgenommen, und ihr dort errichtetes Gebäude bewohnt.

Der als Zugskommandant eingesetzte Zeuge Obstlt. D. gab an, an den Gebäuden selber und deren Inhalt hätten sie nichts zu tun gehabt. Ihr Auftrag sei gewesen, das Gelände zu besetzen und nach den entsprechenden Durchsagen und einer Frist jene Manifestanten, die noch auf dem Gelände verweilten, von dort gegebenenfalls zwangsweise wegzubringen. Die Gebäude und deren Inhalt seien von einer anderweitig beauftragten Firma weggeräumt worden. Er habe keinen Grund gehabt anzunehmen, dass diese von der Firma vorgenommenen Zerstörungen als strafbare Sachbeschädigung zu werten gewesen wären. Es sei ihm lediglich mitgeteilt worden, dass es um eine Versammlung gehe, die dort widerrechtlich abgehalten werde, und dass sie nach der Auflösung allenfalls die Räumung von Manifestanten durchführen müssten.

Auch der Zeuge RVI N. gab an, von der Polizei habe seines Wissens niemand mit dem Abbau der Baracken oder der Entfernung der darin befindlichen Gegenstände zu tun gehabt. Es sei auch nicht seine Aufgabe gewesen zu überprüfen, ob dort zum Beispiel jemand wohne. Sie hätten gewusst, dass sich dort ein Manifestantenlager befunden habe und sei davon ausgegangen, dass die Stadt durch die selbstgebauten Baracken am Bau der Stadtstraße gehindert werden sollte. Die Personen, die sie dort noch vorgefunden hätten, hätten sie der Einsatzeinheit aus Oberösterreich zugeführt, welche deren Identität festgestellt und bei Weigerung eine Festnahme durchgeführt habe.

3.3. In rechtlicher Hinsicht handelt es sich bei der Besetzung der Baustelle Stadtstraße um eine Versammlung im Sinne des Versammlungsgesetzes, welche aber neben dem Manifestationscharakter vor allem dem Zweck verfolgte, durch unbegrenztes Verweilen auf der Baustelle und der Errichtung von Bauten den Bau der sogenannten Stadtstraße zu verhindern. Die Versammlung wurde daher am 09.12.2021 wegen Störung der öffentlichen Ordnung und der Verletzung der Rechte anderer (nämlich der Gemeinde Wien) aufgelöst, die Räumung jedoch zunächst aufgeschoben. Die Auflösung selbst ist nicht Gegenstand der Beschwerde, stellt aber eine Vorfrage da, um die Rechtmäßigkeit der am 01.02.2022 erfolgten Räumung (von anwesenden Personen) beurteilen zu können. Aufgrund des zweifelsfrei feststehenden und auch nicht bestrittenen Zwecks einer Verhinderung des Baus und der Absicht der Teilnehmer einschließlich der Beschwerdeführerin, dort unbegrenzt bis zur Abstandnahme vom Bauvorhaben zu verweilen und Bauten zu errichten, geht das VGW Wien in Bezug auf die Vorfrage von der Rechtmäßigkeit der Auflösung von wegen Verletzung der Rechte anderer aus. Darüber hinaus konnte auch vertretbar von einer Störung der öffentlichen Ordnung ausgegangen werden.

Die die Anwesenden und trotz Wiederholung der Auflösung noch verweilenden Personen betreffende Räumung des Versammlungsortes am 01.02.2022 war sohin rechtmäßig, weshalb die Beschwerde diesbezüglich abzuweisen war.

Was die Entfernung der Bauten und des darin noch verbleibenden Eigentums der Demonstrationsteilnehmer betrifft, so ist diese von oder wenigstens im Auftrag der Eigentümerin Gemeinde Wien erfolgt. Da die Bauten ohne Zustimmung der Eigentümerin errichtet und bewohnt worden waren, hatte sie auch das Recht, diese zu entfernen, und ist diese Entfernung als rein zivilrechtliche Selbsthilfe zu qualifizieren, welche somit rechtmäßig war und kein Einschreiten der Polizei dagegen erforderte (anders als die Beschwerdeführerin vermeint). Richtig ist zwar, dass die Gemeinde Wien auch die Möglichkeit gehabt hätte, als Behörde zu agieren und wegen illegaler Bauführung einen Abbruchbescheid zu erlassen, aber die von ihr gewählte Möglichkeit, die Polizei um Unterstützung gegen die Beeinträchtigung ihres Eigentums zu ersuchen und die illegal errichteten Gebäude danach in Eigenregie als zivilrechtliche Selbsthilfe zu entfernen, stellt eine ebenso legale und rechtmäßige Möglichkeit dar und lag zudem nahe, da der Bau von Straßen ohnehin auch eine Angelegenheit der Privatwirtschaftsverwaltung ist.

Da die Zerstörung der Gebäude und deren Räumung von Gegenständen sohin nicht der LPD Wien zuzurechnen ist, war die Beschwerde in diesem Punkt zurückzuweisen.

4. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 35 VwGVG und die VwG-Aufwandersatzverordnung BGBI II. Nr. 517/2013. Da Kosten für jeden Verwaltungsakt beantragt worden sind und es sich im Gegenstand um zwei Verwaltungsakte handelt, hinsichtlich derer die belangte Behörde obsiegende Partei ist, war zweifacher Schriftsatzaufwand zuzuerkennen.

5. Die ordentliche Revision gegen diese Entscheidung ist unzulässig, da keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung. Weiteres ist die dazu vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Ebenfalls liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Besetzung der Baustelle; Verhinderung des Baus; Versammlung; Auflösung; Störung der öffentlichen Ordnung; Räumung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGWI:2022:VGW.102.013.3218.2022

Zuletzt aktualisiert am

07.12.2022
Quelle: Landesverwaltungsgericht Wien LVwg Wien, http://www.verwaltungsgericht.wien.gv.at
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