TE Vfgh Erkenntnis 1993/12/10 G167/92, V75/92, V76/92, V77/92, V78/92

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 10.12.1993
beobachten
merken

Index

82 Gesundheitsrecht
82/02 Gesundheitsrecht allgemein

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art18 Abs2
B-VG Art139 Abs1 / Individualantrag
B-VG Art140 Abs1 / Individualantrag
StGG Art5
StGG Art6 Abs1 / Erwerbsausübung
EMRK Art10
5. Durchführungserlaß des Bundesministeriums für Umwelt. Jugend und Familie. Sektion II, vom 31.01.92, Z03 3671/2-II/4/92
ChemikalienG §1
ChemikalienG §2
ChemikalienG §3
ChemikalienG §6
ChemikalienG §7
ChemikalienG §10
ChemikalienG §17
ChemikalienG §21
ChemikalienV §4 Abs1
ChemikalienV §7
ChemG-Anmeldungs- und PrüfnachweiseV §6 Abs1
ChemikalienV-Novelle, BGBl 274/1992
VStG §9 Abs2
VfGG §57 Abs1
VfGG §62 Abs1

Leitsatz

Zulässigkeit der Individualanträge von Waschmittelherstellern auf Aufhebung von Bestimmungen des ChemikalienG betreffend den sachlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes und die dort normierte Werbebeschränkung für gefährliche Stoffe oder Zubereitungen sowie von Bestimmungen der ChemikalienV hinsichtlich der Verpflichtung zur Selbsteinstufung von Zubereitungen; Zulässigkeit auch der diesbezüglichen Individualanträge der verwaltungsstrafrechtlich verantwortlichen Vertreter dieser Gesellschaften; Unzulässigkeit des Individualantrags auf Aufhebung gesetzlicher Verordnungsermächtigungen sowie eines als Verwaltungsverordnung zu qualifizierenden Durchführungserlasses; keine Gleichheitswidrigkeit der Einbeziehung von Waschmitteln in den Geltungsbereich des ChemikalienG angesichts der mit diesem Gesetz - anders als mit dem Lebensmittel- oder dem WaschmittelG - verfolgten Schutzzwecke; keine Verletzung der Erwerbsausübungsfreiheit, des Eigentumsrechts und der Meinungsäußerungsfreiheit durch die dem Schutz der Gesundheit dienende Werbebeschränkung; kein Verstoß der Verordnungsermächtigung des ChemikalienG zur näheren Bestimmung der Vorgangsweise bei der im Wege der Selbstkontrolle vorzunehmenden Einstufung eines Stoffes oder einer Zubereitung in eine bestimmte Gefahrenkategorie gegen das Determinierungsgebot; Subsidiarität der Berücksichtigung der Ergebnisse von Tierversuchen oder Versuchen am Menschen; keine Gesetzwidrigkeit der Bestimmungen der ChemikalienV über die Einstufung von gefährlichen Zubereitungen; kein Verfahrensmangel bei Erlassung der ChemikalienG-Novelle 1992 infolge vorheriger Anhörung der Chemikalienkommission

Spruch

I. 1. Die Anträge des Erst- und des Viertantragstellers zu G167/92, die §§3 und 21 Abs2 Chemikaliengesetz, BGBl. Nr. 326/1987 idF BGBl. Nr. 300/1989 und BGBl. Nr. 325/1990, als verfassungswidrig aufzuheben, werden abgewiesen.

2. Die zu V75/92 gestellten Anträge, die Abs2 erster und zweiter Satz, Abs2a und Abs7 zweiter Satz des §7 der Chemikalienverordnung, BGBl. Nr. 208/1989 idF der Verordnung BGBl. Nr. 274/1992, ferner die zu V76/92 und zu V77/92 sowie die zu V78/92 vom Erst- und Viertantragsteller gestellten Anträge, die §§4 Abs1, 7 Abs2a, 7 Abs5 und 7 Abs7 der Chemikalienverordnung, BGBl. Nr. 208/1989 idF der Verordnung BGBl. Nr. 274/1992, die zu V76/92 und zu V78/92 vom Erst- und Viertantragsteller gestellten Anträge, §7 Abs2 der Chemikalienverordnung, BGBl. Nr. 208/1989 idF der Verordnung BGBl. Nr. 274/1992, zur Gänze, der zu V77/92 gestellte Antrag, die Wortfolge "- ausgenommen die Ergebnisse gemäß Abs2a nicht erforderlicher Tierversuche -" in §7 Abs2 der Chemikalienverordnung, BGBl. Nr. 208/1989 idF der Verordnung BGBl. Nr. 274/1992, die zu V76/92 und V77/92 gestellten Anträge, §7 Abs8 der Chemikalienverordnung, BGBl. Nr. 208/1989 idF der Verordnung BGBl. Nr. 274/1992, sowie die zu V78/92 vom Erst- und Viertantragsteller gestellten Anträge, §6 Abs1 der ChemG-Anmeldungs- und Prüfnachweiseverordnung, BGBl. Nr. 40/1989, als gesetzwidrig aufzuheben, werden abgewiesen.

II. Im übrigen werden die Anträge zurückgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1.1. In dem zu V75/92 protokollierten Verfahren beantragen die antragstellende Gesellschaft und deren Geschäftsführer, §7 Abs2 erster und zweiter Satz, 7 Abs2a und 7 Abs7 zweiter Satz der Chemikalienverordnung, BGBl. 208/1989 idF BGBl. 274/1992, (im folgenden: ChemV), als gesetzwidrig aufzuheben.

1.2. In dem zu V76/92 protokollierten Verfahren beantragen die antragstellende Gesellschaft und deren Geschäftsführer, die ChemV zur Gänze, in eventu deren §§4 Abs1, 7 Abs2, 7 Abs2a, 7 Abs5, 7 Abs7 und 7 Abs8, in eventu deren §7 Abs2 zweiter Satz, 7 Abs2a, 7 Abs5 und 7 Abs7 zweiter Satz, als gesetzwidrig aufzuheben.

1.3. In dem zu V77/92 protokollierten Verfahren beantragen die antragstellende Gesellschaft und der handelsrechtliche Geschäftsführer dieser Gesellschaft, "folgende Bestimmungen der Chemikalienverordnung BGBl 208/1989 als gesetzwidrig aufzuheben":

§§4 Abs1, 7 Abs1, 7 Abs2a, 7 Abs5, 7 Abs7 (in eventu den zweiten Satz dieses Absatzes) und §7 Abs8 sowie die Wortfolge "- ausgenommen die Ergebnisse gemäß Abs2 a nicht erforderlicher Tierversuche -" in §7 Abs2.

1.4. In dem zu G167/92 und V78/92 protokollierten Verfahren beantragen die antragstellende Gesellschaft, einer ihrer Geschäftsführer, ihr gewerberechtlicher Geschäftsführer sowie ein "Angestellter" der Gesellschaft, die §§2 Abs5, 3 (in eventu nur dessen Abs2), 6 Abs5, 7 Abs4, 10 Abs8, 17 Abs1, 17 Abs2 sowie 21 Chemikaliengesetz, BGBl. 326/1987, idF BGBl. 300/1989 und BGBl. 325/1990, als verfassungswidrig aufzuheben sowie die ChemV zur Gänze, in eventu deren §§4 Abs1, 7 Abs2, 7 Abs2a, 7 Abs5 und 7 Abs7 sowie deren Anhänge A und B, die Bestimmungen des ArtI Z2, 3 und 5 der ChemV-Novelle 1992, BGBl. 274/1992, die ChemG-Anmeldungs- und Prüfnachweiseverordnung, BGBl. 40/1989, (im folgenden: AnmV), zur Gänze, in eventu deren §6 Abs1, und "den 5. Durchführungserlaß des Bundesministeriums für Umwelt, Jugend und Familie, Sektion II", vom 31. Jänner 1992, Z 03 3671/2-II/4/92, (im folgenden: 5. Durchführungserlaß), als gesetzwidrig aufzuheben sowie "auszusprechen, daß die Bestimmungen des §7 Abs2 und Abs7 der Chemikalienverordnung, BGBl. 208/1989, in der Fassung, wie sie bis zum 30.6.1992 in Geltung standen, gesetzwidrig waren".

1.5. Die maßgeblichen Bestimmungen des Chemikaliengesetzes, BGBl. 326/1987 in der zum Zeitpunkt der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes maßgeblichen Fassung BGBl. 759/1992, (im folgenden: ChemG), lauten:

"§2

...

(5) Als 'gefährliche Stoffe' oder 'gefährliche Zubereitungen' im Sinne dieses Bundesgesetzes gelten Stoffe oder Zubereitungen, die mindestens eine der in den Z1 bis 15 bezeichneten gefährlichen Eigenschaften aufweisen. Sie gelten als

...

10. 'reizend',

wenn sie - ohne ätzend zu sein - durch unmittelbaren, längeren oder wiederholten Kontakt mit der Haut oder den Schleimhäuten Entzündungen hervorrufen können;

...

Der Bundesminister für Umwelt, Jugend und Familie hat nach Anhörung der Chemikalienkommission durch Verordnung die in den Z1 bis 15 bezeichneten Eigenschaften nach Maßgabe des Standes der wissenschaftlichen Erkenntnisse über diese Eigenschaften näher zu bestimmen, sofern dies zum Schutz des Lebens oder der Gesundheit von Menschen oder der Umwelt erforderlich ist. In dieser Verordnung kann auch festgelegt werden, daß Stoffe oder Zubereitungen mit schädlichen Wirkungen, die durch Prüfnachweise gemäß den §§7 oder 10 erfaßt werden, wie Überempfindlichkeitsreaktionen auslösende oder fruchtbarkeitsverändernde Eigenschaften, auch als gefährlich im Sinne der in den Z6 bis 15 bezeichneten Eigenschaften gelten. Bei der Zuordnung der schädlichen Wirkungen zu einer oder mehreren dieser gefährlichen Eigenschaften ist insbesondere auf vergleichbare Regelungen anderer Staaten, internationaler Organisationen oder Staatengemeinschaften Bedacht zu nehmen.

§3

(1) Soweit dieses Bundesgesetz brandverhütende Maßnahmen und Maßnahmen zum Schutz der Umwelt, die Prüfung der Brandgefährlichkeit oder Umweltgefährlichkeit oder die Bedachtnahme auf den Umweltschutz vorsieht, ist es nur auf Stoffe, Zubereitungen und Fertigwaren anzuwenden, die gewerblich hergestellt oder in Verkehr gesetzt werden.

(2) Dieses Bundesgesetz gilt nicht für

1. Stoffe, Zubereitungen und Fertigwaren, die unter zollamtlicher Überwachung ohne Unterbrechung durch das Bundesgebiet geführt werden;

2. die Beförderung gefährlicher Güter im Eisenbahn-, Luft-, Schiffs- und Straßenverkehr, einschließlich der innerbetrieblichen Beförderung, soweit diese durch die für den jeweiligen Verkehrsträger spezifischen Vorschriften geregelt ist;

3. das Aufsuchen, Gewinnen und Aufbereiten mineralischer Rohstoffe sowie für die Verwendung und Beseitigung gefährlicher Stoffe, gefährlicher Zubereitungen oder gefährlicher Fertigwaren, soweit diese Tätigkeiten durch bergrechtliche Vorschriften geregelt sind;

4. Abfälle und Altöle im Sinne des Abfallwirtschaftsgesetzes, BGBl. Nr. 325/1990;

5. Arzneimittel im Sinne des Arzneimittelgesetzes, BGBl. Nr. 185/1983;

6. Düngemittel, Bodenhilfsstoffe, Kultursubstrate und Planzenhilfsmittel gemäß §§1 und 2 des Düngemittelgesetzes, BGBl. Nr. 488/1985;

7. Lebensmittel, Verzehrprodukte, kosmetische Mittel und Zusatzstoffe im Sinne des Lebensmittelgesetzes 1975, BGBl. Nr. 86;

8. Suchtgifte im Sinne des §1 des Suchtgiftgesetzes 1951, BGBl. Nr. 234;

9. Tabakerzeugnisse;

10. Wein und Obstwein sowie Weinbehandlungsmittel im Sinne des Weingesetzes 1985, BGBl. Nr. 444.

...

(6) Der III. Abschnitt gilt nicht für Vergaserkraftstoffe, Dieselkraftstoffe, Heizöle und Flüssiggase, sofern letztere zum Betrieb von Kraftfahrzeugen eingesetzt werden.

...

§6

...

(5) Der Bundesminister für Umwelt, Jugend und Familie kann unter Bedachtnahme auf die Grundsätze der Zweckmäßigkeit, Raschheit und Einfachheit des Anmeldeverfahrens durch Verordnung nähere Bestimmungen über Inhalt, Umfang und Form der Anmeldungsunterlagen erlassen.

§7

...

(4) Der Bundesminister für Umwelt, Jugend und Familie hat durch Verordnung unter Bedachtnahme auf den Schutz des Lebens und der Gesundheit von Menschen und der Umwelt sowie nach dem jeweiligen Stand von Wissenschaft und Technik Art und Umfang der Grundprüfung näher zu bestimmen.

...

§10

...

(8) Der Bundesminister für Umwelt, Jugend und Familie hat durch Verordnung Art und Umfang der gemäß Abs1 und 2 durchzuführenden Prüfungen sowie Inhalt und Form der Prüfnachweise näher zu bestimmen.

...

§17

(1) Der Hersteller oder Importeur hat einen Stoff oder eine Zubereitung nach den Eigenschaften gemäß §2 Abs5 einzustufen, wenn der Stoff oder die Zubereitung gemäß den Ergebnissen der auf Grund dieses Bundesgesetzes und seiner Verordnungen vorgeschriebenen Prüfungen, nach den wissenschaftlichen Erkenntnissen oder praktischen Erfahrungen oder auf Grund sonstiger Tatsachen und Umstände im Sinne des §16 Abs2 und 3 gefährlich ist.

(2) Der Bundesminister für Umwelt, Jugend und Familie hat, soweit dies zum Schutz des Lebens und der Gesundheit von Menschen und zum Schutz der Umwelt erforderlich ist, nach Anhörung der Chemikalienkommission durch Verordnung nähere Vorschriften über die Einstufung im Sinne des Abs1 zu erlassen. In dieser Verordnung können zusätzlich bestimmte Stoffe und Zubereitungen, deren Inverkehrsetzen eine Gefahr für das Leben oder die Gesundheit von Menschen oder die Umwelt bedeutet, nach den Eigenschaften gemäß §2 Abs5 eingestuft und erforderlichenfalls Richtlinien vorgeschrieben werden, wie bestimmte Zubereitungen unter Berücksichtigung der Einstufung der in ihnen enthaltenen gefährlichen Stoffe einzustufen sind.

...

§21

(1) Werbung für gefährliche Stoffe, gefährliche Zubereitungen oder gefährliche Fertigwaren darf nicht in einer Art betrieben werden, die zu falschen Vorstellungen über deren Gefährlichkeit führen oder zu deren unsachgemäßen Verwendung verleiten kann.

(2) Texte und bildliche Darstellungen für Zwecke der Werbung haben deutlich lesbare, hörbare oder sichtbare Hinweise zu enthalten, daß Gefahrenhinweise und Sicherheitsratschläge zu beachten sind, die die Kennzeichnung enthält. Diese Hinweise haben in allgemein verständlicher Form, in audiovisuellen Medien überdies deutlich lesbar zu erfolgen.

(3) Abs2 gilt nicht für Werbung, die ausschließlich für Gewerbetreibende bestimmt ist.

...

§55

Wer

...

13. als Hersteller oder Importeur die Einstufung gefährlicher Stoffe oder gefährlicher Zubereitungen unterläßt oder entgegen §17 Abs1 oder einer gemäß §17 Abs2 erlassenen Verordnung vornimmt,

...

15. gefährliche Stoffe oder gefährliche Zubereitungen in Verkehr setzt, deren Kennzeichnung den Anforderungen gemäß §18 Abs1 bis 5 oder einer gemäß §18 Abs6 erlassenen Verordnung nicht entspricht,

...

18. Werbung betreibt, die nicht dem §21 entspricht,

...

macht sich, wenn die Tat nicht mit gerichtlicher Strafe bedroht ist, einer Verwaltungsübertretung schuldig und ist mit Geldstrafe bis zu 200 000 S, im Wiederholungsfall bis zu 400 000 S zu bestrafen. Der Versuch ist strafbar."

Die maßgeblichen Bestimmungen der ChemV lauten:

"§4

(1) Die Einstufung gefährlicher Zubereitungen nach den gefährlichen Eigenschaften des §2 Abs5 ChemG hat unter Berücksichtigung der Grundsätze des §7 Abs2 zu erfolgen:

1. nach den in der Stoffliste (Anhang A) oder der Giftliste angegebenen Konzentrationsgrenzen für die Einstufung gefährlicher Zubereitungen, oder

2. für Zubereitungen, die nicht nach Z1 eingestuft werden können, nach der Allgemeinen Einstufungsrichtlinie (Anhang B).

...

§7

...

(2) Soweit sich eine Einstufung nicht bereits aus den Angaben in der Stoffliste (Anhang A) oder der Giftliste ergibt, sind als Grundlagen heranzuziehen:

1.

physikalisch-chemische Daten,

2.

Ergebnisse geeigneter toxikologischer oder

ökotoxikologischer Untersuchungen an biologischen Prüfsystemen,

              3.              das in der Allgemeinen Einstufungsrichtlinie (Anhang B), Punkt 3, angeführte Berechnungsverfahren unter Verwendung von Konzentrationsgrenzen.

Dabei sind Zubereitungen vorrangig nach den Ergebnissen der durchgeführten Prüfungen dieser Zubereitungen - ausgenommen die Ergebnisse gemäß Abs2 a nicht erforderlicher Tierversuche - einzustufen; wenn Prüfungen nicht verfügbar sind, sind Zubereitungen nach dem unter Z3 genannten Berechnungsverfahren einzustufen. Für Zubereitungen, die Stoffe mit krebserzeugenden, erbgutverändernden oder fruchtschädigenden Eigenschaften enthalten, ist jedoch grundsätzlich das unter Z3 genannte Berechnungsverfahren anzuwenden; liegen Untersuchungsergebnisse gemäß Z2 vor, die auf eine höhere Gefährlichkeit hinweisen, sind diese der Einstufung zugrundezulegen.

(2a) Zur Einstufung einer Zubereitung ist deren Prüfung im Tierversuch (§3 Tierversuchsgesetz 1988, BGBl. Nr. 501/1989) nicht erforderlich, sofern nicht der begründete Verdacht einer größeren Gefährlichkeit der Zubereitung besteht, als sich aus der Anwendung des Berechnungsverfahrens gemäß Anhang B, Punkt 3, ergibt. Soweit Tierversuche auf Grund anderer Rechtsvorschriften erforderlich sind, bleiben diese unberührt.

...

(5) Die Einstufung gemäß Abs2 Z1 und 2 ist auf Grund der Ergebnisse von Prüfungen durchzuführen, die den Anforderungen der Anmeldungs- und Prüfnachweiseverordnung, BGBl. Nr. 40/1989, in der jeweils geltenden Fassung entsprechen. Zur Einstufung gefährlicher Stoffe, die nicht der Anmeldepflicht des §4 ChemG unterliegen, können unter anderem die Ergebnisse vorliegender Prüfungen, zB für die Genehmigung von Pflanzenschutzmitteln oder Informationen, die für die Beförderung gefährlicher Güter erforderlich sind, sowie Informationen aus der wissenschaftlichen Literatur oder auf Grund praktischer Erfahrungen herangezogen werden. Die Kriterien der Allgemeinen Einstufungsrichtlinie (Anhang B) sind unmittelbar anwendbar, wenn die Daten an Hand von Prüfungen gewonnen wurden, die den Anforderungen der Anmeldungs- und Prüfnachweiseverordnung entsprechen. Wurden die Daten nicht auf Grund der dort angeführten Prüfungen und Prüfmethoden ermittelt, sind sie durch einen Vergleich der angewandten Prüfmethoden mit jenen der Anmeldungs- und Prüfnachweiseverordnung und den Kriterien der Allgemeinen Einstufungsrichtlinie (Anhang B) zu bewerten, um eine geeignete Einstufung vornehmen zu können.

...

(7) Wird die Einstufung auf Grund der Ergebnisse aus toxikologischen Untersuchungen an biologischen Prüfsystemen vorgenommen, so sind in erster Linie die Ergebnisse solcher Versuche oder epidemiologischer Untersuchungen zu verwenden, die die Gefährung des Menschen in möglichst umfassender Weise widerspiegeln. Am Menschen dürfen Versuche nicht vorgenommen werden; allenfalls vorliegende Ergebnisse derartiger Versuche dürfen nicht herangezogen werden, um den Nachweis der Ungefährlichkeit oder einer geringeren Gefährlichkeit zu führen, als sich aus den nach dieser Verordnung vorgesehenen Einstufungsverfahren ergibt.

(8) Liegen für die Einstufung von gefährlichen Stoffen und gefährlichen Zubereitungen im Sinne des §2 Abs5 ChemG ausreichende Erfahrungen aus der Praxis vor, daß die schädlichen Wirkungen der Stoffe und Zubereitungen auf den Menschen größer sind als jene, die sich aus den Ergebnissen toxikologischer Untersuchungen an biologischen Prüfsystemen oder aus den Prüfungen der physikalisch-chemischen Eigenschaften ergeben, so sind diese Stoffe und Zubereitungen jedenfalls entsprechend ihrer Gefährlichkeit für den Menschen einzustufen.

..."

§6 Abs1 und 2 AnmV lauten:

"Prüfmethoden

(1) Die für die Vorlage der Prüfnachweise nach §§4 und 5 notwendigen Prüfungen sind nach international anerkannten Prüfrichtlinien unter Einhaltung der in der Chemikalien-Prüfstellenverordnung, BGBl. Nr. 41/1989, wiedergegebenen OECD-Grundsätze der Guten Laborpraxis durchzuführen. Vorrangig sind die OECD-Guidelines for Testing of Chemicals heranzuziehen. Die Wahl einer von den OECD-Prüfrichtlinien abweichenden Methode ist zu begründen. Der Anmeldepflichtige hat vollständige Angaben über die verwendeten Methoden zu machen.

(2) Bei gleichwertigen Methoden ist jeweils diejenige anzuwenden, die einen Verzicht auf Tierversuche zuläßt, oder, falls dies nicht möglich ist, die die geringste Anzahl von Versuchstieren erfordert oder bei der die geringste Belastung für das Versuchstier auftritt."

2. Zur Antragslegitimation bringen die Antragsteller folgendes vor:

2.1. Die antragstellende Gesellschaft im Verfahren zu V75/92 bringt nach eigener Darstellung Waschmittel in Verkehr, welche auf Grund der nach der ChemV vorgeschriebenen "Rechenmethode" als "reizend" einzustufen und entsprechend zu kennzeichnen wären. Diese Kennzeichnungspflicht greife "unmittelbar und aktuell" in ihre Rechtssphäre ein, ohne daß es hiefür einer behördlichen Entscheidung bedürfe. Der Zweitantragsteller habe als Geschäftsführer "mit der Verhängung empfindlicher Verwaltungsstrafen" zu rechnen, sofern die Gesellschaft dieser Verpflichtung nicht nachkomme. Ein anderer zumutbarer Weg zur Bekämpfung der angefochtenen Bestimmungen stehe nicht zur Verfügung.

2.2. Im Verfahren V76/92 bringen die Antragsteller vor, daß die "Einstufung gefährlicher Zubereitungen ... in Eigenverantwortung vorzunehmen" sei. Mit der Einstufung seien Kennzeichnungspflichten und Werbebeschränkungen gemäß §§18 und 21 ChemG verbunden, die ihrerseits wiederum mit Strafsanktionen verknüpft seien. Ein anderer zumutbarer Weg zur Bekämpfung der angefochtenen Bestimmungen stehe nicht zur Verfügung.

2.3. Im Verfahren V77/92 bringen die Antragsteller vor, daß die antragstellende Gesellschaft sowohl Hersteller als auch Importeur von Waschmitteln, somit direkter Normadressat der Bestimmungen der ChemV sei. Der Zweitantragsteller und der Drittantragsteller seien als handelsrechtliche Geschäftsführer der Erstantragstellerin gemäß §9 Abs1 VStG als zur Vertretung nach außen Berufene für die Einhaltung der Verwaltungsvorschriften durch die erstantragstellende Gesellschaft grundsätzlich verantwortlich. Die Antragsteller seien somit durch die angefochtenen Bestimmungen in ihrer Rechtssphäre direkt betroffen, ein anderer zumutbarer Weg zur Bekämpfung der angefochtenen Bestimmungen stehe nicht zur Verfügung.

2.4. In den Verfahren zu G167/92 und zu V78/92 begründet die antragstellende Gesellschaft ihre Antragslegitimation mit der durch das ChemG und die ChemV auferlegten Rechtspflicht, die von ihr vertriebenen Waschmittel als reizend im Sinne des ChemG einzustufen und entsprechend zu kennzeichnen sowie mit der aus dieser Kennzeichnungspflicht resultierenden Konsequenz der Werbebeschränkungen gemäß §21 ChemG. Der Zweitantragsteller als Geschäftsführer, der Drittantragsteller als gewerberechtlicher Geschäftsführer und der Viertantragsteller als Angestellter der antragstellenden Gesellschaft müßten im Falle eines Zuwiderhandelns gegen Bestimmungen des ChemG und der ChemV mit der Verhängung von Geld- und Ersatzfreiheitsstrafen rechnen. Ein anderer zumutbarer Weg zur Bekämpfung der angefochtenen Bestimmungen stehe nicht zur Verfügung.

3. Die Antragsteller begründen ihre Anträge im einzelnen wie folgt:

3.1. Die Antragsteller zu V75/92 erachten die angefochtenen Bestimmungen der ChemV als gesetzwidrig, da sie "nach ihrem Wortlaut für die Einstufung das Heranziehen sowohl vorliegender Ergebnisse aus Tierversuchen als auch von Ergebnissen der sogenannten 'human experiences' (ausschließen)" und daher mit §17 Abs1 und 2 ChemG nicht zu vereinbaren seien: Demnach sei die Einstufung von dem ChemG unterliegenden Produkten nach einer festgelegten Reihenfolge vorzunehmen. Gemäß §17 Abs2 ChemG dürfe der Verordnungsgeber nähere Vorschriften über die Einstufung im Sinne des §17 Abs1 ChemG nur erlassen, soweit dies zum Schutz des Lebens und der Gesundheit von Menschen und zum Schutz der Umwelt erforderlich sei und "erforderlichenfalls" Richtlinien darüber vorschreiben, "wie bestimmte Zubereitungen unter Berücksichtigung der Einstufung der in ihnen enthaltenen gefährlichen Stoffe einzustufen" seien.

Für die Einstufung gefährlicher Stoffe und Zubereitungen sollten demnach primär die Ergebnisse allenfalls vorgeschriebener Prüfungen, sekundär wissenschaftliche Erkenntnisse oder praktische Erfahrungen und erst subsidiär und "erforderlichenfalls" das "globale, theoretische und vom Gesetzgeber quasi als Notnetz gedachte, erst vom Verordnungsgeber eingeführte" Rechenverfahren nach der Allgemeinen Einstufungsrichtlinie in Anhang B zur ChemV maßgebend sein.

Die angefochtene Regelung stellt nach Ansicht der Antragsteller "die Gesetzessituation geradezu auf den Kopf, schließt wissenschaftliche Erkenntnisse und vor allem praktische Erfahrungen ... von vornherein völlig aus und macht damit die Ausnahme zur Regel, wobei die gesetzliche Regel überhaupt für unanwendbar erklärt wird. Die Worte 'erforderlichenfalls' und 'bestimmte Zubereitungen', wie sie der Gesetzgeber verwendet, werden vom Verordnungsgeber glatt negiert; der Verordnungsgeber läßt für sämtliche Zubereitungen nur noch das 'Rechenverfahren' zu." Diese Verordnungsregelung stehe daher in einem unauflösbaren Widerspruch zu §17 Abs1 und Abs2 ChemG.

3.2. Die Antragsteller zu V76/92 erachten die ChemV aus folgenden Gründen als gesetzwidrig:

3.2.1. Gemäß §17 Abs1 ChemG sei die erforderliche Einstufung vorrangig nach den Ergebnissen der vorgeschriebenen Prüfungen sowie nach wissenschaftlichen Erkenntnissen und praktischen Erfahrungen und nur subsidiär durch rechnerische Einstufung etwa in der Form des Berechnungsverfahrens vorzunehmen. Die Bestimmungen der ChemV, mit denen dem Berechnungsverfahren gegenüber empirischen Erfahrungen der Vorzug gegeben werde, seien daher von der Verordnungsermächtigung des §17 Abs2 ChemG nicht gedeckt, die ChemV widerspreche somit Art18 B-VG.

3.2.2. Für die Frage der Einstufung von Stoffen oder Zubereitungen sei neben der Rahmenbestimmung des §17 ChemG auch die allgemeine Zielsetzung des ChemG zu beachten: Gemäß §1 ChemG sei Ziel dieses Gesetzes der Schutz des Lebens und der Gesundheit des Menschen und der Umwelt vor unmittelbar oder mittelbar schädlichen Einwirkungen durch Herstellen und Inverkehrsetzen, Erwerb, Verwenden oder Beseitigung von Stoffen, Zubereitungen oder Fertigwaren. Nach diesen Zielsetzungen sei den zur Einstufung vorgeschriebenen Prüfungen, wissenschaftlichen Erkenntnissen oder praktischen Erfahrungen der Vorzug gegenüber Ergebnissen nach abstrakten Rechenmethoden zu geben. Die Einstufung von Stoffen und Zubereitungen als "reizend" gemäß §2 Abs5 Z10 ChemG, "wenn sie - ohne ätzend zu sein - durch unmittelbaren, längeren oder wiederholten Kontakt mit der Haut oder den Schleimhäuten Entzündungen hervorrufen können", beziehe sich nicht auf die Stoffeigenschaft an sich, sondern auf die Folge des Einwirkens des Stoffes auf Mensch oder Umwelt. Auch daraus ergebe sich die Folgerung, daß zur Einstufung "einschlägigen empirischen Ergebnissen der Vorrang gegenüber rechnerischen Methoden einzuräumen" sei.

3.2.3. Die ChemV widerspreche im Hinblick auf ihre Unbestimmtheit, die fehlende Klarheit ihrer Textierung, den inkonsequenten Regelungszusammenhang und "die erkennbare Absicht, durch eine Maßnahmen- und Individualverordnung gesetzwidrige politische Ziele zu verfolgen", Inhalt und Zweck des ChemG.

3.2.4. Weder für die Einstufungsgrundlagen gemäß §4 Abs1 Z1 ChemV (Stoffliste, Anhang A zur ChemV) noch für eine Einstufung nach der Allgemeinen Einstufungsrichtlinie gemäß §4 Abs1 Z2 ChemV (Einstufung nach den gefährlichen Eigenschaften; Berechnungsverfahren; Anhang B zur ChemV) bestehe eine gesetzliche Deckung.

3.2.5. Die Einstufungsgrundlagen des §7 Abs2 ChemV ließen eine Wertung (Rangordnung) vermissen und seien nicht ausreichend konkretisiert; die Bestimmung des §7 Abs2 zweiter Satz ChemV, wonach Zubereitungen vorrangig nach den Ergebnissen der durchgeführten Prüfungen einzustufen seien, lasse die notwendige Klarheit vermissen.

3.2.6. Die in §7 Abs2 zweiter Satz ChemV genannten "Prüfungen" seien hinsichtlich ihrer Qualifikation nicht determiniert, auch fehle jeder konkrete Bezug auf die in §7 Abs1 ChemV dargestellten Einstufungsgrundlagen. In diesem Zusammenhang sei auch die Bestimmung des Begriffs "Prüfung" unklar und inkonsequent. Es werde keine Aussage darüber getroffen, ob und welche Bedeutung im Rahmen dieser "Prüfungen" sonstigen empirischen Beurteilungsergebnissen, wie praktischen Erfahrungen, wissenschaftlichen Erkenntnissen oder den im ChemG angesprochenen "vorliegenden Erfahrungen an Menschen", zukommt.

Als tauglicher Inhalt des Begriffs "Prüfungen" kämen allenfalls die Prüfmethoden des §6 AnmV in Betracht. In dieser Bestimmung werde jedoch auf die "OECD Guidelines for Testing of Chemicals" verwiesen, die nicht dem österreichischen Rechtsbestand angehörten, da sie "weder als Gesetz noch als Verordnung kundgemacht wurden oder sonstwie näher dargestellt worden wären".

3.2.7. Die in §7 Abs2 ChemV normierte Beschränkung der Verwertung von Tierversuchsergebnissen widerspreche "diametral" dem ChemG und könne nur mit der Zielsetzung der Bundesministerin für Umwelt, Jugend und Familie erklärt werden, Tierversuche sowie Versuche am Menschen zur Gewinnung objektiv richtiger Einstufungskriterien zu beschränken bzw. überhaupt zu verbieten und damit das ChemG umfänglich zu beschränken und seine Zielsetzung zu verfälschen, Zubereitungen nach ihrer tatsächlich bestehenden Gefährlichkeit zu kennzeichnen.

3.2.8. Dies gelte ebenso für die Bestimmung des §7 Abs2a ChemV, wonach Tierversuche (nach §3 Tierversuchsgesetz 1988, BGBl. 501/1988) zur Einstufung einer Zubereitung iSd ChemG "nicht erforderlich" seien, sofern nicht der begründete Verdacht einer größeren Gefährlichkeit der Zubereitung bestehe als sich aus der Anwendung des Berechnungsverfahrens ergebe. Für eine derartige Verordnung fehle jegliche Ermächtigung, aber auch inhaltliche Deckung im ChemG.

3.2.9. §7 Abs5 ChemV sei inhaltlich unbestimmt, da die Bedeutung der darin genannten Informationen im Rahmen des gesamten Regelungsinhaltes der ChemV nicht bewertet worden sei. Auch die Regelung des §7 Abs5 letzter Satz ChemV hinsichtlich eines Datenvergleiches sei inhaltlich zu unbestimmt.

3.2.10. Das "Beweismittelverbot" gemäß §7 Abs7 ChemV widerspreche dem Ziel des ChemG, Leben und Gesundheit des Menschen vor schädlichen Einwirkungen durch objektiv richtige Kennzeichnung gefährlicher Zubereitungen hintanzuhalten.

3.2.11. §7 Abs8 ChemV sei unklar und unbestimmt und lasse "den auch von der Behörde irrig gezogenen Schluß zu, daß ausreichende Erfahrungen aus der Praxis für die Einstufung nur dann maßgeblich sein" sollen, wenn diese zu einer Verschärfung des Einstufungskriteriums der Gefährlichkeit der Zubereitung führen. Diese Rechtsanwendung sei unhaltbar und führe zu Abweichungen vom EG-Recht.

3.3. Auch die Antragsteller zu V77/92 erachten die von ihnen angefochtenen Bestimmungen der ChemV wegen Widerspruchs zu Art18 Abs2 B-VG und zum Gleichheitssatz als gesetzwidrig:

3.3.1. Sowohl für die Bestimmung des §7 Abs2a ChemV als auch für die im §7 Abs7 ChemV eingefügte Regelung in bezug auf Versuche am Menschen fehle es an einer gesetzlichen Grundlage.

3.3.2. Die Einschränkung der Zulässigkeit von Tierversuchen widerspreche dem Tierversuchsgesetz.

3.3.3. Für §4 Abs1 ChemV bestehe keine gesetzliche Grundlage, diese Bestimmung sei überdies wegen ihres unklaren Inhalts verfassungsrechtlich bedenklich.

3.3.4. Die Regelung des §7 Abs2a ChemV sei unsachlich im Sinne des Gleichheitsgebotes: Der von §7 Abs2 ChemV angeordnete "Vorrang empirisch gewonnener Erkenntnisse vor der Berechnungsmethode" werde dadurch "in unsachlicher und einseitiger Weise zurückgenommen", daß gewisse Versuche bei der Einstufung einer Zubereitung ausgeschlossen sind.

3.3.5. Das Beweisverwertungsverbot des §7 Abs7 ChemV sei unsachlich und gleichheitswidrig, da auch vorliegende Ergebnisse aus Versuchen am Menschen, die die Ungefährlichkeit oder - verglichen mit der Einstufung nach dem Berechnungsverfahren - mindere Gefährlichkeit beweisen, nicht verwertet werden dürfen. "Der Verordnungsgeber nimmt also im Bemühen, sein - noch dazu ohne gesetzliche Grundlage verfügtes - rigoroses Verbot von Versuchen an Menschen durchzusetzen, auch die Möglichkeit einer unrichtigen Einstufung in Kauf."

3.3.6. Der auf §7 Abs2a ChemV verweisende Einschub in §7 Abs2 ChemV sowie das (einseitige) Beweisverwertungsverbot in §7 Abs7 ChemV erscheinen nach Ansicht der Antragsteller im übrigen auch deshalb unsachlich, "weil sie offensichtlich auch die Verwertung der Ergebnisse zulässigerweise - nämlich etwa unter dem Regime ausländischer Rechtsordnungen - gewonnener Ergebnisse solcher Versuche an Tier und Mensch verbieten". Bei verfassungs- und gesetzeskonformer Interpretation dieser Bestimmungen dahin, daß nur die Ergebnisse von in Österreich durchgeführten "nicht erforderlichen" Tierversuchen oder Versuchen am Menschen nicht verwertet werden dürften, bestünden Bedenken im Hinblick auf die Sachlichkeit der genannten Regelungen.

3.3.7. Ein weiterer Aspekt der Unsachlichkeit der Regelung des §7 Abs2a ChemV ergebe sich daraus, daß ein Tierversuch nur insoferne für "nicht erforderlich" erklärt werde, als nicht ein begründeter Verdacht bestehe, daß sich eine größere Gefährlichkeit als nach dem Berechnungsverfahren ergebe.

Bestehe ein solcher "begründeter Verdacht", sei der Tierversuch nicht "nicht erforderlich", sein Ergebnis dürfe bei der Einstufung trotz des Einschubs in §7 Abs2 ChemV (vgl. Novelle 1992) verwertet werden, wenn er - entgegen dem ursprünglich gehegten Verdacht - die Ungefährlichkeit oder geringere Gefährlichkeit der Zubereitung ergebe. Werde jedoch ein Tierversuch ohne begründeten Verdacht einer höheren Gefährlichkeit der Zubereitung durchgeführt und ergebe er dennoch eine höhere Gefährlichkeit als das Berechnungsverfahren, dürfe dieses Ergebnis gemäß §7 Abs2 ChemV bei der Einstufung nicht verwertet werden, da der Tierversuch "nicht erforderlich" im Sinne des §7 Abs2a ChemV gewesen sei.

3.4.1. Die Antragsteller zu G167/92 (und zu V78/92) erachten das ChemG als verfassungswidrig, da es das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz, auf Freiheit der Erwerbsbetätigung und auf Unversehrtheit des Eigentums verletze und insgesamt "ein politisch motiviertes Maßnahmengesetz" darstelle.

3.4.1.1. Der Gleichheitsgrundsatz sei insbesondere dadurch verletzt, daß Waschmittel, die auch den Bestimmungen des Lebensmittelgesetzes 1975 (im folgenden: LMG 1975) und des Waschmittelgesetzes 1984 (im folgenden: WMG 1984) unterliegen, nicht ebenso wie die in §3 Abs2 ChemG genannten Produktarten von der Geltung des ChemG ausgenommen seien. Damit ergebe sich eine "Doppelgleisigkeit", die laut Regierungsvorlage durch die Ausnahmebestimmungen des §3 Abs2 ChemG vermieden werden sollte. Es sei unsachlich, Waschmittel mehrfachen gesetzlichen Regelungen zu unterwerfen, andere Produkte wie Lebensmittel oder Arzneimittel jedoch nicht.

Überdies würden verschiedene Begriffe des ChemG, LMG 1975 und WMG 1984 in unterschiedlicher Bedeutung verwendet, was dem Ziel einer Einheit der Rechtsordnung und einer Einheit der Rechtssprache widerspreche.

3.4.1.2. Ein Vergleich mit EG-Recht könne nicht als Rechtfertigung der österreichischen Regelungen dienen, da in der EG keine durchgehende Normierung des Waschmittelrechts bestehe und Waschmittel dort - anders als in Österreich - nicht unterschiedslos als "reizend" zu kennzeichnen wären.

3.4.1.3. Das ChemG stelle insoweit, als es auf Waschmittel anzuwenden sei, ein - verfassungswidriges - "politisch motiviertes Maßnahmengesetz" dar. Dies ergebe sich deutlich aus der Novelle BGBl. 300/1989, wodurch Vergaserkraftstoffe und ähnliche Produkte vom Anwendungsbereich gewisser Bestimmungen des ChemG ausgenommen wurden.

3.4.1.4. Das Grundrecht auf Freiheit der Erwerbsbetätigung sei insbesondere dadurch verletzt, daß die Mehrzahl der Waschmittel als "reizend" gekennzeichnet werden müßten und damit den Werbebeschränkungen des §21 ChemG unterliegen. Damit würden Waschmittel gegenüber anderen Produkten, die die gleichen chemischen Rohstoffe enthalten und - weil sie nicht vom Geltungsbereich des ChemG erfaßt sind - keiner Kennzeichnungspflicht oder Werbebeschränkung unterliegen, diskriminiert. Da §21 ChemG im Zusammenhalt mit den Regelungen über den Anwendungsbereich des ChemG zu einer verfassungswidrigen Einschränkung der Freiheit der Erwerbsbetätigung führe, sei auch diese Bestimmung verfassungswidrig.

3.4.1.5. Das Grundrecht auf Unversehrtheit des Eigentums sei nach Ansicht der Antragsteller deswegen verletzt, weil die erforderlichen Warnhinweise in Werbesendungen Mehrkosten verursachten und damit ein verfassungswidriger Eingriff in das Eigentum der Antragsteller bewirkt werde.

3.4.1.6. Die Verordnungsermächtigungen der §§2 Abs5, 6 Abs5, 7 Abs4, 10 Abs8, 17 Abs1 und 17 Abs2 ChemG

stellen nach Ansicht der Antragsteller formalgesetzliche Delegationen dar, "die, auf der Grundlage von unbestimmten Gesetzesbegriffen, viel zu weit gehende Ermächtigungen des Ministers enthalten, bei denen weder Tatbestand noch Rechtsfolge auch nur einigermaßen präzise definiert sind". Bei keiner der zitierten Gesetzesstellen sei es möglich, die im Verordnungsweg getroffene Regelung auf ihre inhaltliche Gesetzmäßigkeit zu überprüfen.

3.4.2. Die ChemV ist nach Ansicht der Antragsteller zu V78/92 aus folgenden Gründen gesetzwidrig:

3.4.2.1. Das Kriterium der "Erforderlichkeit" gemäß §2 Abs5 ChemG sei nicht gegeben. Da zur näheren Definition der Eigenschaften gemäß §2 Abs5 Z1 bis 15 bereits EG-Richtlinien vorlägen, hätte der Gesetzgeber diese vollständig und wortgetreu übernehmen können und müssen.

3.4.2.2. Für die Einstufungskriterien gemäß §4 Abs1 ChemV (Stoffliste, Allgemeine Einstufungsrichtlinie) fehlt nach Ansicht der Antragsteller die erforderliche gesetzliche Deckung.

3.4.2.3. Hinsichtlich der Eigenschaft "reizend" gemäß §2 Abs5 Z10 ChemG verweise §2 ChemV auf die Allgemeine Einstufungsrichtlinie (Anhang B zur ChemV). Die Definition des Begriffes "reizend" in Z1.10 von Anhang B zur ChemV ist nach Ansicht der Antragsteller nicht mit dem ChemG vereinbar, für die Definitionen in den lita), b), und c) dieser Bestimmung fehle eine gesetzliche Deckung.

3.4.2.4. Weiters rügen die Antragsteller die Verletzung von Verfahrensvorschriften bei Erlassung der ChemV, insbesondere sei vor Erlassung der Verordnung zur Änderung der ChemV, BGBl. 274/1992, der Wissenschaftliche Ausschuß nicht angehört worden. Damit sei die Verordnung BGBl. 274/1992 zur Gänze gesetzwidrig.

3.4.2.5. Im übrigen entsprechen die vorgebrachten Argumente im wesentlichen jenen der Antragsteller zu V75/92, V76/92 und V77/92.

3.4.3. Die AnmV sei auf der Grundlage formalgesetzlicher Delegationen der Verordnungsermächtigungen der §§6 Abs5, 7 Abs4 und 10 Abs8 ChemG erlassen worden. Überdies sei §6 Abs1 AnmV wegen seines Verweises auf die "OECD Guidelines for Testing of Chemicals" gesetzwidrig, da die genannten Richtlinien mangels Kundmachung nicht Bestandteil der österreichischen Rechtsordnung und im Gesetz nicht determiniert seien.

3.4.4. Der 5. Durchführungserlaß stelle aus folgenden Gründen eine generelle Norm dar: Er verwende "imperative Diktion" und sei nach Inhalt und Aufbau "eine die Rechtslage gestaltende Anordnung", somit eine Rechtsverordnung. Vor Verfassung des genannten Durchführungserlasses seien weder die Chemikalienkommission noch der Wissenschaftliche Ausschuß gehört worden.

3.5. In einem von den Antragstellern zu V77/92 und G167/92, V78/92 als Bestandteil ihrer Anträge vorgelegten Gutachten von Univ.-Prof. Dr. B R zur Frage der Einstufung bestimmter Zubereitungen nach Chemikalienrecht kommt der Gutacher - zur Rechtslage vor der ChemV-Novelle BGBl. 274/1992 - im wesentlichen zu folgenden Ergebnissen:

3.5.1. Bei einer Einstufung von Produkten oder Zubereitungen gemäß §7 Abs2 ChemV nach den Eigenschaften ätzend oder reizend sei von den Ergebnissen toxikologischer Prüfungen auszugehen. "Nur wenn solche nicht verfügbar sind, ist das in Anhang B, Punkt 3, angeführte Berechnungsverfahren anzuwenden."

3.5.2. Für "Prüfungen" im Sinne des §7 Abs2 vorletzter Satz ChemV haben hinsichtlich toxikologischer oder ökotoxikologischer Ermittlungen "Untersuchungen an 'biologischen Prüfsystemen', dh an Menschen und/oder Tieren ... zentrale Bedeutung". Insgesamt könne kein Zweifel bestehen, daß unter "Prüfungen" im Sinne des vorletzten Satzes des §7 Abs2 ChemV gerade jene "physikalisch-chemischen Daten" (§7 Abs2 Z1 ChemV) und "Untersuchungsergebnisse" (§7 Abs2 Z2 ChemV) zu verstehen sind, die dem unter §7 Abs2 Z3 ChemV genannten "Berechnungsverfahren" gegenüberstehen. Daraus ergebe sich, daß dann, wenn solche Prüfungen vorliegen, diese heranzuziehen sind, und daß nur dann, wenn solche "Prüfungen" nicht vorliegen, Berechnungsverfahren zur Anwendung kommen sollen.

3.5.3. Auch aus dem Verweis des §4 ChemV auf die Allgemeine Einstufungsrichtlinie in Anhang B zur ChemV ergebe sich der Vorrang empirischer Untersuchungsergebnisse gegenüber Berechnungsverfahren sowie die Bedeutung anderer Ermittlungs- und Beurteilungsergebnisse.

3.5.4. Die Definition gefährlicher Eigenschaften gemäß §2 Abs5 Z6 bis 15 ChemG knüpfe am Einwirken des Stoffes auf Mensch oder Umwelt an, diese Kennzeichnung lege als solche einen Vorrang einschlägiger empirischer Ergebnisse gegenüber rechnerischen Methoden als gesetzlich geboten nahe.

3.5.5. Im Hinblick auf die Einstufung habe der Bundesminister für Umwelt, Jugend und Familie gemäß §17 Abs2 ChemG, soweit dies zum Schutz des Lebens und der Gesundheit von Menschen und zum Schutz der Umwelt erforderlich sei, im Verordnungsweg

Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten