TE Vwgh Erkenntnis 1996/1/30 95/04/0124

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Veröffentlicht am 30.01.1996
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
50/01 Gewerbeordnung;

Norm

AVG §37;
AVG §39 Abs2;
GewO 1994 §13;
GewO 1994 §28 Abs1 Z1;
GewO 1994 §28 Abs1 Z2 litb;
GewO 1994 §28 Abs1 Z2;
MeisterprüfungsO Bandagisten 1993;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Griesmacher und die Hofräte DDr. Jakusch, Dr. Gruber, Dr. Stöberl und Dr. Blaschek als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Marihart, über die Beschwerde des Mag. MW in W, vertreten durch Dr. A, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten vom 21. Oktober 1994, Zl. 317.190/2-III/4/94, betreffend Verweigerung der Nachsicht vom Befähigungsnachweis, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Am 15. November 1993 stellte der Beschwerdeführer an den Magistrat der Stadt Wien ein schriftliches Ansuchen um Erteilung der Nachsicht vom vorgeschriebenen Befähigungsnachweis zur Ausübung des Gewerbes "Bandagisten" gem. § 94 Z 67 GewO 1994. Zur Begründung führt er aus, daß er seit dem Jahre 1982 im väterlichen Betrieb, in welchem das Bandagistengewerbe ausgeübt worden sei, tätig gewesen sei. Insbesondere nach dem Tod seines Vaters im Jahre 1984, seit welchem Zeitpunkt das Unternehmen als Witwenfortführungsbetrieb weitergeführt worden sei, habe er sich um sämtliche Angelegenheiten der Gewerbeausübung gekümmert und für seine Mutter den Betrieb geleitet. Diesem Ansuchen legte der Einschreiter u.a. eidesstattliche Erklärungen der EW, der IS und der ML bei, die übereinstimmend bestätigten, daß der Beschwerdeführer seit 1992 in der "Firma Ing. NW, Bandagist und Orthopädie" sowohl in technischer, handwerklicher als auch kaufmännischer Funktion tätig gewesen und befähigt sei, die Betriebsangestellten in allen Bereichen zu unterweisen und ihnen Auskunft zu erteilen.

Mit Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 28. März 1994 wurde dem Beschwerdeführer die Nachsicht vom vorgeschriebenen Befähigungsnachweis zur Ausübung des Gewerbes "Bandagisten" gemäß § 94 Z. 67 GewO 1994 gemäß § 28 Abs. 1 GewO 1994 verweigert.

Zur Begründung wurde ausgeführt, für die Annahme der vollen Befähigung gemäß § 28 Abs. 1 Z. 1 GewO 1994 seien jene Kenntnisse, Fähigkeiten und Erfahrungen erforderlich, die im Maßstab der in Betracht kommenden Befähigungsnachweisverordnung zu beurteilen seien. Abgesehen davon, daß aus den eidesstattlichen Erklärungen detaillierte Angaben über Art und Umfang sowie über das genaue zeitliche Ausmaß dieser Tätigkeit, die großteils während des Jus-Studiums des Beschwerdeführers absolviert worden sei, nicht hervorgehe, könne mangels einer einschlägigen Ausbildung im Bandagistengewerbe und mangels Nachweis der zur selbständigen Ausübung unbedingt erforderlichen betriebswirtschaftlichen Kenntnisse nicht angenommen werden, der Beschwerdeführer verfüge über die VOLLE Befähigung zur Ausübung des angestrebten Gewerbes. Einer Nachsichtserteilung im Grunde hinreichender tatsächlicher Befähigung gemäß § 28 Abs. 1 Z. 2 GewO 1994 stünde entgegen, daß nach den Ermittlungen der Behörde "besondere örtliche Verhältnisse" nicht vorlägen, da sich allein sechs Betriebe in näherer Umgebung des gegenständlichen Standortes befänden und die Nachfrage nach Leistungen des betreffenden Gewerbes daher durch die bereits vorhandenen Firmen befriedigt werden könnte. Im Hinblick darauf könnten auch wegen der in der Nähe befindlichen Krankenhäuser besondere örtliche Verhältnisse im Sinne des § 28 Abs. 1 Z. 2 lit. b GewO 1994 nicht angenommen werden.

Dagegen erhob der Beschwerdeführer Berufung, in welcher er u. a. zur Klärung der Frage des Vorliegens "besondere örtliche Verhältnisse" eine Anfrage an die umliegenden Krankenanstalten, Ärzte bzw. an die Sozialversicherer "erwägt", wie viele Rezepte ausgestellt würden und ob ein Wegfall des gegenständlichen Betriebes zu einem Engpaß führen würde oder nicht. Ferner beantragte er eine Verfahrensergänzung durch zeugenschaftliche Einvernahme der Zeugen EW und IS hinsichtlich der Art und Dauer seiner Tätigkeit im elterlichen Betrieb.

Mit Bescheid des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten vom 21. Oktober 1994 wurde der Berufung keine Folge gegeben. Zur Begründung wurde im wesentlichen ausgeführt, daß der Beschwerdeführer auch auf Grund des nunmehrigen Ermittlungsergebnisses und der ergänzenden zeugenschaftlichen Einvernahme nicht über die für die Erteilung einer Nachsicht gem. § 28 Abs. 1 Z. 1 GewO 1994 geforderte "volle" Befähigung (in fachlicher Hinsicht) verfüge. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bildeten die den Befähigungsnachweis regelnden Vorschriften (im gegenständlichen Fall somit jene über die Meisterprüfung für das Bandagistenhandwerk bzw. die hiefür vorgeschriebenen Zulassungsvoraussetzungen) den Maßstab dafür, ob die Nachsichtsvoraussetzungen der "vollen" Befähigung vorliegen. Der Aktenlage zufolge habe der Beschwerdeführer im gegenständlichen Gewerbe weder eine Lehrabschlußprüfung abgelegt noch - worauf die Vorinstanz zutreffend hingewiesen habe - eine einschlägige Ausbildung absolviert. Angesichts der oben dargelegten Definition der "vollen" Befähigung sowie des Wortlautes des § 28 Abs. 1 Z. 1 GewO 1994 (arg.: Bildungsgang) könne als Nachweis dieser Voraussetzung eine bloße einschlägige Praxis - ungeachtet der zeitlichen Dauer - vor allem bei jenen Gewerben, bei denen der vorgeschriebene Befähigungsnachweis nicht nur in einem bestimmten Verwendungsnachweis bestehe, nicht genügen. Im übrigen sei zu bemerken, daß auch die Zeugenaussagen keine detaillierten Angaben über Art und Umfang der im Rahmen des Bandagistengewerbes vom Beschwerdeführer persönlich ausgeführten Tätigkeiten enthielten. Was die gemäß § 28 Abs. 1 Z. 2 GewO 1994 in Verbindung mit einer "hinreichenden tatsächlichen Befähigung" geforderte zwingende Nachsichtsvoraussetzung des Vorliegens eines "Ausnahmegrundes" betreffe, sei zu bemerken, daß eine Befragung der Inhaber der fünf nächstgelegenen einschlägigen Betriebe ergeben habe, daß diese auch bei Wegfall des gegenständlichen Betriebes den Bedarf nach Leistungen des betreffenden Gewerbes regelmäßig decken könnten, wobei zusätzlich vorgebracht worden sei, daß dies auch ohne längere Wartezeiten möglich sei. Zur beantragten Anfrage des Beschwerdeführers bei der Wiener Gebietskrankenkasse, der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft und allen sonstigen Trägern der Sozialversicherung, "wieviele Anfertigungen jeder einzelne Betrieb vornehme", sei zu bemerken, daß die Anzahl der Anfertigungen keinen Schluß darüber zulasse, ob der jeweilige Betrieb den Bedarf seiner Kunden zu decken in der Lage sei. Da somit auch das Vorliegen eines Ausnahmegrundes als einer der kumulativen Nachsichtsvoraussetzungen des § 28 Abs. 1 Z. 2 GewO 1994 nicht anzunehmen gewesen sei, hätte insgesamt weder eine auf Z. 1 noch eine auf Z. 2 des § 28 Abs. 1 GewO 1994 gestützte Nachsicht erteilt werden können.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der die Behandlung derselben mit Beschluß vom 12. Juni 1995, B 2592/94-3, ablehnte und sie gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig als unbegründet abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Der Beschwerdeführer erachtet sich durch den angefochtenen Bescheid in dem Recht auf Nachsicht gemäß § 28 GewO 1994 verletzt. Der Beschwerdeführer bringt in Ausführung dieses Beschwerdepunktes im wesentlichen vor, die belangte Behörde sei ihrer Begründungspflicht in keiner Weise nachgekommen, da sie bei der Erörterung der Frage der "vollen" Befähigung gemäß § 28 Abs. 1 Z. 1 GewO 1994 in keiner Weise zu erkennen gegeben habe, aus welchem Grund sie die Rechtsmeinung vertrete, daß eine (den Zeugenaussagen zufolge) seit dem Jahre 1982 ausgeübte Tätigkeit sowohl in handwerklicher als auch in kaufmännischer Hinsicht nicht ausreichend sein solle, um die volle Befähigung zu begründen. Gemäß dem Grundsatz der Amtswegigkeit des Verfahrens sei die Behörde weiters verpflichtet gewesen, im Zuge der Beweisaufnahme die Zeugen so umfangreich wie möglich zu befragen, um dem Grundsatz der objektiven bzw. materiellen Wahrheitsfindung zu entsprechen. Die Behörde habe auch keine ausreichenden Ermittlungen über den "örtlichen Bedarf" vorgenommen, da die vom Beschwerdeführer in der Berufung beantragte Anfrage bei den Trägern der Sozialversicherung, ob ein örtlicher Bedarf vorliege oder nicht, nicht vorgenommen worden sei. Denn nur eine Anfrage hätte eine ziffernmäßige Gegenüberstellung der Anfertigungen der Dr. W-Gesellschaft m. b.H. und der Anfertigungen der fünf bzw. sechs in der Nähe gelegenen Orthopädiebetriebe möglich gemacht und auch gezeigt, eine wievielprozentige Produktionssteigerung die verbleibenden Betriebe hätten verkraften müssen, wenn die Dr. W-Gesellschaft m. b.H. wegfiele. Nur diese Gegenüberstellung hätte rein rechnerisch ergeben, ob der Bedarf in der gesteigerten Form tatsächlich befriedigt werden könnte. Der Beschwerdeführer vertrete nach wie vor die Meinung, daß das jahrzehntelange Nebeneinanderbestehen der Betriebe marktwirtschaftlich das beste Indiz dafür sei, daß die Betriebe "samt und sonders" voll ausgelastet seien und daher kein Verdrängungswettbewerb stattfinde. In inhaltlicher Hinsicht verneine die belangte Behörde sowohl das Vorliegen der vollen Befähigung als auch der tatsächlich hinreichenden Befähigung, ohne auch nur andeutungsweise bekanntzugeben, welche Kenntnisse, Fähigkeiten und Erfahrungen sie in Ansehung des Beschwerdeführers vermisse. Sie habe lediglich festgestellt, daß sowohl die volle als auch die tatsächlich hinreichende Befähigung unter Hinweis auf die mangelnden Nachsichtsgründe nicht vorlägen. Die seit dem Jahre 1982 praktizierte fachliche Tätigkeit und auch das abgeschlossene Jus-Studium des Beschwerdeführers seien dabei unberücksichtigt geblieben.

Gemäß § 28 Abs. 1 GewO 1994 ist die Nachsicht vom vorgeschriebenen Befähigungsnachweis, sofern dieses Bundesgesetz oder eine Verordnung gemäß § 20 Abs. 4 oder § 22 Abs. 4 nichts Gegenteiliges bestimmt, zu erteilen, wenn

1.

nach dem Bildungsgang und der bisherigen Tätigkeit des Nachsichtswerbers angenommen werden kann, daß er die für die Gewerbeausübung erforderlichen Kenntnisse, Fähigkeiten und Erfahrungen (volle Befähigung) besitzt und keine Ausschlußgründe gemäß § 13 vorliegen, oder

2.

eine hinreichende tatsächliche Befähigung des Nachsichtswerbers angenommen werden kann, keine Ausschlußgründe gemäß § 13 vorliegen und

a)

dem Nachsichtswerber die Erbringung des vorgeschriebenen Befähigungsnachweises wegen seines Alter, seiner mangelnden Gesundheit oder aus sonstigen, in seiner Person gelegenen wichtigen Gründen nicht zuzumuten ist, oder

b)

wenn besondere örtliche Verhältnisse für die Erteilung der Nachsicht sprechen.

Ausgehend von dieser Gesetzeslage ist Voraussetzung für die Erteilung der Nachsicht vom vorgeschriebenen Befähigungsnachweis gemäß § 28 Abs. 1 Z. 1 GewO 1994 das Vorliegen der vollen Befähigung. In diesem Sinn umfaßt die Nachsicht nicht die Befähigung (die für die Gewerbeausübung erforderlichen Kenntnisse, Fähigkeiten und Erfahrungen), sondern allein den - normativ - geforderten Nachweis dieser Befähigung. Hiebei bilden die den Befähigungsnachweis festlegenden Vorschriften den Maßstab dafür, ob die Nachsichtsvoraussetzungen des § 28 Abs. 1 Z. 1 GewO 1994 vorliegen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 24. Jänner 1995, Zl. 94/04/0111). Die Nachsicht darf sohin von vornherein nur erteilt werden, wenn die vom Nachsichtswerber absolvierte Ausbildung mindestens in gleicher Weise wie die in den den Befähigungsnachweis festlegenden Vorschriften geforderte Ausbildung das Ausbildungsziel verwirklichen läßt (vgl. auch VfSlg. 13.094/1992).

Es mag nun zutreffen, daß im angefochtenen Bescheid detaillierte Begründungsdarlegungen darüber fehlen, in welchem Umfang bzw. hinsichtlich welcher Kenntnisse und Fähigkeiten der Beschwerdeführer nicht befähigt sein soll. Dennoch läßt sich mit noch hinreichender Deutlichkeit aus dem angefochtenen Bescheid ableiten, daß die belangte Behörde als (in Ansehung der Frage der vollen Befähigung) tragendes Begründungselement das Fehlen jeglichen sachlich-theoretischen Bildungsganges heranzog. Daß der Beschwerdeführer - auf welche Art immer - das fachlich-theoretische Ausbildungsziel (vgl. insbesondere § 3 der Bandagisten-Meisterprüfungsordnung BGBl. Nr. 464/1993) erreicht habe, wurde vom Beschwerdeführer weder im Verwaltungsverfahren noch in der Beschwerde entsprechend konkretisiert behauptet. Derart zeigt - vor dem Hintergrund, daß es nicht Aufgabe der Behörde ist, von Amts wegen alle Fakten zu erheben, die möglicherweise für eine Nachsichtserteilung sprechen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 10. April 1984, Zl. 82/04/0211) - die Beschwerderüge, die Behörde habe kein ausreichendes amtswegiges Ermittlungsverfahren durchgeführt, einen entscheidungswesentlichen Verfahrensmangel nicht auf. Daran vermag auch der Beschwerdehinweis nichts zu ändern, es wäre Aufgabe der Behörde gewesen, im Zuge des Beweisverfahrens die Zeugen so umfangreich wie möglich zu befragen, um dem Grundsatz der objektiven bzw. materiellen Wahrheitsfindung zu entsprechen. Der Beschwerdeführer ist zwar insofern im Recht, daß die Behörde aus den in Frage stehenden Zeugenaussagen den Schluß gezogen hat, daß diese "keine detaillierten Angaben über Art und Umfang der im Rahmen des Bandagistengewerbes vom Nachsichtswerber persönlich ausgeführten Tätigkeiten enthalten". Vom Beschwerdeführer wird aber übersehen, daß, worauf die belangte Behörde in ihrer Gegenschrift zutreffend hinweist, die in Rede stehenden Zeugenaussagen nicht die entscheidungswesentliche Grundlage des beschwerdegegenständlichen Bescheides bildeten (arg.: "im übrigen ist zu bemerken ..."), sondern - wie bereits ausgeführt - das Fehlen jeglichen fachlich-theoretischen Bildungsganges. Auch insofern vermag somit auf dem Boden des Beschwerdevorbringens nicht erkannt zu werden, daß Verfahrensvorschriften außer acht gelassen wurden, bei deren Einhaltung die belangte Behörde zu einem anderen Bescheid hätte kommen können.

Der Beschwerdeführer ist auch nicht im Recht, wenn er meint, daß die Behörde auch das Vorliegen der "tatsächlich hinreichenden Befähigung" gemäß § 28 Abs. 1 Z. 2 GewO 1994 zu Unrecht verneint habe. § 28 Abs. 1 Z. 2 GewO 1994 normiert kumulativ als Tatbestandserfordernis die hinreichende tatsächliche Befähigung, das Nichtvorliegen eines Ausschlußgrundes (§ 13) UND das Vorliegen eines der alternativ umschriebenen Ausnahmegründe. Fehlt demnach auch nur eines der positiv erforderlichen Tatbestandselemente oder ist in Ansehung des Nachsichtswerbers ein Ausschlußgrund zu bejahen, dann führt bereits dies zur Abweisung des Nachsichtsansuchens, ohne daß die Beurteilung der anderen Tatbestandselemente an diesem Ergebnis etwas ändern können (vgl. das hg. Erkenntnis vom 26. September 1995, Zl. 94/04/0077).

Die belangte Behörde hat das Vorliegen des Tatbestandselementes der "hinreichenden tatsächlichen Befähigung" nur deshalb nicht geprüft, weil sie zufolge Verneinung eines Ausnahmegrundes bereits zur Abweisung des Nachsichtsansuchens - (auch) im Grunde des § 28 Abs. 1 Z. 2 GewO 1994 - gelangte. Bei dieser Sachlage wäre für den Beschwerdeführer mit seinen Ausführungen in Ansehung des Tatbestandselementes der "hinreichenden tatsächlichen Befähigung" daher im Ergebnis nur dann etwas gewonnen, wenn die belangte Behörde den im Nachsichtsverfahren vom Beschwerdeführer geltend gemachten Ausnahmegrund der "besonderen örtlichen Verhältnisse" nicht hätte verneinen dürfen.

Unter den besonderen örtlichen Verhältnissen im Sinne des § 28 Abs. 1 Z. 2 lit. b GewO 1994 sind vor allem sonst nicht anzutreffende Bedarfsverhältnisse zu verstehen, also alle objektiv erfaßbaren Tatsachen, die in bezug auf die Gewerbeausübung in einem bestimmten örtlichen Bereich oder auch nur am gewählten Standort für die Erteilung der Nachsicht sprechen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 16. Februar 1988, Zl. 87/04/0225, und die dort zitierte Vorjudikatur). Wenn hiebei von "sonst nicht anzutreffenden Bedarfsverhältnissen" die Rede ist, so ist damit nicht - schlechthin - die Frage des örtlichen Bedarfs angesprochen. Es muß sich vielmehr um eine außergewöhnliche Bedarfssituation handeln, was schon aus der Wortfolge "BESONDERE örtliche Verhältnisse" abzuleiten ist (vgl. dazu das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 6. November 1995, Zl. 95/04/0146).

Ausgehend davon ist für den Verwaltungsgerichtshof nicht zu finden, daß die belangte Behörde den Ausnahmegrund der "besonderen örtlichen Verhältnisse" nicht hätte verneinen dürfen. Dabei ist insbesondere nicht zu erkennen, daß das diesbezüglich durchgeführte Ermittlungsverfahren, nämlich die Befragung der Inhaber der einschlägigen Betriebe, zur Feststellung des maßgebenden Sachverhaltes (§ 37 AVG) nicht geeignet gewesen wäre. Die Behörde durfte dem auf ihre Veranlassung befragten Personenkreis zugestehen, richtige Auskünfte über die Auftragslage zu geben. Sie durfte ferner davon ausgehen, daß trotz der Interessen der betreffenden Personen im wirtschaftlichen Wettbewerb deren Aussagen grundsätzlich geeignet seien, ein bei der Feststellung des maßgebenden Sachverhaltes verwertbares Bild vom Verhältnis von Angebot und Nachfrage zu geben (vgl. auch das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 16. Februar 1988, Zl. 87/04/0225).

Insofern ist für den Verwaltungsgerichtshof nicht zu erkennen, die Behörde hätte keine ausreichenden Ermittlungen über den örtlichen Bedarf vorgenommen, wenn sie (lediglich) auf Grund einer Befragung der Inhaber der fünf nächstgelegenen einschlägigen Betriebe zur Auffassung gelangte, daß diese auch bei Wegfall des gegenständlichen Betriebes den Bedarf nach Leistungen des betreffenden Gewerbes regelmäßig zu decken in der Lage wären. Daran vermag auch nichts zu ändern, daß nach Meinung des Beschwerdeführers nur eine diesbezügliche Anfrage bei den Trägern der Sozialversicherung eine ziffernmäßige Gegenüberstellung der Anfertigungen der W-Gesellschaft m.b.H. und der Anfertigungen der fünf bzw. sechs in der Nähe gelegenen Orthopädiebetriebe möglich gemacht und auch gezeigt hätte, "eine wievielprozentige Produktionssteigerung die verbleibenden Betriebe verkraften hätten müssen, wenn die Dr. W-Ges.m.b.H. wegfiele". Mit der darin gelegenen Verfahrensrüge der Nichtdurchführung der Anfrage "an die umliegenden Krankenanstalten, Ärzte bzw. an die Sozialversicherer ..., wieviel Rezepte ausgestellt würden und ob ein Wegfall des gegenständlichen Betriebes zu einem Engpaß führen würde oder nicht", die in der Berufung lediglich "zur Erwägung" gestellt wurde, vermag der Beschwerdeführer schon deshalb nicht durchzudringen, weil insbesondere in den §§ 37 und 39 Abs. 2 AVG eine Verpflichtung der Verwaltungsbehörde zur Durchführung derartiger Erkundigungen zur Erforschung von Umständen, die lediglich Gegenstand von bloß unbestimmten Vermutungen sind, nicht vorgesehen sind (vgl. nochmals das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 16. Februar 1988, Zl. 87/04/0225).

Bedenken gegen die Schlüssigkeit der Beweiswürdigung der belangten Behörde, die fünf nächstgelegenen einschlägigen Betriebe wären in der Lage, den Bedarf nach Leistungen des betreffenden Gewerbes auch bei Wegfall des gegenständlichen Betriebes regelmäßig zu decken, vermag auch das Beschwerdevorbringen nicht hervorzurufen, das jahrzehntelange Nebeneinanderbestehen der Betriebe sei marktwirtschaftliche das beste Indiz dafür, daß die Betriebe "samt und sonders" voll ausgelastet seien und dadurch kein Verdrängungswettbewerb stattfinde. Einen (allgemeinen) Erfahrungssatz, daß langfristig nur voll ausgelastete Betriebe nebeneinander bestehen, gibt es nicht.

Die Beschwerde erweist sich somit insgesamt als nicht begründet. Sie war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 416/1994.

Schlagworte

Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Beweismittel Parteienvernehmung Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Materielle Wahrheit Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Rechtsmittelverfahren

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1996:1995040124.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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