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90/01 Straßenverkehrsordnung;Norm
KDV 1967 §30 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Leukauf und die Hofräte Dr. Waldner, Dr. Bernard, Dr. Graf und Dr. Gall als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Neumeister, über die Beschwerde der R in W, vertreten durch Dr. P, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 16. Juni 1995, Zl. MA 65-8/282/95, betreffend Aufforderung nach § 75 Abs. 2 KFG 1967, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid wurde die Beschwerdeführerin gemäß § 75 Abs. 2 KFG 1967 aufgefordert, sich binnen zwei Wochen ab Zustellung des angefochtenen Bescheides einer amtsärztlichen Untersuchung zu unterziehen.
Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
Gemäß § 75 Abs. 1 KFG 1967 ist unverzüglich ein Ermittlungsverfahren einzuleiten, wenn Bedenken bestehen, ob die Voraussetzungen für die Erteilung der Lenkerberechtigung noch gegeben sind. Nach dem ersten Satz des § 75 Abs. 2 KFG 1967 ist vor der Entziehung der Lenkerberechtigung wegen mangelnder geistiger oder körperlicher Eignung ein neuerliches ärztliches Gutachten einzuholen. Leistet der Besitzer einer Lenkerberechtigung einem rechtskräftigen Bescheid mit der Aufforderung, sich ärztlich untersuchen zu lassen, keine Folge, so ist ihm nach dem zweiten Satz dieser Bestimmung die Lenkerberechtigung zu entziehen.
Voraussetzung für die Einleitung eines Entziehungsverfahrens im Sinne des § 75 KFG 1967 sind begründete Zweifel am aufrechten Vorliegen einer der Voraussetzungen für die Erteilung einer Lenkerberechtigung des Inhaltes, wie sie die betreffende Person innehat. Voraussetzung für die Erlassung eines Aufforderungsbescheides nach § 75 Abs. 2 KFG 1967 sind demnach u.a. begründete Bedenken in der Richtung, daß der Inhaber die geistige oder körperliche Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen derjenigen Gruppen, die von seiner Lenkerberechtigung erfaßt werden, nicht mehr besitzt. In diesem Stadium des Verfahrens zur Entziehung der Lenkerberechtigung geht es noch nicht darum, konkrete Umstände zu ermitteln, aus denen bereits das Fehlen einer Erteilungsvoraussetzung erschlossen werden kann. Es müssen aber genügend begründete Bedenken in dieser Richtung bestehen, die die Prüfung des Vorliegens solcher Umstände unter der hiefür notwendigen Mitwirkung des Besitzers der Lenkerberechtigung geboten erscheinen lassen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 28. Februar 1995, Zl. 94/11/0331, mwN).
Dem angefochtenen Bescheid liegen Bedenken hinsichtlich der geistigen und körperlichen Eignung der Beschwerdeführerin zum Lenken von Kraftfahrzeugen zugrunde. Die belangte Behörde ging davon aus, daß die Beschwerdeführerin am 12. April 1995 beanstandet worden sei, weil sie in einem "durch Suchtgift bzw. Medikamente" beeinträchtigten Zustand ein Kraftfahrzeug gelenkt habe. Deshalb habe die Erstbehörde das Entziehungsverfahren eingeleitet. Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin komme es nicht darauf an, ob sie wegen Lenkens in einem durch Suchtgift beeinträchtigten Zustand bestraft worden sei, sondern darauf, ob sie wegen ihrer Neigung zu Medikamentenmißbrauch noch die gesundheitliche Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen aufweise. Diese Bedenken bestünden zu Recht, weil die Beschwerdeführerin bereits mehrere Male wegen Vergiftungsunfällen durch Medikamentenüberdosierungen auffällig geworden sei.
Die Beschwerdeführerin wendet sich gegen diese Feststellung der belangten Behörde mit der Behauptung, für diese Feststellung gebe es keinerlei Anhaltspunkte. Der Bescheid enthalte keine Begründung, wie die belangte Behörde zu dieser Feststellung gelangt sei. Die belangte Behörde habe kein Beweisverfahren durchgeführt und der Beschwerdeführerin keine Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben.
Diesen Ausführungen ist folgendes zu erwidern:
Nach einem amtsärztlichen Gutachten vom 3. Dezember 1990 bestand bei der Beschwerdeführerin anamnestisch der Verdacht auf Suchtgiftmißbrauch. Deshalb wurde mit Bescheid vom 3. Dezember 1990 die Lenkerberechtigung der Beschwerdeführerin für die Gruppen A und B bis zum 3. Dezember 1991 befristet. Nach einem weiteren amtsärztlichen Gutachten vom 3. Dezember 1991, in dem der gleiche Verdacht geäußert wurde, wurde die Lenkerberechtigung mit Bescheid vom 3. Dezember 1991 bis 3. Dezember 1994 befristet. Nach neuerlicher Begutachtung am 23. Dezember 1994 wurde die Lenkerberechtigung mit Bescheid vom 30. Dezember 1994 bis 23. Dezember 1997 befristet.
Am 26. November 1994 wurde die Beschwerdeführerin von Sicherheitswachebeamten, nachdem ein Bekannter der Beschwerdeführerin den Notruf betätigt hatte, in ihrer Wohnung nicht ansprechbar vorgefunden. Sie wurde von der Rettung in die Entgiftungsstation eines Wiener Krankenhauses gebracht. Bei ihrer Vernehmung zu diesem Vorfall gab die Beschwerdeführerin am 16. Dezember 1994 an, ein Mann, den sie flüchtig gekannt habe und von dem sie nur den Vornamen wisse, habe ihr Tabletten nach Hause gebracht, weil sie Schmerzen gehabt habe und nicht habe schlafen können. Sie habe erst im Spital erfahren, daß es sich dabei um Rohypnol gehandelt habe.
Am 26. Jänner 1995 wurde wiederum von einem Bekannten der Beschwerdeführerin die Polizei verständigt. Als die Sicherheitswachebeamten in der Wohnung der Beschwerdeführerin eintrafen, war sie nicht mehr ansprechbar. Nach Erstversorgung durch die Sicherheitswachebeamten und in der Folge durch den Rettungsarzt wurde die Beschwerdeführerin wieder in das genannte Wiener Krankenhaus gebracht. Nach Mitteilung des Rettungsarztes lag Suchtgiftmißbrauch vor. In der Küche wurden unter anderem ein Spritzbesteck, mehrere ungebrauchte Spritzen und ein nach Kakao riechender, dunkelbrauner, 7 x 6 x 2,5 cm großer Gegenstand vorgefunden.
Am 12. April 1995 wurde bei der Beschwerdeführerin im Zuge einer Lenker- und Fahrzeugkontrolle eine Atemalkoholuntersuchung vorgenommen, die negativ verlief. Die Beschwerdeführerin erklärte ihre Müdigkeit mit der Einnahme von Beruhigungstabletten. Bei der folgenden amtsärztlichen Untersuchung wurden bei der Beschwerdeführerin unsicherer Gang, verlangsamte Reaktion, enge Pupillen und träge Pupillenreaktion festgestellt. Der ärztliche Sachverständige führte aus, die deutliche Beeinträchtigung der Beschwerdeführerin sei entweder auf das von ihr genannte Beruhigungsmittel oder auf Suchtgift zurückzuführen. Einstichstellen am rechten Unterarm und an der rechten Hand habe die Beschwerdeführerin als Verletzung durch eine Katze erklärt. Wegen dieses Vorfalles wurde die Beschwerdeführerin unter anderem wegen der Übertretung des § 58 Abs. 1 StVO 1960 mit einer Geldstrafe in der Höhe von S 4.000,-- bestraft.
Diese aktenkundigen Vorfälle rechtfertigten Bedenken der belangten Behörde, ob bei der Beschwerdeführerin noch die Erteilungsvoraussetzung der geistigen und körperlichen Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen der Gruppen A und B besteht. Die belangte Behörde mußte schon auf Grund der Aktenlage den dringenden Verdacht hegen, bei der Beschwerdeführerin bestehe eine Süchtigkeit, die das sichere Beherrschen von Kraftfahrzeugen der Gruppen A und B und das Einhalten der für das Lenken solcher Kraftfahrzeuge geltenden Vorschriften beeinträchtigen könnte (§ 34 Abs. 1 lit. e KDV 1967). Die Tatsache, daß die Beschwerdeführerin wegen der Übertretung des § 58 Abs. 1 StVO 1960 rechtskräftig bestraft worden ist, ist nicht geeignet, diesen Verdacht zu entkräften, im Gegenteil, die Bestrafung bestärkt den bestehenden Verdacht.
Die Behauptung der Beschwerdeführerin, für die Feststellung, sie sei bereits mehrere Male wegen Vergiftungsunfällen auffällig geworden, gebe es keinerlei Anhaltspunkte, erweist sich nach der dargestellten Aktenlage geradezu als mutwillig. Die von ihr in diesem Zusammenhang geltend gemachten Verfahrensmängel sind nicht relevant, weil die Beschwerde nicht aufzeigt, inwiefern die belangte Behörde bei Vermeidung des Begründungsmangels und Einholung einer Stellungnahme der Beschwerdeführerin zu einem anderen Bescheid hätte gelangen können.
Soweit die Beschwerdeführerin die Auffassung vertritt, die belangte Behörde hätte den Beginn der Frist für die amtsärztliche Untersuchung nicht an die Zustellung ihres Bescheides sondern an die Erlassung des Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofes knüpfen müssen, weil erst mit der Erlassung dieses Erkenntnisses die Rechtskraft der Berufungsentscheidung eintrete, liegt eine massive Verkennung der Rechtslage vor, weil die Rechtskraft eines letztinstanzlichen Bescheides mit dessen Erlassung eintritt und die Einbringung einer Verwaltungsgerichtshofbeschwerde gegen einen solchen Bescheid an der eingetretenen Rechtskraft nichts ändert (siehe dazu Walter-Mayer, Grundriß des österrreichischen Verwaltungsverfahrensrechts5, Rz 454 und 455, und die dort zitierte hg. Rechtsprechung).
Aus den dargelegten Erwägungen erweist sich die vorliegende Beschwerde als unbegründet. Sie war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.
Von der von der Beschwerdeführerin beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG abgesehen werden.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1996:1995110275.X00Im RIS seit
12.06.2001