Kopf
Im Namen der Republik
Das Oberlandesgericht Linz hat als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch die Richter Dr. Wolfgang Seyer als Vorsitzenden, Mag. Herbert Ratzenböck und Dr. Robert Singer sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Peter Wolfartsberger und Maga Ines Leitgeb in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei A*, Arbeiterin, geb am **, **, vertreten durch Dr. Sebastian Mairhofer, Rechtsanwalt in Linz, gegen die beklagte Partei B* C* GmbH & Co KG (FN **), *, vertreten durch Saxinger Chalupsky & Partner Rechtsanwälte GmbH in Linz, wegen EUR 9.991,88 s.A., über die Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Linz als Arbeits- und Sozialgericht vom 24. März 2022, 9 Cga 86/21y-13, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Berufung wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit EUR 1.215,48 (darin enthalten EUR 202,58 USt.) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens zu ersetzen.
Die ordentliche Revision ist nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Klägerin war bei der beklagten Partei seit 19. Juli 2021 als Reinigungskraft beschäftigt.
Am Dienstag, 7. September 2021 wurde zwischen der Klägerin und Frau D*, der für den Standort E* zuständigen Objektleiterin der beklagten Partei, während des Urlaubs der Klägerin vereinbart, dass das Arbeitsverhältnis einvernehmlich gelöst wird. Die Klägerin wurde daraufhin von der beklagten Partei rückwirkend mit 1. September 2021 mit einvernehmlicher Auflösung bei der zuständigen Sozialversicherung abgemeldet.
Der Klägerin war zu diesem Zeitpunkt noch nichts von ihrer Schwangerschaft bekannt. Erst ein paar Tage später kam sie am Freitag aus dem Urlaub zurück und machte einen positiven Schwangerschaftstest. Am darauffolgenden Montag, 13. September 2021 ging die Klägerin zum Arzt, auch dort bestätigte sich ihre Schwangerschaft. Die Klägerin informierte noch am selben Tag ihre vorgesetzte Objektleiterin, Frau D*, telefonisch über die Schwangerschaft.
Am darauffolgenden Tag, dem 14. September 2021 schickte sie ein E-Mail an die beklagte Partei, in dem sie mitteilte, dass sie erst am Tag zuvor erfahren habe, dass sie schwanger sei und erklärte sich arbeitsbereit. Dieses E-Mail wurde von der beklagten Partei mit dem Hinweis beantwortet, dass das Arbeitsverhältnis mit 1. September 2021 einvernehmlich aufgelöst worden sei und es somit kein Arbeitsverhältnis mit der beklagten Partei gebe.
Am Tag darauf, mithin am 15. September 2021 erhielt die Klägerin vom Arzt MR Dr. F* eine Bestätigung über ihre Schwangerschaft mit dem 7. Mai 2022 als voraussichtlichen Geburtstermin.
Mit ihrer Klage begehrte die Klägerin der Höhe nach nicht bestrittene Lohnansprüche und brachte dazu zusammengefasst vor, sie habe am 15. September 2021 eine ärztliche Bestätigung der Schwangerschaft mit dem voraussichtlichen Geburtstermin unmittelbar nach deren Erhalt an die beklagte Partei per E-Mail übermittelt. Dadurch falle die infolge Unkenntnis der Schwangerschaft erfolgte Zustimmung zur einvernehmlichen Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses nach den Bestimmungen des MSchG weg und verlängere sich das Arbeitsverhältnis bis zum Beginn der Schutzfrist.
Die beklagte Partei bestritt und brachte vor, die Klägerin habe zwar die beklagte Partei am 13. September 2021 mündlich und am 14. September 2021 schriftlich über ihre Schwangerschaft informiert, jedoch keine ärztliche Bestätigung über das Bestehen einer Schwangerschaft übermittelt, weshalb das Arbeitsverhältnis am 7. September 2021 durch einvernehmliche Auflösung rechtswirksam beendet worden sei. Das E-Mail der Klägerin vom 15. September 2021 sei der beklagten Partei nie zugegangen.
Mit dem angefochtenen Urteil gab das Erstgericht der Klage statt und verpflichtete die beklagte Partei gegenüber der Klägerin zur Zahlung der zuletzt geltend gemachten, der Höhe nach nicht bestrittenen Lohnforderungen. Dazu traf das Erstgericht auf Urteilsseite drei folgende, im Berufungsverfahren noch strittige Sachverhaltsfeststellung:
Diese ärztliche Bestätigung [vom 15. September 2021] übersendete die Klägerin am gleichen Tag per E-Mail an die beklagte Partei an deren E-Mail-Adresse B***, wo sie auch einlangte.
In rechtlicher Hinsicht ging das Erstgericht davon aus, dass die Klägerin die ärztliche Bestätigung über ihre im Zeitpunkt der einvernehmlichen Auflösung nicht bekannte Schwangerschaft sofort nach Erhalt und damit zeitgerecht an die beklagte Partei als ihren Arbeitgeber übermittelt habe. Dadurch sei die einvernehmliche Auflösung zum vereinbarten Termin in analoger Anwendung des § 10 Abs 2 MSchG weg gefallen und daher von einem entsprechend § 10a MSchG verlängerten Arbeitsverhältnis auszugehen, in welchem sich die Klägerin für arbeitsbereit erklärt habe.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der beklagten Partei wegen unrichtiger Tatsachenfeststellung aufgrund unrichtiger Beweiswürdigung und unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Ziel der Abänderung im Sinn einer Klagsabweisung. Beide Berufungsgründe wenden sich gegen das vom Erstgericht festgestellte Einlangen der von der Klägerin per E-Mail übermittelten ärztlichen Bestätigung ihrer Schwangerschaft bei der beklagten Partei.
Die Klägerin strebt mit ihrer Berufungsbeantwortung die Urteilsbestätigung an.
Rechtliche Beurteilung
Die Berufung ist nicht berechtigt.
Zur Rechtsrüge:
Die Berufungswerberin vertritt die Auffassung, das Erstgericht habe die bekämpfte Feststellung durch die unzulässige Anwendung des Anscheinsbeweises erlangt, weil es allein aus dem Nachweis des Versandes einer E-Mail durch die Klägerin an die beklagte Partei auch deren tatsächlichen Zugang abgeleitet habe. Mittels Nachweises des Versandes einer E-Mail könne nach der oberstgerichtlichen Rechtsprechung (RS023059) jedoch - selbst bei Vorliegen eines Sendeprotokolls - der Anscheinsbeweis des Zugangs eines E-Mails nicht erbracht werden.
Die Berufungswerberin übersieht dabei, dass vom Beweis des ersten Anscheins der Indizienbeweis, der darauf gerichtet ist, durch den Beweis bestimmter Hilfstatsachen dem Gericht die volle Überzeugung des Vorhandenseins der direkt nicht oder nur schwer zu beweisenden Haupttatsache zu vermitteln, streng zu trennen ist (RS0040290). Mit einem direkten Beweis wird unmittelbar eine tatbestandsrelevante Tatsache bewiesen, mit einem indirekten Beweis (Indizienbeweis) dagegen nur eine Tatsache, die erst durch den Einsatz von Erfahrungssätzen zum Tatbestandselement führt (Ziehensack in Höllwerth/Ziehensack, ZPO-TaKom § 266 ZPO Rz 6). Dabei ist zu bedenken, dass jede Beweisführung einer beweisbelasteten Partei letztlich auf tatbestandsrelevante Tatsachen zielen muss. Häufig können solche Tatsachen aber nicht unmittelbar (direkt) bewiesen werden, sondern es muss von erweislichen Tatsachen, die nicht unmittelbar den gesetzlichen Tatbestandsmerkmalen entsprechen, mit Hilfe von Erfahrungssätzen auf sie geschlossen werden (mittelbarer oder indirekter Beweis). Die Zulässigkeit des mittelbaren Beweises ergibt sich aus § 272 ZPO. Regelmäßig ist der mittelbare Beweis ein Indizienbeweis, bei dem von einer bewiesenen, tatbestandsfremden Tatsache auf eine andere, direkt nicht beweisbare, tatbestandsrelevante Tatsache geschlossen wird (Rechberger/Klicka in Rechberger/Klicka, ZPO5 vor § 266 Rz 20f mwN).
Demgegenüber beruht der Anscheinsbeweis darauf, dass bestimmte Geschehensabläufe typisch sind und es daher wahrscheinlich ist, dass auch im konkreten Fall ein derartiger gewöhnlicher Ablauf und nicht ein atypischer gegeben ist (RS0040266). Steht ein typischer Geschehensablauf fest, der nach der Lebenserfahrung auf einen bestimmten Kausalzusammenhang oder ein Verschulden hinweist, gelten diese Tatbestandsvoraussetzungen auch im Einzelfall aufgrund ersten Anscheins als erwiesen. Der Anscheinsbeweis entspringt richterlicher Rechtsfortbildung zur Bewältigung von Beweisnotständen in Schadenersatzprozessen. Der wesentliche Unterschied zum Indizienbeweis liegt weniger in der unterschiedlichen Art der Erfahrungssätze, die jeweils angewendet werden (beim Indizienbeweis verwendet der Richter seine persönliche Lebenserfahrung, beim Anscheinsbeweis darüber hinaus Erfahrungsgrundsätze der Rechtsgemeinschaft), sondern darin, dass das erklärte Ziel des Anscheinsbeweises eine Beweiserleichterung für den Beweisbelasteten ist und seine Anwendung deshalb zur Beweismaßreduzierung führt (Rechberger/Klicka, aaO, Rz 22 mwN).
Der Berufungswerberin ist zwar zuzustimmen, dass allein die Tatsache der Absendung eines E-Mails nicht den Anscheinsbeweis dahingehend begründet, der Empfänger habe dieses E-Mail auch erhalten (2 Ob 108/07g = RS0123059). Allein darauf haben die Erstrichter ihre bekämpfte Feststellung über das Einlangen der von der Klägerin per E-Mail an die beklagte Partei übermittelten ärztlichen Bestätigung über ihre Schwangerschaft aber ohnehin nicht gestützt. Die bekämpfte Feststellung wurde - darauf wird zutreffend auch in der Berufungsbeantwortung hingewiesen - nicht im Wege des Anscheinsbeweises getroffen.
Vielmehr hat das Erstgericht aus den insgesamt vorliegenden Beweisergebnissen, und zwar aus konkret zitierten Urkunden, den erfolgten gerichtlichen Einvernahmen, dem dabei gezeigten Verhalten der Einvernommenen sowie ihrer Verhaltensweisen vor und während des Gerichtsverfahrens und dem daraus gewonnenen persönlichen Eindruck unter Berücksichtigung der Lebenserfahrung im Sinn eines Indizienbeweises in der Gesamtbetrachtung den Schluss gezogen, dass es dennoch, obwohl keine unmittelbare Bestätigung darüber vorliegt, vom maßgeblichen Zugang der Schwangerschaftsbestätigung bei der beklagten Partei ausgegangen ist. Die Frage, ob ein Indizienbeweis erbracht worden ist, ist aber eine solche der Beweiswürdigung (RS0043521 insb. [T3]) und wird daher darauf im Rahmen der Erledigung der Beweisrüge inhaltlich einzugehen sein.
Zur Beweisrüge:
Die Berufungswerberin begehrt anstelle der bekämpften Feststellung die Ersatzfeststellung, dass nicht festgestellt werden könne, dass die E-Mail der Klägerin, womit die ärztliche Bestätigung der Schwangerschaft übermittelt wurde, der beklagte Partei auch zugegangen, also für deren Mailbox abrufbar gewesen sei.
Soweit die Berufungswerberin moniert, die Klägerin habe keine Lese- oder sonstige Übermittlungsbestätigung vorlegen können, weshalb keinerlei Beweisergebnisse vorlägen, die Grundlage für die bekämpfte Feststellung sein könnten, ist ihr entgegen zu halten, dass diese Funktion nur bei der Verwendung von Gmail in einem Unternehmen oder einer Bildungseinrichtung und wenn das E-Mail-Konto von einem Administrator eingerichtet wurde, verfügbar ist. Für G*.H*-Konten, wie es auch von der Klägerin verwendet wurde (vgl. die aus den Beilagen ./E, ./H, ./J, ./K hervorgehende E-Mail-Adresse I*@G*.H*), gibt es hingegen keine Lesebestätigung (**.H*/**?hl=de). Daraus folgt, dass der von der Berufungswerberin der Klägerin abverlangte E-Mail-Zugangsnachweis durch Beibringung einer Lese- oder sonstigen Übermittlungsbestätigung von vorne herein nicht mit einem direkten Beweis erbracht werden kann. Der dafür beweisbelasteten Klägerin stand daher infolge der Bestreitung des Zugangs der ärztlichen Bestätigung durch die beklagte Partei und der Unzulässigkeit des Anscheinsbeweises, allein aus dem Absenden einer E-Mail auf deren Zugang zu schließen (RS0123059), für dessen Nachweis von vorne herein nur der Indizienbeweis offen.
Insbesondere aus Beilage ./2 in der Zusammenschau mit Beilage ./E (letzte Seite) lässt sich vorliegend ableiten, dass der beklagten Partei noch am Tag vor der Übermittlung der maßgeblichen ärztlichen Bestätigung per E-Mail von der Klägerin an die gleichlautende Adresse übermittelte E-Mail-Nachrichten tatsächlich zugegangen sind und von ihr auch beantwortet wurden. Der Erhalt der schriftlichen Information von der Schwangerschaft wurde sogar ausdrücklich zugestanden (vgl. vorbereitender Schriftsatz vom 4. Jänner 2022, ON 5, S 3, 4. Absatz). Bedenkt man weiters, dass gerade aus dem solcherart dokumentierten und belegten E-Mail-Verkehr zwischen den Streitteilen eindeutig hervorgeht, dass die Klägerin die beklagte Partei damit jedenfalls bereits am 14. September 2021 schriftlich über ihre Schwangerschaft informiert hat und dies sogar ausdrücklich zugestanden wurde, demgegenüber aber sowohl der Geschäftsführer der beklagten Partei als auch die dortige Vorgesetzte der Klägerin in ihren gerichtlichen Einvernahmen eine Kenntnis darüber in Abrede stellten (vgl. Streitverhandlungsprotokoll vom 24. März 2022, ON 11), so ist die vom Erstgericht unter Berücksichtigung des Aussageverhaltens zur verwendeten E-Mail-Adresse (vgl. die Dokumentation in ON 11, S 5) und des sonstigen Verhaltens vor und während des Prozesses aus der sich solcherart ergebenden Indizienkette unter Berücksichtigung der Lebenserfahrung gezogene Schlussfolgerung, dass die Klägerin das E-Mail mit der ärztlichen Bestätigung ihrer Schwangerschaft nicht nur an die angegebene E-Mail-Adresse der beklagten Partei versendet hat, sondern dieses dort auch tatsächlich eingelangt ist, vertretbar und unbedenklich. Dies umso mehr, als von der beklagten Partei selbst in der Berufung zugestanden wurde, dass Beilage ./J den Schluss zulasse, dass die hier relevante E-Mail von der Klägerin auch versendet wurde; zudem wurde bereits vor dem Erstgericht der Erhalt der schriftlichen Information über die Schwangerschaft, die nach den vorgelegten Urkunden (insb. Beilage ./E, letzte Seite iVm Beilage ./2) per E-Mail an die gleichlautende Adresse übermittelt wurde, sogar ausdrücklich zugestanden.
Es hat daher insgesamt beim angefochtenen Urteil zu bleiben.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO.
Die ordentliche Revision ist gemäß § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig. Die hier entscheidungswesentliche Frage, ob eine E-Mail-Sendung der Klägerin der beklagten Partei auch zugegangen ist, war ausschließlich anhand von Schlussfolgerungen aus den vorliegenden Beweisergebnissen iSe Indizienbeweises zu klären. Dabei handelt es sich um eine nicht revisible Frage der Beweiswürdigung.
Textnummer
EL308European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OLG0459:2022:0110RA00039.22T.1206.000Im RIS seit
06.12.2022Zuletzt aktualisiert am
06.12.2022