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41/02 Passrecht Fremdenrecht;Norm
AsylG 1991 §1 Z1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Dorner und die Hofräte Dr. Kremla, Dr. Händschke, Dr. Dolp und Dr. Rigler als Richter, im Beisein der Schriftfüherin Mag. Hackl, über die Beschwerde des F, vertreten durch Dr. W, Rechtsanwalt in G, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 9. Februar 1995, Zl. 4.345.710/1-III/13/95, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug gemäß § 66 Abs. 4 AVG ergangenen Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 9. Februar 1995 wurde die Berufung des Beschwerdeführers, eines Staatsangehörigen der "Jugosl. Föderation" albanischer Nationalität, der am 17. Oktober 1993 (im angefochtenen Bescheid irrtümlich: 19. Oktober 1993) in das Bundesgebiet eingereist ist und am 12. Oktober 1994 den Asylantrag gestellt hat, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 10. Jänner 1995, mit dem der Asylantrag abgewiesen worden war, abgewiesen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
Der Beschwerdeführer hat bei seinen niederschriftlichen Einvernahmen im erstinstanzlichen Verfahren am 21. Oktober 1994 und am 15. November 1994 im wesentlichen folgendes angegeben:
Er habe am 3. Oktober 1993 einen Einberufungsbefehl erhalten, nach dessen Inhalt er am 5. Oktober 1993 zum Militärdienst einrücken hätte sollen. Er habe diesem Befehl nicht Folge geleistet, weil er "nicht in den Krieg ziehen (wollte), da ich mit Sicherheit getötet worden wäre". Er habe nämlich erfahren, daß sein Nachbar im Krieg getötet worden sei. Nach Erhalt des Einberufungsbefehls sei er zunächst zu seiner Tante und dann über Ungarn nach Österreich geflüchtet. Während des Aufenthaltes bei seiner Tante habe er von seinem Vater erfahren, daß er von der Militärpolizei im Haus seiner Eltern gesucht worden sei. Darüber hinaus seien im Jänner 1991 die albanischen Schulen im Kosovo geschlossen worden. Es sei den Schülern mitgeteilt worden, daß der Unterricht in Hinkunft in serbischer Sprache geführt werde. Da der Beschwerdeführer nicht serbisch habe sprechen wollen, habe er die Schule nicht mehr besucht. Eine private albanische Schule habe er nicht besuchen wollen, weil die ausgestellten Zeugnisse nicht offiziell gültig seien. In der Folge sei in albanischen Schulen Gas ausgetreten, sodaß Schüler, darunter auch seine Schwester, erkrankt seien. Zu diesem Zeitpunkt habe er die Schule nicht mehr besucht. Etwa vier Monate nach dem "Gasanschlag" sei die früher von ihm besuchte Schule geschlossen worden. Bei einer Rückkehr in sein Heimatland müßte er zum Militärdienst einrücken und hätte mit einer Gefängnisstrafe in der Dauer von etwa einem Jahr wegen Nichtbefolgung des Einberufungsbefehles zu rechnen. Er glaube nicht, im Falle der Ableistung des Militärdienstes gegen "die eigenen Landsleute" kämpfen zu müssen, befürchte aber "gegen die Moslems" vorgehen zu müssen. Überdies könne er aus den dargelegten Gründen im Kosovo keine öffentliche Schule besuchen. Ein Serbe (in seiner Situation) wäre nicht geflüchtet, weil er die Schule besuchen können hätte und "im Militäreinsatz einer nicht so großen Gefahr ausgesetzt worden" wäre.
Die belangte Behörde hat dazu in rechtlicher Hinsicht ausgeführt, daß die Einberufung zur Militärdienstleistung keine Verfolgung i.S.d. § 1 Z. 1 Asylgesetz 1991 darstelle, da die erforderliche Verfolgungsmotivation nicht gegeben sei, wenn die staatlichen Maßnahmen der Durchsetzung staatsbürgerlicher Pflichten dienten. Der Beschwerdeführer habe die (in der Berufung geäußerte) Befürchtung, im Rahmen der Ableistung des Militärdienstes besonderer Benachteiligungen aufgrund seiner ethnischen Zugehörigkeit ausgesetzt zu sein, bei der niederschriftlichen Einvernahme, welche zentrale Erkenntnisquelle des Asylverfahrens sei, nicht ins Treffen geführt.
Diese Auffassung der belangten Behörde ist verfehlt. Der Beschwerdeführer hat - wie dargestellt - bei seiner Vernehmung im erstinstanzlichen Verfahren vorgebracht, im Falle der Ableistung des Militärdienstes so eingesetzt zu werden, daß er "mit Sicherheit getötet worden wäre". Weiters hat er vorgebracht, daß Angehörige der serbischen Nationalität bei einem Militäreinsatz nicht einer derart großen Gefahr ausgesetzt wären. Er hat damit geltend gemacht, als Angehöriger der albanischen Minderheit den Militärdienst unter wesentlich gefährlicheren Umständen ableisten zu müssen, als Angehörige der serbischen Bevölkerungsmehrheit. Damit macht er mit hinreichender Deutlichkeit geltend, daß die Umstände der Ableistung des Militärdienstes als Maßnahmen einer drohenden Verfolgung aus Gründen seiner Zugehörigkeit zur albanischen Nationalität anzusehen sind und somit an asylrelevante Merkmale anknüpfen (vgl. das hg. Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 29. Juni 1994, Zl. 93/01/0377 auf welches gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird). In Übereinstimmung mit diesem Erkenntnis hat der Beschwerdeführer daher in der Berufung zurecht geltend gemacht, die Erstbehörde hätte aufgrund seines Vorbringens Ermittlungen darüber anzustellen gehabt, welche Praxis seitens der Behörde im Heimatland des Beschwerdeführers betreffend die Einberufung von Wehrpflichtigen albanischer Nationalität im Vergleich zur Einberufung von Angehörigen anderer Volksgruppen, insbesondere der serbischen, gepflogen werde, und zwar sowohl hinsichtlich der Einberufung zum Militärdienst als auch hinsichtlich der Umstände, unter denen dieser Dienst abzuleisten sei. Aufgrund der damit zu Recht geltend gemachten (sekundären) Mangelhaftigkeit des erstinstanzlichen Verfahrens hatte die belangte Behörde gemäß § 20 Abs. 2 Asylgesetz 1991 ihrer Entscheidung - abweichend von der Grundregel des § 20 Abs. 1 leg. cit. - nicht das Ergebnis des Ermittlungsverfahrens erster Instanz zugrundezulegen, sondern eine Ergänzung des Ermittlungsverfahrens anzuordnen. Die belangte Behörde hat zwar Feststellungen über die Praxis betreffend die Einberufung von Wehrpflichtigen albanischer Nationalität sowie über die Umstände, unter denen der Militärdienst von Angehörigen dieser Nationalität abzuleisten ist, und auch über die Behördenpraxis bei der Verhängung von Sanktionen wegen Desertion und Refraktion getroffen, sich diesbezüglich jedoch nur auf nicht näher genannte "Informationen", deren Herkunft auch den Verwaltungsakten nicht entnommen werden kann, gestützt. Die Beschwerde macht daher - unabhängig davon, ob die Feststellungen der belangten Behörde zur Beurteilung der hier anstehenden Fragen ausreichend sind - jedenfalls zu Recht als Verfahrensmangel geltend, daß die belangte Behörde keine geeigneten Ermittlungen unter Wahrung des Parteiengehörs durchgeführt hat (vgl. zum Ausmaß der erforderlichen Ermittlungen das hg. Erkenntis vom 20. Dezember 1995, Zl. 95/01/0104). Solange solche Ermittlungsergebnisse fehlen, kann davon, daß nicht gemäß § 3 Asylgesetz 1991 glaubhaft sei, daß der Beschwerdeführer Flüchtling sei, abschließend nicht die Rede sein.
Damit wäre der angefochtene Bescheid noch nicht mit Rechtswidrigkeit belastet, hätte die belangte Behörde zu Recht vom Ausschließungsgrund des § 2 Abs. 2 Z. 3 Aslygesetz 1991 Gebrauch gemacht, wonach einem Flüchtling kein Asyl gewährt wird, wenn er bereits in einem anderen Staat vor Verfolgung sicher war. Die belangte Behörde, die diesen Ausschließungsgrund erstmals herangezogen hat, ging dabei von den Angaben des Beschwerdeführers bei seiner niederschriftlichen Vernehmung, daß er sich vor seiner Einreise nach Österreich in Ungarn aufgehalten habe, aus, und befaßte sich in rechtlicher Hinsicht näher mit dem Begriff der "Verfolgungssicherheit" i.S.d. genannten Gesetzesstelle, wobei sie im wesentlichen - im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. u.a. das Erkenntnis vom 6. September 1995, Zl. 95/01/0030, mit ausführlichen weiteren Judikaturhinweisen), auf die gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird - die Rechtslage richtig erkannt hat.
Der Beschwerdeführer macht in diesem Zusammenhang insbesondere geltend, daß die belangte Behörde "jegliche Ermittlungstätigkeit" darüber unterlassen habe, ob tatsächlich das "Non-Refoulement-Recht" in Ungarn vorhanden und effektiv in Geltung sei. Der Beschwerdeführer habe bereits im erstinstanzlichen Verfahren zu Protokoll gegeben, daß er Angst habe, "von Ungarn aus in sein Heimatland zurückgeschoben" zu werden.
Diese Ausführungen sind nach Maßgabe der dem Beschwerdeführer im Verfahren treffenden Mitwirkungspflicht ausreichend konkretisiert, um die Wesentlichkeit der der belangten Behörde unterlaufenen Verletzung von Verfahrensvorschriften (Parteiengehör, Ermittlungs- und Begründungspflicht) zu erkennen. Die Mitwirkungspflicht der Partei geht nicht soweit, daß sich die Behörde ein ordnungsgemäßes Verfahren ersparen könnte, zu dessen Durchführung sie (hier: gemäß §§ 11, 16 Asylgesetz 1991 i.V.m. §§ 39, 35, 60 AVG) verpflichtet ist. Der Mitwirkungspflicht kommt dort Bedeutung zu, wo es der Behörde nicht möglich ist, von sich aus und ohne Mitwirkung der Partei tätig zu werden. Dies trifft auf die im allgemeinen in Ungarn beobachtete Vorgangsweise betreffend den Schutz von Flüchtlingen vor Rückschiebung in ihren Heimatstaat nicht zu. Die Pflicht eines Beschwerdeführers zur Darlegung der Wesentlichkeit von Verfahrensmängeln vor dem Verwaltungsgerichtshof geht nicht weiter als seine Mitwirkungspflicht im Verwaltungsverfahren gegeben wäre, hätte die belangte Behörde die Verfahrensvorschriften beachtet (vgl. zu all dem das hg. Erkenntnis vom 26. Jänner 1995, Zl. 94/19/0413, m.w.N.).
Das Beschwerdevorbringen verstößt auch nicht gegen das gemäß § 41 Abs. 1 VwGG im verwaltungsgerichtlichen Verfahren geltende Neuerungsverbot. Der Beschwerdeführer hat sich bereits bei seiner Vernehmung im erstinstanzlichen Verfahren gegen die ihm vorgehaltene Ansicht der Erstbehörde, Ungarn gewähre Flüchtlingen Asyl und es sei nicht bekannt, daß "Staatsbürger ihres Heimatlandes welche in Ungarn eingereist sind und um Asyl angesucht haben in ihr Heimatland zurückgeschoben worden sind", mit der Begründung ausgesprochen, er habe Angst gehabt, von Ungarn aus in sein Heimatland zurückgeschoben zu werden, "da sich die Ungarn mit den Serben gut verstehen" und er habe gehört, daß andere Personen von dort in ihr Heimatland zurückgeschoben worden seien. Darüber hinaus hat die belangte Behörde, nachdem die Erstbehörde ihren abweichlichen Bescheid nicht darauf gestützt hat, daß der Beschwerdeführer in Ungarn bereits vor Verfolgung sicher gewesen sei, dem Beschwerdeführer keine Gelegenheit geboten, zu der Ansicht, er sei in Ungarn vor Verfolgung sicher gewesen, Stellung zu nehmen.
Die belangte Behörde hat somit dadurch, daß sie den angefochtenen Bescheid ohne Vorliegen von - unter dem Blickwinkel der Beschwerdeausführungen sowohl zur Frage der Verfolgung im Sinne von § 1 Z. 1 Asylgesetz 1991 als auch zur Frage der "Verfolgungssichterheit" - entsprechenden Ergebnissen eines unter Wahrung des Parteiengehörs durchgeführten Ermittlungsverfahrens erlassen hat, diesen mit wesentlichen Verfahrensmängeln belastet, bei deren Vermeidung sie zu einem anderen Bescheid hätte gelangen können.
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Von der Durchführung einer Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 3 VwGG abgesehen werden.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG i.V.m. der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1996:1995010081.X00Im RIS seit
20.11.2000