RS Vfgh 2022/6/13 V160/2021 ua

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Veröffentlicht am 13.06.2022
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Index

82/02 Gesundheitsrecht allgemein

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Verordnung
B-VG Art18 Abs2, Art139 Abs1 Z3
StGG Art5, Art6
EMRK 1. ZP Art1
EU-Grundrechte-Charta Art15, Art16, Art17, Art51
COVID-19-MaßnahmenG §1, §2, §3, §7, §8, §10, §11
4. COVID 19-SchutzmaßnahmenV BGBl II 58/2021 idF BGBl II 206/2021 §7, §24
VfGG §7 Abs2, §57 Abs1
  1. B-VG Art. 7 heute
  2. B-VG Art. 7 gültig ab 01.08.2013 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 114/2013
  3. B-VG Art. 7 gültig von 01.01.2004 bis 31.07.2013 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 100/2003
  4. B-VG Art. 7 gültig von 16.05.1998 bis 31.12.2003 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 68/1998
  5. B-VG Art. 7 gültig von 14.08.1997 bis 15.05.1998 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 87/1997
  6. B-VG Art. 7 gültig von 01.07.1988 bis 13.08.1997 zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 341/1988
  7. B-VG Art. 7 gültig von 01.01.1975 bis 30.06.1988 zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 444/1974
  8. B-VG Art. 7 gültig von 19.12.1945 bis 31.12.1974 zuletzt geändert durch StGBl. Nr. 4/1945
  9. B-VG Art. 7 gültig von 03.01.1930 bis 30.06.1934
  1. B-VG Art. 18 heute
  2. B-VG Art. 18 gültig ab 01.07.2012 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 51/2012
  3. B-VG Art. 18 gültig von 01.01.2004 bis 30.06.2012 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 100/2003
  4. B-VG Art. 18 gültig von 01.01.2002 bis 31.12.2003 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 121/2001
  5. B-VG Art. 18 gültig von 01.01.1999 bis 31.12.2001 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 121/2001
  6. B-VG Art. 18 gültig von 01.01.1999 bis 31.12.1996 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 8/1999
  7. B-VG Art. 18 gültig von 01.01.1997 bis 31.12.1998 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 121/2001
  8. B-VG Art. 18 gültig von 19.12.1945 bis 31.12.1996 zuletzt geändert durch StGBl. Nr. 4/1945
  9. B-VG Art. 18 gültig von 03.01.1930 bis 30.06.1934
  1. VfGG § 7 heute
  2. VfGG § 7 gültig ab 22.03.2020 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 16/2020
  3. VfGG § 7 gültig von 01.01.2015 bis 21.03.2020 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 101/2014
  4. VfGG § 7 gültig von 01.01.2015 bis 31.12.2014 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 92/2014
  5. VfGG § 7 gültig von 01.03.2013 bis 31.12.2014 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 33/2013
  6. VfGG § 7 gültig von 01.07.2008 bis 28.02.2013 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 4/2008
  7. VfGG § 7 gültig von 01.01.2004 bis 30.06.2008 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 100/2003
  8. VfGG § 7 gültig von 01.10.2002 bis 31.12.2003 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 123/2002
  9. VfGG § 7 gültig von 01.01.1991 bis 30.09.2002 zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 329/1990
  10. VfGG § 7 gültig von 01.07.1976 bis 31.12.1990 zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 311/1976

Leitsatz

Kein Verstoß gegen das Recht auf Freiheit der Erwerbsbetätigung und auf Unversehrtheit des Eigentums durch die Beibehaltung eines Betretungs- und Befahrungsverbotes von Betriebsstätten des Gastgewerbes; Verordnungsakt enthält hinreichende Dokumentation und regelmäßige Evaluierung der Entscheidungsgrundlagen, insbesondere der epidemiologischen Situation und der Aufrechterhaltung eines funktionsfähigen Gesundheitssystems auch im Hinblick auf die Lockerungen in Vorarlberg; Verhältnismäßigkeit der monatelang in Geltung stehenden Maßnahme durch Verminderung des intensiven Eingriffs (Zulässigkeit der Abholung und Lieferung von Speisen und Getränken) sowie das flankierende Maßnahmen- und Rettungspaket; kein Verstoß gegen den Gleichheitssatz durch die unterschiedliche Behandlung von Gastronomie und Handel auf Grund der unterschiedlichen Verweildauer und die mit einem Restaurantbesuch verbundenen Umstände; Geltung des Betretungsverbotes auch in Gastgärten – trotz der im Freien anzunehmenden geringeren epidemiologischen Gefahr – im Entscheidungsspielraum des Verordnungsgebers

Rechtssatz

Zurückweisung des Individualantrags näher bezeichneter antragstellender Parteien auf Aufhebung des §7 COVID-19-SchuMaV, BGBl II 463/2020, des §7 COVID-19-SchuMaV, BGBl II 463/2020, idF BGBl II 472/2020, des §7 COVID-19-NotMV, BGBl II 479/2020, des §7 2. COVID-19-SchuMaV, BGBl II 544/2020, des §7 3. COVID-19-SchuMaV, BGBl II 566/2020, des §7 2. COVID-19-NotMV, BGBl II 598/2020, des §7 3. COVID-19-NotMV, BGBl II 27/2021, des §7 4. COVID-19-NotMV, BGBl II 49/2021, des §7 4. COVID-19-SchuMaV, BGBl II 58/2021, und des §7 4. COVID-19-SchuMaV, BGBl II 58/2021, idF BGBl II 94/2021, einer weiteren antragstellenden Partei auf Aufhebung des §7 COVID-19-SchuMaV, BGBl II 463/2020, des §7 COVID-19-SchuMaV, BGBl II 463/2020, idF BGBl II 472/2020, des §7 4. COVID-19-SchuMaV, BGBl II 58/2021, und des §7 4. COVID-19-SchuMaV, BGBl II 58/2021, idF BGBl II 94/2021, der weiteren antragstellenden Partei auf Aufhebung des §7 4. COVID-19-SchuMaV, BGBl II 58/2021, und des §7 4. COVID-19-SchuMaV, BGBl II 58/2021, idF BGBl II 94/2021 sowie der letzten antragstellenden Partei auf Aufhebung der §§7 und 24 Z3 4. COVID-19-SchuMaV, BGBl II 58/2021, idF BGBl II 206/2021. Im Übrigen: Abweisung des Antrags.

Der vorliegende Antrag wurde am 18.05.2021 und sohin nach Außerkrafttreten der angefochtenen Bestimmungen beim VfGH eingebracht. Es fehlt daher insoweit bereits an der Zulässigkeitsvoraussetzung einer - aktuellen - Beeinträchtigung von rechtlich geschützten Interessen des Antragstellers im Zeitpunkt der Antragstellung. Daran vermag auch der Hinweis der Antragsteller auf VfSlg 20398/2020 nichts zu ändern, weil die dort zu beurteilenden Individualanträge auf Verordnungsprüfung - im Unterschied zum vorliegenden Fall - noch während aufrechter Geltungsdauer der Verordnung gestellt worden waren.

Hinreichende Darlegung im Verordnungsakt, dass das angefochtene Betretungs- und Befahrungsverbot im Einklang mit den im COVID-19-MG normierten Verfahrensregelungen erlassen wurde, die im Gesetz vorgegebenen Kriterien für die Bewertung der epidemiologischen Situation angewendet wurden sowie aktenmäßige Dokumentation der Entscheidungsgrundlagen, auf welchen Grundlagen die Entscheidung über die Erlassung bzw Beibehaltung der in §7 4. COVID-19-SchuMaV angeordneten Maßnahmen getroffen wurde.

Keine Verletzung des Grundrechts auf Freiheit der Erwerbsbetätigung gem Art6 StGG (sowie der Unversehrtheit des Eigentums gemäß Art5 StGG, Art1 1. ZPEMRK):

Der Gesetzgeber hat dem Verordnungsgeber in der Frage der Bekämpfung der COVID-19-Pandemie einen weiten Entscheidungsspielraum eingeräumt. Angesichts der im Verordnungsakt dokumentierten maßgeblichen epidemiologischen Situation war das Betretungs- und Befahrungsverbot von Betriebsstätten sämtlicher Betriebsarten der Gastgewerbe zur Zielerreichung der Aufrechterhaltung eines funktionsfähigen Gesundheitssystems erforderlich. Dem Verordnungsgeber ist nicht entgegenzutreten, wenn er - trotz sinkender Fallzahlen und einer sich leicht entspannenden Lage auf den Krankenpflegestationen - im Sinne eines schrittweisen Vorgehens erste Lockerungsschritte setzte, die Beibehaltung des Betretungs- und Befahrungsverbotes für Gastgewerbebetriebe im Zeitpunkt der Verordnungserlassung aber noch als erforderlich ansah. Den vorgelegten Verordnungsakten ist weiters zu entnehmen, dass der BMSGPK - wie dies auch durch die Bestimmung des §11 Abs3 erster Satz COVID-19-MG gesetzlich vorgezeichnet ist - in regelmäßigen Abständen evaluierte, ob die Voraussetzungen für die Beibehaltung der angefochtenen Maßnahme weiterhin vorliegen. Dass der Verordnungsgeber nicht daran gehindert ist, Betretungsverbote - bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen des §3 COVID-19-MG - mehrfach in unmittelbarer Aufeinanderfolge zu verfügen, hat der VfGH in E v 24.06.2021, V2/2021, bereits festgehalten.

Der Einwand der Antragsteller, dass das Betretungs- und Befahrungsverbot des §7 Abs1 4. COVID-19-SchuMaV nicht das gelindeste Mittel darstelle, zumal auch Abstandsregelungen und eine FFP2-Maskenpflicht einen wirksamen Schutz vor viralen Infektionen gewährleisteten, trifft für die hier zu beurteilende Rechtslage nicht zu. In der "Rechtlichen Begründung" zur 4. COVID-19-SchuMaV, BGBl II 58/2021, führt der BMSGPK aus, dass im Hinblick auf das hohe epidemiologische Grundgeschehen Lockerungen sehr behutsam vorgenommen und deren Auswirkungen streng beobachtet werden müssten. Verstärkt aufkommende Virusvarianten hätten eine zusätzliche, verschärfte Beobachtung der Öffnungsschritte unabdingbar gemacht. Der Verordnungsgeber hat in weiterer Folge durch die 4. Novelle der 4. COVID-19-SchuMaV, BGBl II 111/2021, für das Bundesland Vorarlberg - auf Grund der in diesem Bundesland vorliegenden epidemiologischen Lage - in §24 Z3 4. COVID-19-SchuMaV ab dem 15.03.2021 Lockerungen vorgenommen. Im Hinblick auf PCR-Tests als gelindere Maßnahme weist der BMSGPK nachvollziehbar darauf hin, dass die Vorlage eines negativen PCR-Tests zum Zeitpunkt der Verordnungserlassung (04.05.2021) auf Grund fehlender flächendeckender Infrastruktur zur Durchführung (kostenloser) molekularbiologischer Tests auf SARS-CoV-2/COVID-19 in den meisten Bundesländern kein zur Zielerreichung geeignetes gelinderes Mittel darstellte. Schließlich hat der BMSGPK seinen Entscheidungsspielraum nicht überschritten, wenn er für Gastgärten - trotz der im Freien anzunehmenden geringeren epidemiologischen Gefahr - keine Ausnahme vom allgemeinen Betretungs- und Befahrungsverbot für Gastgewerbebetriebe vorsah.

Hinsichtlich der Beurteilung der Verhältnismäßigkeit der angefochtenen Maßnahme ist darauf Bedacht zu nehmen, dass das Betretungs- und Befahrungsverbot von Betriebsstätten sämtlicher Betriebsarten der Gastgewerbe (auf Grund inhaltlich im Wesentlichen gleichlautender Vorgängerbestimmungen) insgesamt bereits seit 03.11.2020 durchgehend in Geltung war. Die angefochtene Maßnahme des §7 Abs1 4. COVID-19-SchuMaV greift daher intensiv in die verfassungsgesetzlich geschützte Rechtssphäre der Antragsteller ein.

Der Verordnungsgeber verfolgt demgegenüber aber ein gesundheitspolitisches Ziel von erheblichem Gewicht, wenn er die Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 und damit die Gewährleistung der medizinischen Versorgung zum Anlass für die Erlassung der angefochtenen Maßnahme nimmt.

Für die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme kann zudem ins Treffen geführt werden, dass durch die Ausnahmen vom Betretungsverbot in §7 Abs2, 3 und 4 4. COVID-19-SchuMaV (zB Verabreichung an Gäste eines Beherbergungsbetriebes) das Gewicht des Eingriffs vermindert wird. Zudem war gemäß §7 Abs7 4. COVID-19-SchuMaV eine Abholung von Speisen und Getränken und gemäß Abs8 leg cit eine Lieferung zulässig. Ergänzend ist auch auf das flankierende Maßnahmen- und Rettungspaket hinzuweisen, welches das Gewicht des Eingriffs ebenfalls reduziert.

Das Betretungs- und Befahrungsverbot sämtlicher Betriebsarten der Gastgewerbe des §7 Abs1 4. COVID-SchuMaV ist daher in einer Gesamtbetrachtung als "erforderlich" und als insgesamt angemessene Maßnahme zu erachten. §7 Abs1 4. COVID-19-SchuMaV ist daher nicht wegen Verstoßes gegen Art6 StGG verfassungs- und damit gesetzwidrig. Die angefochtenen Bestimmungen verstoßen aus den geltend gemachten Gründen auch nicht gegen §3 Abs1 Z1 und Abs2 COVID-19-MG.

Soweit die Antragsteller einen Verstoß gegen Art15, 16 und 17 GRC monieren, gehen ihre Bedenken ins Leere, weil nicht ersichtlich ist, inwiefern in der angefochtenen Bestimmung eine "Durchführung des Rechts der Europäischen Union" iSd Art51 Abs1 GRC zu sehen ist.

Kein Verstoß gegen den Gleichheitssatz durch die Ungleichbehandlung von Betrieben der Gastronomie und den Regelungen für Betriebe des Handels (§5 4. COVID-19-SchuMaV):

In den differenzierten Regelungen für Betriebsstätten des Handels und der Gastronomie ist keine unsachliche Ungleichbehandlung zu erkennen. Dem BMSGPK ist nicht entgegenzutreten, wenn er insbesondere auf Grund der unterschiedlichen Verweildauer und der mit dem Restaurantbesuch verbundenen Umstände (geselliges Beisammensein, verbale Interaktion, fehlende Möglichkeit des Tragens eines Mund-Nasen-Schutzes) auf eine erhöhte Ausbreitung von COVID-19 in Gastronomiebetrieben schließt.

Entscheidungstexte

  • V160/2021 ua
    Entscheidungstext VfGH Erkenntnis 13.06.2022 V160/2021 ua

Schlagworte

COVID (Corona), Grundlagenforschung, Verhältnismäßigkeit, Verordnungserlassung, VfGH / Individualantrag, VfGH / Prüfungsumfang, Geltungsbereich (zeitlicher) einer Verordnung, Geltungsbereich (örtlicher) einer Verordnung, Gastgewerbe, Gastgärten, Gaststätten, Erwerbsausübungsfreiheit, Eigentumsbeschränkung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2022:V160.2021

Zuletzt aktualisiert am

05.12.2022
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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