TE Vfgh Erkenntnis 2022/6/14 E3648/2021

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Veröffentlicht am 14.06.2022
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Index

60/01 Arbeitsvertragsrecht

Norm

EMRK 1. ZP Art1
StGG Art5
Lohn- und Sozialdumping-BekämpfungsG §26, §28, §29, §72 Abs10
VStG §20, §52
VfGG §7 Abs2
  1. VfGG § 7 heute
  2. VfGG § 7 gültig ab 22.03.2020 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 16/2020
  3. VfGG § 7 gültig von 01.01.2015 bis 21.03.2020 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 101/2014
  4. VfGG § 7 gültig von 01.01.2015 bis 31.12.2014 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 92/2014
  5. VfGG § 7 gültig von 01.03.2013 bis 31.12.2014 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 33/2013
  6. VfGG § 7 gültig von 01.07.2008 bis 28.02.2013 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 4/2008
  7. VfGG § 7 gültig von 01.01.2004 bis 30.06.2008 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 100/2003
  8. VfGG § 7 gültig von 01.10.2002 bis 31.12.2003 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 123/2002
  9. VfGG § 7 gültig von 01.01.1991 bis 30.09.2002 zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 329/1990
  10. VfGG § 7 gültig von 01.07.1976 bis 31.12.1990 zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 311/1976

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Unversehrtheit des Eigentums durch Verhängung mehrerer einzelner Geldstrafen (bzw Ersatzfreiheitsstrafen samt Verfahrenskostenbeitrag) nach dem Lohn- und Sozialdumping-BekämpfungsG auf Grund der Unterentlohnung von 14 Arbeitnehmern; Außerachtlassung der novellierten Strafbestimmung betreffend die Verhängung einer (einzigen) Geldstrafe für eine (einzige) Verwaltungsübertretung unabhängig von der Anzahl der von der Verwaltungsübertretung betroffenen Arbeitnehmer

Spruch

I. 1. Der Beschwerdeführer ist durch die Spruchpunkte II. und III. des angefochtenen Erkenntnisses im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unversehrtheit des Eigentums verletzt worden.

2. Die Behandlung der Beschwerde wird hinsichtlich des Spruchpunktes I. abgelehnt.

3. Das Erkenntnis wird hinsichtlich der Spruchpunkte II. und III. aufgehoben.

II. Der Bund (Bundesminister für Arbeit) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seiner Rechtsvertreter die mit € 2.856,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1. Mit Straferkenntnis des Bürgermeisters der Stadt Graz vom 11. März 2021 wurde dem Beschwerdeführer zur Last gelegt, er habe als Inhaber und somit als gemäß §9 Abs1 VStG Verantwortlicher eines Unternehmens mit Sitz in Slowenien – als Arbeitgeber im Sinne der §§3 Abs2, 8 Abs1 oder 19 Abs1 Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfungsgesetz (LSD-BG) – zu verantworten, dass 14 Arbeitnehmer beschäftigt wurden, ohne ihnen das gebührende Entgelt unter Beachtung der jeweiligen Einstufungskriterien, ausgenommen die in §49 Abs3 ASVG angeführten Entgeltbestandteile, geleistet zu haben. Der Beschwerdeführer wurde wegen Übertretung des §29 Abs1 1. Satz LSD-BG, idF BGBl I 44/2016, iVm dem Kollektivvertrag für das Metallgewerbe 2018 iVm §9 Abs1 VStG zu 14 Geldstrafen, in Summe zu € 45.400,–, und im Falle der Uneinbringlichkeit jeweils zu Ersatzfreiheitsstrafen, in Summe zu 771 Stunden (32 Tage und 3 Stunden), sowie zu einem Kostenbeitrag iHv € 4.540,– verurteilt.

2. Die gegen dieses Straferkenntnis erhobene Beschwerde wies das Landesverwaltungsgericht Steiermark mit Erkenntnis vom 17. August 2021 mit der Maßgabe als unbegründet ab, dass im ersten Satz des Straferkenntnisses der Wortlaut "gemäß §9 Abs1 VStG" zu entfallen habe (Spruchpunkt I.).

Hinsichtlich des Strafausmaßes gab es der Beschwerde dahingehend Folge, dass die Geldstrafen (bzw Ersatzfreiheitsstrafen) zum Teil herabgesetzt wurden, wodurch sich auch der Kostenbeitrag für das Verwaltungsstrafverfahren der belangten Behörde auf den Betrag von € 4.160,– verminderte (Spruchpunkt II.). Ferner wurde ein Verfahrenskostenbeitrag iHv € 1.200,– gemäß §52 Abs1 und 2 VwGVG verhängt (Spruchpunkt III.).

2.1. In der Begründung führte das Landesverwaltungsgericht Steiermark im Wesentlichen aus, dass an den festgestellten Unterentlohnungen kein Zweifel bestehe. Der Beschwerdeführer sei Inhaber des näher bezeichneten Einzelunternehmens und damit – nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes – in eigener Person unmittelbar strafrechtlich verantwortlich, weshalb für die Anwendung des §9 Abs1 VStG kein Raum bestehe.

2.2. Nachdem die Unterentlohnung in allen Punkten zweifelsfrei festgestellt werden habe können, habe der Beschwerdeführer die Tat in objektiver Weise zu verantworten. Die belangte Behörde sei zu Recht vom dritten Strafsatz des §29 Abs1 LSD-BG mit einem Strafrahmen von € 2.000,– bis € 20.000,– je Arbeitnehmer ausgegangen, da eine erstmalige Übertretung wegen Unterentlohnung vorliege und von dieser immerhin 14 Arbeitnehmer betroffen seien.

Die belangte Behörde habe zu Recht als mildernd in allen Spruchpunkten die Unbescholtenheit des Beschuldigten im Tatzeitraum angeführt, außerdem komme als weiterer Milderungsgrund die lange Verfahrensdauer von über drei Jahren hinzu. Als erschwerend seien in den Punkten 1 bis 6, 8, 9, 11, 13 und 14 die langen Tatzeiträume gewertet worden sowie das Ausmaß der Unterentlohnung von über 15 % in den Spruchpunkten 1 bis 3, 5, 11 bis 13, von (zumindest teilweise) über 20 % in den Spruchpunkten 6, 7, 10 und 14 bzw von über 30 % in den Spruchpunkten 4, 8, 9. Des Weiteren sei die (erst nach Ablauf der vorgegebenen Frist erfolgte) Nachzahlung der Differenzbeträge in den Spruchpunkten 2, 3, 11 und 12 als mildernd berücksichtigt worden. Unter Bedachtnahme darauf, dass als Milderungsgrund nunmehr die lange Verfahrensdauer hinzugekommen sei, seien die verhängten Strafen, welche sich über der Mindeststrafe befunden hätten, zu senken gewesen.

Betreffend jene Übertretungen, für welche ohnehin nur die Mindeststrafe verhängt worden sei (Spruchpunkte 7, 10 und 12), komme eine Senkung nicht in Betracht.

Betreffend das Vorbringen des Beschwerdeführers, dass keine Gesamtstrafe verhängt worden sei, sondern 14 Einzelstrafen kumuliert und auch zusätzlich empfindliche Ersatzfreiheitsstrafen verhängt worden seien, welche nach den Grundsätzen des Urteils des Gerichtshofes der Europäischen Union vom 12. September 2019, Rs C-64/18 ua, Maksimovic, unzulässig seien, sei auszuführen, dass sich die Judikatur des Gerichtshofes der Europäischen Union zur Verhältnismäßigkeit der Strafen ausschließlich auf die formalen Verpflichtungen bei grenzüberschreitendem Arbeitseinsatz gemäß den vormaligen Bestimmungen des AVRAG (nunmehr 4. Abschnitt des LSD-BG) beziehe. Zur Frage der Unionsrechtskonformität des §29 LSD-BG (vormals §7i AVRAG) liege hingegen bis dato noch keine Rechtsprechung vor. Ebenso sei auch die auf den Urteilen des Gerichtshofes der Europäischen Union aufbauende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes betreffend die Nichtanwendbarkeit der jeweiligen Mindeststrafen und den Entfall der Ersatzfreiheitsstrafe sowie die Judikatur des Verfassungsgerichtshofes auf diesen Tatbestand nicht anzuwenden.

2.3. Gemäß §64 Abs2 VStG betrage der Beitrag für das Verfahren erster Instanz 10 % der verhängten Strafe, sei jedoch mindestens mit € 10,– zu bemessen.

2.4. Gemäß §52 Abs1 und 2 VwGVG sei in jedem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes, in dem ein Straferkenntnis bestätigt werde, auszusprechen, dass der Bestrafte einen Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens zu leisten habe. Dieser Beitrag sei für das Beschwerdeverfahren mit 20 % der verhängten Strafe, mindestens jedoch mit € 10,– zu bemessen.

3. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz (Art7 B-VG), auf Verhältnismäßigkeit der Sanktion (Art49 GRC) und auf ein faires Verfahren (Art6 EMRK) sowie in Rechten wegen Anwendung einer verfassungswidrigen generellen Norm (§29 Abs1 LSD-BG, BGBl I 44/2016) behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses beantragt wird.

4. Das Landesverwaltungsgericht Steiermark hat die Gerichtsakten vorgelegt und von der Erstattung einer Gegenschrift abgesehen.

5. Der Bürgermeister der Stadt Graz hat die Verwaltungsakten vorgelegt und von der Erstattung einer Gegenschrift abgesehen.

II. Rechtslage

Die §29 Abs1 und §72 Abs10 LSD-BG, BGBl I 44/2016, idF BGBl I 174/2021 lauten auszugsweise wie folgt:

"Unterentlohnung

§29. (1) Wer als Arbeitgeber einen oder mehrere Arbeitnehmer beschäftigt oder beschäftigt hat, ohne ihm oder ihnen zumindest das nach Gesetz, Verordnung oder Kollektivvertrag gebührende Entgelt unter Beachtung der jeweiligen Einstufungskriterien, ausgenommen die in §49 Abs3 ASVG angeführten Entgeltbestandteile, zu leisten, begeht unabhängig von der Anzahl der von der Verwaltungsübertretung betroffenen Arbeitnehmer eine einzige Verwaltungsübertretung und ist von der Bezirksverwaltungsbehörde mit einer Geldstrafe bis zu 50 000 Euro zu bestrafen. Ist im Erstfall bei Arbeitgebern mit bis zu neun Arbeitnehmern die Summe des vorenthaltenen Entgelts geringer als 20 000 Euro beträgt die Geldstrafe bis zu 20 000 Euro. Ist die Summe des vorenthaltenen Entgelts höher als 50 000 Euro, beträgt die Geldstrafe bis zu 100 000 Euro. Ist die Summe des vorenthaltenen Entgelts höher als 100 000 Euro beträgt die Geldstrafe bis zu 250 000 Euro. Ist die Summe des vorenthaltenen Entgelts höher als 100 000 Euro und wurde das Entgelt in Lohnzahlungszeiträumen der Unterentlohnung vorsätzlich um durchschnittlich mehr als 40 vH des Entgelts vorenthalten, beträgt die Geldstrafe bis zu 400 000 Euro. Wirkt der Arbeitgeber bei der Aufklärung zur Wahrheitsfindung unverzüglich und vollständig mit, ist anstelle des Strafrahmens bis 100 000 Euro oder bis 250 000 Euro der jeweils niedrigere Strafrahmen anzuwenden. Bei Unterentlohnungen, die durchgehend mehrere Lohnzahlungszeiträume umfassen, liegt eine einzige Verwaltungsübertretung vor. Entgeltzahlungen, die das nach Gesetz, Verordnung oder Kollektivvertrag gebührende Entgelt übersteigen, sind auf allfällige Unterentlohnungen im jeweiligen Lohnzahlungszeitraum anzurechnen. Hinsichtlich von Sonderzahlungen für Arbeitnehmer im Sinne des §14 Abs1 Z1 und 2 liegt eine Verwaltungsübertretung nach dem ersten Satz nur dann vor, wenn der Arbeitgeber die Sonderzahlungen nicht oder nicht vollständig bis spätestens 31. Dezember des jeweiligen Kalenderjahres leistet. Ebenso ist zu bestrafen, wer als Auftraggeber im Sinne des §14 Abs1 Z3 einen Heimarbeiter beschäftigt oder beschäftigt hat, ohne ihm zumindest das nach Gesetz oder Verordnung gebührende Entgelt unter Beachtung der jeweiligen Einstufungskriterien, ausgenommen die in §49 Abs3 ASVG angeführten Entgeltbestandteile, zu leisten.

Inkrafttreten

§72.

(10) Die §§1 Abs2, 3, 5 bis 9, 2 Abs2, 3 und 4, 3 Abs5 und 7, 12 Abs1 Z3 bis 6, 14 samt Überschrift, 15 Abs2, 19, 21, 22, 24 Abs1 erster Satz, 25a, 26 bis 28 samt Überschriften, 29 Abs1, 33, 34 samt Überschrift, 35 Abs2 und 4 und die Überschrift zu §3 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl I Nr 174/2021 treten mit 1. September 2021 in Kraft und sind auf Entsendungen und Überlassungen anzuwenden, die nach dem 31. August 2021 begonnen haben. Die §§2 Abs3 und 35 Abs6 in der Fassung vor dem Bundesgesetz BGBl I Nr 174/2021 treten mit Ablauf des 31. August 2021 außer Kraft und sind auf Sachverhalte anzuwenden, die sich vor dem 1. September 2021 ereignet haben. Die §§2 Abs3 und 3 Abs7 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl I Nr 174/2021 gelten nicht für Arbeitnehmer im Sinne des §1 Abs9. Die §§11 Abs1 Z3, 20 Abs1 und 2 Z1, 32 Abs1 Z2 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl I Nr 174/2021 treten mit Ablauf des Tages der Kundmachung dieses Bundesgesetzes in Kraft. Die §§26 bis 29 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl I Nr 174/2021 sind auf alle zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser Bestimmungen anhängigen Verfahren einschließlich von Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof und Verfassungsgerichtshof anzuwenden."

III. Erwägungen

1. Der Verfassungsgerichtshof hat über die – zulässige – Beschwerde erwogen:

2. Mit dem angefochtenen Erkenntnis wird der Beschwerdeführer zur Leistung einer Geldstrafe und eines Verfahrenskostenbeitrags verpflichtet; die Entscheidung greift daher in das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Unversehrtheit des Eigentums des Beschwerdeführers ein.

Ein solcher Eingriff ist nach der ständigen Judikatur des Verfassungsgerichtshofes (zB VfSlg 13.587/1993 mwN, 15.364/1998, 15.768/2000, 16.113/2001, 16.430/2002) dann verfassungswidrig, wenn die ihn verfügende Entscheidung ohne jede Rechtsgrundlage ergangen ist oder auf einer verfassungswidrigen Rechtsgrundlage beruht, oder wenn das Verwaltungsgericht bei Erlassung der Entscheidung eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Rechtsgrundlage in denkunmöglicher Weise angewendet hat, ein Fall, der nur dann vorliegt, wenn das Verwaltungsgericht einen so schweren Fehler begangen hat, dass dieser mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen ist.

3. Ein solcher Fehler liegt vor:

3.1. Gemäß §29 Abs1 LSD-BG idF BGBl I 174/2021 begeht ein Arbeitgeber unabhängig von der Anzahl der von der Verwaltungsübertretung betroffenen Arbeitnehmer – im Unterschied zur Rechtslage vor der Novelle BGBl I 174/2021 – nur eine einzige Verwaltungsübertretung, die mit einer (einzigen) Geldstrafe zu bestrafen ist. Gleichzeitig wird eine Höchstgrenze für diese Geldstrafe festgelegt, während eine Untergrenze (Mindeststrafe) entfallen ist.

3.2. Die durch die Novelle BGBl I 174/2021 geänderten Strafbestimmungen §§26 bis 28 und §29 Abs1 LSD-BG traten mit 1. September 2021 in Kraft und sind gemäß dem eindeutigen Wortlaut des §72 Abs10 letzter Satz LSD-BG auf alle in diesem Zeitpunkt anhängigen Verfahren einschließlich von Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof und dem Verfassungsgerichtshof anzuwenden (VwGH 12.10.2021, Ra 2019/11/0015 und vom selben Tag, Ra 2021/11/0033; 11.11.2021, Ra 2019/11/0175; 30.11.2021, Ra 2021/11/0161; vgl auch VfGH 29.11.2021, G190/2021). Der Gesetzgeber hat mit dieser Übergangsbestimmung erkennbar das Ziel verfolgt, in allen im Zeitpunkt des Inkrafttretens (am 1. September 2021) dieser Bestimmungen anhängigen Strafverfahren wegen Lohn- und Sozialdumpings, unabhängig davon, vor welcher Behörde oder welchem Gericht ein solches Verfahren gerade anhängig war, die Anwendung derselben Gesetzeslage sicherzustellen (VwGH 12.10.2021, Ra 2021/11/0033).

3.3. Der Beschwerdeführer wurde im vorliegenden Fall wegen Unterentlohnung von 14 Arbeitnehmern zu 14 (einzelnen) Geldstrafen (bzw jeweiligen Ersatzfreiheitsstrafen) gemäß §29 Abs1 LSD-BG, idF BGBl I 44/2016, bestraft und über ihn ein Verfahrenskostenbeitrag verhängt. Diese Rechtsanwendung ist einer denkunmöglichen Gesetzesanwendung gleichzuhalten. Da der Verfassungsgerichtshof nach der Übergangsbestimmung, §72 Abs10 letzter Satz LSD-BG idF BGBl I 174/2021, jedenfalls die neue Rechtslage anzuwenden hat, ist die Entscheidung daher wegen Verletzung des durch Art1 1. ZPEMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts im Umfang der Spruchpunkte II. und III. aufzuheben.

4. Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt:

4.1. Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde ablehnen, wenn von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144 Abs2 B-VG). Ein solcher Fall liegt vor, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich sind.

4.2. Die gerügten Rechtsverletzungen wären im vorliegenden Fall aber nur die Folge einer – allenfalls grob – unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beantwortung der aufgeworfenen Fragen nicht anzustellen.

IV. Ergebnis

1. Der Beschwerdeführer ist somit durch die Spruchpunkte II. und III. des angefochtenen Erkenntnisses im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unversehrtheit des Eigentums gemäß Art1 1. ZPEMRK verletzt worden.

Hinsichtlich des Spruchpunktes I. wird von der Behandlung der Beschwerde abgesehen.

Hinsichtlich der Spruchpunkte II. und III. ist das Erkenntnis aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG und §19 Abs3 Z1 iVm §31 letzter Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 436,– sowie eine Eingabengebühr gemäß §17a VfGG in der Höhe von € 240,– enthalten.

Schlagworte

Arbeitsrecht, Strafe (Verwaltungsstrafrecht), Geldstrafe, Übergangsbestimmung, Eigentumseingriff, Mindestlohntarif

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2022:E3648.2021

Zuletzt aktualisiert am

05.12.2022
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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