TE Vfgh Beschluss 2022/6/29 G104/2022

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Veröffentlicht am 29.06.2022
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Index

L5500 Baumschutz, Landschaftsschutz, Naturschutz

Norm

B-VG Art140 Abs1 Z1 lita
Oö Natur- und LandschaftsschutzG 2001 §43a
VwGVG §13
VfGG §7 Abs2, §62 Abs2
  1. B-VG Art. 140 heute
  2. B-VG Art. 140 gültig ab 01.01.2015 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 114/2013
  3. B-VG Art. 140 gültig von 01.01.2014 bis 31.12.2014 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 51/2012
  4. B-VG Art. 140 gültig von 01.07.2008 bis 31.12.2013 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 2/2008
  5. B-VG Art. 140 gültig von 01.01.2004 bis 30.06.2008 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 100/2003
  6. B-VG Art. 140 gültig von 06.06.1992 bis 31.12.2003 zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 276/1992
  7. B-VG Art. 140 gültig von 01.01.1991 bis 05.06.1992 zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 685/1988
  8. B-VG Art. 140 gültig von 01.07.1988 bis 31.12.1990 zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 341/1988
  9. B-VG Art. 140 gültig von 01.07.1976 bis 30.06.1988 zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 302/1975
  10. B-VG Art. 140 gültig von 19.12.1945 bis 30.06.1976 zuletzt geändert durch StGBl. Nr. 4/1945
  11. B-VG Art. 140 gültig von 03.01.1930 bis 30.06.1934
  1. VwGVG § 13 heute
  2. VwGVG § 13 gültig ab 01.07.2021 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 109/2021
  3. VwGVG § 13 gültig von 01.01.2019 bis 30.06.2021 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 138/2017
  4. VwGVG § 13 gültig von 01.01.2017 bis 31.12.2018 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 24/2017
  5. VwGVG § 13 gültig von 01.01.2014 bis 31.12.2016 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 122/2013
  6. VwGVG § 13 gültig von 01.01.2014 bis 31.12.2013
  1. VfGG § 7 heute
  2. VfGG § 7 gültig ab 22.03.2020 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 16/2020
  3. VfGG § 7 gültig von 01.01.2015 bis 21.03.2020 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 101/2014
  4. VfGG § 7 gültig von 01.01.2015 bis 31.12.2014 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 92/2014
  5. VfGG § 7 gültig von 01.03.2013 bis 31.12.2014 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 33/2013
  6. VfGG § 7 gültig von 01.07.2008 bis 28.02.2013 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 4/2008
  7. VfGG § 7 gültig von 01.01.2004 bis 30.06.2008 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 100/2003
  8. VfGG § 7 gültig von 01.10.2002 bis 31.12.2003 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 123/2002
  9. VfGG § 7 gültig von 01.01.1991 bis 30.09.2002 zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 329/1990
  10. VfGG § 7 gültig von 01.07.1976 bis 31.12.1990 zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 311/1976

Leitsatz

Zurückweisung eines Antrags des Landesverwaltungsgerichts Oberösterreich auf Aufhebung einer Bestimmung des Oö Natur- und LandschaftsschutzG 2001 betreffend die aufschiebende Wirkung von Beschwerden mangels Präjudizialität

Spruch

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung

I. Antrag

Mit dem vorliegenden, auf Art140 Abs1 Z1 lita B-VG gestützten Antrag begehrt das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich,

"(1.) §43a Oö NSchG 2001 idF LGBl Nr 62/2021 dem gesamten Umfang nach als verfassungswidrig aufzuheben,

in eventu

(2.) §43a Abs2 und Abs3 Oö NSchG 2001 idF LGBl Nr 62/2021 zur Gänze sowie in §43a Abs1 idF LGBl Nr 62/2021 die Wortfolgen 'keine' und ', wenn durch den angefochtenen Bescheid eine Berechtigung eingeräumt wird' als verfassungswidrig aufzuheben,

in eventu

(3.) §43a Abs1 und Abs2 Oö NSchG 2001 idF LGBl Nr 62/2021 zur Gänze sowie in §43a Abs3 idF LGBl Nr 62/2021 die Wortfolgen 'gemäß Abs2' und 'keine' als verfassungswidrig aufzuheben".

II. Rechtslage

§43a Oö Naturschutzgesetz ? Oö NSchG 2001, LGBl 129/2001, idF LGBl 35/2014 lautet:

"§43a

Aufschiebende Wirkung von Beschwerden

       §43a. (1) In den Angelegenheiten dieses Landesgesetzes haben Beschwerden gemäß Art130 Abs1 Z1 B-VG keine aufschiebende Wirkung, wenn durch den angefochtenen Bescheid eine Berechtigung eingeräumt wird.

       (2) Die Behörde hat jedoch auf Antrag der beschwerdeführenden Partei die aufschiebende Wirkung mit Bescheid zuzuerkennen, wenn dem nicht zwingende öffentliche Interessen entgegenstehen und nach Abwägung der berührten öffentlichen Interessen und Interessen anderer Parteien mit der Ausübung der durch den angefochtenen Bescheid eingeräumten Berechtigung für die beschwerdeführende Partei ein unverhältnismäßiger Nachteil verbunden wäre.

       (3) Die Beschwerde gegen einen Bescheid gemäß Abs2 hat keine aufschiebende Wirkung."

III. Anlassverfahren, Antragsvorbringen und Vorverfahren

1. Dem Antrag des Landesverwaltungsgerichtes Oberösterreich vom 10. März 2022 liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

1.1. Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Gmunden vom 15. November 2021 wurde zwei Bewilligungswerbern die naturschutzrechtliche Bewilligung für bestimmte Maßnahmen an einer Wasserkraftanlage erteilt.

1.2. Gegen diesen Bescheid erhob die Oö Umweltanwaltschaft am 15. Dezember 2021 Beschwerde und beantragte, dieser aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.

1.3. Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Gmunden vom 4. Jänner 2022 wurde dieser Antrag abgewiesen.

1.4. Gegen diesen Bescheid erhob die Oö Umweltanwaltschaft am 28. Jänner 2022 Beschwerde.

1.5. Mit Beschluss des Landesverwaltungsgerichtes Oberösterreich vom 3. März 2022 wurde der Beschwerde vom 28. Jänner 2022 stattgegeben und der Beschwerde vom 15. Dezember 2021 aufschiebende Wirkung zuerkannt (§43a Abs2 Oö NSchG 2001).

2. Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich legt die Bedenken, die es zur Antragstellung beim Verfassungsgerichtshof bestimmt haben, wie folgt dar:

"IV. Verfassungsrechtliche Bedenken:

Nach Art136 Abs2 B-VG wird das Verfahren der Verwaltungsgerichte durch ein besonderes Bundesgesetz einheitlich geregelt. Dabei handelt es sich um das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), in dessen §13 Abs1 der Grundsatz normiert wird, dass einer Beschwerde die aufschiebende Wirkung zukommt. Nach Abs2 par. cit. kann diese Wirkung jedoch bei Vorliegen näher genannter Voraussetzungen ausgeschlossen werden.

Im gegenständlichen §43a Oö NSchG 2001 wurde dieses 'Modell' ? wie auch vereinzelt in anderen Landesgesetzen ? umgekehrt: Die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde (gegen eine Berechtigung) ist generell ausgeschlossen, muss jedoch unter bestimmten Voraussetzungen auf Antrag zuerkannt werden. Diese von §13 VwGVG abweichende Regelung beruht auf der Ermächtigung des Art136 Abs2 letzter Satz B-VG, wonach durch Landesgesetz Regelungen über das Verfahren der Verwaltungsgerichte getroffen werden können, wenn sie zur Regelung des Gegenstandes erforderlich sind.

Vom VwGVG abweichende Regelungen ? wie die gegenständliche ? dürfen daher nur dann getroffen werden, wenn sie zur Regelung des Gegenstandes 'unerlässlich' sind und dabei nicht anderen Verfassungsbestimmungen, etwa dem Rechtsstaatsprinzip und dem daraus abgeleiteten Grundsatz der Effektivität des Rechtsschutzes widersprechen (vgl VfGH 02.12.2014, G148/2014, mwN). In seiner bisherigen Rechtsprechung hob der Verfassungsgerichtshof mehrfach Regelungen auf, die einen (generellen) Ausschluss der aufschiebenden Wirkung vorsahen. Der Gesetzgeber hat zur Wahrung des Rechtsstaatsprinzips die Position des Rechtsschutzsuchenden, Zweck und Inhalt der Regelung, Interessen Dritter sowie das öffentliche Interesse zu berücksichtigen und unter diesen Gegebenheiten einen Ausgleich zu schaffen, wobei dem Grundsatz der faktischen Effizienz eines Rechtsbehelfs der Vorrang zukommt und dessen Einschränkung nur aus sachlich gebotenen, triftigen Gründen zulässig ist (vgl VfGH 02.03.2018, G260/2017).

Diese Kriterien zur Wahrung des Rechtsstaatsprinzips sind bei §43a Oö NSchG 2001 nach Ansicht des Landesverwaltungsgerichts Oberösterreich nicht erfüllt. Die Bedenken gründen auf folgenden Überlegungen:

In den Gesetzesmaterialien zu §43a Oö NSchG 2001, der mit LGBl Nr 35/2014 kundgemacht wurde, erschöpft sich die Begründung des Landesgesetzgebers für die Unerlässlichkeit dieser vom VwGVG abweichenden Regelung in den folgenden Ausführungen (BIgLT AB 1051/2014 XXVII. GP 29):

'Die Bestimmung, wonach Beschwerden gemäß Art130 Abs1 Z1 B-VG grundsätzlich keine aufschiebende Wirkung haben, wenn durch den angefochtenen Bescheid eine Berechtigung eingeräumt wird, entspricht vollinhaltlich den Regelungen, wie sie §56 Oö Bauordnung 1994 und §38a Oö Straßengesetz 1991 - jeweils in der Fassung des Oö Verwaltungsgerichtsbarkeits-Anpassungsgesetzes - enthalten. Ihre Übernahme auch in das Oö NSchG 2001 dient nicht zuletzt auch der Harmonisierung innerhalb der oberösterreichischen Gesamtrechtslage.'

(unverändert übernommen)

Mit dem Hinweis auf bereits in Geltung stehende ähnliche Regelungen (in nicht vergleichbaren Materiengesetzen) sowie auf eine pauschal vorgebrachte Harmonisierungsabsicht vermag der Landesgesetzgeber keine sachlichen und triftigen Gründe für eine vom VwGVG abweichende Regelung darzulegen. Insbesondere bleibt unklar, ob und inwieweit dabei ? wie vom Verfassungsgerichtshof gefordert ? die Position des Rechtsschutzsuchenden, Zweck und Inhalt der Regelung, Interessen Dritter sowie das öffentliche Interesse berücksichtigt wurden. Abgesehen davon, dass es bereits bedenklich scheint, die Abweichung von der in der Bundesverfassung intendierten Vereinheitlichung des Verfahrens vor den Verwaltungsgerichten (zwar nicht ausschließlich) mit einer gewünschten und damit implizit als höherwertig erachteten Harmonisierung der 'Gesamtrechtslage' auf Landesebene zu begründen, kann mit dem Verweis auf die Oö BauO 1994 und das Oö Straßengesetz 1991 eine Unerlässlichkeit iSd höchstgerichtlichen Judikatur nicht begründet werden. Denn die den beiden zuletzt genannten Materiengesetzen regelmäßig zugrunde liegenden Konstellationen sind mit jenen des Oö NSchG 2001 nicht vergleichbar.

[…]

Die 'Umkehr' des Modells des §13 VwGVG in §56 Oö BauO 1994 (für Berechtigungen) und §38a Oö Straßengesetz 1991 wird also zusammengefasst mit der Einseitigkeit der (finanziellen) Belastung des Baubewilligungswerbers sowie mit der Reversibilität der vorzeitig realisierten Maßnahmen im Falle eines letztlich nicht genehmigungsfähigen Vorhabens begründet. Ebenso miteinbezogen wurde der Umstand, dass es in einem bei bau- und straßenbaurechtlichen Angelegenheiten typischerweise vorkommenden Mehrparteienverfahren eine Nebenpartei (bspw Nachbar, Anrainer) in der Hand hätte, die Wirkung eines berechtigenden Bescheids allenfalls auch ohne Vorliegen eines Rechtsnachteils mit bloßer Einbringung einer Beschwerde zu suspendieren. Abgesehen von den Erläuterungen des Gesetzgebers war die Bestimmung des §56 Oö BauO 1994 zwischenzeitig auch schon Gegenstand einer Gesetzesprüfung beim Verfassungsgerichtshof, in der im Ergebnis die Erforderlichkeit iSd Art136 Abs2 B-VG und damit die Verfassungskonformität des par. cit. mit folgender Begründung festgestellt wurde (vgl VfGH 12.03.2015, E58/2015, mwH):

'[...] Anders als in den meisten in der Rechtsprechung unter dem Aspekt des ? mit Art136 Abs2 B-VG vergleichbaren ? Art11 Abs2 B-VG behandelten verfahrensrechtlichen Regelungen betrifft §56 Oö BauO 1994 Verfahren, in denen sich mehrere Parteien mit unterschiedlichen subjektiven Rechten und mit unterschiedlichen Interessen gegenüber stehen. Wenn der Landesgesetzgeber nun festlegt, dass einer Beschwerde an das Landesverwaltungsgericht gemäß §56 Abs1 Oö BauO 1994 keine aufschiebende Wirkung zukommt, dabei aber auch in §56 Abs2 Oö BauO 1994 auf Antrag einer Partei die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung einer Beschwerde auf der Grundlage einer umfassenden, auf sachlichen Kriterien beruhenden Abwägung der öffentlichen Interessen sowie der Interessen des Bauwerbers und der anderen Parteien ermöglicht, erachtet der VfGH eine solche Regelung in Hinblick auf Art136 Abs2 B-VG als unbedenklich.

Angesichts des dargestellten Regelungszwecks und der Besonderheiten des Baubewilligungsverfahrens widerspricht somit die von §13 VwGVG abweichende Regelung des §56 Oö BauO 1994 nicht Art136 Abs2 B-VG.'

Neben der einseitigen Belastung der bewilligungswerbenden Partei und der Reversibilität der vorzeitig realisierten Vorhaben gründet die Erforderlichkeit iSd B-VG des §56 Oö BauO 1994 (und im Hinblick auf die Ähnlichkeit des baurechtlichen mit dem straßenbaurechtlichen Verfahren auch des §38a Oö Straßengesetz 1991) nach Ansicht des Verfassungsgerichtshofs also zentral darauf, dass es sich in jenen Verfahren um Mehrparteienverfahren handelt, in denen sich mehrere Parteien mit unterschiedlichen subjektiven Rechten und mit unterschiedlichen Interessen gegenüber stehen.

All diese dargelegten, für die Unerlässlichkeit iSd Art136 Abs2 B-VG entscheidenden (straßen-)baurechtlichen Besonderheiten liegen jedoch im Bewilligungsverfahren nach dem Oö NSchG 2001 nicht vor. Anders als in jenen Verfahren sind im naturschutzrechtlichen Verfahren nicht mehrere Parteien mit unterschiedlichen subjektiven Rechten und Interessen beteiligt. Denn im Falle der bescheidmäßigen Erteilung einer Berechtigung nach dem Oö NSchG 2001 kommt regelmäßig nur die vom Landesgesetzgeber eingerichtete Oö Umweltanwaltschaft als Beschwerdeführerin in Betracht.

Bei dieser wiederum handelt es sich ? im Gegensatz zu bspw Nachbarn iSd Oö BauO 1994 oder Anrainern iSd Oö Straßengesetz 1991 ? um eine Organpartei, der nicht eigene materielle subjektiv-öffentliche Rechte zukommen, sondern der ausdrücklich im Gesetz einzelne prozessuale subjektive Rechte eingeräumt werden, durch die sie im öffentlichen Interesse an der Einhaltung des objektiven Rechts qualifiziert mitwirken soll. Im vorliegenden Fall werden diese subjektiven Rechte der Bf in §39 Oö NSchG 2001 iVm. §5 Abs1 Oö Umweltschutzgesetz 1996 festgelegt, wonach der Oö Umweltanwaltschaft 'zur Wahrung des Umweltschutzes, insbesondere zur Vermeidung von schädlichen Einwirkungen auf die Umwelt' Parteistellung zukommt (siehe auch das in §1 Abs1 Oö NSchG 2001 normierte öffentliche Interesse am Natur- und Landschaftsschutz). Die Bedenken, dass bspw Nachbarn die Wirkung einer Baubewilligung ? aus welchen Gründen auch immer und allenfalls trotz offenkundigem Nichtvorliegens eines Rechtsnachteils ? mit Erhebung einer Beschwerde unbillig aufschieben könnten bzw wollten, bestehen nach Ansicht des Landesverwaltungsgerichts Oberösterreich bei einer im öffentlichen Interesse zwecks Überprüfung der Einhaltung des objektiven Rechts gesetzlich eingerichteten, rechtskundigen Organpartei nicht.

Zu diesen Unterschieden zum (straßen-)baurechtlichen Verfahren kommt hinzu, dass die in naturschutzrechtlichen Verfahren aus der vorzeitigen Umsetzung eines nicht genehmigungsfähigen Vorhabens resultierenden Nachteile im Regelfall nicht alleine den Bewilligungswerber (in bloß finanzieller Hinsicht), sondern überwiegend und mitunter irreversibel die Natur und Landschaft, an deren Erhaltung ein in §1 Abs1 Oö NSchG 2001 normiertes öffentliches Interesse besteht, treffen. Denn anders als bei (Straßen-)Bauvorhaben, die idR in bereits 'vorbelasteten' Gebieten (Wohngebiet, Betriebsbaugebiet, Verkehrsfläche, etc.) realisiert werden und daher in nachvollziehbarer Weise (eher) vollständig ohne Weiteres rückgängig gemacht werden können, stellen nach dem Oö NSchG 2001 bewilligte Vorhaben regelmäßig Eingriffe in ein bestehendes, mitunter sensibles ökologisches Gefüge (im Grünland, im Fließgewässerschutzbereich, etc.) dar, die, wiewohl sie allenfalls quantitativ und technisch (wie gegenständlich durch Verfüllung eines Grabens) reversibel sind, zu unwiederbringlichen Schädigungen in qualitativer Hinsicht führen können (wie in casu Lebensraumverlust und unmittelbare Schädigung von Organismen [insb. Koppe] in verschiedenen Entwicklungsstadien). Von einer einseitigen Belastung des Bewilligungswerbers, der bei vorzeitiger Realisierung des nicht genehmigungsfähigen Vorhabens nur ein (finanzielles) Risiko für sich in Kauf nehmen würde, kann daher keine Rede sein.

Kurzum steht fest, dass sich die mit der vorzeitigen Realisierung eines nicht genehmigungsfähigen Vorhabens verbundenen Auswirkungen für das in Anspruch genommene, ökologische Gefüge nach Ende des Beschwerdeverfahrens ? anders als in (straßen-)baurechtlichen Angelegenheiten ? nicht ohne Weiteres wieder beseitigen lassen. Es ist davon auszugehen, dass die vorzeitige Realisierung von Vorhaben in vom Oö NSchG 2001 geschützten Gebieten oftmals mit einem unverhältnismäßigen Nachteil für die, das öffentliche Interesse am Natur- und Landschaftsschutz wahrende Oö Umweltanwaltschaft verbunden ist. Demgegenüber stehen oftmals 'nur' private Interessen der Bewilligungswerber, weshalb auch regelmäßig die Voraussetzungen für die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung nach §43a Abs2 Oö NSchG 2001 vorliegen.

Wie bereits eingangs ausgeführt, hat der Gesetzgeber zur Wahrung des Rechtsstaatsprinzips die Position des Rechtsschutzsuchenden, Zweck und Inhalt der Regelung, Interessen Dritter sowie das öffentliche Interesse zu berücksichtigen und unter diesen Gegebenheiten einen Ausgleich zu schaffen, wobei dem Grundsatz der faktischen Effizienz eines Rechtsbehelfs der Vorrang zukommt und dessen Einschränkung nur aus sachlich gebotenen, triftigen Gründen zulässig ist.

Durch die angefochtene Regelung und den darin normierten Ausschluss der aufschiebenden Wirkung wird die Bf als Rechtsschutzsuchende mit dem Rechtsschutzrisiko in einem im öffentlichen Interesse liegenden Bereich (Natur- und Landschaftsschutz) bis zur endgültigen Rechtsschutzgewährung zwar nicht einseitig, aber angesichts des bloß finanziellen Risikos des Bewilligungswerbers überwiegend belastet. Der eigentliche Zweck der Regelung, nämlich der 'Schutz' des (hier eben nicht) einseitig belasteten Bewilligungswerbers in Mehrparteienverfahren, kann im naturschutzrechtlichen Verfahren nicht erreicht werden (siehe dazu oben). Zudem stehen sich im naturschutzrechtlichen Verfahren im Regelfall das hoch zu gewichtende, in §1 Abs1 Oö NSchG 2001 normierte öffentliche Interesse am Natur- und Landschaftsschutz und private Interessen des Bewilligungswerbers gegenüber.

In Anbetracht dieser zur Wahrung des Rechtsstaatsprinzips zu berücksichtigender Tatsachen und des Umstands, dass eine Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung nach §43a Abs2 Oö NSchG 2001 eher den Regelfall als die Ausnahme darstellt, gelangt das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich zur Auffassung, dass der Rechtsschutz gegen eine naturschutzrechtliche Bewilligung nach dem Oö NSchG 2001 in Anwendung des §43a Abs1 leg. cit. faktisch nicht (ausreichend) effizient ist, zumal mit Einbringung einer Beschwerde die vorzeitige Realisierung eines nicht genehmigungsfähigen Vorhabens in zumeist sensiblen Bereichen (Naturhaushalt, etc.) nicht verhindert werden kann. Vielmehr kann trotz anhängiger Beschwerde bereits umgehend mit der Umsetzung des Projekts begonnen und können dabei schlimmstenfalls bereits erste irreversible Schädigungen an Natur und Landschaft herbeigeführt werden. Dies, obwohl erfahrungsgemäß davon auszugehen ist, dass die im öffentlichen Interesse agierende, rechtskundige und fachlich versierte Oö Umweltanwaltschaft von ihrer Legitimation zur Erhebung einer Beschwerde nur dann Gebrauch macht, wenn entsprechend begründete Bedenken an der Nichteinhaltung des objektiven Rechts, konkret an der Genehmigungsfähigkeit des Projekts vorliegen. Es ist daher aus Rechtsschutzerwägungen noch weniger nachvollziehbar, weshalb den Beschwerden dieser Organpartei, deren (geringe) Quantität und (Mindest-)Qualität mit Beschwerden von, mit materiellen subjektiven Rechten involvierten, ggf. rechtsunkundigen, fachlich unerfahrenen oder gar uneinsichtigen Parteien im (straßen-)baurechtlichen Verfahren (Nachbarn, Anrainer, etc.) nicht vergleichbar sind, die aufschiebende Wirkung grundsätzlich verwehrt bleiben soll.

Vor diesem Hintergrund widerspricht der in §43a Abs1 Oö NSchG 2001 normierte Ausschluss der aufschiebenden Wirkung, sohin die 'Umkehr' des in §13 VwGVG für das Verfahren der Verwaltungsgerichte einheitlich normierten Modells, trotz Möglichkeit der Zuerkennung nach Ansicht des Landesverwaltungsgerichts Oberösterreich dem Grundsatz der faktischen Effizienz des Rechtsschutzes, dem nach höchstgerichtlicher Judikatur stets der Vorrang zukommt. Sachliche und triftige Gründe, die eine Einschränkung dieses Grundsatzes ermöglichten, können nicht erkannt werden und wurden auch vom Landesgesetzgeber in seinen kurz gehaltenen Erläuterungen nicht dargelegt. Die gegenständliche, von §13 VwGVG abweichende Regelung ist daher nicht erforderlich iSd Art136 Abs2 B-VG.

Bei Anwendung des §13 Abs1 VwGVG würde der aus dem vorübergehenden Schutz der ökologischen Verhältnisse resultierende Vorteil für die Oö Umweltanwaltschaft den aus der zeitlichen Verzögerung der Umsetzung des beantragten Vorhabens (längstens im Ausmaß der sechsmonatigen Entscheidungsfrist) resultierenden Nachteil für den Bewilligungswerber deutlich überwiegen. Es wird nicht ausgeschlossen, dass in wenigen bestimmten Fällen die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung geboten sein kann, doch sind nach Ansicht des Landesverwaltungsgerichts Oberösterreich mit der Möglichkeit zur Aberkennung der aufschiebenden Wirkung durch die Behörde nach §13 Abs2 VwGVG diese Interessen ausreichend gewahrt, zumal es sich bei naturschutzrechtlichen Angelegenheiten auch nicht um Massenverfahren handelt.

In Anbetracht dieser Ausführungen zu den verfassungsrechtlichen Bedenken ist das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich gemäß Art89 Abs2 iVm Art135 Abs4 B-VG verpflichtet, den gegenständlichen Antrag auf Gesetzesprüfung beim Verfassungsgerichtshof zu stellen."

3. Die Landesregierung Oberösterreich und die Oö Umweltanwaltschaft haben jeweils eine Äußerung erstattet.

Die Landesregierung Oberösterreich führt zur Zulässigkeit Folgendes aus:

"1. Zur Zulässigkeit des Antrags:

Das Landesverwaltungsgericht stützt seine Antragsbefugnis auf Art89 Abs2 iVm. Art135 Abs4 iVm. Art140 Abs1 Z1 lita B-VG und sah sich verpflichtet, einen Antrag auf Aufhebung des §43a Oö NSchG 2001 bzw in eventu verschiedener Teile dieser Gesetzesbestimmung zu stellen, da es gegen dessen bzw deren Anwendung aus dem Grund der Verfassungswidrigkeit Bedenken hat.

Unbestreitbar ist die Bestimmung des §43a Oö NSchG 2001 für das Landesverwaltungsgericht in dem seinem Antrag zugrunde liegenden Verfahren insofern präjudiziell, als es sie bei seiner Entscheidung über die Beschwerde gegen die Abweisung eines Antrags auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung anzuwenden hat. Allerdings räumt das Landesverwaltungsgericht unter Punkt V. seines Antrags auf Gesetzesprüfung ein, dass es der entsprechenden Beschwerde der Oö Umweltanwaltschaft mit Erkenntnis vom 3. März 2022, GZ: LVwG 552261/19/FP/GSc, bereits stattgegeben und gemäß §43a Oö NSchG 2001 der Beschwerde gegen die naturschutzrechtliche Bewilligung die aufschiebende Wirkung zuerkannt hat.

Das bedeutet, dass das auf §43a Oö NSchG 2001 gestützte Verfahren betreffend die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung bereits abgeschlossen ist; anhängig ist offenbar nur noch die Beschwerde gegen die Erteilung der naturschutzrechtlichen Bewilligung als solcher. Daraus folgt aber, dass das Landesverwaltungsgericht die angefochtene Bestimmung im vorliegenden Zusammenhang nicht mehr anzuwenden hat und damit die Voraussetzungen für eine konkrete Normenkontrolle, wie sie dem Konzept des Art89 Abs2 iVm. Art135 Abs4 iVm. Art140 Abs1 Z1 lita B-VG zugrunde liegen, nicht mehr gegeben sind. Selbst wenn der Verfassungsgerichtshof in weiterer Folge §43a Oö NSchG 2001 oder zumindest relevante Teile dieser Gesetzesbestimmung aufheben sollte, würde das an der fortbestehenden Rechtswirksamkeit der bereits vom Landesverwaltungsgericht zuerkannten aufschiebenden Wirkung nichts mehr ändern.

Das Landesverwaltungsgericht versucht seine Anfechtung damit zu rechtfertigen, dass es darauf hinweist, dass durch die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung die entscheidende Frage, ob der Ausschluss der aufschiebenden Wirkung für Beschwerden gegen naturschutzrechtliche Bewilligungen verfassungswidrig ist, nicht abschließend geregelt ist. Dieser Hinweis ist für sich betrachtet selbstverständlich zutreffend. Er kann aber nichts daran ändern, dass es nach dem aktuellen Konzept der österreichischen Bundesverfassung eine klare Trennung zwischen der Veranlassung einer konkreten Normenkontrolle einerseits und einer abstrakten Normenkontrolle andererseits gibt. Den Gerichten - einschließlich den Landesverwaltungsgerichten - steht es nicht zu, eine abstrakte Normenkontrolle zu initiieren.

Aus dem Zusammenhang ergibt sich allerdings, dass das Landesverwaltungsgericht mit der oben zitierten Aussage wohl darauf abgezielt haben dürfte, die bereits erfolgte Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung über §62 Abs3 VfGG zu rechtfertigen. Diese Bestimmung erlaubt es dem anfechtenden Gericht, nach der Stellung eines Gesetzprüfungsantrags und bis zur Verkündung bzw Zustellung des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofs nicht nur solche Handlungen zu setzen, die durch das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs nicht beeinflusst werden können, sondern auch solche, 'die die Frage nicht abschließend regeln und keinen Aufschub gestatten'. Die Frage, um die es in diesem Zusammenhang geht, ist allerdings die vom Landesverwaltungsgericht zu entscheidende aufschiebende Wirkung der konkret eingebrachten Bescheidbeschwerde der Oö Umweltanwaltschaft und nicht die vom Verfassungsgerichtshof zu entscheidende Frage, ob der im §43a Oö NSchG 2001 geregelte Ausschluss der aufschiebenden Wirkung verfassungswidrig ist. Zwar ist einzuräumen, dass die Entscheidung, ob einer konkret eingebrachten Beschwerde aufschiebende Wirkung zukommt, grundsätzlich keinen Aufschub gestattet. Mit der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung in einem konkreten Fall durch ein Landesverwaltungsgericht wird diese Frage aber durch dieses Gericht abschließend geregelt.

Das Landesverwaltungsgericht wäre daher nach §62 Abs3 VfGG nicht berechtigt gewesen, eine Entscheidung über die aufschiebende Wirkung zu treffen, nachdem es einen Gesetzprüfungsantrag eingebracht und bevor der Verfassungsgerichtshof über diesen Antrag entschieden hat. Da es im konkreten Fall die Entscheidung über die aufschiebende Wirkung schon vor der Stellung des Antrags auf Gesetzprüfung getroffen hat, ist §62 Abs3 VfGG in diesem Zusammenhang allerdings gar nicht anzuwenden; vielmehr fehlt es bereits an der im §62 Abs2 VfGG geregelten Voraussetzung für die Stellung eines Gesetzesprüfungsantrags, nämlich dass das anzufechtende Gesetz vom Gericht in einer anhängigen (!) Rechtssache unmittelbar anzuwenden wäre (bzw dass die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes zumindest eine Vorfrage für die Entscheidung der beim Gericht anhängigen [!] Vorfrage wäre).

Damit erweist sich der Antrag des Landesverwaltungsgerichts schon von seinem grundsätzlichen Ansatz her als unzulässig, sodass sich ein näheres Eingehen auf die rechtstechnischen Details erübrigt, ob bei Zutreffen der Bedenken des Landesverwaltungsgerichtes der gesamte §43a Oö NSchG 2001 oder bloß verschiedene Teile dieser Gesetzesbestimmung aufzuheben wären."

IV. Erwägungen

Der Antrag ist unzulässig:

1. Von einem Gericht kann der Antrag auf Aufhebung eines Gesetzes oder von bestimmten Stellen eines solchen nur dann gestellt werden, wenn das Gesetz vom Gericht in der anhängigen Rechtssache unmittelbar anzuwenden bzw wenn die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes eine Vorfrage für die Entscheidung der beim Gericht anhängigen Rechtssache ist. Der Antrag hat darzulegen, inwiefern das Gericht das Gesetz anzuwenden und welche Auswirkungen die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes auf die beim Gericht anhängige Rechtssache hätte (§62 Abs2 VfGG).

2. Der Verfassungsgerichtshof erkennt in ständiger Rechtsprechung, dass er nicht berechtigt ist, durch seine Präjudizialitätsentscheidung das antragstellende Gericht an eine bestimmte Rechtsauslegung zu binden, weil er damit indirekt der Entscheidung dieses Gerichtes in der Hauptsache vorgreifen würde. Gemäß der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes darf daher ein Antrag iSd Art140 Abs1 Z1 B-VG nur dann wegen Fehlens der Präjudizialität zurückgewiesen werden, wenn es offenkundig unrichtig (denkunmöglich) ist, dass die – angefochtene – generelle Norm eine Voraussetzung der Entscheidung des antragstellenden Gerichtes im Anlassfall bildet (vgl etwa VfSlg 10.640/1985, 12.189/1989, 15.237/1998, 16.245/2001 und 16.927/2003).

3. Ein solcher Fall des Fehlens der Präjudizialität liegt hier vor:

Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich hat bereits mit Beschluss vom 3. März 2022 auf Antrag der Oö Umweltanwaltschaft entschieden, der Beschwerde vom 15. Dezember 2021 aufschiebende Wirkung zuzuerkennen. Somit ist §43a Abs2 Oö NSchG 2001 im weiteren Verfahren vor dem Landesverwaltungsgericht Oberösterreich nicht mehr iSd §62 Abs2 VfGG präjudiziell.

V. Ergebnis

1. Der Antrag ist als unzulässig zurückzuweisen.

2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

VfGH / Gerichtsantrag, VfGH / Präjudizialität, Wirkung aufschiebende, Naturschutz

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2022:G104.2022

Zuletzt aktualisiert am

05.12.2022
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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