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25/01 StrafprozessNorm
B-VG Art140 Abs1 Z1 litdLeitsatz
Zurückweisung eines Parteiantrags auf Aufhebung von Bestimmungen der StPO und des VfGG mangels hinreichender Darlegung der Bedenken, weder Darlegung der behaupteten Verfassungswidrigkeiten im Einzelnen noch eine Zuordnung der Bedenken zu den einzelnen angefochtenen Bestimmungen; kein Vorliegen einer von einem ordentlichen Gericht in erster Instanz entschiedenen Rechtssache; teilweise Unzulässigkeit mangels Präjudizialität; Unzulässigkeit der Geltendmachung von Vollzugsmängeln im NormprüfungsverfahrenSpruch
Der Antrag wird zurückgewiesen.
Begründung
Begründung
I. Antrag
Mit dem auf Art140 Abs1 Z1 litd B-VG gestützten Antrag begehren die antragstellenden Parteien
"der Verfassungsgerichtshof möge
gemäß Artikel 140 Abs1 Z1 litd B-VG iVm §64 Abs1 VfGG die Bestimmungen des §45 Abs3 StPO, des §101 Abs2 StPO, des §106 Abs1 StPO, des §112 StPO, des §157 Abs1 Z4 und Abs2 StPO sowie des §62a Abs6 VfGG teilweise oder zur Gänze als verfassungswidrig aufheben".
II. Rechtslage
1. Die maßgeblichen Bestimmungen der Strafprozessordnung 1975, BGBl 631/1975, idF BGBl I 26/2016 lauten (die angefochtenen Bestimmungen sind hervorgehoben):
"Entscheidung über Ausschließung
§45. (1) Über die Ausschließung hat der Richter zu entscheiden, dem sie nach §44 Abs2 anzuzeigen ist, über die Ausschließung des Präsidenten, des Vizepräsidenten oder eines Mitglieds des Obersten Gerichtshofs jedoch der Oberste Gerichtshof in einem Dreiersenat. Über einen während einer Verhandlung im Haupt- oder Rechtsmittelverfahren gestellten Antrag auf Ablehnung eines Richters hat das erkennende Gericht zu entscheiden. Gleiches gilt, wenn der Antrag unmittelbar vor der Verhandlung gestellt wurde und eine rechtzeitige Entscheidung durch den Vorsteher oder Präsidenten nicht ohne ungebührliche Verzögerung der Verhandlung möglich ist. Eine Entscheidung in der Verhandlung kann längstens bis vor Beginn der Schlussvorträge aufgeschoben werden.
(2) Der Antrag ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn er von einer Person eingebracht wurde, der er nicht zusteht. Im Übrigen ist in der Sache zu entscheiden. Wird auf Ausschließung erkannt, so ist der Richter oder das Gericht zu bezeichnen, dem die Sache übertragen wird; der ausgeschlossene Richter hat sich von diesem Zeitpunkt an bei sonstiger Nichtigkeit der Ausübung seines Amtes zu enthalten.
(3) Gegen einen Beschluss nach Abs2 steht ein selbstständiges Rechtsmittel nicht zu.
[…]
Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren
Aufgaben
§101. (1) Die Staatsanwaltschaft leitet das Ermittlungsverfahren und entscheidet über dessen Fortgang und Beendigung. Gegen ihren erklärten Willen darf ein Ermittlungsverfahren weder eingeleitet noch fortgesetzt werden.
(2) Die Staatsanwaltschaft stellt die erforderlichen Anträge bei Gericht, soweit ihre Anordnungen einer gerichtlichen Bewilligung bedürfen. Abgesehen von den in den §§149 Abs3 und 165 Abs2 vorgesehenen Fällen hat die Staatsanwaltschaft gerichtliche Beweisaufnahmen zu beantragen, wenn an solchen wegen der Bedeutung der aufzuklärenden Straftat und der Person des Tatverdächtigen ein besonderes öffentliches Interesse besteht.
(3) Die Staatsanwaltschaft hat ihre Anträge nach Abs2 zu begründen und sie dem Gericht samt den Akten zu übermitteln. Bewilligt das Gericht eine Maßnahme, so entscheidet die Staatsanwaltschaft über die Durchführung. Wenn die Voraussetzungen, unter denen der Antrag bewilligt wurde, weggefallen sind oder sich derart geändert haben, dass die Durchführung rechtswidrig, unverhältnismäßig oder nicht mehr zweckmäßig wäre, hat die Staatsanwaltschaft von ihr abzusehen und das Gericht hievon zu verständigen.
(4) Die Staatsanwaltschaft prüft die Berichte der Kriminalpolizei und trifft die erforderlichen Anordnungen. Soweit dies aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen erforderlich ist, kann sie jederzeit weitere Ermittlungen und die Ausübung von Zwang durch die Kriminalpolizei anordnen.
[…]
Einspruch wegen Rechtsverletzung
§106. (1) Einspruch an das Gericht steht jeder Person zu, die behauptet, im Ermittlungsverfahren durch Staatsanwaltschaft in einem subjektiven Recht verletzt zu sein, weil
1. ihr die Ausübung eines Rechtes nach diesem Gesetz verweigert oder
2. eine Ermittlungs- oder Zwangsmaßnahme unter Verletzung von Bestimmungen dieses Gesetzes angeordnet oder durchgeführt wurde.
Im Fall des Todes der zum Einspruch berechtigten Person kommt dieses Recht den in §65 Z1 litb erwähnten Angehörigen zu. Eine Verletzung eines subjektiven Rechts liegt nicht vor, soweit das Gesetz von einer bindenden Regelung des Verhaltens von Staatsanwaltschaft oder Kriminalpolizei absieht und von diesem Ermessen im Sinne des Gesetzes Gebrauch gemacht wurde.
(2) Soweit gegen die Bewilligung einer Ermittlungsmaßnahme Beschwerde erhoben wird, ist ein Einspruch gegen deren Anordnung oder Durchführung mit der Beschwerde zu verbinden. In einem solchen Fall entscheidet das Beschwerdegericht auch über den Einspruch.
(3) Der Einspruch ist binnen sechs Wochen ab Kenntnis der behaupteten Verletzung in einem subjektiven Recht bei der Staatsanwaltschaft einzubringen. In ihm ist anzuführen, auf welche Anordnung oder welchen Vorgang er sich bezieht, worin die Rechtsverletzung besteht und auf welche Weise ihm stattzugeben sei. Sofern er sich gegen eine Maßnahme der Kriminalpolizei richtet, hat die Staatsanwaltschaft der Kriminalpolizei Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben.
(4) Die Staatsanwaltschaft hat zu prüfen, ob die behauptete Rechtsverletzung vorliegt, und dem Einspruch, soweit er berechtigt ist, zu entsprechen sowie den Einspruchswerber davon zu verständigen, dass und auf welche Weise dies geschehen sei und dass er dennoch das Recht habe, eine Entscheidung des Gerichts zu verlangen, wenn er behauptet, dass seinem Einspruch tatsächlich nicht entsprochen wurde.
(5) Wenn die Staatsanwaltschaft dem Einspruch nicht,binnen vier Wochen entspricht oder der Einspruchswerber eine Entscheidung des Gerichts verlangt, hat die Staatsanwaltschaft den Einspruch unverzüglich an das Gericht weiter zu leiten. Stellungnahmen der Staatsanwaltschaft und der Kriminalpolizei hat das Gericht dem Einspruchswerber zur Äußerung binnen einer festzusetzenden, sieben Tage nicht übersteigenden Frist zuzustellen.
[…]
§112. (1) Widerspricht die von der Sicherstellung betroffene oder anwesende Person, auch wenn sie selbst der Tat beschuldigt ist, der Sicherstellung von schriftlichen Aufzeichnungen oder Datenträgern unter Berufung auf ein gesetzlich anerkanntes Recht auf Verschwiegenheit, das bei sonstiger Nichtigkeit nicht durch Sicherstellung umgangen werden darf, so sind diese Unterlagen auf geeignete Art und Weise gegen unbefugte Einsichtnahme oder Veränderung zu sichern und bei Gericht zu hinterlegen. Auf Antrag des Betroffenen sind die Unterlagen jedoch bei der Staatsanwaltschaft zu hinterlegen, die sie vom Ermittlungsakt getrennt aufzubewahren hat. In beiden Fällen dürfen die Unterlagen von Staatsanwaltschaft oder Kriminalpolizei nicht eingesehen werden, solange nicht über die Einsicht nach den folgenden Absätzen entschieden worden ist.
(2) Der Betroffene ist aufzufordern, binnen einer angemessenen, 14 Tage nicht unterschreitenden Frist jene Teile der Aufzeichnungen oder Datenträger konkret zu bezeichnen, deren Offenlegung eine Umgehung seiner Verschwiegenheit bedeuten würde; zu diesem Zweck ist er berechtigt, in die hinterlegten Unterlagen Einsicht zu nehmen. Unterlässt der Betroffene eine solche Bezeichnung, so sind die Unterlagen zum Akt zu nehmen und auszuwerten. Anderenfalls hat das Gericht, im Fall eines Antrags nach Abs1 vorletzter Satz jedoch die Staatsanwaltschaft die Unterlagen unter Beiziehung des Betroffenen sowie gegebenenfalls geeigneter Hilfskräfte oder eines Sachverständigen zu sichten und anzuordnen, ob und in welchem Umfang sie zum Akt genommen werden dürfen. Unterlagen, die nicht zum Akt genommen werden, sind dem Betroffenen auszufolgen. Aus deren Sichtung gewonnene Erkenntnisse dürfen bei sonstiger Nichtigkeit nicht für weitere Ermittlungen oder als Beweis verwendet werden.
(3) Gegen die Anordnung der Staatsanwaltschaft kann der Betroffene Einspruch erheben, in welchem Fall die Unterlagen dem Gericht vorzulegen sind, das zu entscheiden hat, ob und in welchem Umfang sie zum Akt genommen werden dürfen; Abs2 letzter Satz gilt. Einer Beschwerde gegen den Beschluss des Gerichts kommt aufschiebende Wirkung zu.
[…]
Aussageverweigerung
§157. (1) Zur Verweigerung der Aussage sind berechtigt:
1. Personen, soweit sie ansonsten sich oder einen Angehörigen (§156 Abs1 Z1) der Gefahr strafrechtlicher Verfolgung oder im Zusammenhang mit einem gegen sie geführten Strafverfahren der Gefahr aussetzen würden, sich über ihre bisherige Aussage hinaus selbst zu belasten,
2. Verteidiger, Rechtsanwälte, Patentanwälte, Verfahrensanwälte in Untersuchungsausschüssen des Nationalrats, Notare und Wirtschaftstreuhänder über das, was ihnen in dieser Eigenschaft bekannt geworden ist,
3. Fachärzte für Psychiatrie, Psychotherapeuten, Psychologen, Bewährungshelfer, eingetragene Mediatoren nach dem Zivilrechts-Mediations-Gesetz, BGBl I Nr 29/2003, und Mitarbeiter anerkannter Einrichtungen zur psychosozialen Beratung und Betreuung über das, was ihnen in dieser Eigenschaft bekannt geworden ist,
4. Medieninhaber (Herausgeber), Medienmitarbeiter und Arbeitnehmer eines Medienunternehmens oder Mediendienstes über Fragen, welche die Person des Verfassers, Einsenders oder Gewährsmannes von Beiträgen und Unterlagen betreffen oder die sich auf Mitteilungen beziehen, die ihnen im Hinblick auf ihre Tätigkeit gemacht wurden,
5. Wahlberechtigte darüber, wie sie ein gesetzlich für geheim erklärtes Wahl- oder Stimmrecht ausgeübt haben.
(2) Das Recht der in Abs1 Z2 bis 5 angeführten Personen, die Aussage zu verweigern, darf bei sonstiger Nichtigkeit nicht umgangen werden, insbesondere nicht durch Sicherstellung und Beschlagnahme von Unterlagen oder auf Datenträgern gespeicherten Informationen oder durch Vernehmung der Hilfskräfte oder der Personen, die zur Ausbildung an der berufsmäßigen Tätigkeit nach Abs1 Z2 bis 4 teilnehmen. Dies gilt ebenso für Unterlagen und Informationen, die sich in der Verfügungsmacht des Beschuldigten oder eines Mitbeschuldigten befinden und zum Zwecke der Beratung oder Verteidigung des Beschuldigten durch eine in Abs1 Z2 genannte Person von dieser oder vom Beschuldigten erstellt wurden."
2. §62a des Verfassungsgerichtshofgesetzes 1953, BGBl 85/1953, idF BGBl I 107/2016 lautet auszugsweise (die angefochtene Bestimmung ist hervorgehoben):
"§62a. (1) Eine Person, die als Partei einer von einem ordentlichen Gericht in erster Instanz entschiedenen Rechtssache wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, kann einen Antrag stellen, das Gesetz als verfassungswidrig aufzuheben (Art140 Abs1 Z1 litd B-VG). Die Stellung eines solchen Antrages ist unzulässig:
1. […]
(2) Der gesetzliche Vertreter eines jugendlichen Beschuldigten (§38 JGG) hat das Recht, auch gegen den Willen des Beschuldigten zu dessen Gunsten einen Antrag zu stellen, das Gesetz als verfassungswidrig aufzuheben.
(3) Der Antrag hat über die Erfordernisse des §62 hinaus zu enthalten:
1. die Bezeichnung der Entscheidung und des ordentlichen Gerichtes, das sie erlassen hat;
2. die Angaben, die erforderlich sind, um zu beurteilen, ob der Antrag rechtzeitig eingebracht ist.
(4) Dem Antrag sind eine Ausfertigung, Abschrift oder Kopie der Entscheidung sowie eine Abschrift oder Kopie dieses Rechtsmittels anzuschließen.
(5) Der Verfassungsgerichtshof hat das ordentliche Gericht erster Instanz von der Stellung eines Antrages gemäß Abs1 unverzüglich zu verständigen. Dieses hat dem Verfassungsgerichtshof seine Entscheidung über die Rechtzeitigkeit und Zulässigkeit des Rechtsmittels mitzuteilen.
(6) In dem beim Rechtsmittelgericht anhängigen Verfahren dürfen bis zur Verkündung bzw Zustellung des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes nur solche Handlungen vorgenommen oder Anordnungen und Entscheidungen getroffen werden, die durch das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes nicht beeinflusst werden können oder die die Frage nicht abschließend regeln und keinen Aufschub gestatten."
III. Sachverhalt und Antragsvorbringen
1. Dem Antrag liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
1.1. Die Antragsteller sind nach ihren Angaben Beschuldigte in einem Ermittlungsverfahren, das von der Zentralen Staatsanwaltschaft zur Verfolgung von Wirtschaftsstrafsachen und Korruption (WKStA) gegen über 90 Beschuldigte geführt wird.
1.2. Mit Beschlüssen vom 29. April 2022, Z 316 HR 191/20p, forderte das Landesgericht für Strafsachen Wien den Erst- sowie den Drittantragsteller gemäß §112 Abs2 StPO auf, binnen vier Monaten ab Zustellung der Aufforderung einen Teil jener Unterlagen, die am 6. Oktober 2021 an zwei Standorten sichergestellt und versiegelt worden waren, konkret zu bezeichnen, deren Offenlegung eine Umgehung der Verschwiegenheitsverpflichtung der antragstellenden Parteien bedeutete.
1.3. Gegen diese Beschlüsse des Landesgerichtes für Strafsachen Wien erhoben die antragstellenden Parteien Beschwerde und stellten den vorliegenden, auf Art140 Abs1 Z1 litd B-VG gestützten Antrag.
2. Die antragstellenden Parteien führen in ihrem Antrag zusammengefasst an, dass die im Anlassverfahren angewendeten und vor dem Verfassungsgerichtshof angefochtenen Bestimmungen gegen die verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf ein faires Verfahren gemäß Art6 EMRK, auf Privatleben gemäß Art8 EMRK und Art7 GRC sowie auf Schutz des Redaktionsgeheimnisses gemäß Art10 EMRK und Art11 GRC verstießen. Es lägen verfassungsrechtlich bedeutsame Rechtsschutzdefizite vor. Es sei zwar durchaus möglich, die angefochtenen Bestimmungen verfassungskonform zu interpretieren; diese Möglichkeit werde jedoch von dem zuständigen Haft- und Rechtsschutzrichter nicht wahrgenommen. Die antragstellenden Parteien seien mit Ablehnungsanträgen gegen den genannten Richter nicht durchgedrungen.
IV. Zur Zulässigkeit
1. Gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Verfassungswidrigkeit von Gesetzen auf Antrag einer Person, die als Partei einer von einem ordentlichen Gericht in erster Instanz entschiedenen Rechtssache wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, aus Anlass eines gegen diese Entscheidung erhobenen Rechtsmittels.
Gemäß §62 Abs1 VfGG muss der Antrag begehren, "dass entweder das Gesetz seinem ganzen Inhalt nach oder dass bestimmte Stellen des Gesetzes als verfassungswidrig aufgehoben werden. Der Antrag hat die gegen die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes sprechenden Bedenken im Einzelnen darzulegen."
2. Dieses Erfordernis ist nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes nur dann erfüllt, wenn die Gründe der behaupteten Verfassungswidrigkeit – in überprüfbarer Art– präzise ausgebreitet werden, mithin dem Antrag mit hinreichender Deutlichkeit zu entnehmen ist, mit welcher Rechtsvorschrift die zur Aufhebung beantragte Bestimmung in Widerspruch stehen soll und welche Gründe für diese Annahme sprechen (vgl zB VfSlg 14.802/1997, 17.752/2006; spezifisch zum Parteiantrag VfGH 2.7.2015, G16/2015; G145/2015; 18.2.2016, G642/2015). Es ist nicht Aufgabe des Verfassungsgerichtshofes, pauschal vorgetragene Bedenken einzelnen Bestimmungen zuzuordnen und – gleichsam stellvertretend – das Vorbringen für den Antragsteller zu präzisieren (VfSlg 17.099/2003, 17.102/2003, 19.825/2013, 19.832/2013, 19.870/2014, 19.938/2014; VfGH 22.9.2021, G210/2021).
3. Eben diesem Erfordernis wird der vorliegende Antrag nicht gerecht (vgl auch VfGH 1.7.2022, G118/2022). Die antragstellenden Parteien sind der Ansicht, die Anwendung der angefochtenen Bestimmungen durch das Landesgericht für Strafsachen Wien verletze sie in ihren verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf ein faires Verfahren gemäß Art6 EMRK, auf Privatleben gemäß Art8 EMRK und Art7 GRC sowie auf Schutz des Redaktionsgeheimnisses gemäß Art10 EMRK und Art11 GRC. Dem Antrag ist weder eine Darlegung der behaupteten Verfassungswidrigkeiten im Einzelnen noch eine Zuordnung der Bedenken zu den einzelnen angefochtenen Bestimmungen im Sinne des §62 Abs1 VfGG zu entnehmen.
Dabei handelt es sich um materielle Formgebrechen, die nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes einem Mängelbehebungsauftrag nicht zugänglich sind (vgl etwa VfSlg 15.342/1998, 17.553/2005; VfGH 29.4.2022, G29/2022).
4. Weiterhin handelt es sich bei den beiden Beschlüssen des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 29. April 2022, mit denen der Erst- und der Drittantragsteller gemäß §112 Abs2 StPO aufgefordert wurden, einen Teil jener Unterlagen, die zu einem früheren Zeitpunkt an zwei Standorten sichergestellt und versiegelt worden waren, konkret zu bezeichnen, deren Offenlegung eine Umgehung der Verschwiegenheitsverpflichtung der antragstellenden Parteien bedeutete, nicht um eine von einem ordentlichen Gericht in erster Instanz entschiedene Rechtssache. Auch aus diesem Grund erweist sich somit der Antrag als unzulässig.
5. Ungeachtet der beiden bezeichneten Unzulässigkeitsgründe ist der Antrag auch deswegen teilweise unzulässig, weil die angefochtenen Bestimmungen im gerichtlichen Anlassverfahren nicht präjudiziell sind:
§45 Abs3 StPO regelt den Ausschluss eines selbständigen Rechtsmittels gegen einen ablehnenden Beschluss über den Ausschluss eines Richters; eben dies ist aber nicht Gegenstand der Beschlüsse des Landesgerichtes für Strafsachen Wien, aus deren Anlass die antragstellenden Parteien den Parteiantrag erhoben haben. Dasselbe gilt sinngemäß für §101 Abs2 StPO.
Ebensowenig nachvollziehbar ist für den Verfassungsgerichtshof, inwiefern §106 Abs1 StPO, der den Einspruch wegen Rechtsverletzung durch Handlungen der Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren regelt, im Rahmen einer gerichtlichen Aufforderung gemäß §112 Abs2 StPO anwendbar sein könnte.
6. Darüber hinaus machen die antragstellenden Parteien geltend, dass die Auslegung der angefochtenen Bestimmungen durch das Landesgericht für Strafsachen Wien verfassungswidrig sei. Sie machen damit lediglich Vollzugsmängel geltend. Solche Bedenken sind unzulässig, weil der Verfassungsgerichtshof gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B-VG über die Verfassungswidrigkeit von Gesetzen entscheidet. Die Entscheidung eines Gerichtes ist nicht Prüfungsgegenstand eines Verfahrens nach Art140 B-VG (vgl VfGH 2.7.2015, G145/2015; 26.2.2016, G179/2015 ua; 22.9.2016, G607/2015).
7. Die Antragsteller führen in ihrem Antrag abschließend aus, dass sie "als Nichtjuristen und Medienmitarbeiter beim besten Willen nicht [wüssten], wie man in Fällen wie im vorliegenden, die durch kaskadenhafte und ineinander verschränkte Verfassungswidrigkeiten infolge falscher Auslegung einfacher gesetzlicher Regelungen durch Strafverfolgungsbehörden und Gerichte einen ausreichenden Rechtsschutz für die dadurch verletzten Grundrechte sicherstellen kann", wenn der Verfassungsgerichtshof den Antrag wegen zu geringen oder zu weiten Anfechtungsumfanges als unzulässig zurückweisen sollte. Die Antragsteller verkennen, dass aus eben diesem Grund vor dem Verfassungsgerichtshof grundsätzlich Rechtsanwaltszwang besteht, um Rechtsschutzsuchende vor formalen und inhaltlichen Fehlern zu bewahren, die zur Zurückweisung von Anträgen führen können. Bei Rechtsanwälten ist davon auszugehen, dass sie über die notwendigen Kenntnisse hinsichtlich der Erfordernisse eines Antrages an den Verfassungsgerichtshof verfügen.
V. Ergebnis
1. Der Antrag ist daher aus den genannten Gründen zurückzuweisen.
2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs3 Z2 lite VfGG ohne mündliche Verhandlung in nicht öffentlicher Sitzung getroffen werden.
Schlagworte
Strafprozessrecht, VfGH / Bedenken, VfGH / Parteiantrag, VfGH / Formerfordernisse, VfGH / PräjudizialitätEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2022:G176.2022Zuletzt aktualisiert am
05.12.2022