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82/02 Gesundheitsrecht allgemeinNorm
B-VG Art7 Abs1 / GesetzLeitsatz
Kein Verstoß gegen das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens, der Freizügigkeit und des Eigentums durch Einlass- und Betretungsbeschränkung für Betriebsstätten des Handels für Personen ohne 2G-Nachweis; hinreichende Dokumentation der Entscheidungsgrundlagen im Verordnungsakt der 4. COVID 19-MaßnahmenV; höheres Verbreitungs- und Systemrisiko von ungeimpften bzw nicht ausreichend immunisierten Personen bei der Omikron-Variante; "2G-Regel" in Betriebsstätten des Handels gelindestes Mittel auf Grund der angespannten epidemiologischen Lage; keine Abwendung der prognostizierten systemkritischen Belastung des Gesundheitssystems durch (bloße) Vorlage eines negativen PCR-Testergebnisses; kein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz durch die unterschiedliche Behandlung von Drogeriemärkten und dem KleidungsfachhandelRechtssatz
Die Antragstellerin hat es unterlassen, ihre unmittelbare Betroffenheit hinsichtlich der Wortfolge "1 und" in §17 Abs4 4. COVID-19-MV (2G-Nachweispflicht für Gelegenheitsmärkte) hinreichend zu begründen. Die Antragstellerin hat diesbezüglich auch keinen konkreten Regelungszusammenhang zu §5 Abs1 4. COVID-19-MV dargelegt. Bei einer Aufhebung des §5 Abs1 4. COVID-19-MV würde auch kein sprachlich unverständlicher Torso verbleiben. Es handelt sich bei diesem Mangel um kein behebbares Formgebrechen, sondern um ein Prozesshindernis, sodass der Antrag auf Aufhebung der Wortfolge "1 und" in §17 Abs4 4. COVID-19-MV, BGBl II 34/2022, als unzulässig zurückzuweisen ist. Im Übrigen: Abweisung des Antrags auf Aufhebung des §2 Abs2 Z1 und 2, §5 Abs1, 2 und 3 sowie §20 leg cit.
Der vorliegende, am 10.02.2022 eingebrachte Antrag bezieht sich auf die 4. COVID-19-MV welche am 31.01.2022 in Kraft getreten ist. Der Verordnungsgeber hat im Verordnungsakt dargelegt, dass er die angefochtene Maßnahme im Einklang mit den im COVID-19-MG normierten Verfahrensregelungen erlassen sowie die im Gesetz vorgegebenen Kriterien für die Bewertung der epidemiologischen Situation angewendet hat. Er hat zudem hinreichend dargetan, auf welcher Informationsbasis über die nach dem Gesetz maßgeblichen Umstände die Entscheidung über die Erlassung der angefochtenen Bestimmungen der 4. COVID-19-MV getroffen wurde. Die in weiterer Folge zur Überprüfung der Gesetzmäßigkeit der Verordnung durch den VfGH erforderliche aktenmäßige Dokumentation der Entscheidungsgrundlagen ist damit hinsichtlich der angefochtenen Bestimmungen hinreichend erfolgt.
Kein Verstoß gegen die Grundrechte auf Achtung des Privat- und Familienlebens, auf Freizügigkeit der Person und auf Unversehrtheit des Eigentums; kein Widerspruch zur gesetzlichen Grundlage (§3 COVID-19-MG):
Dem BMSGPK ist nicht entgegenzutreten, wenn er angesichts der im Verordnungsakt dokumentierten Entscheidungsgrundlagen davon ausging, dass die Einlass- und Betretungsbeschränkung des §5 Abs1 und 2 4. COVID-19-MV, die das zulässige Betreten von Betriebsstätten des Handels an das Vorliegen eines 2G-Nachweises knüpft, zu einer Reduktion der persönlichen Kontakte von nicht immunisierten Personen führt und damit auch im Hinblick auf die Omikron-Variante ein geeignetes Mittel zur Erreichung dieser Zielsetzung darstellt. Auch von der Antragstellerin nicht näher konkretisierte "Cluster-Analysen" vermögen die Wirkungslosigkeit der Maßnahme nicht zu belegen. Der BMSGPK verweist in diesen Zusammenhang nachvollziehbar darauf, dass "Übertragungssettings" große Unterschiede hinsichtlich der Möglichkeit der Fallzuordnung aufweisen würden und sich ua durch die Überlastung des "Contact-Tracing" und die hohe Fluktuation und Mobilität im Bereich des "Einzelhandels" die gesicherte Zuordnung zu diesem Bereich als schwierig gestalte.
Die Antragstellerin macht ferner geltend, auch die Vorlage eines aktuellen Testergebnisses oder eines Antikörpernachweises würden geeignete und verhältnismäßige Mittel darstellen. Es würden gelindere Mittel, wie etwa die Vorlage eines negativen PCR-Tests, zur Zielerreichung genügen. Die Krankenhäuser seien schon seit längerem weit entfernt von einer Überlastung mit COVID-19-Patienten. Es würden nach Verbreitung der harmlosen Omikron-Variante von SARS-CoV-2 ausreichend Ressourcen und Kapazitäten im Gesundheitswesen bestehen, insbesondere im Bereich der Intensivbettenauslastung.
Die (prognostizierte) Bettenbelegung auf den Normal- und Intensivstationen stellt ein wichtiges Kriterium für die von der verordnungserlassenden Behörde vorzunehmende Beurteilung der epidemiologischen Situation und - in weiterer Folge - des Vorliegens der gesetzlichen Voraussetzungen für die Anordnung von Maßnahmen nach dem COVID-19-MG dar. Es ist jedoch für die Beurteilung der Erforderlichkeit einer Maßnahme nicht ausschließlich auf die Zahl an COVID-19-Patienten in den Spitälern abzustellen. Die verordnungserlassende Behörde hat weitere maßgebliche Faktoren, wie etwa insbesondere Personalressourcen oder (über Betten hinausgehende) verfügbare medizinische Infrastruktur, in die Beurteilung miteinzubeziehen.
Der VfGH verkennt nicht, dass sich die Situation auf den Intensivstationen seit der "Delta-Welle" der COVID-19-Pandemie im November 2021 sowie auch im Verlauf der Geltung der am 10.12.2021 in Kraft getretenen und mit Ablauf des 30.01.2022 außer Kraft getretenen 6. COVID-19-SchuMaV insofern verbesserte, als die Zahl der bundesweit auf den Intensivstationen zu betreuenden COVID-19-Patienten konstant zurückging und in keinem Bundesland eine Überschreitung der als systemkritisch definierten Auslastungsgrenze von 33 % drohte. Diese Entwicklung findet auch in der epidemiologischen Lage, die im Geltungszeitraum der 4. COVID-19-MV vorlag, Niederschlag.
Wie aus der Fachlichen Begründung hervorgeht, hat die Corona-Kommission jedoch am 27.01.2022 festgestellt, dass sich das Fallzahlenniveau auf Grund der Omikron-Variante in den vorangegangenen sieben Tagen deutlich erhöht habe. Auch das österreichische COVID-Prognose-Konsortium ging davon aus, dass für die kommenden Wochen weiterhin starke Anstiege der Fallzahlen zu erwarten seien. Vorschnelle Öffnungsschritte würden nach wie vor das Risiko einer Gefährdung des Gesundheitssystems bergen. Möglich sei - trotz weiterhin erwarteten Anstieges der Belastung von Normalstationen und möglichen Kapazitätsengpässen auf Grund Personalmangels - bloß eine zurückhaltende Aufhebung des Maßnahmenregimes, vorrangig durch Beendigung von Ausgangssperren für Nichtimmunisierte, da nach vorhandener Information ein Systemrisiko vorerst nicht gegeben sei. Mit Kapazitätsproblemen auf ICUs werde nicht gerechnet. Damit hat der BMSGPK im Verordnungsakt nachvollziehbar dargelegt, dass für den hier relevanten Zeitraum weiterhin eine angespannte epidemiologische Lage vorlag, wenngleich erste Öffnungsschritte möglich waren.
Der Verordnungsgeber nahm auf Grund der im Verordnungsakt dokumentierten wissenschaftlichen Erkenntnisse überdies nachvollziehbar an, dass auch in Bezug auf die Omikron-Variante das Verbreitungsrisiko sowie das Systemrisiko stärker - wenn auch nicht so deutlich ausgeprägt wie zuvor bei der Delta-Variante - von den ungeimpften bzw nicht ausreichend immunisierten Personen ausging. Im Verordnungsakt zur 4. COVID-19-MV in der Stammfassung sowie zur 1. Novelle sind umfassende Daten und Statistiken zu den Inzidenzen und zur Hospitalisierung nach Immunitätsstatus dokumentiert. Die fachlichen Grundlagen belegen überdies die Auseinandersetzung mit einer Reihe von internationalen Studien zur Impfeffektivität, zum Reinfektionsrisiko und zur Wirksamkeit zusätzlicher Maßnahmen.
Der Einwand der Antragstellerin, dass die "2G-Regel" in Betriebsstätten des Handels nicht das gelindeste Mittel darstelle, trifft für die hier zu beurteilende Rechtslage nicht zu. Wie der BMSGPK im Verordnungsakt darlegt, war mit Blick auf die hohen Infektionszahlen und auf Grund der hohen Transmissibilität der Virusvariante "Omikron" ein besonders behutsames und vorsichtiges Vorgehen unabdingbar. Der BMSGPK hat mit der 4. COVID-19-MV bereits erste Lockerungsschritte vorgenommen, indem die allgemeine Ausgangsbeschränkung für Personen ohne 2G-Nachweis der 6. COVID-19-SchuMaV aufgehoben wurde. Überdies waren gemäß §13 Abs1 iVm Abs2 4. COVID-19-MV Zusammenkünfte für zehn Personen aus verschiedenen Haushalten ohne 2G-Nachweis wieder zulässig. Auf Grund der immer noch angespannten epidemiologischen Lage ist dem BMSGPK aber nicht entgegenzutreten, wenn er ua die Beibehaltung des Erfordernisses eines 2G-Nachweises in Betriebsstätten des Handels zu diesem Zeitpunkt weiterhin als gelindestes Mittel erachtet hat.
Anders als die Antragstellerin vermeint, stellten PCR-Tests für ungeimpfte bzw nicht immunisierte Personen in diesem Zusammenhang kein gelinderes Mittel zur Zielerreichung dar. Das Vorhandensein eines negativen PCR-Testergebnisses auf eine Infektion mit SARS-CoV-2 reduziert zwar - für einen kurzen Zeitraum - die Wahrscheinlichkeit einer bestehenden Infektion und kann daher ein geeignetes Mittel zur Verhinderung der Weiterverbreitung des Virus darstellen (siehe §1 Abs5a Z2 COVID-19-MG, §2 Abs2 Z3 4. COVID-19-MV). Aus der Fachlichen Begründung ergibt sich aber, dass getestete Personen, die weder genesen noch geimpft seien, über keine Immunität gegen SARS-CoV-2 verfügen würden, was sich auf die Transmissionswahrscheinlichkeit trotz negativen Testergebnisses auswirken könne. Je nach Risikofaktoren sei bei lediglich getesteten Personen ein entsprechendes Risiko für einen schweren Verlauf und in weiterer Folge eine Belastung des Gesundheitssystems gegeben. Vor diesem Hintergrund ist nicht zu beanstanden, wenn der Verordnungsgeber die (bloße) Vorlage eines negativen PCR-Testergebnisses als gelinderes Mittel für nicht geeignet hielt, um die prognostizierte systemkritische Belastung des Gesundheitssystems abzuwenden.
Ausgehend davon ist dem BMSGPK insgesamt nicht entgegenzutreten, wenn er die Betretungs- und Einlassbeschränkung des §5 Abs1 und 2 4. COVID-19-MV im Zeitpunkt ihrer Erlassung noch für "erforderlich" erachtete. Die angefochtenen Bestimmungen verstoßen somit aus den geltend gemachten Gründen nicht gegen §3 COVID-19-MG.
Im Lichte der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Achtung des Privat- und Familienlebens, auf Freizügigkeit der Person und auf Unversehrtheit des Eigentums verkennt der VfGH nicht, dass die angefochtene Maßnahme, nicht zuletzt auf Grund des Umstandes, dass diese bereits einige Wochen in Geltung stand, intensiv in die genannten Grundrechte der Antragstellerin eingreift. Der Verordnungsgeber hat jedoch mit der Betretungs- und Einlassbeschränkung des §5 Abs1 und 2 4. COVID-19-MV keine insgesamt unangemessene Maßnahme erlassen. Mit dem gesundheitspolitischen Ziel der Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 wird ein Ziel von erheblichem Gewicht verfolgt. Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang auch, dass der Verordnungsgeber im Rahmen seiner Abwägungsentscheidung die Schwere des Eingriffes in die grundrechtlich geschützte Rechtsposition der Betroffenen durch die Festlegung zahlreicher Ausnahmen abmildert. So ist in Bezug auf die 2G-Nachweispflicht für das Betreten von Betriebsstätten des Handels auf den Ausnahmenkatalog des §5 Abs3 4. COVID-19-MV zu verweisen. Überdies wurde durch die 4. COVID-19-MV im Sinne eines schrittweisen Vorgehens die bis zu diesem Zeitpunkt durch §3 6. COVID 19-SchuMaV normierte Ausgangsbeschränkung für Personen ohne 2G-Nachweis aufgehoben. Auch Zusammenkünfte waren gemäß §13 Abs1 iVm Abs2 4. COVID-19-MV nach der im Antragszeitpunkt maßgeblichen Rechtslage nunmehr auch für Personen ohne 2G-Nachweis aus zehn verschiedenen Haushalten wieder zulässig.
Kein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz:
Die Antragstellerin moniert eine Gleichheitswidrigkeit auf Grund des Umstandes, dass Personen, die über einen PCR-Test verfügen würden, vom 2G-Nachweis ausgenommen seien. Der Umstand, dass Personen mit einem negativen PCR-Test nicht von der 2G-Nachweisbestimmung umfasst sind, verstößt jedoch auf Grund der unterschiedlichen Transmissionswahrscheinlichkeit und der höheren Wahrscheinlichkeit einer schweren Erkrankung von nicht-immunisierten bzw ungeimpften Personen, die lediglich über einen negativen PCR-Test verfügen, nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz. Überdies vermeint die Antragstellerin, der Ankauf von Waren in Drogeriemärkten sei nicht notwendiger als der Ankauf von Bekleidung. Auch epidemiologisch sei kein Unterschied festzustellen. Es sei mit dem Rechtsstaat unvereinbar, dass eine "Behörde [...] im praktisch gesetzfreien Raum entscheidet, was wo von bestimmten Bürgern gekauft werden darf, während andere Bürger davon ausgenommen werden, nur um diese zu einem gewünschten Verhalten zu motivieren". Mit diesen pauschal vorgebrachten Bedenken vermag die Antragstellerin keine Gleichheitswidrigkeit darzulegen. In diesem Zusammenhang hat der BMSGPK seinen rechtpolitischen Entscheidungsspielraum nicht überschritten, wenn er Drogerien und Drogeriemärkte - anders als Betriebsstätten des Kleidungsfachhandels - vom Betretungsverbot des §5 Abs1 4. COVID-19-MV ausnimmt.
Schlagworte
COVID (Corona), Grundlagenforschung, Geltungsbereich (zeitlicher) einer Verordnung, Privat- und Familienleben, Verordnungserlassung, Recht auf Freizügigkeit, EigentumseingriffEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2022:V110.2022Zuletzt aktualisiert am
05.12.2022