Index
41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, AsylrechtNorm
BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1Leitsatz
Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander hinsichtlich der Nichtzuerkennung des subsidiären Schutzstatuts betreffend eine Familie aus Georgien im fortgesetzten Verfahren; erneut mangelhafte Auseinandersetzung mit der gesundheitlichen Situation der kranken minderjährigen Tochter, den medizinischen Versorgungsmöglichkeiten und dem AkteninhaltSpruch
1. Die Beschwerdeführer sind durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit ihre Beschwerde gegen die Abweisung der Anträge auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Georgien abgewiesen wird und darauf aufbauend durch die Spruchpunkte A) II. bis A) IV., im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.
Das Erkenntnis wird insoweit aufgehoben.
2. Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.
II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, den Beschwerdeführern zuhanden ihrer Rechtsvertreterin die mit € 3.270,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren
1. Die Beschwerdeführer sind Staatsangehörige Georgiens. Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin sind verheiratet und Eltern des minderjährigen Drittbeschwerdeführers und der minderjährigen Viert- und Fünftbeschwerdeführerin.
2. Die Viertbeschwerdeführerin leidet an einer Krankheit, die als "atypisches hämolytisch-urämisches Syndrom" bezeichnet wird. Im Februar des Jahres 2018 wurde sie zum ersten Mal in Georgien medizinisch behandelt. In der Universitätsklinik in der georgischen Hauptstadt Tiflis, in der sie für mehrere Wochen stationär behandelt wurde, konnte nur eine Verdachtsdiagnose gestellt werden. Die Viertbeschwerdeführerin wurde unmittelbar aus der Universitätsklinik von Tiflis in ein Krankenhaus in der Türkei, in Istanbul, geflogen. Dort wurde die Verdachtsdiagnose bestätigt und eine Krankenbehandlung angeboten; da die Beschwerdeführer nach eigenen Angaben die Kosten für die Behandlung der Viertbeschwerdeführerin in Istanbul nicht aufbringen konnten, reisten sie weiter nach Österreich.
3. Am 15. März 2018 stellten die Beschwerdeführer in Österreich Anträge auf internationalen Schutz und brachten vor, in Georgien fehle es an einer adäquaten medizinischen Behandlung der Krankheit der Viertbeschwerdeführerin. In Österreich wurde unmittelbar nach der Ankunft der Beschwerdeführer eine zehnmalige Plasmaaustauschbehandlung durchgeführt und es wurden B Zellantikörper verabreicht. Im Anschluss wurde eine dauerhafte Immunsuppressionstherapie begonnen, wodurch sich der Zustand der Viertbeschwerdeführerin besserte. Im April 2018 konnte die Viertbeschwerdeführerin aus der stationären Behandlung entlassen werden und es finden monatliche Kontrolluntersuchungen in einer Spezialabteilung des Allgemeinen Krankenhauses der Stadt Wien statt.
4. Mit Bescheiden jeweils vom 7. September 2018 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) diese Anträge sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) als auch hinsichtlich des Status der subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II.) als unbegründet ab, erteilte keine Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen (Spruchpunkt III.), erließ gegen die Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.), stellte fest, dass die Abschiebung nach Georgien zulässig ist (Spruchpunkt V.), und setzte eine 14-tägige Frist zur freiwilligen Ausreise (Spruchpunkt VI.).
5. Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 3. Juni 2019 mit mündlich verkündetem Erkenntnis vom selben Tag als unbegründet ab. Die schriftliche Ausfertigung des Erkenntnisses erfolgte am 18. Juli 2019. Der Beschwerde gegen dieses Erkenntnis gab der Verfassungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 4. März 2020, VfSlg 20.371/2020, statt, da das Bundesverwaltungsgericht die notwendige Auseinandersetzung mit der gesundheitlichen Situation der Viertbeschwerdeführerin im Hinblick auf eine, nach ihrer Rückführung in den Herkunftsstaat erfolgende, mögliche unmenschliche oder erniedrigende Behandlung iSd Art3 EMRK nicht in verfassungsrechtlich unbedenklicher Weise vorgenommen hat und die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes daher mit Willkür belastet war.
6. Nach Durchführung einer neuerlichen mündlichen Verhandlung am 29. November 2021 wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde gegen die Bescheide des BFA vom 7. September 2018 mit Erkenntnis vom 3. Jänner 2022 hinsichtlich der Spruchpunkte I. und II. als unbegründet ab (Spruchpunkt A) I.). Im Übrigen behob das Bundesverwaltungsgericht die bekämpften Bescheide, erklärte die Rückkehrentscheidungen in Bezug auf den Herkunftsstaat Georgien auf Dauer für unzulässig und erteilte dem Erst- und Drittbeschwerdeführer sowie der Viert- und Fünftbeschwerdeführerin den Aufenthaltstitel "Aufenthaltsberechtigung". Der Zweitbeschwerdeführerin erteilte es den Aufenthaltstitel "Aufenthaltsberechtigung plus".
6.1. Das Bundesverwaltungsgericht begründet seine Entscheidung auszugsweise wie folgt: Die Angaben der Beschwerdeführer zur Unmöglichkeit der Behandlung in Georgien seien vor dem Hintergrund der medizinischen Unterlagen aus Georgien sowie den Länderfeststellungen und Anfragebeantwortungen als unglaubwürdig zu beurteilen. Von einem Sachverständigen aus dem Fachgebiet der Allgemeinmedizin sei im August 2020 festgestellt worden, dass die akute Krankheitsmanifestation unbehandelt mit einem beträchtlichen Letalitätsrisiko verbunden sei. Mit adäquater Behandlung könne der Krankheitsprozess gut unterdrückt werden, wie sich im gegenständlichen Fall gezeigt habe. Sämtliche therapeutische Maßnahmen, welche bei der Viertbeschwerdeführerin im Allgemeinen Krankenhaus der Stadt Wien zur Anwendung gelangt seien, seien in Georgien verfügbar.
6.2. Im Einzelnen gibt das Bundesverwaltungsgericht in seiner Beweiswürdigung eine Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 7. September 2021 auszugsweise wieder. Diesen Antworten sei zu entnehmen:
"[…], dass die angefragten Fachärzte wie pädiatrische Gastroenterologen, pädiatrische Hematologen, pädiatrische Nephrologen und Kinderärzte ambulant und stationär verfügbar sind.
Auch die angefragten Behandlungen wie Plasmapherese, Laboruntersuchung der Nieren-/Nierenfunktion, Laboruntersuchungen/Überwachung des Blutbildes und Bluttransfusionen sind verfügbar. Dies ist alles im M. Iashvili Children’s Central Hospital, 13/6 Lubljana St. in Tiflis verfügbar. […]
Die angefragten (derzeit notwendigen) Wirkstoffe Azathioprin und Enalapril sind verfügbar. Der in der Anfrage genannte Wirkstoff bei einem Wiederauftreten der Krankheit – Rituximab – ist verfügbar. […]
Weiters berichtet MedCOI folgendes: Während der Krankheitsschübe im Falle eines atypischen hämolytisch-urämischen Syndroms wird die erforderliche Krankenhausbehandlung (Plasmapherese) von der gesetzlichen Krankenkasse übernommen. Die chronische Behandlung dieser Krankheit mit Rituximab wird nicht von den Krankenkassen übernommen. Es gibt keine NGOs, die zu diesem speziellen Thema arbeiten […].
[…] Analyse der MedCOI-Ärzte: das hämolytisch-urämische Syndrom (HUS) ist gekennzeichnet durch eine Trias aus nicht-immunhämolytischer mikroangiopathischer Anämie, Thrombozytopenie (niedriger Thrombozytenspiegel) und akutem Nierenversagen. HUS wird durch eine Fehlregulation des alternativen Signalwegs des Komplementsystems verursacht und wird als atypisches HUS (aHUS) bezeichnet. Ein seltener Subtyp wird durch Anti-Komplement-Faktor-H (CFH)-Antikörper verursacht, was bei diesem Patienten der Fall ist. Die Plasmaaustauschtherapie war der Eckpfeiler der aHUS-Therapie und war bis 2011 im Wesentlichen die einzige verfügbare Therapie. Die Plasmatherapie ist aufgrund ihrer Fähigkeit wirksam, normale Levels an Komplementfaktoren zu liefern und wenn ein Austausch durchgeführt wird, mutierte Komplementfaktoren und Auto-Antikörper zu entfernen. Es wird empfohlen, innerhalb von 24 Stunden nach Verdacht auf aHUS mit der Plasmatherapie zu beginnen. Die Wirksamkeit des Austauschs sollte täglich überwacht werden. Persistenz der Hämolyse oder fehlende Verbesserung der Thrombozytopenie nach 3–5 Tagen Plasmatherapie sollte als 'kein Ansprechen' auf die Therapie angesehen werden und als Indikation zum Stoppen des Plasmaaustauschs und zum Beginn einer Komplementinhibitortherapie mit Eculizumab angesehen werden. Bei diesem Patienten war die Behandlung erfolgreich und das aHUS ist in Remission verschwunden. In diesem Moment ist die Anwendung des Immunsuppressivums Azathioprin und die Behandlung des Bluthochdrucks (mit Enalapril) ausreichend, um die Krankheit zu unterdrücken. Im Falle eines Wiederauftretens der Krankheit ist eine Plasmaaustauschtherapie erforderlich und verfügbar. Eine zusätzliche immunsuppressive und komplementhemmende Behandlung mit Ravulizumab oder dessen Alternative Eculizumab, die in der akuten Phase des aHUS häufig eingesetzt werden, steht jedoch nicht zur Verfügung. Daher ist die immunsuppressive und komplementhemmende Wirkung weniger stark, was das Wiederauftreten der Krankheit verlängern und die Schwere ihrer Komplikationen negativ beeinflussen könnte. In diesem Fall kann sich die Nierenfunktion verschlechtern, die Blutplättchen können abfallen (was zu einem höheren Risiko von Gerinnungsproblemen führt) und eine schwere Anämie kann auftreten. Auch die Funktion anderer Organe (zB Herz und Leber) kann durch die Gerinnungsstörungen negativ beeinflusst werden."
6.3. Zudem stützt sich das Bundesverwaltungsgericht auf die medizinische Befundinterpretation eines Sachverständigen aus dem Fachgebiet der Allgemeinmedizin vom 3. August 2020, der auszugsweise wie folgt wiedergegeben wird (ohne die Hervorhebungen im Original):
"Welche medizinische Behandlung ist im Hinblick auf die Erkrankung der BF4 erforderlich bzw welche Medikamente und weitere Behandlung benötigt sie (notwendige Therapien, Kontrollen)? 'Für die sich seit 2 Jahren in Remission befindliche Patientin ist aktuell eine orale Medikation erforderlich, welche aus einem Immunsuppressivum (Azathioprin) 14 und einem Antihypertonikum (Enalapril)15 besteht […]. Des Weiteren sind seit 05/20 zweimonatige fachärztliche Routinekontrollen für sie vorgesehen (zuvor monatliche). Im Falle des Auftretens eines Krankheitsrezidivs16 ('Wiederaufflackern der Erkrankung' lt. zusammenfassendem Bericht zur Vorlage bei der Asylbehörde v. 21.09.2018) benötigt die bP lt. Arztbrief v. 17.04.2018 ggf. die Durchführung einer Plasmapherese17 sowie die Gabe des monoklonalen Antikörpers Rituximab.'
[…]
Welche Folgen hätte eine allfällige Überstellung der BF4 nach GEORGIEN? Würde dies eine signifikante Verschlechterung des Gesundheitszustandes verursachen bzw wäre dadurch ein lebensbedrohlicher Zustand gegeben bzw zu befürchten? 'Aufgrund des seit 04/18 bestehenden Remissionszustandes der Erkrankung mit beschwerdefreiem und gutem Allgemeinzustand der bP hätte eine Überstellung nach Georgien keine unmittelbaren Folgen. Eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes der bP inkl. lebensbedrohlichem Zustand ist dann zu befürchten, wenn die Weiterführung ihrer aktuellen, oralen Medikation sowie der erforderlichen, fachärztlichen Kontrollen nicht gewährleistet ist, und wenn bei Auftreten eines Krankheitsrezidivs die entsprechenden, medizinischen Versorgungsmöglichkeiten (ggstdl. Plasmapherese, Immuntherapie) nicht zur Verfügung stehen würden.
Beide Szenarien kämen der unbehandelten, i.e. nicht kompensierten, i.e. nicht 'unterdrückten', Krankheitsdisposition der bP gleich, welche diesfalls – wie bspw. in der 'ärztlichen Bestätigung' v. 21.11.2019 angemerkt – 'lebensbedrohlich' sein kann.'"
7. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses beantragt wird. Darin bringen die Beschwerdeführer ua vor, das Bundesverwaltungsgericht habe in seiner Entscheidung vorgelegte Beweismittel, wie etwa einen medizinischen Befund des Allgemeinen Krankenhauses der Stadt Wien sowie ein Schreiben einer georgischen Klink nicht berücksichtigt und damit das Parteivorbringen ignoriert.
8. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Gerichtsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift aber abgesehen und auf die Begründung der angefochtenen Entscheidung verwiesen. Hinsichtlich der Verwaltungsakten teilte das Bundesverwaltungsgericht mit, dass sich diese derzeit auf Grund eines laufenden Revisionsverfahrens beim Verwaltungsgerichtshof befänden.
9. Auf Ersuchen des Verfassungsgerichtshofes übermittelte der Verwaltungsgerichtshof am 22. April 2022 die Verwaltungsakten des BFA zur kurzfristigen Einsichtnahme.
II. Erwägungen
1. Die – zulässige – Beschwerde ist, soweit sie sich gegen die Abweisung der Anträge auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Georgien richtet, begründet.
2. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.
Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg cit gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).
Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).
3. Ein solcher Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:
3.1. Gemäß §8 Abs1 AsylG 2005 ist einem Fremden, dessen Antrag auf internationalen Schutz in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird, der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art2, 3 EMRK oder des 6. oder 13. ZPEMRK bedeuten oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.
3.2. Das Bundesverwaltungsgericht nimmt die im Lichte dessen notwendige Auseinandersetzung mit der gesundheitlichen Situation der Viertbeschwerdeführerin im Hinblick auf eine nach ihrer Rückführung in den Herkunftsstaat erfolgende, mögliche unmenschliche oder erniedrigende Behandlung iSd Art3 EMRK erneut nicht in verfassungsrechtlich unbedenklicher Weise vor (vgl hiezu für den vorliegenden Fall insbesondere VfSlg 20.371/2020; weiters auch VfGH 19.9.2014, U634/2013 ua; 30.6.2016, E381/2016 ua; 24.11.2016, E1085/2016 mwN); es führt insbesondere keine hinreichende Prüfung des Einzelfalls anhand der Kriterien aus der jüngeren Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR 13.12.2016 [GK], Fall Paposhvili, Appl 41.738/10; vgl zuletzt auch EGMR 7.12.2021 [GK], Fall Savran, Appl 57.467/15) durch (zur Maßgeblichkeit einer Prüfung des Einzelfalles anhand der Kriterien dieser Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte in vergleichbaren Fällen vgl bereits VfGH 11.6.2019, E2094/2018 ua und vom selben Tag, E3796/2018; VfSlg 20.371/2020):
3.3. Das Bundesverwaltungsgericht geht in seinen Feststellungen davon aus, dass ein Aufflackern der Erkrankung der Viertbeschwerdeführerin jederzeit, oftmals durch Infekte ausgelöst, wieder möglich ist und es zu einem lebensbedrohlichen Zustand kommen kann, wenn die Weiterführung der aktuellen, oralen Medikation sowie die erforderlichen, fachärztlichen Kontrollen nicht gewährleistet sind und, wenn bei Auftreten eines Krankheitsrezidivs die entsprechenden, medizinischen Versorgungsmöglichkeiten (gegenständlich Plasmaspherese und Immuntherapie) nicht zur Verfügung stehen.
In Bezug auf die Versorgungsmöglichkeiten der Viertbeschwerdeführerin im Falle des Wiederaufflackerns ihrer Krankheit stützt sich das Bundesverwaltungsgericht insbesondere auf die Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 7. September 2021. Darin wird auszugsweise ausgeführt, dass "die angefragten Behandlungen wie Plasmaspherese […] im M. Iashvili Children's Hospital, 13/6 Ljubljana St. in Tiflis verfügbar" seien. Jedoch würde „[e]ine zusätzliche immunsuppressive und komplementhemmende Behandlung mit Ravulizumab oder dessen Alternative Eculizumab, die in der akuten Phase des aHUS häufig eingesetzt werden, […] nicht zur Verfügung [stehen]. Daher ist die immunsuppressive und komplementhemmende Wirkung weniger stark, was das Wiederauftreten der Krankheit verlängern und die Schwere ihrer Komplikationen negativ beeinflussen könnte. In diesem Fall kann sich die Nierenfunktion verschlechtern, die Blutplättchen können abfallen (was zu einem höheren Risiko von Gerinnungsproblemen führt) und eine schwere Anämie kann auftreten. Auch die Funktion anderer Organe (zB Herz und Leber) kann durch die Gerinnungsstörungen negativ beeinflusst werden."
In der im Akt einliegenden ärztlichen Bestätigung des Allgemeinen Krankenhauses der Stadt Wien vom 19. November 2021 wird ausgeführt, dass bei einem schweren Rückfall mit anderen Organbeteiligungen oder schlechtem Ansprechen auf die Plasmatherapie, was jederzeit passieren könne, die Gabe von zusätzlichen Medikamenten, nämlich Eculizumab oder Ravulizumab, notwendig sei. Weiter heißt es dort: "Ein Nichtansprechen auf die Plasma-Therapie ohne Möglichkeit der Gabe von Eculizumab oder Ravulizumab würde zu schweren Komplikationen mit dialysepflichtiger Niereninsuffizienz, bei Multiorganbeteiligung zum Tod führen […]." Das Bundesverwaltungsgericht unterlässt jedoch jegliche Auseinandersetzung mit dieser Bestätigung in seinem Erkenntnis und nimmt darauf weder in seinen Feststellungen noch in der Beweiswürdigung Bezug.
Soweit das Bundesverwaltungsgericht gestützt auf eine – in der Entscheidung nicht abgedruckte – Auskunft des Verbindungsbeamten des Bundesministeriums für Inneres vom 31. Jänner 2019 davon ausgeht, dass hinsichtlich der nicht erhältlichen Medikamente bzw Wirkstoffe auf Grund eines Erlasses des (georgischen) Gesundheitsministeriums vom 15. Juni 2011 eine Einfuhr nach Georgien möglich wäre, unterlässt es eine Auseinandersetzung damit, ob dies aktuell auch für das von der Viertbeschwerdeführerin benötigte Medikament im Falle eines Wiederaufflackerns ihrer Krankheit zutrifft. Der pauschale Hinweis darauf, dass der oben zitierte Erlass die Einfuhr von "bestimmten Medikamenten, die in Georgien nicht erhältlich sind" regelt, vermag vor dem vorliegenden Hintergrund jedenfalls nicht auszureichen. Gleiches gilt für die Ausführung, dass "Medikamente […] weitgehend importiert [werden], zumeist aus der Türkei und Russland, aber auch aus Deutschland. So können etwa auch in Georgien nicht erhältliche Präparate, welche die BF4 benötigen könnte, zur Verfügung gestellt werden […]." (vgl zur Prüfung der Verfügbarkeit von Medikamenten etwa VfGH 28.2.2021, E1904/2021 ua).
3.4. Bereits vor dem Hintergrund dieses Akteninhaltes und der vom Bundesverwaltungsgericht selbst getroffenen Feststellungen, ist es für den Verfassungsgerichtshof nicht nachvollziehbar, wie das Bundesverwaltungsgericht zu dem Ergebnis kommt, dass "im Lichte der Berichtslage kein Hinweis [besteht], dass die BF4 vom Zugang zu medizinischer Versorgung in Georgien ausgeschlossen wäre und […] auch keine Hinweise [bestehen], dass die seitens der BF beschriebenen und diagnostizierten Krankheiten nicht behandelbar wären."
3.5. Zudem fehlt es an einer hinreichenden Auseinandersetzung mit den von den Beschwerdeführern vorgelegten Schreiben des georgischen Gesundheitsministeriums vom 13. Oktober 2021 und der Regulierungsbehörde für medizinische und pharmazeutische Tätigkeiten vom 8. Oktober 2021, aus denen ua hervorgeht, dass die "aktuellen staatlichen Gesundheitsprogramme […] derzeit keine geplanten therapeutischen Dienstleistungen und medizinischen Therapien für Patienten mit 'atypischen hämolytisch-urämischem Syndrom' vor[sehen]." Im Lichte des vorliegenden Falles vermag die pauschale Würdigung dieses Vorbringens dahingehend, dass "Angaben [der Beschwerdeführer] zu einer Unmöglichkeit der Behandlung in Georgien vor dem Hintergrund der medizinischen Unterlagen aus Georgien, sowie den Länderfeststellungen und Anfragenbeantwortungen als unglaubwürdig zu beurteilen" seien, nicht auszureichen. Eine Auseinandersetzung mit dem – ebenso im Akt einliegenden – Schreiben des M. Iashvili Children's Hospital in Tiflis vom 25. November 2021, wonach dieses Krankenhaus – entgegen den Feststellungen des Bundesverwaltungsgerichtes – keinen Plasmaapparat besitzt, fehlt überhaupt gänzlich (vgl etwa VfGH 28.2.2022, E1904/2021 ua; 14.6.2022, E4491/2021 ua).
3.6. Indem sich das Bundesverwaltungsgericht mit den von den Beschwerdeführern vorgelegten Unterlagen nicht in verfassungsrechtlich unbedenklicher Weise auseinandersetzt, ignoriert es das Parteivorbringen in einem entscheidenden Punkt und lässt damit den konkreten Sachverhalt außer Acht. Die angefochtene Entscheidung ist daher, soweit damit die Beschwerde gegen die Nichtzuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und darauf aufbauend durch die Spruchpunkte A) II. bis A) IV., mit Willkür belastet und ist in diesem Umfang aufzuheben (vgl auch VfGH 14.6.2022, E4491/2021 ua; 29.6.2022, E4239/2021 ua).
Der Mangel schlägt gemäß §34 Abs4 AsylG 2005 auf die Entscheidung betreffend den Erstbeschwerdeführer, die Zweitbeschwerdeführerin, den Drittbeschwerdeführer und die Fünftbeschwerdeführerin durch (VfSlg 19.855/2014; VfGH 11.6.2019, E2094/2018 ua; 22.9.2020, E2246/2020 ua), weshalb diese auch hinsichtlich des Erstbeschwerdeführers, der Zweitbeschwerdeführerin, des Drittbeschwerdeführers und der Fünftbeschwerdeführerin aufzuheben ist.
4. Im Übrigen – soweit sich die Beschwerde gegen die durch das Bundesverwaltungsgericht bestätigte Nichtzuerkennung des Status der Asylberechtigten richtet – wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt:
4.1. Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde ablehnen, wenn von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144 Abs2 B-VG). Eine solche Klärung ist dann nicht zu erwarten, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich sind.
4.2. Die vorliegende Beschwerde rügt die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten. Nach den Beschwerdebehauptungen wären diese Rechtsverletzungen aber zum erheblichen Teil nur die Folge einer – allenfalls grob – unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beurteilung der aufgeworfenen Fragen, insbesondere der Frage, ob das Bundesverwaltungsgericht das Vorbringen der Beschwerdeführer in allen Aspekten rechtmäßig beurteilt hat, insoweit nicht anzustellen.
4.3. Demgemäß wurde beschlossen, von einer Behandlung der Beschwerde, soweit sie sich gegen die Abweisung der Anträge auf Zuerkennung des Status der Asylberechtigten richtet, abzusehen (§19 Abs3 Z1 iVm §31 letzter Satz VfGG).
III. Ergebnis
1. Die Beschwerdeführer sind somit durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit ihre Beschwerde gegen die Abweisung der Anträge auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und darauf aufbauend durch die Spruchpunkte A) II. bis A) IV., in dem durch das Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973 verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.
2. Das Erkenntnis ist daher in diesem Umfang aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.
3. Im Übrigen wird von der Behandlung der Beschwerde abgesehen.
4. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 bzw §19 Abs3 Z1 iVm §31 letzter Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
5. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 545,– und ein Streitgenossenzuschlag in der Höhe von € 545,– enthalten.
Schlagworte
Asylrecht / Vulnerabilität, Entscheidungsbegründung, Ermittlungsverfahren, RückkehrentscheidungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2022:E406.2022Zuletzt aktualisiert am
02.12.2022