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41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, AsylrechtNorm
BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1Leitsatz
Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Zurückweisung des Antrags eines afghanischen Staatsangehörigen betreffend den Status eines subsidiär Schutzberechtigten wegen entschiedener Sache mangels Auseinandersetzung mit der extrem volatilen SicherheitslageSpruch
I. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit die Beschwerde gegen die Zurückweisung des Antrages auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan wegen entschiedener Sache gemäß §68 Abs1 AVG sowie gegen die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, gegen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung und gegen den Ausspruch der Zulässigkeit der Abschiebung in den Herkunftsstaat Afghanistan unter Setzung einer zweiwöchigen Frist für die freiwillige Ausreise abgewiesen wird, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.
Das Erkenntnis wird insoweit aufgehoben.
II. Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.
III. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seiner Rechtsvertreterin die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren
1. Der Beschwerdeführer ist ein afghanischer Staatsangehöriger, Angehöriger der Volksgruppe der Hazara und bekennt sich zum schiitisch-muslimischen Glauben. Er stammt aus der Provinz Parwan.
2. Am 24. Dezember 2015 stellte der Beschwerdeführer einen Antrag auf internationalen Schutz, den das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: BFA) mit Bescheid vom 27. November 2017 sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abwies. Zudem erteilte es dem Beschwerdeführer keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen diesen eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass die Abschiebung nach Afghanistan zulässig ist, und setzte eine zweiwöchige Frist für die freiwillige Ausreise ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung. Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 24. August 2020 als unbegründet ab. Eine Rückkehr in die Heimatprovinz des Beschwerdeführers sei zwar ausgeschlossen, jedoch stünden diesem mit Kabul, Mazar-e Sharif oder Herat ausreichend innerstaatliche Fluchtalternativen zur Verfügung.
3. Am 13. Oktober 2020 stellte der Beschwerdeführer in Frankreich einen weiteren Antrag auf internationalen Schutz, den das BFA nach Rücküberstellung des Beschwerdeführers nach Österreich mit Bescheid vom 26. Mai 2021 sowohl hinsichtlich des Status des Asylberechtigten als auch hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten wegen entschiedener Sache zurückwies. Unter einem erteilte es dem Beschwerdeführer neuerlich keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ wiederum gegen diesen eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass die Abschiebung nach Afghanistan zulässig ist, und setzte eine zweiwöchige Frist für die freiwillige Ausreise ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung.
4. Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 17. Juni 2021 mit der Begründung ab, dass seit dem Abschluss des ersten Verfahrens keine relevante Änderung des Sachverhaltes eingetreten sei. Aus den aktuellen Länderinformationen sei abzuleiten, dass sich der Beschwerdeführer nicht auf die schlechte Sicherheitslage berufen könne, weil das Ausmaß an Gewalt in den urbanen Zentren Kabul, Mazar-e Sharif oder Herat trotz der Gebietsgewinne der Taliban noch kein derart hohes Niveau erreicht habe, dass dem Beschwerdeführer im Falle seiner Rückkehr eine reale Gefahr einer Verletzung seiner durch Art2 oder 3 EMRK gewährleisteten Rechte drohe. Ebenso wenig habe sich die Versorgungslage dahingehend verschlechtert, dass dem Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr jede Lebensgrundlage fehlte.
5. Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses beantragt wird.
6. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Gerichts- und Verwaltungsakten vorgelegt und von der Erstattung einer Gegenschrift abgesehen.
II. Erwägungen
1. Die – zulässige – Beschwerde ist begründet, soweit sie sich gegen die Zurückweisung des Antrages auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan wegen entschiedener Sache gemäß §68 Abs1 AVG sowie gegen die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, gegen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung und gegen den Ausspruch der Zulässigkeit der Abschiebung in den Herkunftsstaat Afghanistan unter Setzung einer zweiwöchigen Frist für die freiwillige Ausreise wendet.
2. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.
Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg cit gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).
3. Ein solcher Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:
3.1. Gemäß §8 Abs1 AsylG 2005 ist einem Fremden, dessen Antrag auf internationalen Schutz in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird, der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art2 oder 3 EMRK oder der Protokolle Nr 6 oder Nr 13 zur EMRK bedeuten oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.
3.2. Selbst wenn das BFA einen Folgeantrag auf internationalen Schutz gemäß §68 Abs1 AVG wegen entschiedener Sache zurückweist, hat das über die dagegen erhobene Beschwerde entscheidende Bundesverwaltungsgericht das Vorbringen des Asylwerbers dahingehend zu prüfen, ob ein erstmals vorgebrachter Fluchtgrund, soweit dieser im Lichte des Sachverhaltes neue Elemente enthält, einen glaubhaften Kern aufweist und ob er im Lichte der Art2 und 3 EMRK einer Rückführung aktuell entgegensteht (vgl zB VfGH 28.11.2019, E2006/2019 ua; 8.6.2020, E2751/2019 jeweils mwN).
3.3. Das Bundesverwaltungsgericht legt seinen Feststellungen zur Lage in Afghanistan allgemein das "Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 1. April 2021" (im Folgenden: Länderinformationsblatt vom 1. April 2021) zugrunde, wobei diesem keine Informationen zur Sicherheitslage im Jahr 2021 zu entnehmen sind (Seiten 12 f. der angefochtenen Entscheidung). Hinsichtlich der Heimatprovinz des Beschwerdeführers (Parwan) verweist das Bundesverwaltungsgericht zunächst darauf, dass eine Rückkehr in diese angesichts der schlechten Sicherheitslage bereits im Erkenntnis vom 24. August 2020 ausgeschlossen worden sei. Allerdings stünden dem Beschwerdeführer mit den Städten Kabul, Herat oder Mazar-e Sharif nach wie vor innerstaatliche Fluchtalternativen zur Verfügung. Insoweit sei auch den vorliegenden Länderinformationen nicht zu entnehmen, dass sich die Sicherheitslage seit der letzten Entscheidung in relevanter Weise verschlechtert hätte.
3.4. Dabei übersieht das Bundesverwaltungsgericht, dass zum Entscheidungszeitpunkt aktuellere Informationen zu Afghanistan wie insbesondere das Länderinformationsblatt vom 11. Juni 2021 vorgelegen sind und verkennt damit seine aus Art2 und 3 EMRK folgende Verpflichtung, zu beurteilen, ob für den Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung der genannten Grundrechte, insbesondere eine ernsthafte Bedrohung seines Lebens oder seiner Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes bestehen würde (siehe VfGH 24.9.2021, E3047/2021; 5.10.2021, E2996/2021 sowie E3318/2021).
3.5. Auf Grund der im Zeitpunkt seiner Entscheidung verfügbaren Länderinformationen, insbesondere des Länderinformationsblattes vom 11. Juni 2021, war für das Bundesverwaltungsgericht erkennbar, dass auf Grund der aktuellen Entwicklungen in Afghanistan die Gefahr einer das ganze Land betreffenden kriegerischen Auseinandersetzung zwischen den Taliban und Regierungstruppen und damit eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines innerstaatlichen Konfliktes für Angehörige der Zivilbevölkerung gegeben war. So wird etwa im Länderinformationsblatt vom 11. Juni 2021 nicht nur von einer vielfach befürchteten massiven Verschlechterung der Sicherheitslage im Falle des Abzuges internationaler Truppen berichtet, sondern auch darüber, dass sich die Sicherheitslage nach dem Truppenabzug tatsächlich stetig verschlechtert habe. In diesem Sinne halten die genannten Länderinformationen fest, dass auf Grund des US-Truppenabzuges der Beginn "eine[r] neue[n] Phase des Konflikts und des Blutvergießens", der "Zusammenbruch der afghanischen Regierung" und die "Übernahme durch die Taliban" zu befürchten sei, und verweisen in diesem Zusammenhang darauf, dass die "Luftwaffe, vor allem die der Amerikaner, […] in den vergangenen Jahren entscheidend dazu beigetragen [hat], den Vormarsch der Taliban aufzuhalten". Die Kampfhandlungen zwischen Taliban und Regierungstruppen hätten seit dem Abzug der internationalen Truppen im April stark zugenommen. Die Taliban hätten "den Druck in allen Regionen des Landes verstärkt" und "seit Beginn des Truppenabzugs am 1.5.2021 bis Anfang Juni mindestens zwölf Distrikte erobert".
3.6. Indem das Bundesverwaltungsgericht diese Länderinformationen nicht berücksichtigt und von einer im Hinblick auf Art2 und 3 EMRK zulässigen Rückkehrsituation des Beschwerdeführers ausgegangen ist, ohne dabei der sich rasch ändernden, durch sich intensivierende kriegerische Auseinandersetzungen zwischen den Taliban und afghanischen Regierungstruppen gekennzeichneten Sicherheitslage Rechnung zu tragen, hat es sein Erkenntnis – soweit es sich auf die Zurückweisung des Antrages auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten sowie die darauf aufbauenden Spruchpunkte bezieht – mit Willkür belastet (vgl VfGH 5.10.2021, E2996/2021).
4. Im Übrigen (also betreffend die Zurückweisung des Antrages auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß §68 Abs1 AVG wegen entschiedener Sache) wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt:
Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde ablehnen, wenn von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144 Abs2 B-VG). Ein solcher Fall liegt vor, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich sind.
Die Beschwerde rügt die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten. Die gerügten Rechtsverletzungen wären im vorliegenden Fall aber nur die Folge einer – allenfalls grob – unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beantwortung der aufgeworfenen Fragen nicht anzustellen.
III. Ergebnis
1. Der Beschwerdeführer ist somit durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit die Beschwerde gegen die Zurückweisung des Antrages auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan wegen entschiedener Sache gemäß §68 Abs1 AVG sowie gegen die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, gegen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung und gegen den Ausspruch der Zulässigkeit der Abschiebung in den Herkunftsstaat Afghanistan unter Setzung einer zweiwöchigen Frist für die freiwillige Ausreise abgewiesen wird, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) verletzt worden.
Das Erkenntnis ist daher in diesem Umfang aufzuheben.
2. Im Übrigen wird von der Behandlung der Beschwerde abgesehen. Damit erübrigt sich ein Abspruch über den Antrag, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.
3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– enthalten.
Schlagworte
Asylrecht, res iudicata, Entscheidungsbegründung, RückkehrentscheidungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2022:E2529.2021Zuletzt aktualisiert am
02.12.2022