TE Vwgh Beschluss 2022/10/19 Ra 2022/19/0195

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Veröffentlicht am 19.10.2022
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Index

E000 EU- Recht allgemein
E3R E19104000
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AsylG 2005 §5 Abs1
EURallg
32013R0604 Dublin-III Art18 Abs1
32013R0604 Dublin-III Art25 Abs2

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Büsser sowie die Hofrätin Dr. Funk-Leisch und den Hofrat Dr. Eisner als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Seiler, in der Revisionssache des W A N, vertreten durch Mag. Andreas Reichenbach, Rechtsanwalt in 1060 Wien, Theobaldgasse 15/21, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 20. Mai 2022, W165 2254147-1/4E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

1. Die Revision wird zurückgewiesen.

2. Das Verfahren über den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird eingestellt.

Begründung

1        Der Revisionswerber, ein syrischer Staatsangehöriger, stellte am 28. Jänner 2022 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem AsylG 2005. Zuvor hatte er am 11. Jänner 2021 bereits in Bulgarien einen Asylantrag gestellt.

2        Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) stellte am 17. Februar 2022 ein Wiederaufnahmeersuchen gemäß Art. 18 Abs. 1 lit. b Dublin III-VO an die bulgarischen Behörden. Mangels Reaktion wurde diesen mit Schreiben vom 8. März 2022 mitgeteilt, dass Bulgarien nunmehr zur Durchführung des Verfahrens zuständig sei.

3        Daraufhin wies das BFA den Antrag des Revisionswerbers mit Bescheid vom 1. April 2022 gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 unter Feststellung der Zuständigkeit Bulgariens zurück, ordnete die Außerlandesbringung des Revisionswerbers an und stellte fest, dass seine Abschiebung nach Bulgarien zulässig sei.

4        Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

5        In der Folge brachte der Revisionswerber die gegenständliche Revision, sowie einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung der Revision beim Verwaltungsgerichtshof ein.

6        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere, weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

7        Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

8        Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

9        Die Revision bringt zur Begründung ihrer Zulässigkeit zunächst vor, das BVwG habe zu Unrecht von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen. Es habe dem Vorbringen des Revisionswerbers zu Misshandlungen durch bulgarische Sicherheitsbeamte keinen Glauben geschenkt, ohne sich einen persönlichen Eindruck vom Revisionswerber verschafft zu haben. Der Revisionswerber hätte im Rahmen einer Einvernahme beim BVwG die Umstände seines Aufenthaltes in Bulgarien persönlich darlegen können.

10       Im vorliegenden Fall wurde das Verfahren auf internationalen Schutz nicht zugelassen. Dass das BVwG von den in der Rechtsprechung aufgestellten Leitlinien zur Verhandlungspflicht im Zulassungsverfahren gemäß § 21 Abs. 3 und Abs. 6a BFA-Verfahrensgesetz (vgl. dazu grundlegend VwGH 30.6.2016, Ra 2016/19/0072) abgewichen wäre, zeigt die Revision mit ihrem Vorbringen nicht auf.

11       Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit des Weiteren vor, die bulgarischen Behörden hätten entgegen den Ausführungen des BVwG keine Reaktion auf das Wiederaufnahmeersuchen des BFA gezeigt und einer Wiederaufnahme des Revisionswerbers daher nicht zugestimmt.

12       Dem ist entgegen zu halten, dass die bulgarischen Behörden fallbezogen nicht fristgerecht auf das Wiederaufnahmeersuchen der österreichischen Behörden geantwortet haben und Bulgarien für die Prüfung des Antrages des Revisionswerbers auf internationalen Schutz daher ex lege im Sinne des Art. 18 Abs. 1 Dublin III-VO zuständig wurde, weil gemäß Art. 25 Abs. 2 Dublin III-VO in einem solchen Fall der Verfristung davon auszugehen ist, dass damit dem Wiederaufnahmegesuch stattgegeben wird (vgl. etwa VwGH 21.2.2017, Ra 2016/18/0296).

13       Die Revision bringt zur Begründung ihrer Zulässigkeit des Weiteren vor, es sei fraglich, ob es aufgrund der derzeit bestehenden Überstellungseinschränkungen infolge der Aufnahme von ukrainischen Flüchtlingen durch Bulgarien zu einer Überstellung des Revisionswerbers kommen werde. Das BVwG hätte angesichts der katastrophalen Unterbringungs- und Versorgungssituation in Bulgarien das in der Dublin III-VO vorgesehene Selbsteintrittsrecht ausüben müssen.

14       Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes haben die Asylbehörden bei Entscheidungen nach § 5 AsylG 2005 auch die Bestimmungen der EMRK und der GRC, insbesondere Art. 3 EMRK und Art. 4 GRC, zu berücksichtigen und bei einer drohenden Verletzung derselben das im „Dublin-System“ vorgesehene Selbsteintrittsrecht auszuüben. Weiters wurde in der Judikatur dargelegt, dass die Sicherheitsvermutung des § 5 Abs. 3 AsylG 2005 widerlegbar ist. Dabei ist die Frage, ob ein Staat als „sicher“ angesehen werden kann, vorrangig eine Tatsachenfrage, die nicht vom Verwaltungsgerichtshof zu lösen ist. Die Beurteilung, ob die festgestellten Mängel im Zielstaat die Sicherheitsvermutung widerlegen und einer Überstellung des Asylwerbers unter Bedachtnahme auf die EMRK und die GRC entgegenstehen, ist hingegen eine - unter den Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG - revisible Rechtsfrage (vgl. VwGH 18.10.2017, Ra 2017/19/0435, mwN).

15       Nach § 5 Abs. 3 AsylG 2005 ist davon auszugehen, dass ein Asylwerber in einem Staat, der auf Grund der Dublin III-Verordnung zur Prüfung des Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist, Schutz vor Verfolgung findet, sofern nicht besondere Gründe, die in der Person des Asylwerbers gelegen sind, glaubhaft gemacht werden oder beim BFA oder beim BVwG offenkundig sind, die für die reale Gefahr des fehlenden Schutzes vor Verfolgung sprechen (vgl. VwGH 10.2.2021, Ra 2021/19/0031).

16       Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner Rechtsprechung wiederholt darauf verwiesen, dass die Sicherheitsvermutung des § 5 Abs. 3 AsylG 2005 nur durch eine schwerwiegende, etwa die hohe Schwelle des Art. 3 EMRK bzw. Art. 4 GRC übersteigende allgemeine Änderung der Rechts- und Sachlage im zuständigen Mitgliedstaat widerlegt werden kann (vgl. VwGH 15.4.2019, Ra 2019/01/0109, mwN).

17       Im vorliegenden Fall hat das BVwG auf der Grundlage von Länderberichten ausgeführt, es lägen keine Hinweise vor, dass das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen in Bulgarien systemische Mängel aufwiesen. Die Revision zeigt mit ihrem pauschalen Hinweis auf die Unterbringungs- und Versorgungssituation und behauptete Überstellungshindernisse nicht auf, dass für den Revisionswerber im Fall seiner Abschiebung nach Bulgarien die Gefahr einer Verletzung seiner Rechte nach Art. 3 EMRK bzw. Art. 4 GRC bestünde, durch welche die Sicherheitsvermutung des § 5 Abs. 3 AsylG 2005 entkräftet würde. Da es der Revision nicht gelingt, eine Verletzung der dem Revisionswerber nach Art. 3 EMRK garantierten Rechte aufzuzeigen, geht auch sein Vorbringen zur Verpflichtung der Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 17 Dublin III-Verordnung ins Leere (vgl. etwa VwGH 1.2.2022, Ra 2021/20/0419).

18       In der Revision werden keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

19       Angesichts dieses Ergebnisses kommt der Frage, ob die Revision rechtzeitig erhoben wurde und gegebenenfalls eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in Betracht zu ziehen ist, nur mehr theoretische Bedeutung zu, weshalb sich eine Entscheidung in der Wiedereinsetzungssache erübrigt. Das diesbezügliche Verfahren war daher mangels rechtlichen Interesses des Revisionswerbers nach Art. 133 Abs. 6 Z 1 B-VG im Sinn des § 33 Abs. 1 VwGG einzustellen (vgl. VwGH 25.8.2022, Ra 2022/20/0182, mwN).

Wien, am 19. Oktober 2022

Schlagworte

Gemeinschaftsrecht Verordnung EURallg5

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2022:RA2022190195.L00

Im RIS seit

01.12.2022

Zuletzt aktualisiert am

01.12.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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