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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)Norm
BFA-VG 2014 §18 Abs2 Z1Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Enzenhofer und die Hofräte Mag. Berger und Dr. Horvath als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kovacs, über die Revision des M C, vertreten durch Mag. Andreas Reichenbach, Rechtsanwalt in 1060 Wien, Theobaldgasse 15/21, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 15. März 2022, W251 2252545-1/2Z, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Die revisionswerbende Partei, ein Staatsangehöriger der Republik Serbien, wurde mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 22. September 2021 wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels sowie des Vergehens der Entziehung von Energie zu einer Freiheitsstrafe von 30 Monaten verurteilt, wobei ein Teil dieser Freiheitsstrafe bedingt nachgesehen wurde.
2 Gegen dieses Urteil erhob die Generalprokuratur mit Schriftsatz vom 1. Februar 2022 Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes.
3 Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden Bundesamt) vom 8. Februar 2022 wurde der revisionswerbenden Partei kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt. Unter einem wurde gegen sie eine Rückkehrentscheidung erlassen, die Zulässigkeit ihrer Abschiebung nach Serbien festgestellt, keine Frist für ihre freiwillige Ausreise eingeräumt und ein auf vier Jahre befristetes Einreiseverbot erlassen. Der Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung wurde die aufschiebende Wirkung aberkannt.
4 Dagegen erhob die revisionswerbende Partei Beschwerde. Mit Beschwerdevorentscheidung des Bundesamtes vom 23. Februar 2022 wurde der Beschwerde insoweit Folge gegeben, als die Dauer des Einreiseverbotes auf drei Jahre herabgesetzt wurde. Im Übrigen wurde die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.
5 Die revisionswerbende Partei stellte einen Vorlageantrag.
6 Mit (Teil)Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 15. März 2022 wurde der Beschwerde „die aufschiebende Wirkung gemäß § 18 Abs. 2 Z 1 BFA-VG nicht zuerkannt“. Unter einem erklärte das Bundesverwaltungsgericht die Revision für nicht zulässig.
Das Bundesverwaltungsgericht traf Feststellungen über die erfolgte strafgerichtliche Verurteilung der revisionswerbenden Partei vom 22. September 2021 sowie die zugrunde liegende Tathandlung (Erzeugung und Überlassung von 25,7 kg Cannabiskraut sowie die Manipulation eines Stromzählers zur Entziehung von Energie im Wert von 14.835,24 €).
Ferner stellte das Bundesverwaltungsgericht fest, dass die Generalprokuratur gegen dieses Urteil Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes erhoben habe. Zudem wurde festgestellt, dass der Oberste Gerichtshof einen Gerichtstag zur öffentlichen Verhandlung darüber für den 29. März 2022 anberaumt habe. Schließlich stellte das Bundesverwaltungsgericht fest, dass es wahrscheinlich sei, dass das Urteil vom 22. September 2021 durch den Obersten Gerichtshof aufgehoben werde und das Landesgericht das Strafverfahren werde wiederholen müssen.
In rechtlicher Hinsicht begründete das Bundesverwaltungsgericht die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde - soweit für das Revisionsverfahren wesentlich - damit, dass mit Blick auf die unbestrittenermaßen gesetzten Tathandlungen, die Gegenstand des Strafverfahrens seien, die sofortige Ausreise der revisionswerbenden Partei gemäß § 18 Abs. 2 Z 1 BFA-VG im Interesse der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich sei. Der Ausschluss der aufschiebenden Wirkung setze nämlich eine strafgerichtliche Verurteilung und deren Rechtskraft wegen dieser Handlungen nicht voraus.
7 Gegen dieses (Teil)Erkenntnis richtet sich die vorliegende Revision.
8 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
9 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
10 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
11 Ausgangspunkt für die Prüfung, ob eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung vorliegt, ist soweit in der Zulässigkeitsbegründung der Revision nicht Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit des Verwaltungsgerichtes oder infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften (§ 42 Abs. 2 Z 2 und 3 VwGG) geltend gemacht wird, der vom Verwaltungsgericht festgestellte Sachverhalt. Entfernt sich die revisionswerbende Partei bei der Darlegung der Zulässigkeit von diesem Sachverhalt, wird schon deshalb keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufgezeigt (vgl. VwGH 29.1.2020, Ra 2018/08/0245, mwN).
Die Revision verweist zur Darlegung ihrer Zulässigkeit darauf, dass das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 22. September 2021 infolge der genannten Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes mit Urteil des Obersten Gerichtshofes vom 29. März 2022 aufgehoben worden sei. Eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung liege vor, weil Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes dazu fehle, ob eine Aberkennung der aufschiebenden Wirkung einer Beschwerde gemäß § 18 BFA-VG erfolgen könne, wenn infolge eines erfolgreichen Rechtsmittels wie der Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes eine strafgerichtliche Verurteilung aufgehoben werde und das erstinstanzliche Strafverfahren erneut abzuführen sei.
Mit der durch Urteil des Obersten Gerichtshofs vom 29. März 2022 verfügten Aufhebung des Urteils vom 22. September 2021 und Zurückverweisung der Strafsache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an dieses führt die revisionswerbende Partei Umstände für die Zulässigkeit ihrer Revision ins Treffen, die nicht Teil der Feststellungen des (mit 15. März 2022 datierten und ihr bereits am 16. März 2022 zugestellten) Erkenntnisses des Bundesverwaltungsgerichts sind und sein konnten, ohne eine Rechtswidrigkeit infolge der Unzuständigkeit des Verwaltungsgerichtes oder infolge der Verletzung von Verfahrensvorschriften (§ 42 Abs. 2 Z 2 und 3 VwGG) darzulegen. Damit will die revisionswerbende Partei die Zulässigkeit mit vom Verwaltungsgerichtshof nicht zu berücksichtigenden Sachverhaltsumständen begründen. Schon deshalb zeigt sie mit diesem Vorbringen fallbezogen keine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung auf.
12 Im Übrigen ist die revisionswerbende Partei auf Folgendes hinzuweisen: Der Beschwerde ist die aufschiebende Wirkung nach § 18 Abs. 2 Z 1 BFA-VG abzuerkennen, wenn die sofortige Ausreise des Drittstaatsangehörigen im Interesse der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich ist; dazu ist eine Gefährdungsprognose anzustellen. Zur inhaltsgleichen Gefährdungsprognose nach § 67 Abs. 1 FPG judiziert der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung, dass dabei das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen ist, ob und im Hinblick auf welche Umstände die (jeweils) anzuwendende Gefährdungsannahme gerechtfertigt ist. Dabei ist nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung bzw. Bestrafung des Fremden, sondern auf die Art und Schwere der zugrunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen (vgl. VwGH 28.5.2020, Ra 2019/21/0325, mwN). Diese Anforderungen sind auch für die nach § 18 Abs. 2 Z 1 BFA-VG anzustellende Gefährdungsprognose beachtlich (vgl. VwGH 27.8.2020, Ra 2020/21/0172). Schon diese Maßgeblichkeit des Gesamtverhaltens des Fremden spricht gegen die der Revision zugrunde liegende Annahme, dass alleine das Vorliegen einer (rechtskräftigen) strafgerichtlichen Verurteilung die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 18 Abs. 2 Z 1 BFA-VG zu begründen vermag.
13 In der Revision werden keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.
Wien, am 27. Oktober 2022
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2022:RA2022170070.L00Im RIS seit
01.12.2022Zuletzt aktualisiert am
01.12.2022