TE Vwgh Erkenntnis 2022/10/28 Ra 2021/10/0090

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Veröffentlicht am 28.10.2022
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Index

L92059 Altenheime Pflegeheime Sozialhilfe Wien
10/07 Verwaltungsgerichtshof
40/01 Verwaltungsverfahren

Norm

AVG §56
SHG Wr 1973 §15 Abs1
SHG Wr 1973 §25
SHG Wr 1973 §26 Abs1 Z1
SHG Wr 1973 §30 Abs1
SHG Wr 1973 §34 Abs3
VwGG §42 Abs2 Z1
VwGVG 2014 §17
  1. VwGG § 42 heute
  2. VwGG § 42 gültig ab 01.01.2014 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 33/2013
  3. VwGG § 42 gültig von 01.07.2012 bis 31.12.2013 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 51/2012
  4. VwGG § 42 gültig von 01.07.2008 bis 30.06.2012 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 4/2008
  5. VwGG § 42 gültig von 01.01.1991 bis 30.06.2008 zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 330/1990
  6. VwGG § 42 gültig von 05.01.1985 bis 31.12.1990

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Grünstäudl sowie die Hofräte Dr. Lukasser und Dr. Hofbauer als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Derfler, über die Revision der H M in W, vertreten durch Mag.a Doris Einwallner, Rechtsanwältin in 1050 Wien, Schönbrunner Straße 26/3, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien vom 16. März 2021, Zl. VGW-141/070/14319/2019-45, betreffend Kostenersatz gemäß § 26 Wiener Sozialhilfegesetz (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Magistrat der Stadt Wien; mitbeteiligte Partei: Fonds Soziales Wien in 1030 Wien, Guglgasse 7-9), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Das Land Wien hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

1        1. Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 16. März 2021 verpflichtete das Verwaltungsgericht Wien die Revisionswerberin auf Antrag der mitbeteiligten Partei - im Beschwerdeverfahren - gemäß §§ 25 iVm 26 Abs. 1 iVm 34 Abs. 3 Wiener Sozialhilfegesetz - WSHG „aufgrund hinreichenden Einkommens“ dazu, der mitbeteiligten Partei Kostenersatz für geleistete Sozialhilfe im Ausmaß von insgesamt € 3.342,55 zu leisten, und zwar für Leistungen im Zeitraum vom 25. bis 31. Jänner 2016 € 65,76, für Leistungen im Zeitraum vom 1. Oktober bis 30. November 2016 € 1.429,53 sowie für Leistungen im Zeitraum vom 1. März bis 30. April 2017 € 1.847,26. Die Revision gegen diese Entscheidung ließ das Verwaltungsgericht nicht zu.

2        Das Verwaltungsgericht legte seinem Erkenntnis - soweit für die vorliegende Revisionssache von Interesse - zugrunde, der Revisionswerberin sei mit Schreiben der mitbeteiligten Partei vom 13. Jänner 2016 die Förderung für stationäre Pflege und Betreuung (vgl. § 15 WSHG) bewilligt worden; die Revisionswerberin habe in den angeführten Zeiträumen in einem bestimmten Seniorenhaus dessen Leistungen unter Kostenbeteiligung der mitbeteiligten Partei in Anspruch genommen, welche die anerkannten Kosten von € 128,47 (im Jahr 2016) bzw. von € 129,76 (im Jahr 2017) pro Tag direkt an die Pflegeeinrichtung überwiesen habe. Seit September 2017 halte sich die Revisionswerberin in einem bestimmten (anderen) Pflegewohnhaus auf; auch für diesen Aufenthalt sei eine Förderung gewährt worden.

3        Während ihres Aufenthaltes in der genannten Pflegeeinrichtung habe die Revisionswerberin - bis auf einen näher angeführten Zeitraum von 11 Monaten - monatlich Pflegegeld in Höhe von € 677,60 sowie Unterhalt in Höhe von € 364,04 bezogen.

4        Weiters traf das Verwaltungsgericht Feststellungen zu von der Revisionswerberin aufgrund von Vorschreibungen der mitbeteiligten Partei getätigten (Teil-)Zahlungen.

5        Feststellungen zur Einkommens- und Vermögenslage der Revisionswerberin zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses traf das Verwaltungsgericht nicht.

6        In rechtlicher Hinsicht führte das Verwaltungsgericht - soweit für die vorliegende Revisionsentscheidung von Belang - aus, die Kostenbeteiligung der mitbeteiligten Partei sei als Pflegeleistung im Sinne des § 15 Abs. 1 WSHG zu qualifizieren; die dafür entstandenen Kosten seien nach Maßgabe des § 26 Abs. 1 Z 1 WSHG der mitbeteiligten Partei, welche gemäß § 34 Abs. 3 WSHG in Hinblick auf die Gewährung von Pflege Träger der Sozialhilfe sei, zu ersetzen.

7        Die von der Revisionswerberin in den oben angeführten Zeiträumen bezogenen Zahlungen an Pflegegeld und Unterhalt seien als „hinreichendes Einkommen“ iSd § 26 Abs. 1 Z 1 WSHG anzusehen; das Pflegegeld sei zur Kostendeckung heranzuziehen, weil alle notwendigen Pflege- und Betreuungsleistungen (auf Kosten der mitbeteiligten Partei) von der Pflegeeinrichtung erbracht würden.

8        Durch den auferlegten Kostenersatz könne weder eine Notlage verschärft noch eine dauernde Notlage herbeigeführt werden, weil durch die Aufnahme in einer Pflegeeinrichtung der Pflege- und Betreuungsbedarf sowie der Lebensunterhalt der Revisionswerberin zur Gänze abgedeckt würden; durch die Verpflichtung zum Kostenersatz sei somit die Hilfeleistung keineswegs gefährdet (vgl. § 26 Abs. 1 zweiter Satz WSHG).

9        Im Weiteren legte das Verwaltungsgericht für die oben ersichtlichen Zeiträume - ausgehend von der in diesen Zeiträumen gegebenen Einkommenssituation der Revisionswerberin - die eingangs wiedergegebenen Kostenersatzbeträge fest.

10       2. Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.

11       Die belangte Behörde hat mitgeteilt, von der Erstattung einer Revisionsbeantwortung abzusehen. Die mitbeteiligte Partei hat eine Revisionsbeantwortung erstattet, in der „angeregt“ wird, die Revision zurückzuweisen.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat - erwogen:

12       1. Für den vorliegenden Revisionsfall sind die folgenden Bestimmungen des Wiener Sozialhilfegesetzes - WSHG, LGBl. Nr. 38/1975 idF des LGBl. Nr. 49/2018, in den Blick zu nehmen:

Pflege

§ 15. (1) Die Pflege umfaßt die körperliche und persönliche Betreuung von Personen, die auf Grund ihres körperlichen oder geistig-seelischen Zustandes nicht imstande sind, die notwendigen Verrichtungen des täglichen Lebens ohne fremde Hilfe zu besorgen. Die Pflege kann innerhalb oder außerhalb von Pflegeheimen gewährt werden.

[...]

§ 25. Für Leistungen zur Sicherung des Lebensbedarfes ist nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen vom Empfänger der Hilfe, von seinen Erben, seinen unterhaltspflichtigen Angehörigen und von sonstigen Dritten Ersatz zu leisten, gegen die der Empfänger der Hilfe Rechtsansprüche zur Deckung des Lebensbedarfes hat.

Ersatz durch den Empfänger der Hilfe und seine Erben

§ 26. (1) Der Empfänger der Hilfe ist zum Ersatz der für ihn aufgewendeten Kosten verpflichtet,

1.   soweit er über hinreichendes Einkommen oder Vermögen verfügt oder hiezu gelangt, oder

2.   wenn er innerhalb der letzten drei jahre vor der Zeit der Hilfeleistung, weiters während der Hilfeleistung oder innerhalb von drei Jahren nach ihrer Beendigung durch Rechtshandlungen oder diesbezüglich wirksame Unterlassungen, wie etwa die Unterlassung des Antrittes einer Erbschaft, die Mittellosigkeit selbst verursacht hat.

Der Ersatz darf insoweit nicht verlangt werden, als dadurch der Erfolg der Hilfeleistung gefährdet würde.

[...]

Entscheidung über Ersatzansprüche

§ 30. (1) Die Ersatzansprüche sind vom Magistrat (§ 37 Abs. 1) gegenüber den Ersatzpflichtigen geltend zu machen. Wurde die Leistung durch den Fonds Soziales Wien erbracht, so sind die Ersatzansprüche von diesem geltend zu machen.

[...]

Sozialhilfeträger

§ 34. (1) Sozialhilfeträger ist unbeschadet der Bestimmungen der Abs. 2 und 3 Wien als Land.

(2) [...]

(3) Träger der Sozialhilfe im Hinblick auf die Gewährung von Unterkunft in einem Haus für Obdachlose (§ 14) und von Pflege (§ 15) ist der Fonds Soziales Wien.“

13       2. Die Revisionswerberin führt zur Zulässigkeit ihrer Revision (unter anderem) aus, die Voraussetzung des § 26 Abs. 1 Z 1 WSHG für den ihr auferlegten Kostenersatz läge nicht vor:

14       Bei der Frage des nachträglichen Kostenersatzes sei nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die Sach- und Rechtlage im Zeitpunkt der angefochtenen Entscheidung maßgeblich, weshalb in einem Rückersatzverfahren eine „rückwirkende Kostenbeitragsvorschreibung“, mit der ein am seinerzeitigen Einkommen orientierter Betrag und nicht ein auf die nunmehrigen wirtschaftlichen Verhältnisse des Hilfeempfängers abzustellender Rückersatz vorgeschrieben werde, nicht zulässig sei (Hinweis auf VwGH 15.11.2000, 98/03/0114, 0119; sowie 28.5.2019, Ro 2019/10/0002).

15       In diesem Zusammenhang lasse das Verwaltungsgericht offen, woraus es ableite, dass „hinreichendes Einkommen“ (iSd § 26 Abs. 1 Z 1 WSHG) vorliege; die Feststellungen des angefochtenen Erkenntnisses dazu, insbesondere zu den aktuellen wirtschaftlichen Verhältnissen der Revisionswerberin, seien unzureichend.

16       3. Mit Blick auf dieses Vorbringen ist die Revision zulässig; sie erweist sich auch als berechtigt.

17       3.1. Es entspricht der ständigen sozialhilferechtlichen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichthofes, dass es bei der Frage des nachträglichen Kostenersatzes aus verwertbarem Vermögen oder aus Einkommen nicht um die Frage geht, ob Geldmittel in einem bestimmten Zuerkennungszeitraum zugeflossen sind oder bereits vorhanden waren. Für eine Entscheidung über den Ersatz für geleistete Mindestsicherung bzw. Sozialhilfe ist vielmehr die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Erlassung der angefochtenen Entscheidung maßgeblich, zumal es nicht um den Abspruch geht, was zu einem bestimmten Zeitpunkt oder in einem bestimmten Zeitraum rechtens war, sondern um die aktuelle Begründung einer Zahlungsverpflichtung des Ersatzpflichtigen (vgl. etwa VwGH 28.2.2018, Ra 2016/10/0055, mwN; oder 7.5.2021, Ra 2020/10/0185).

18       Die Revisionswerberin hat zu Recht auf die hg. Rechtsprechung hingewiesen, der zufolge in einem Rückersatzverfahren eine „rückwirkende Kostenbeitragsvorschreibung“, mit der ein am seinerzeitigen Einkommen orientierter Betrag und nicht ein auf die nunmehrigen wirtschaftlichen Verhältnisse des Hilfeempfängers abzustellender Rückersatz vorgeschrieben wird, nicht zulässig ist (vgl. die in Rz 14 genannte Rechtsprechung).

19       3.2. Diese Grundsätze hat das Verwaltungsgericht verkannt, indem es sich nicht ausreichend mit der Einkommens- und Vermögenssituation der Revisionswerberin zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses befasst (und bei der Festlegung der vorgeschriebenen Kostenbeiträge letztlich - lediglich - auf die in bestimmten früheren Zeiträumen gegebenen Einkommensverhältnisse der Revisionswerberin abgestellt) hat.

20       Das angefochtene Erkenntnis erweist sich aus diesem Grund als inhaltlich rechtswidrig; auf das weitere Revisionsvorbringen muss somit nicht eingegangen werden.

21       4. Nach dem Gesagten war das angefochtene Erkenntnis gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

22       Der Ausspruch über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 28. Oktober 2022

Schlagworte

Besondere Rechtsgebiete Maßgebende Rechtslage maßgebender Sachverhalt

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2022:RA2021100090.L00

Im RIS seit

01.12.2022

Zuletzt aktualisiert am

01.12.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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