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Auswertung in Arbeit!Norm
Auswertung in Arbeit!Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Büsser sowie die Hofrätin Dr. Funk-Leisch und den Hofrat Dr. Eisner als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Seiler, in der Revisionssache des M Y, vertreten durch Mag. Thomas Klein, Rechtsanwalt in 8020 Graz, Kärtner Straße 7B/II, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 10. Juni 2021, L514 2155160-1/37E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein türkischer Staatsangehöriger, stellte am 5. Juli 2016 einen Antrag auf internationalen Schutz. Begründend brachte er vor, er habe die Türkei aus politischen Gründen verlassen. Er sei mehrmals im Gefängnis gewesen und zuletzt zu Unrecht verhaftet worden, weil ihm unterstellt worden sei, in einen Bombenanschlag verwickelt gewesen zu sein. Ihm sei Hilfe und Beihilfe für die PKK vorgeworfen worden.
2 Mit Bescheid vom 6. April 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Revisionswerbers ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung in die Türkei zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.
3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
4 Das BVwG führte - soweit hier maßgeblich - aus, der Revisionswerber sei lediglich einfaches Mitglied in einem kurdischen Verein in Österreich und es seien keine Hinweise bekannt, dass dieser Verein in der Türkei im Fokus der Ermittlungsbehörden stehe. Aktuelle erhebliche exilpolitische Aktivitäten habe der Revisionswerber nicht konkret und nachvollziehbar dargetan, geschweige denn belegt; solche seien auch nicht ersichtlich. Der Revisionswerber habe keine asylrelevante Verfolgungsgefahr glaubhaft machen können und sei eine aktuelle oder zum Fluchtzeitpunkt bestehende Verfolgungsgefahr auch sonst im Rahmen des Ermittlungsverfahrens nicht hervorgekommen, notorisch oder amtsbekannt.
5 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
6 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
7 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
8 Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit vor, das BVwG hätte dem Revisionswerber aufgrund seiner exilpolitischen Tätigkeit in Österreich den Status des Asylberechtigten zuerkennen müssen. Es habe sich nicht mit dem Vereinszweck und den konkreten türkeikritischen Tätigkeiten des Vereins, in dem der Revisionswerber Mitglied sei, auseinandergesetzt. Die Beweiswürdigung lege nicht offen, auf welche Ermittlungsergebnisse sich das BVwG bei seiner Annahme stütze, dass der Verein in der Türkei nicht im Fokus der Ermittlungsbehörden stehe. Das BVwG sei seiner amtswegigen Ermittlungspflicht nicht gerecht geworden, indem es den Revisionswerber nur unzureichend befragt hätte und den Obmann bzw. die Obfrau des Vereines nicht einvernommen bzw. zur Stellungnahme aufgefordert hätte.
9 Eine exilpolitische Tätigkeit im Ausland kann einen asylrelevanten Nachfluchtgrund gemäß § 3 Abs. 2 zweiter Satz AsylG 2005 bilden (vgl. VwGH 7.10.2020, Ra 2019/20/0358, mwN). Dabei hat der Verwaltungsgerichtshof bereits darauf hingewiesen, dass es bei der Beurteilung der Gefährdungssituation von „Rückkehrern“ regelmäßig entscheidend darauf ankommt, ob der Asylwerber infolge seiner exilpolitischen Tätigkeit ins Blickfeld der zuständigen Behörden seines Herkunftsstaates geraten konnte. Bei Beurteilung dieser Frage sind zwei Gesichtspunkte auseinander zu halten. Zunächst geht es darum, ob der Asylwerber so in Erscheinung getreten ist, dass er als auffällig regierungskritisch identifizierbar war. Die Bejahung führt zur zweiten Frage, ob die Behörden des Herkunftsstaates in irgendeiner Form - zB durch Informanten oder Medienberichte - von seinem Auftreten Notiz genommen haben oder nehmen könnten (vgl. VwGH 18.5.2020, Ra 2019/18/0503, mwN).
10 Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist dieser als Rechtsinstanz zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Allgemeinen nicht berufen. Im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. etwa VwGH 25.9.2020, Ra 2019/19/0407, mwN).
11 Das BVwG stellte fest, dass das Vorbringen des Revisionswerbers, in der Türkei einer staatlichen Verfolgung durch die Polizei aufgrund seines politischen Engagements ausgesetzt zu sein, nicht glaubhaft sei und eine staatliche Verfolgung aufgrund seiner Teilnahme an Demonstrationen in Österreich ebenso wenig festgestellt werden könne. Beweiswürdigend führte es - unter Bezugnahme auf die festgestellten Länderberichte - aus, dass keine Hinweise bekannt seien, dass der Verein in der Türkei im Fokus der Ermittlungsbehörden stehe und der Revisionswerber auch keine Tätigkeiten vorgebracht habe, die darauf schließen lassen könnten, dass diese als Anstiftung zu separatistischen und terroristischen Aktionen in der Türkei oder als Unterstützung illegaler Organisationen nach dem türkischen Strafgesetzbuch gewertet werden könnten. Aus den Angaben des Revisionswerbers und den vorgelegten Unterlagen ergebe sich klar, dass der Revisionswerber lediglich ein einfaches Mitglied sei. Er nehme zwar am Vereinsleben und den Aktivitäten dieses Vereins teil, allerdings nicht in exponierter Form. Zumal es sich bei vielen der in Vorlage gebrachten Medien um Aufnahmen vom Mobiltelefon des Revisionswerbers zu handeln scheine und sich diese Aufnahmen im Besitz des Revisionswerbers befinden würden, sei nicht ersichtlich, wie türkische Behörden Kenntnis von diesen erlangen sollten. Der Revision gelingt es mit ihren allgemein gehaltenen Ausführungen nicht, aufzuzeigen, dass die Beweiswürdigung fallbezogen unvertretbar wäre.
12 Wenn die Revision vorbringt, alle getroffenen Länderfeststellungen würden im Einklang mit dem Asylvorbringen des Revisionswerbers stehen, so ist dem entgegenzuhalten, dass eine Feststellung allgemeiner Umstände im Herkunftsstaat die Glaubhaftmachung der Gefahr einer konkreten, individuell gegen den Revisionswerber gerichteten Verfolgung nicht ersetzen kann (vgl. VwGH 31.8.2020, Ra 2020/19/0232).
13 Die Frage, ob das Verwaltungsgericht im Rahmen seiner amtswegigen Ermittlungspflicht weitere Ermittlungsschritte setzen muss, unterliegt einer einzelfallbezogenen Beurteilung. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung läge insoweit nur dann vor, wenn die Beurteilung grob fehlerhaft erfolgt wäre (vgl. VwGH 20.1.2021, Ra 2020/19/0396, mwN).
14 Im gegenständlichen Fall hätte der Obmann bzw. die Obfrau des Vereins nach dem Vorbringen der Revision zum Vereinszweck befragt oder zu einer schriftlichen Stellungnahme aufgefordert werden sollen. Weshalb das BVwG fallbezogen von der Erforderlichkeit der Einvernahme ausgehen hätte sollen, legt die Revision nicht dar. Dass etwa ein entsprechender Beweisantrag unter Bekanntgabe des Beweisthemas gestellt worden wäre, wird nicht behauptet. Auch dafür, dass der Revisionswerber unzureichend einvernommen worden wäre, gibt es keinen Anhaltspunkt, zumal das BVwG den Revisionswerber im Rahmen der mündlichen Verhandlung zu seiner Tätigkeit in dem Verein, zu seiner Teilnahme an Demonstrationen, zu seiner Exponiertheit in den Medien und zu seinen sonstigen politischen Aktivitäten in Österreich, befragte. Die Revision vermag sohin nicht aufzuzeigen, dass die Beurteilung des BVwG hinsichtlich der Frage, ob es im Rahmen seiner amtswegigen Ermittlungspflicht weitere Ermittlungsschritte setzen musste, grob fehlerhaft erfolgt wäre (vgl. VwGH 30.3.2021, Ra 2020/19/0443, mwN).
15 Wenn die Revision in ihrer Zulässigkeitsbegründung geltend macht, der Verein habe - nach Erlassung des Erkenntnisses des BVwG - mitgeteilt, dass alle Demonstrationen, Veranstaltungen und Vorträge immer türkeikritisch gewesen seien, ist dem - ergänzend auch - entgegenzuhalten, dass ein solches Vorbringen bereits deshalb unzulässig ist, weil sich die Revision insofern auf ein neues Beweismittel beruft. Damit verstößt dieses Revisionsvorbringen gegen das im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof geltende Neuerungsverbot (§ 41 VwGG). Das Vorliegen einer grundsätzlichen Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG kann aber nicht mit einem Vorbringen begründet werden, das unter das Neuerungsverbot fällt (vgl. VwGH 8.6.2021, Ra 2019/19/0190, mwN).
16 In der Revision werden sohin keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.
Wien, am 3. November 2022
Schlagworte
Auswertung in Arbeit!European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2022:RA2021190259.L00Im RIS seit
01.12.2022Zuletzt aktualisiert am
01.12.2022