TE Lvwg Beschluss 2022/9/19 LVwG-AV-25/001-2022

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Veröffentlicht am 19.09.2022
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Entscheidungsdatum

19.09.2022

Norm

VwGVG 2014 §27
AVG 1991 §59 Abs1
GebG 1957 §9 Abs1
GebG 1957 §14 TP6 Abs1
BAO §60 Abs1 Z1
BauO NÖ 2014 §6 Abs2
BauO NÖ 2014 §21 Abs1
  1. BAO § 60 heute
  2. BAO § 60 gültig von 01.01.2021 bis 31.12.2020 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 104/2019
  3. BAO § 60 gültig von 01.01.2021 bis 31.12.2020 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 99/2020
  4. BAO § 60 gültig ab 01.01.2021 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 3/2021
  5. BAO § 60 gültig von 01.01.1962 bis 30.06.2010 aufgehoben durch BGBl. I Nr. 9/2010

Text

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich fasst durch Dr. Flendrovsky als Einzelrichter über die Beschwerde der A und des C, beide in ***, ***, gegen den Bescheid des Stadtrates der Stadtgemeinde *** vom 19. Oktober 2021, ZI. ***, betreffend Zurückweisung einer Berufung in einem Baubewilligungsverfahren und Vorschreibung von Gebühren (mitbeteiligte Partei: B in ***, ***), den

BESCHLUSS:

1.   Die Beschwerde wird, soweit damit eine Abweisung des verfahrenseinleitenden Antrages der mitbeteiligten Partei begehrt wird, gemäß § 27 iVm § 31 Abs. 1 VwGVG als unzulässig zurückgewiesen.

2.   Gegen diesen Beschluss ist eine Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 und 9 B-VG iVm § 25a Abs. 1 VwGG nicht zulässig.

Außerdem erkennt das Landesverwaltungsgericht zu Recht:

3.   Der Beschwerde wird, soweit sie sich gegen Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides richtet, Folge gegeben und der Bescheid insoweit gemäß § 27 erster Halbsatz VwGVG wegen Unzuständigkeit der belangten Behörde aufgehoben.

4.   Der Beschwerde wird auch, soweit sie sich gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides richtet, Folge gegeben, und dieser Spruchpunkt gemäß § 28 Abs. 1 und 2 VwGVG aufgehoben.

5.   Im Übrigen wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.

6.   

Gegen Spruchpunkt 5. dieses Erkenntnisses ist eine Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG iVm § 25a Abs. 1 VwGG zulässig. Im Übrigen ist eine Revision nicht zulässig.

Entscheidungsgründe:

I.       Sachverhalt und Verfahrensgang

1.       Die Mitbeteiligte ist Eigentümerin des Grundstücks Nr. ***, KG *** (in der Folge: Baugrundstück, Adresse ***). Sie beantragte für dieses am 2. Februar 2018 beim Stadtamt der Stadtgemeinde *** die Erteilung der baubehördlichen Bewilligung für den Neubau von drei Reihenhäusern (Bauteil 1) und eines Wohnhauses mit drei Wohneinheiten (Bauteil 2).

2.       Die Beschwerdeführer sind Miteigentümer des Grundstücks Nr. ***, KG *** (in der Folge: Nachbargrundstück, Adresse ***). Dieses (bebaute) Grundstück grenzt unmittelbar an das Baugrundstück an.

3.       Nach Vornahme mehrerer Änderungen am Bauvorhaben durch die Mitbeteiligte und Durchführung einer Vorprüfung verständigte das Stadtamt am 23. Oktober 2018 die Nachbarn, insbesondere auch die Beschwerdeführer, vom Bauvorhaben und gab ihnen Gelegenheit, innerhalb von zwei Wochen ab Zustellung gegen das geplante Bauvorhaben Einwendungen zu erheben. Die Verständigung enthielt den Hinweis, dass die Parteistellung erlösche, falls innerhalb der Frist keine Einwendungen erhoben werden. Sie wurde den Beschwerdeführern am 30. Oktober 2018 zugestellt.

4.       Die Beschwerdeführer erhoben am 12. November 2018 (nachdem sie am 09. bzw. 12.11. auch getrennt voneinander im Wesentlichen identische Schreiben an das Stadtamt gerichtet hatten) gemeinsam folgende Einwendungen (Schreibfehler bei diesem und allen weiteren wörtlichen Zitaten nicht korrigiert):

„1. Die im Plan vorgeschlagene Anordnung, Größe, fehlende Überdachung und Zuordnung der Stellplätze entspricht nicht dem bestehenden Servitutsvertrag. Damit ist der für den Bauantrag notwendige Stellplatznachweis nicht gegeben.

2. Für Stellplatz ‚PKW1‘ (im Servitut mit PKW 2 beschrieben und uns in *** zugeordnet), ist die Ein- und Ausfahrtmöglichkeit nicht gegeben. Erforderliche 6 m zum Rangieren sind nicht eingehalten. Das gilt auch für die Stellplätze 1 und 2 am Zufahrtsweg.

3. Die bislang bestehende Klingel, Gegensprechanlage bei der Toreinfahrt mit Öffnungsmöglichkeit für das Schiebetor muss auch weiterhin für uns funktionieren.

4. Durch die Absenkung des Innenhofes sind die Übergänge zu Stellplätzen und mehrerer Eingänge zum Grundstück *** nicht gegeben. Es entstehen Geländesprünge, die eine unzulässige Hürde und Verschlechterung der Begehbarkeit darstellen. Außerdem ist bei Ausführung die Barrierefreiheit wie in § 46 der NÖ Bauordnung gefordert herzustellen. Die geplante Absenkung und Bekiesung der Flächen erfüllt dies nicht.

5. Die Entwässerung der Gebäude der ***, die im Grundstück *** erfolgt, muss weiterhin gewährleistet sein und in die geplante Entwässerung der Neubebauung *** eingebunden werden.

6. Abstand Bauteil 1 zu der Grundgrenze *** gemessen an der Gebäudehöhe +9,85 bzw. im Mittel mit 8 m ist mit 3 m bzw. 3,5 m zu gering.

7. Die eingemessene Höhe Terrasse OK +255,91m über Adria ist zu prüfen und am Bestand verifizieren.

8. Der bestehende Müllplatz ist bereits für die jetzigen Wohneinheiten knapp bemessen und wird mit Sicherheit die durch die neuen Wohneinheiten notwendigen Kapazitäten nicht aufnehmen können.“

5.       Am 24. Jänner 2019 schränkte die Mitbeteiligte den verfahrenseinleitenden Antrag auf den Bauteil 2 (Wohnhaus mit 3 Wohneinheiten) ein und legte gleichzeitig adaptierte Einreichunterlagen vorlegte. Ein Nachfolgeprojekt für den Bauteil 1 wurde später einem separaten Baubewilligungsverfahren unterzogen (vgl. dazu das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich vom 26.08.2022, LVwG-AV-24/001-2022).

6.       Mit Bescheid vom 28. März 2019 sprach das Stadtamt aus, dass das Bauansuchen hinsichtlich des Bauteils 1 zurückgezogen worden sei, hinsichtlich des Bauteils 2 sowie für Geländeveränderungen jedoch unverändert aufrecht bleibe (Spruchpunkt I.). Für Bauteil 2 wurde der Mitbeteiligten die begehrte Baubewilligung unter Vorschreibung von Bedingungen laut der angeschlossenen Niederschrift über die Vorprüfung gemäß § 23 Abs. 1 iVm den §§ 14 und 21 Abs. 1 NÖ BO 2014 erteilt (Spruchpunkt II.). Die Einwendungen der Beschwerdeführer wurden „als unzulässig abgewiesen“, wobei ausdrücklich festgehalten wurde, dass durch diese eine Parteistellung der Beschwerdeführer nicht begründet werde und der Punkt, der sich auf Bauteil 1 bezieht, durch die Zurückziehung hinfällig sei (Spruchpunkt IV.; weitere Spruchpunkte des Bescheides sind im vorliegenden Zusammenhang irrelevant).

In der Begründung führte das Stadtamt zu den Einwendungen der Beschwerdeführer Folgendes aus:

„1) […] Die Baubehörde weist darauf hin, dass es sich bei einem Servitutsvertrag um eine privatrechtliche Vereinbarung und nicht um ein Nachbarrecht gemäß § 6 Abs. 2 der NÖ Bauordnung 2014 handelt, es wird auf den Zivilrechtsweg verwiesen.

2) […] Die Baubehörde weist darauf hin, dass es sich bei einem Servitutsvertrag um eine privatrechtliche Vereinbarung und nicht um ein Nachbarrecht gemäß § 6 Abs. 2 der NÖ Bauordnung 2014 handelt, es wird auf den Zivilrechtsweg verwiesen.

3) […] Die Baubehörde verweist in diesem Punkt auf den Zivilrechtsweg da dies kein Nachbarrecht gemäß § 6 Abs. 2 der NÖ Bauordnung 2014 darstellt.

4) […] Die Baubehörde weist darauf hin, dass es zu keinen Geländeveränderungen entlang der Stellplätze kommt, der Eingang wird durch zwei weitere (vier statt bisher zwei) Stufen erschlossen.

5) […] Die Baubehörde verweist in diesem Punkt auf den Zivilrechtsweg da dies kein Nachbarrecht gemäß §6 Abs. 2 der NÖ Bauordnung 2014 darstellt.

6) […] Bauteil 1 wurde zurückgezogen, dieser Punkt ist daher hinfällig.

7) […] Die Bauverwaltung verweist auf den Lageplan mit Höhen vom 24.04.2017, GZ. ***, erstellt durch die D GmbH, der Teil der Einreichunterlagen ist. Die Höhenkoten wurden somit einem befugten Ziviltechniker erhoben. Angemerkt wird, dass im Teil dieser Terrasse im Zuge des Bauvorhabens keine Niveauveränderungen vorgesehen sind und daher das Bestandsniveau nicht abgeändert wird.

[…]

Ad 4) […] Hierzu führt die Baubehörde an, dass es sich bei Barrierefreiheit zwar nicht um ein Nachbarrecht handelt, dass allerdings die Liegenschaft *** barrierefrei erschlossen und ausgestaltet ist.

Ad 8) […] Die Baubehörde weist darauf hin, dass die Ausgestaltung des Müllplatzes kein Nachbarrecht gemäߧ 6 Abs. 2 NÖ Bauordnung darstellt.“

7.       Gegen diesen Bescheid erhoben die Beschwerdeführer gemeinsam fristgerecht Berufung, in der sie ihre zu den Punkten 1., 4. sowie 5. erhobenen Einwendungen wiederholten und noch näher ausführten.

Mit Schreiben vom 23. April 2019 erstatteten sie (nur zu den genannten Punkten) ergänzendes Vorbringen.

8.       Mit Berufungsvorentscheidung des Stadtamts vom 21. Mai 2019 wurde die Berufung als unzulässig (Spruchpunkt I.) und das Ergänzungsschreiben als verspätet zurückgewiesen (Spruchpunkt II.). Außerdem wurden den Beschwerdeführern Bundesgebühren in der Höhe von € 14,30 vorgeschrieben (Spruchpunkt III.).

In der Begründung führte das Stadtamt aus, die Beschwerdeführer hätten ihre Parteistellung „durch Abweisung der eingebrachten Einwendungen auf Grund von Unzulässigkeit“ verloren.

9.       Nur gegen die Spruchpunkte I. und II. der Berufungsvorentscheidung brachten die Beschwerdeführer fristgerecht einen wiederum als Berufung bezeichneten Schriftsatz ein, den die belangte Behörde als Vorlageantrag deutete.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies auch sie die Berufung mangels Parteistellung als unzulässig (Spruchpunkt I.) und das Ergänzungsschreiben als verspätet zurück (Spruchpunkt II.). Nochmalig wurden den Beschwerdeführern Bundesgebühren in der Höhe von € 14,30 vorgeschrieben (Spruchpunkt III.).

Die Zurückweisung begründete sie damit, dass Nachbarn nur dann Parteien des Baubewilligungsverfahrens seien, wenn sie durch das fertiggestellte Bauvorhaben bzw. das Bauwerk und dessen Benützung in den in § 6 Abs. 2 NÖ BO 2014 erschöpfend aufgezählten subjektiv-öffentlichen Rechten oder als Inhaber eines Fahr- und Leitungsrechts nach § 11 Abs. 3 leg.cit. beeinträchtigt werden können. Dass das hinsichtlich der Beschwerdeführer nicht der Fall sei, sei in der Begründung des erstinstanzlichen Bescheides ausführlich dargelegt worden. Da die Beschwerdeführer nicht Parteien des Baubewilligungsverfahrens seien und ihnen gegenüber kein Bescheid erlassen worden sei, erweise sich ihre Berufung als unzulässig.

Die Gebührenvorschreibung stützte die belangte Behörde zunächst auf § 76 Abs. 1 AVG, hielt dann jedoch fest, dass es sich dabei um Bundesgebühren nach dem GebG handle.

10.      Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende rechtzeitige Beschwerde, mit welcher die Beschwerdeführer begehren, der erstinstanzliche Baubewilligungsbescheid möge im Sinne einer Antragsabweisung abgeändert, in eventu aufgehoben werden. Die Zurückweisung wegen Verspätung sowie die Gebührenvorschreibung mögen gänzlich aufgehoben werden.

Die Beschwerde wurde von der belangten Behörde samt dem zugehörigen Verwaltungsakt am 29. Dezember 2021 dem Landesverwaltungsgericht Niederösterreich zur Entscheidung vorgelegt, wo sie am 11. Jänner 2022 einlangte. Gleichzeitig wurde die Beschwerde der Mitbeteiligten übermittelt.

11.      Dieser Sachverhalt bzw. Verfahrensgang ergibt sich in schlüssiger Weise aus dem von vorgelegten Verwaltungsakt sowie aus dem Gerichtsakt und wird insoweit von keiner der Parteien bestritten.

II.      Rechtsvorschriften

1.       Die maßgeblichen Bestimmungen des Verwaltungsgerichtsverfahrens-gesetztes (VwGVG), BGBl. I 33/2013, idF BGBl. I 109/2021, lauten:

„[…]

Anzuwendendes Recht

§ 17. Soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, sind auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

[…]

Verhandlung

§ 24. (1) Das Verwaltungsgericht hat auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.

(2) Die Verhandlung kann entfallen, wenn

1. der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben oder die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt für rechtswidrig zu erklären ist oder

[…]

Prüfungsumfang

§ 27. Soweit das Verwaltungsgericht nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben findet, hat es den angefochtenen Bescheid und die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3) zu überprüfen.

Erkenntnisse

§ 28. (1) Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

(2) Über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG hat das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn

1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder

2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

[…]“

2.       Die maßgeblichen Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 (AVG), BGBl. 51 idF BGBl. 58/2018 lauten:

„[…]

Berufung

§ 63. (1) Der Instanzenzug in den Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereiches der Gemeinde und das Recht zur Erhebung der Berufung richten sich nach den Verwaltungsvorschriften. Gegen die Bewilligung oder die Verfügung der Wiederaufnahme und gegen die Bewilligung der Wiedereinsetzung ist eine Berufung nicht zulässig.

[…]

(3) Die Berufung hat den Bescheid zu bezeichnen, gegen den sie sich richtet, und einen begründeten Berufungsantrag zu enthalten.

[…]

(5) Die Berufung ist von der Partei binnen zwei Wochen bei der Behörde einzubringen, die den Bescheid in erster Instanz erlassen hat.

[…]

§ 66. […]

(4) Außer dem in Abs. 2 erwähnten Fall hat die Berufungsbehörde, sofern die Berufung nicht als unzulässig oder verspätet zurückzuweisen ist, immer in der Sache selbst zu entscheiden. Sie ist berechtigt, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung (§ 60) ihre Anschauung an die Stelle jener der Unterbehörde zu setzen und demgemäß den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern.

[…]

Kosten der Behörden

§ 75. (1) Sofern sich aus den §§ 76 bis 78 nicht anderes ergibt, sind die Kosten für die Tätigkeit der Behörden im Verwaltungsverfahren von Amts wegen zu tragen.

(2) Die Heranziehung der Beteiligten zu anderen als den in den §§ 76 bis 78 vorgesehenen Leistungen, unter welchem Titel immer, ist unzulässig.

(3) Die gesetzlichen Bestimmungen über die Stempel- und Rechtsgebühren des Bundes bleiben unberührt.

§ 76. (1) Erwachsen der Behörde bei einer Amtshandlung Barauslagen, so hat dafür, sofern nach den Verwaltungsvorschriften nicht auch diese Auslagen von Amts wegen zu tragen sind, die Partei aufzukommen, die den verfahrenseinleitenden Antrag gestellt hat. Als Barauslagen gelten auch die Gebühren, die den Sachverständigen und Dolmetschern zustehen. Kosten, die der Behörde aus ihrer Verpflichtung nach § 17a erwachsen, sowie die einem Gehörlosendolmetscher zustehenden Gebühren gelten nicht als Barauslagen. Im Falle des § 52 Abs. 3 hat die Partei für die Gebühren, die den nichtamtlichen Sachverständigen zustehen, nur soweit aufzukommen, als sie den von ihr bestimmten Betrag nicht überschreiten.

[…]“

3.       Die maßgeblichen Bestimmungen des Gebührengesetzes 1957 (GebG), BGBl.267 in der im Zeitpunkt der Erhebung der Berufungen geltenden Fassung BGBl. I 52/2021, lauteten:

„[…]

§ 1. Den Gebühren im Sinne dieses Bundesgesetzes unterliegen Schriften und Amtshandlungen nach Maßgabe der Bestimmungen im II. Abschnitte […].

[…]

§ 3. […]

(2) 1. Die festen Gebühren sind durch Barzahlung, durch Einzahlung mit Erlagschein, mittels Bankomat- oder Kreditkarte oder durch andere bargeldlose elektronische Zahlungsformen zu entrichten. Die über die Barzahlung und Einzahlung mit Erlagschein hinausgehenden zulässigen Entrichtungsarten sind bei der Behörde, bei der die gebührenpflichtigen Schriften oder Amtshandlungen anfallen, nach Maßgabe der technisch-organisatorischen Voraussetzungen zu bestimmen und entsprechend bekannt zu machen. Die Behörde hat die Höhe der entrichteten oder zu entrichtenden Gebühr im bezughabenden Verwaltungsakt in nachprüfbarer Weise festzuhalten. Im Übrigen gelten § 203 BAO und § 241 Abs. 2 und 3 BAO sinngemäß.

2. Der Rechtsträger der Behörde hat die in einem Kalendervierteljahr gemäß Z 1 entrichteten Gebühren bis zum 15. Tag des auf ein Kalendervierteljahr folgenden Monats an das Finanzamt Österreich abzüglich der im § 14 Tarifpost 6 Abs. 3 lit. a und lit. c, Tarifpost 8 Abs. 6, Tarifpost 9 Abs. 5 und Tarifpost 16 Abs. 5 angeführten Pauschalbeträge abzuführen. Auf dem Zahlungs- oder Überweisungsbeleg sind der Gesamtbetrag der entrichteten Gebühren, der Gesamtbetrag der Pauschalbeträge sowie der abzuführende Nettobetrag anzuführen.

[…]

§ 9. (1) Wird eine feste Gebühr, die nicht vorschriftsmäßig entrichtet wurde, mit Bescheid festgesetzt, so ist eine Gebührenerhöhung im Ausmaß von 50 vH der verkürzten Gebühr zu erheben.

(2) Das Finanzamt Österreich kann zur Sicherung der Einhaltung der Gebührenvorschriften bei nicht ordnungsgemäßer Entrichtung oder nicht ordnungsgemäßer Gebührenanzeige bei den im Abs. 1 genannten Gebühren zusätzlich eine Erhöhung bis zu 50 vH […] erheben.

[…]

§ 14. Tarife der festen Stempelgebühren für Schriften und Amtshandlungen.

Tarifpost

6 Eingaben

(1) Eingaben von Privatpersonen (natürlichen und juristischen Personen) an Organe der Gebietskörperschaften in Angelegenheiten ihres öffentlich-rechtlichen Wirkungskreises, die die Privatinteressen der Einschreiter betreffen,
feste Gebühr ............................................................................................. 14,30 Euro.

[…]“

3.1.    Gemäß § 60 Abs. 1 Z 1 der Bundesabgabenordnung (BAO), BGBl. 94/1961 idF BGBl. I 3/2021 ist das Finanzamt Österreich für die Wahrnehmung einer Aufgabe, die einer Abgabenbehörde übertragen ist, zuständig, wenn weder die Voraussetzungen für die Zuständigkeit des Bundesministers für Finanzen, noch für die Zuständigkeit des Finanzamtes für Großbetriebe noch jene für die Zuständigkeit des Zollamtes Österreich vorliegen.

4.       Gemäß § 70 Abs. 16 der NÖ Bauordnung 2014 (NÖ BO 2014), LGBl. 1/2015 idF LGBl. 32/2021, sind die am Tage des im Inkrafttretens der NÖ BO 2014 idF LGBl. 32/2021 (das war gemäß § 70 Abs. 14 leg.cit. grundsätzlich der 01.07.2021) anhängigen Verfahren nach den bisherigen Bestimmungen zu Ende zu führen.

4.1.    Die maßgeblichen Bestimmungen der NÖ BO 2014 idF LGBl. 53/2018 lauteten:

„[…]

Parteien und Nachbarn

§ 6 (1) In Baubewilligungsverfahren und baupolizeilichen Verfahren nach § 34 Abs. 2 und § 35 haben Parteistellung:

1. der Bauwerber und der Eigentümer des Bauwerks

2. der Eigentümer des Baugrundstücks

3. die Eigentümer der Grundstücke, die an das Baugrundstück angrenzen oder von diesem durch dazwischen liegende Grundflächen mit einer Gesamtbreite bis zu 14 m (z. B. schmale Grundstücke, Verkehrsflächen, Gewässer, Grüngürtel) getrennt sind (Nachbarn), […]

[…]

Nachbarn sind nur dann Parteien, wenn sie durch das fertiggestellte Bauvorhaben bzw. das Bauwerk und dessen Benützung in den in Abs. 2 erschöpfend festgelegten subjektiv-öffentlichen Rechten oder als Inhaber eines Fahr- und Leitungsrechtes nach § 11 Abs. 3 beeinträchtigt werden können.

Vorhaben im Sinn des § 18 Abs. 1a lösen keine Parteistellung der Nachbarn aus.

(2) Subjektiv-öffentliche Rechte werden begründet durch jene Bestimmungen dieses Gesetzes, des NÖ Raumordnungsgesetzes 2014, LGBl. Nr. 3/2015 in der geltenden Fassung, der NÖ Aufzugsordnung 2016, LGBl. Nr. 9/2017 in der geltenden Fassung, sowie der Durchführungsverordnungen zu diesen Gesetzen, die

1.die Standsicherheit, die Trockenheit und den Brandschutz der bewilligten oder angezeigten Bauwerke der Nachbarn (Abs. 1 Z 4) sowie

2. den Schutz vor Emissionen (§ 48), ausgenommen jene, die sich aus der Benützung eines Gebäudes zu Zwecken jeder Art der Wohnnutzung ergeben (z. B. aus Heizungs- und Klimaanlagen), gewährleisten und

3. durch jene Bestimmungen über

a) die Bebauungsweise, die Bebauungshöhe, den Bauwich, die Abstände zwischen Bauwerken oder deren zulässige Höhe, soweit diese Bestimmungen der Erzielung einer ausreichenden Belichtung auf Hauptfenster (§ 4 Z 3 und 21) der künftig zulässigen Gebäude der Nachbarn dienen, sowie

b) gesetzlich vorgesehene Abweichungen von den Festlegungen nach lit. a, soweit die ausreichende Belichtung

- auf Hauptfenster der zulässigen Gebäude der Nachbarn (§ 50 Abs. 2 und 4, § 51 Abs. 2 Z 3, Abs. 4 und 5, § 67 Abs. 1) oder

- auf bestehende bewilligte Hauptfenster (§ 52 Abs. 2 Z 4, § 53a Abs. 8) der Nachbarn

beeinträchtigt werden könnte.

[…]

Bewilligungspflichtige Vorhaben

§ 14 Nachstehende Vorhaben bedürfen einer Baubewilligung:

1. Neu- und Zubauten von Gebäuden;

[…]

Verfahren mit Parteien und Nachbarn

§ 21 (1) Führt die Vorprüfung (§ 20) zu keiner Abweisung des Antrages, hat die Baubehörde die Parteien und Nachbarn (§ 6 Abs. 1 und 3) nachweislich vom geplanten Vorhaben nach § 14 zu informieren und darauf hinzuweisen, dass bei der Baubehörde in die Antragsbeilagen und in allfällige Gutachten Einsicht genommen werden darf. Gleichzeitig sind die Parteien und Nachbarn – unter ausdrücklichem Hinweis auf den Verlust ihrer allfälligen Parteistellung – aufzufordern, eventuelle Einwendungen gegen das Vorhaben schriftlich binnen einer Frist von 2 Wochen ab der Zustellung der Verständigung bei der Baubehörde einzubringen. Werden innerhalb dieser Frist keine Einwendungen erhoben, erlischt die Parteistellung. Eine mündliche Verhandlung im Sinn der §§ 40 bis 44 des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 in der Fassung BGBl. I Nr. 161/2013, findet nicht statt.

[…]

(3) Der Bescheid, mit dem über den Antrag nach § 14 entschieden wird, ist den Parteien und jenen Nachbarn zuzustellen, die rechtzeitig Einwendungen erhoben haben. Die Zustellung dieses Bescheides begründet jedoch keine Parteistellung.

[…]

§ 23

Baubewilligung

(1) Über einen Antrag auf Baubewilligung ist schriftlich zu entscheiden.

Eine Baubewilligung ist zu erteilen, wenn kein Widerspruch zu den in § 20 Abs. 1 Z 1 bis 7 angeführten Bestimmungen besteht. Bei gewerblichen Betriebsanlagen gilt § 20 Abs. 1 dritter Satz sinngemäß.

[…]“

III.     Rechtliche Beurteilung

1.       Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist die Prüfungsbefugnis des Verwaltungsgerichts nach § 27 VwGVG keine unbegrenzte. Der äußerste Rahmen für die Prüfungsbefugnis (also die „Sache“ des Beschwerdeverfahrens) ist die Sache des bekämpften Bescheides (VwGH 27.02.2019, Ra 2018/05/0054, 0157, mwN).

Hat die belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht einen Antrag wegen Unzulässigkeit zurückgewiesen, ist nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes Sache des Beschwerdeverfahrens lediglich die Frage der Rechtmäßigkeit der Zurückweisung. Dasselbe gilt im Falle der Zurückweisung einer Berufung durch die belangte Behörde wegen Unzulässigkeit (VwGH 03.02.2021, Ra 2020/06/0324, mwN).

Im vorliegenden Fall wurde mit Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides (lediglich) die Berufung der Beschwerdeführer wegen fehlender Parteistellung als unzulässig zurückgewiesen, sodass insoweit gemäß § 27 VwGVG nur die Rechtmäßigkeit dieser Zurückweisung Gegenstand der Prüfung durch das Landesverwaltungsgericht sein kann. Auch mit den übrigen beiden Spruchpunkten wurde nicht inhaltlich über die Berechtigung des Baubewilligungsantrages der Mitbeteiligten angesprochen. Mit ihrem (Haupt-)Beschwerdebegehren, das auf Abweisung dieses verfahrenseinleitenden Antrages gerichtet ist, überschreiten die Beschwerdeführer somit die durch § 27 VwGVG begrenzte Prüfungsbefugnis des Verwaltungsgerichtes.

Ihre Beschwerde ist daher in diesem Umfang als unzulässig zurückzuweisen.

2.       Hinsichtlich des übrigen, auf Aufhebung des angefochtenen Bescheides gerichteten Begehrens ist die Beschwerde hingegen zulässig.

3.       Entgegen der Ansicht der belangten Behörde kann sich die Vorschreibung von „Bundesgebühren“, womit nur die Eingabengebühr gemäß § 14 TP 6 Abs. 1 GebG für die von den Beschwerdeführern erhobene Berufung gemeint sein kann, nicht auf § 76 AVG stützen. Vielmehr stellt § 75 Abs. 3 AVG klar, dass die Bestimmungen über die Stempel- und Rechtsgebühren des Bundes unberührt bleiben (vgl. VwGH 07.07.1956, 1102/55).

Damit besteht aber auch keine Zuständigkeit der belangten Behörde zur bescheidmäßigen Vorschreibung der Eingabengebühr. Zwar war es gemäß § 3 Abs. 2 GebG ihre Aufgabe, die Gebühr zu bestimmen, Zahlungen entgegenzunehmen und Aufzeichnungen über die Entrichtung zu führen. Eine bescheidmäßige Vorschreibung der Gebühr nach § 9 Abs. 1 GebG, die im Übrigen zur Voraussetzung hat, dass diese nicht ordnungsgemäß entrichtet wurde, obliegt jedoch auf Grundlage des § 60 Abs. 1 Z 1 BAO dem Finanzamt Österreich.

Somit ist die mit Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheids vorgenommene Gebührenvorschreibung gemäß § 27 erster Halbsatz VwGVG wegen Unzuständigkeit der belangten Behörde aufzuheben.

Die Vorschreibung von Gebühren in Spruchpunkt III. der Berufungsvorentscheidung, den die Beschwerdeführer mit ihrem von der belangten Behörde zutreffenderweise als Vorlageantrag gedeuteten Rechtsmittel ausdrücklich unbekämpft gelassen haben, bleibt hiervon unberührt.

4.       Das vorliegende Baubewilligungsverfahren wurde von der Mitbeteiligten mit dem Antrag vom 2. Februar 2018 eingeleitet und war somit im Zeitpunkt des Inkrafttretens der Novelle LGBl. 32/2021 zur NÖ BO 2014 (am 01.07.2021) bereits anhängig. Daher ist nach § 70 Abs. 16 NÖ BO 2014, der den Übergang zu dieser Novelle regelt, auf den vorliegenden Fall die NÖ BO 2014 noch in der Fassung der Novelle LGBl. 53/2018 anzuwenden Zu jener enthält die NÖ BO 2014 im Hinblick auf Baubewilligungsverfahren keine Übergangsbestimmung, sodass sie auch auf vor ihrem Inkrafttreten anhängige Bewilligungsverfahren Anwendung findet. Die spätere Novelle LGBl. 20/2022 spielt für den Fall keine Rolle.

5.       Es ist unbestritten, dass das Bauvorhaben der Mitbeteiligten als Neubau nach § 14 Z 1 NÖ BO 2014 bewilligungspflichtig ist. Ebenso unstrittig ist die Stellung der Beschwerdeführer als Nachbarn im Baubewilligungsverfahren gemäß § 6 Abs. 1 Z 3 NÖ BO 2014. Dementsprechend wurden sie alle vom geplanten Vorhaben informiert und ausdrücklich auf die aus § 21 Abs. 1 NÖ BO 2014 resultierende Möglichkeit des Verlustes ihrer Parteistellung hingewiesen.

In den angefochtenen Bescheiden verneinte die belangte Behörde jedoch die Parteistellung der Beschwerdeführer (ungeachtet ihrer Qualifikation Nachbarn), weil diese nicht in den in § 6 Abs. 2 NÖ BO 2014 taxativ aufgezählten Nachbarrechten verletzt sein könnten, und wies daher (mit Spruchpunkt I.). die Berufung als unzulässig zurück. Darüber hinaus wies sie (mit Spruchpunk II.) die Berufungsergänzung vom 23. April 2019 als verspätet zurück.

6.       Bringt eine Partei innerhalb offener Berufungsfrist mehrere Schriftsätze ein, mit denen Berufung gegen denselben Bescheid erhoben wird, dann sind diese nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes als eine Berufung anzusehen; dasselbe gilt, wenn rechtzeitig ein begründeter Berufungsantrag gestellt wurde, auch für spätere, aber noch vor der Entscheidung der Berufungsbehörde eingebrachte Ergänzungen. Über diese Schriftsätze hat die Berufungsbehörde daher (wenn nicht die Voraussetzungen für eine Trennung nach mehreren Punkten gemäß § 59 Abs. 1 AVG vorliegen) in einem zu entscheiden (VwGH 27.04.1993, 92/04/0284, mwN).

Mit der Berufungsergänzung erstatteten die Beschwerdeführer zu ihrer zuvor unbestritten rechtzeitig erhobenen Berufung ergänzendes Vorbringen, Dieses enthielt lediglich eine nähere Begründung, warum nach Ansicht der Beschwerdeführer eine Beeinträchtigung ihrer Servitutsrechte auch öffentlich-rechtlich relevant sei, also rechtliche Argumente für eine Maßgeblichkeit dieser (privaten) Rechte im Lichte des § 6 Abs. 2 NÖ BO 2014, die vom Stadtamt im erstinstanzlichen Bescheid zuvor verneint worden war. Somit haben die Beschwerdeführer mit der Berufungsergänzung keine über das bisherige Vorbringen hinausgehenden, iSd § 59 Abs. 1 AVG trennbare Berufungspunkte vorgebracht. Die Ergänzung wäre somit entsprechend der zitierten Rechtsprechung unter einem mit der Berufung abzuhandeln gewesen

Die Zurückweisung der Berufungsergänzung erweist sich daher – ungeachtet der Frage, ob sie noch innerhalb der Berufungsfrist eingebracht wurde – als rechtswidrig, weshalb auch Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides aufzuheben ist.

7.       Zur Zurückweisung der Berufung verwies die belangte Behörde auf die Begründung des erstinstanzlichen Bescheides. Ungeachtet des Umstandes, dass sich das Stadtamt dort teilweise inhaltlich mit den Einwendungen der Beschwerde-führer auseinandergesetzt hat, ist diese Argumentation – auch unter Berück-sichtigung des Vorbringens in der Berufungsergänzung – im Ergebnis zutreffend:

7.1.    Schon seit der am 13. Juli 2017 in Kraft getretenen Novelle LGBl. 50/2017 sieht die NÖ BO 2014 in § 21 Abs. 1 eine Einbeziehung der Nachbarn in das Baubewilligungsverfahren auf rein schriftlichem Wege vor. Dementsprechend bestimmt der letzte Satz dieses Absatzes ausdrücklich, dass über das Bauansuchen keine mündliche Verhandlung stattzufinden hat. Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführer stellt somit das Unterbleiben einer mündlichen Bauverhandlung im Verwaltungsverfahren keinen Verfahrensmangel dar, sondern entspricht vielmehr der klaren Intention des Gesetzgebers.

7.2.    Der vorletzte Satz des § 21 Abs. 1 NÖ BO 2014 sieht vor, dass die Parteistellung erlischt, wenn innerhalb von zwei Wochen ab Zustellung der Verständigung der Nachbarn vom Bauvorhaben keine Einwendungen erhoben werden.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist dem Begriff der Einwendung die Behauptung einer Verletzung mit Bezug auf ein bestimmtes Recht immanent, das heißt die Geltendmachung der Verletzung eines subjektiven Rechtes. Eine Einwendung im Rechtssinne liegt also nur vor, wenn das Vorbringen eine Behauptung der Verletzung eines subjektiven Rechtes durch das den Gegenstand des Bewilligungsverfahrens bildende Vorhaben zum Inhalt hat. Es muss gefordert werden, dass wenigstens erkennbar ist, aus welchen Gründen sich der Nachbar gegen das Bauvorhaben des Bauwerbers wendet, welche Rechtsverletzung behauptet wird (zuletzt VwGH 01.04.2021, Ra 2019/05/0334, mwN).

7.3.    § 6 Abs. 2 NÖ BO 2014 begrenzt die subjektiv-öffentlichen Rechte der Nachbarn, wobei die dortige Aufzählung nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes taxativ ist (so etwa VwGH 29.07.2021, Ra 2019/05/0282, mwN). Daher kann es nach § 21 Abs. 1 vorletzter Satz NÖ BO 2014 nur auf solche Einwendungen ankommen, mit denen in § 6 Abs. 2 NÖ BO 2014 angeführte subjektiv-öffentliche Nachbarrechte geltend gemacht werden.

Entscheidend für den Erhalt der Parteistellung der Beschwerdeführer ist somit zunächst, ob diese zumindest eine derartige Einwendung erhoben haben. Dass sämtliche Einwendungen der Beschwerdeführer innerhalb der zweiwöchigen Frist des § 21 Abs. 1 zweiter Satz NÖ BO 2014 vorgebracht wurden, steht nicht in Frage.

7.4.    Dem Stadtamt (auf dessen Begründung die belangte Behörde verwiesen hat) ist beizupflichten, dass § 6 Abs. 2 NÖ BO 2014 weder ein subjektives Nachbarrecht auf Einhaltung bestehender Verträge noch auf Schutz von Servituten einräumt, wobei festzuhalten ist, dass für das Vorliegen des in § 6 Abs. 1 letzter Satz NÖ BO 2014 ausdrücklich angesprochenen Sonderfalles von Fahr- und Leitungsrechten nach § 11 Abs. 3 leg.cit. keinerlei Anhaltspunkte vorliegen. Vielmehr handelt es sich bei diesem Vorbringen um privatrechtliche Einwendungen, mit denen sich die Beschwerdeführer allenfalls auf dem Zivilrechtsweg gegen das Bauvorhaben wenden können (vgl. etwa VwGH 13.11.2012, 2012/05/0193, mwN). Daran ändert es nichts, wenn durch das Bauvorhaben auf dem Baugrundstück Schäden zu befürchten sind, die die Ausübung der Servitut behindern.

Ebensowenig wird mit dem Vorbringen, die Klingel, die Gegensprechanlage oder die Toreinfahrt des Nachbargrundstücks müssten weiter funktionieren, ein subjektiv-öffentliches Nachbarrecht geltend gemacht. Gleiches gilt für die Entwässerung des Nachbargrundstücks (vgl. dazu etwa VwGH 20.04.2001, 98/05/0198, mwN, noch zur NÖ BauO 1976; insofern hat sich die Rechtslage durch die NÖ BO 2014 nicht geändert) und die Zugänglichkeit von Stellplätzen, die die Beschwerdeführer auf dem Baugrundstück nutzen. Auch insoweit können sie allfällige privatrechtliche Ansprüche auf dem Zivilrechtsweg durchsetzen, nicht jedoch im Baubewilligungsverfahren nach der NÖ BO 2014.

Schließlich gehören auch weder die (in § 46 NÖ BO 2014 geregelte) Barrierefreiheit von Bauwerken noch eine ausreichende Müllentsorgung auf dem Baugrundstück zum Kreis der in § 6 Abs. 2 NÖ BO 2014 taxativ aufgezählten subjektiv-öffentlichen Nachbarrechte.

7.5.    Zur geforderten Überprüfung der eingemessenen Höhe der Terrassenoberkante (auf dem Nachbargrundstück; Einwendung Nr. 7.) ist darauf hinzuweisen, dass die Nachbarn nach der NÖ BO 2014 keinen Rechtsanspruch darauf haben, dass Baupläne und sonstige Einreichunterlagen in jeder Hinsicht den gesetzlichen Bestimmungen entsprechen. Im Hinblick auf die Frage der Richtigkeit von Planunterlagen können die Beschwerdeführer daher nur geltend machen, dass solche Mängel der Baupläne vorliegen, durch die sie außer Stande gesetzt waren, sich über die Art und den Umfang der Bauführung sowie über die Einflussnahme auf ihre Rechte zu informieren (vgl. VwGH 29.04.2015, 2013/05/0004, mwN).

Es ist nicht erkennbar, für welches subjektiv-öffentliche Nachbarrecht des § 6 Abs. 2 NÖ BO 2014 die von den Nachbarn in Frage gestellte Höhe von Relevanz sein sollte. Insbesondere setzen die in § 6 Abs. 2 Z 3 leg.cit genannten Rechte voraus, dass die Belichtung von Hauptfenstern zulässiger Gebäude auf dem Nahbargrundstück beeinträchtigt wird. Eine bloße Beeinträchtigung der Belichtung von Freiflächen (somit insbesondere von Terrassen) ist hingegen nach § 6 Abs. 2 Z 3 NÖ BO 2014 irrelevant.

7.6.    Die Einhaltung des gesetzlich geregelten Abstandes zur Grenze der Nachbargrundstücke stellt nach § 6 Abs. 2 Z 3 NÖ BO 2014 hingegen ein subjektiv-öffentliches Nachbarrecht dar. Daher führte die entsprechende Einwendung der Beschwerdeführer gemäß § 21 Abs. 1 vorletzter Satz NÖ BO 2014 dazu, dass die Beschwerdeführer zunächst Parteien des Baubewilligungsverfahrens geblieben sind.

Diese Einwendung bezog sich jedoch ausdrücklich nur auf den Bauteil 1, der schon im Zeitpunkt der Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides (und damit auch im Zeitpunkt der Erhebung der Berufung) keinen Bestandteil des Bauvorhabens der Mitbeteiligten mehr bildete. Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich geht wie die Baubehörden davon aus, dass aus diesem Grund die Beschwerdeführer ihre zunächst erhaltene Parteistellung verloren haben. Insoweit haben sich die Behörden zutreffend auf § 6 Abs. 1 vorletzter Satz NÖ BO 2014 berufen, weil eine Rechtsverletzung durch einen Bauteil, der im Zeitpunkt der Erteilung der Baubewilligung nicht mehr Bestandteil des Bauvorhabens ist, denkunmöglich ist (vgl. zur Vorgängerbestimmung in § 6 Abs. 1 vorletzter Satz NÖ BauO 1996 VwGH 29.09.2015, Ra 2015/05/0032, mwN).

Dafür spricht auch die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, wonach die Prüfungsbefugnis der Berufungsbehörde und der Verwaltungsgerichte wie auch der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts im Falle von Rechtsmitteln der Nachbarn auf jene Fragen beschränkt ist, hinsichtlich derer einerseits den Nachbarn subjektiv-öffentliche Rechte zukommen und andererseits rechtzeitig im Verfahren entsprechende Einwendungen erhoben wurden (etwa VwGH 29.03.2017, Ra 2015/05/0051, mwN).

Diese Rechtsprechung bezog sich zwar auf die Rechtslage vor Schaffung des § 21 Abs. 1 NÖ BO 2014 idF LGBl. 50/2017. Das Landesverwaltungsgericht geht jedoch davon aus, dass sie auf das nunmehr dort vorgesehene schriftliche Verfahren sinngemäß zu übertragen ist, auch wenn für eine Anwendung des § 42 Abs. 1 AVG mangels Durchführung einer mündlichen Verhandlung kein Raum mehr bleibt. Dem Motivenbericht zu dieser Bestimmung (Ltg.-1378/B-23/3-2017) ist nämlich nicht zu entnehmen, dass der Gesetzgeber mit dem (gänzlichen) Entfall der mündlichen Verhandlung eine Änderung dahingehend beabsichtigt hätte, dass die Erhebung bloß einer zulässigen Einwendung im schriftlichen Verfahren die Parteistellung des Nachbarn im vollen Umfang des § 6 Abs. 2 NÖ BO 2014 bestehen ließe.

Ist somit der Bauteil 1 als Gegenstand der einzigen von den Beschwerdeführern erhobenen zulässigen Einwendung weggefallen, ist damit auch ihre Parteistellung erloschen. Im Übrigen haben die Beschwerdeführer (logischerweise) weder in der Berufung (samt Ergänzung) noch in der Beschwerde Vorbringen zum Abstand dieses Bauteils zu ihrem Grundstück erstattet. Sie haben dort auch sonst keine ihnen nach § 6 Abs. 2 NÖ BO 2014 zustehenden Nachbarrechte geltend gemacht, sondern lediglich ihre unzulässigen Einwendungen wiederholt bzw. diese näher ausgeführt.

7.7.    Daher hat ihnen die belangte Behörde zu Recht die Parteistellung der Beschwerdeführer und damit ihre Berufungslegitimation nach § 63 AVG verneint.

Die Zurückweisung der Berufung erfolgte also zu Recht, sodass die Beschwerde insoweit (dh soweit sie die Aufhebung von Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides begehrt) als unbegründet abzuweisen ist.

8.       Die von den Beschwerdeführern beantragte mündliche Verhandlung entfällt gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG, weil den Gegenstand des angefochtenen Bescheides und damit des vorliegenden Verfahrens lediglich die Zurückweisung einer Berufung (somit des das Berufungsverfahren einleitenden Antrages) bildete (vgl. schon oben 1.).

IV.      Zur teilweisen Zulässigkeit der Revision

1.       Soweit trennbare Absprüche vorliegen, ist auch die Zulässigkeit einer Revision getrennt zu prüfen (VwGH 09.06.2022, Ro 2021/05/9914, mwN).

2.       Die Revision ist im Hinblick auf die Frage, ob die Beschwerdeführer ihre Parteistellung wegen des Wegfalls jenes Projektbestandteils, auf den sich die einzige von ihnen nach § 21 Abs. 1 vorletzter Satz iVm § 6 Abs. 2 NÖ BO 2014 zulässige Einwendung bezogen hat, verloren haben, zulässig, weil dazu Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fehlt, sodass eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung iSd Art. 133 Abs. 4 B-VG vorliegt.

Diese Rechtsfrage ist jedoch nur für Spruchpunkt 5. der vorliegenden Entscheidung von Relevanz.

3.       Im Hinblick auf die übrigen Spruchpunkte weicht die Entscheidung weder von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab noch fehlt eine solche Rechtsprechung noch ist diese als uneinheitlich zu qualifizieren. Die Lösung der insoweit maßgeblichen Rechtsfragen beruht vielmehr auf der zitierten einheitlichen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 27 VwGVG bzw. den §§ 63 und 75 f AVG (im Hinblick auf Spruchpunkt 3. außerdem auf dem klaren Wortlaut des § 9 GebG und des § 60 Abs. 1 Z 1 BAO), sodass keine Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung zu lösen waren.

Schlagworte

Bau- und Raumordnungsrecht; Baubewilligung; Parteistellung; Nachbarrecht; Einwendung; Projektbestandteil; Wegfall; Verfahrensrecht; Sache des Verfahrens;

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGNI:2022:LVwG.AV.25.001.2022

Zuletzt aktualisiert am

28.11.2022
Quelle: Landesverwaltungsgericht Niederösterreich LVwg Niederösterreic, http://www.lvwg.noe.gv.at
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