TE Vwgh Erkenntnis 1996/2/8 95/18/1361

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Veröffentlicht am 08.02.1996
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
24/01 Strafgesetzbuch;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;
82/02 Gesundheitsrecht allgemein;
90/02 Kraftfahrgesetz;

Norm

FrG 1993 §18 Abs1;
FrG 1993 §18 Abs2 Z1;
FrG 1993 §18 Abs2 Z2;
FrG 1993 §19;
FrG 1993 §20 Abs1;
KFG 1967 §64 Abs1;
SGG §16 Abs1;
SGG §16 Abs2 Z1;
StGB §46;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte Dr. Zeizinger, Dr. Robl, Dr. Rigler und Dr. Handstanger als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Simetzberger, über die Beschwerde des H in Z, vertreten durch Dr. W, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 23. August 1995, Zl. SD 933/95, betreffend Erlassung eines unbefristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

I.

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom 23. August 1995 erließ die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (die belangte Behörde) gegen den Beschwerdeführer, einen bosnischen Staatsangehörigen, gemäß § 18 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z. 1 des Fremdengesetzes, BGBl. Nr. 838/1992, ein unbefristetes Aufenthaltsverbot.

Begründend führte die belangte Behörde aus, gegen den Beschwerdeführer sei am 24. August 1987 wegen des Verdachtes des unbefugten Gebrauches von Fahrzeugen eine Ermahnung gemäß § 12 JGG ausgesprochen worden. Am 18. Oktober 1989 sei der Beschwerdeführer vom Jugendgerichtshof Wien wegen des Verbrechens des Beischlafs mit einer Unmündigen sowie wegen schwerer Nötigung zu einer bedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von 18 Monaten rechtskräftig verurteilt worden. Daraufhin sei der Vater des Beschwerdeführers von der Erstbehörde in Kenntnis gesetzt worden, daß der Beschwerdeführer mit fremdenpolizeilichen Maßnahmen zu rechnen habe, wenn er neuerlich straffällig werden sollte. Nach einer rechtskräftigen Bestrafung gemäß § 64 Abs. 1 KFG am 28. November 1990 sei der Beschwerdeführer am 2. Juni 1992 vom Strafbezirksgericht Wien wegen vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Geldstrafe und am 3. Juni 1992 vom Landesgericht für Strafsachen Wien wegen Körperverletzung und gefährlicher Drohung zu einer bedingten Freiheitsstrafe von vier Monaten rechtskräftig verurteilt worden. Am 3. November 1993 sei der Beschwerdeführer dann vom Landesgericht für Strafsachen Wien wegen § 16 Abs. 1 und Abs. 2 Z. 1 Suchtgiftgesetz zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten rechtskräftig verurteilt worden. Bei einer weiteren Verurteilung am 5. November 1993 wegen Diebstahles und Urkundenunterdrückung sei keine Zusatzstrafe ausgesprochen worden.

Angesichts dieser zahlreichen Verurteilungen könne kein Zweifel daran bestehen, daß die Voraussetzungen des § 18 Abs. 2 Z. 1 des Fremdengesetzes beim Beschwerdeführer gegeben seien. Sein den Verurteilungen zugrundeliegendes Fehlverhalten sowie die dadurch bewirkte Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung rechtfertigten auch die in § 18 Abs. 1 leg. cit. umschriebene Annahme.

Der Beschwerdeführer lebe seit seiner Geburt mit seiner gesamten Familie im Bundesgebiet, sei hier verheiratet und für ein Kind sorgepflichtig, weshalb mit dem Aufenthaltsverbot ein schwerwiegender Eingriff in sein Privat- und Familienleben verbunden sei. Dessen ungeachtet sei die gegen ihn gesetzte Maßnahme zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 MRK genannten Ziele dringend geboten. Der Beschwerdeführer habe gegen gewichtige öffentliche Interessen verstoßen und mit aller Deutlichkeit trotz bereits erfolgter rechtskräftiger Verurteilungen dokumentiert, daß er offenbar nicht in der Lage sei, sich rechtskonform zu verhalten. Daß er zuletzt sogar Minderjährigen den Gebrauch von Suchtgift ermöglicht habe, lasse im Hinblick auf die besondere Gefährlichkeit der Suchtgiftkriminalität eine positive Zukunftsprognose für den Beschwerdeführer nicht zu. Angesichts der Vielzahl und der Schwere der der gerichtlichen Verurteilungen des Beschwerdeführers zugrundeliegenden Straftaten und der darin zum Ausdruck kommenden krassen Mißachtung der körperlichen Sicherheit und der Gesundheit anderer Menschen sei das Aufenthaltsverbot gegen ihn zum Schutz der öffentlichen Ordnung, zur Verhinderung weiterer strafbarer Handlungen und zum Schutz der Gesundheit sowie zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer dringend geboten und im Grunde des § 19 leg. cit. zulässig. Daran ändere auch die vom Gericht ausgesprochene bedingte Entlassung aus der Strafhaft nichts, weil die Behörde die Frage der Erforderlichkeit des Aufenthaltsverbotes eigenständig aus dem Blickwinkel des Fremdenrechtes zu beurteilen habe.

Auch wenn die Auswirkungen des Aufenthaltsverbotes auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers und seiner Familie in Anbetracht des hohen Grades an Integration als erheblich zu werten seien, wögen diese Umstände nicht schwerer als die gegenläufigen öffentlichen Interessen und damit die nachteiligen Folgen einer Abstandnahme von dieser Maßnahme. Der am 17. Juni 1994 geschlossenen Ehe des Beschwerdeführers mit einer österreichischen Staatsbürgerin komme schon deshalb kein maßgebliches Gewicht zu, weil er zu diesem Zeitpunkt bereits mit möglichen fremdenpolizeilichen Maßnahmen konfrontiert worden sei. Einer allfälligen Unterhaltspflicht könne er auch vom Ausland aus nachkommen. Der Beschwerdeführer sei seit seinem 15. Lebensjahr drogenabhängig und diese - zumindest bis vor kurzer Zeit bestandene - Suchtgiftabhängigkeit lasse wegen der bei Suchtgiftdelikten besonders großen Wiederholungsgefahr eine Zukunftsprognose für den Beschwerdeführer nicht positiv ausfallen. Mit einem Aufenthaltsverbot werde keine Abschiebung in ein bestimmtes Land angeordnet.

Zutreffend sei das Aufenthaltsverbot auf unbestimmte Zeit erlassen worden. In Anbetracht des aufgezeigten Fehlverhaltens des Beschwerdeführers könne der Wegfall der für die Erlassung des Aufenthaltsverbotes maßgebenden Gründe derzeit nicht vorhergesehen werden.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Der Beschwerdeführer bekämpft nicht die - auf der unbestritten gebliebenen Sachverhaltsannahme beruhende - zutreffende Rechtsansicht der belangten Behörde über die Verwirklichung des Tatbestandes des § 18 Abs. 2 Z. 1 Fremdengesetz.

Die weitere Ansicht der belangten Behörde, daß im vorliegenden Fall die im § 18 Abs. 1 leg. cit. umschriebene Annahme gerechtfertigt sei, begegnet allein schon im Hinblick auf die besondere Gefährlichkeit der Suchtgiftkriminalität keinen Bedenken (vgl. das hg. Erkenntnis vom 28. September 1995, Zl. 95/18/1212).

2. Erkennbar gegen die Zulässigkeit des Aufenthaltsverbotes im Grunde des § 19 Fremdengesetz wendet der Beschwerdeführer ein, daß die belangte Behörde zwar auf Art. 8 MRK verwiesen, sich sonst jedoch "durchwegs undeterminierter Begriffe" wie "die Gesundheit anderer Menschen", die "Rechte und Freiheiten anderer", und die "öffentliche Ordnung" bedient habe, ohne konkret zu nennen, welche Gefahren von seiner Person ausgingen.

Diesem Vorbringen ist zu entgegnen, daß die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid als Grund dafür, daß die Verhängung eines Aufenthaltsverbotes zum Schutz der öffentlichen Ordnung, zur Verhinderung weiterer strafbarer Handlungen und zum Schutz der Gesundheit sowie zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer dringend geboten sei, die Vielzahl und die Schwere der den gerichtlichen Verurteilungen des Beschwerdeführers zugrundeliegenden Straftaten - die konkret aufgelistet wurden - und die darin zum Ausdruck kommende krasse Mißachtung der körperlichen Sicherheit und der Gesundheit anderer Menschen anführte. Keinesfalls zog sich die belangte Behörde zur Begründung der Zulässigkeit der Verhängung des Aufenthaltsverbotes allein auf die Anführung von im Art. 8 Abs. 2 MRK enthaltenen Begriffen zurück.

Im Hinblick auf die bereits genannte Gefährlichkeit der Suchtgiftkriminalität und das mehrfach die körperliche Integrität anderer und überdies die sexuelle Sphäre einer Unmündigen verletzende Verhalten des Beschwerdeführers bestehen gegen die Beurteilung der belangten Behörde, daß die Erlassung des Aufenthaltsverbotes dringend geboten und somit im Grunde des § 19 Fremdengesetz zulässig sei, keine Bedenken. Aus den genannten Gründen ist zweifellos die vom Beschwerdeführer angesprochene "Schwere des Verbrechens" erreicht, die einen Eingriff in das im Art. 8 Abs. 1 MRK genannte Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens rechtfertigt.

3. Bezogen auf § 20 Fremdengesetz meint der Beschwerdeführer, die belangte Behörde habe die Dauer seines Aufenthaltes (in Österreich) und das Ausmaß seiner Integration sowie die Intensität seiner familiären und sonstigen Bindungen nicht berücksichtigt. Die belangte Behörde habe den Umstand, daß er für seine Tochter sorgepflichtig sei und ein "natürliches Interesse am Umgang mit meiner Tochter habe", "ungeachtet übergangen".

Dem ist zu entgegnen, daß die belangte Behörde im Rahmen der Interessenabwägung gemäß § 20 Abs. 1 Fremdengesetz auf zu berücksichtigende private und familiäre Gesichtspunkte (Aufenthalt des Beschwerdeführers seit der Geburt mit seiner Familie in Österreich, hoher Grad an Integration, Sorgepflicht für ein Kind), die gegen die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes sprechen, Bedacht nahm und die auf diese Umstände zurückzuführenden negativen Auswirkungen dieser Maßnahme auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers und dessen Familie als beträchtlich wertete. Diesem Interesse des Beschwerdeführers an seinem weiteren Verbleib in Österreich stehen die aus dem eine krasse Mißachtung der Rechte und Freiheiten anderer bezeugenden Verhalten des Beschwerdeführers abzuleitenden schwerwiegenden öffentlichen Interessen an dem Schutz der körperlichen Integrität anderer, der Verhinderung strafbarer Handlungen und insbesondere der Unterbindung der Suchtgiftkriminalität gegenüber. Wenn die belangte Behörde das öffentliche Interesse an der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes als zumindest ebenso schwerwiegend ansah wie das gegenläufige private Interesse des Beschwerdeführers, kann ihr nicht mit Erfolg entgegengetreten werden, zumal nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes im Falle von Suchtgiftdelikten auch bei ansonsten völliger sozialer Integration des Fremden nicht rechtswidrig ist (vgl. auch dazu das Erkenntnis Zl. 95/18/1212).

Daran ändert der Umstand nichts, daß die integrationsbegründende Tatsache der Ehe dadurch keine Minderung erfährt, daß dem Fremden zum Zeitpunkt der Eheschließung bloß mögliche fremdenpolizeiliche Maßnahmen angedroht waren und daher die Ehe des Beschwerdeführers entgegen der Ansicht der belangten Behörde uneingeschränkt für das Ausmaß seiner Integration mit heranzuziehen ist.

Soweit der Beschwerdeführer seine bedingte Entlassung aus der Strafhaft anführt, verwies die belangte Behörde zutreffend darauf, daß sie ihre Entscheidung - frei von jeglicher Bindung an gerichtliche Beurteilungen - ausschließlich aus dem Blickwinkel der von ihr anzuwendenden fremdenrechtlichen Normen zu treffen hatte (vgl. das hg. Erkenntnis vom 7. September 1995, Zl. 95/18/0133).

Dem Vorbringen des Beschwerdeführers über das Fehlen einer Bindung an das Heimatland seiner Eltern und über den in Bosnien immer noch herrschenden Krieg ist zu entgegnen, daß nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bei der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes nicht auch darüber abgesprochen wird, in welches Land der Fremde auszureisen habe oder allenfalls abgeschoben werde (vgl. das Erkenntnis vom 23. November 1995, Zl. 95/18/1173, uva.).

Letztlich bleibt der Beschwerdeführer jegliche Erklärung dafür schuldig, was für ihn daraus zu gewinnen wäre, daß sein der Verurteilung nach dem Suchtgiftgesetz zugrundeliegendes Verhalten mit seiner Tätigkeit als V-Mann für die Sicherheitsdirektion Wien im Zusammenhang gestanden sei. Er behauptet etwa nicht, die strafbare Handlung bloß vorgetäuscht zu haben.

4. "Vorsichtsweise" bringt der Beschwerdeführer vor, daß die Verhängung des Aufenthaltsverbotes auf unbestimmte Zeit unzulässig gewesen sei.

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist ein Aufenthaltsverbot für jenen Zeitraum, nach dessen Ablauf vorhersehbarerweise der Grund für seine Verhängung weggefallen sein wird, und auf unbestimmte Zeit (unbefristet) zu erlassen, wenn ein Wegfall des Grundes für seine Verhängung nicht vorhergesehen werden kann (vgl. etwa das Erkenntnis vom 17. Mai 1995, Zl. 95/21/0125). Wenn die belangte Behörde im Beschwerdefall zum Ausdruck brachte, daß nicht zu erkennen sei, wann der für die Erlassung des Aufenthaltsverbotes maßgebliche Grund, nämlich die Gefährdung der von ihr genannten öffentlichen Interessen durch den Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet, weggefallen sein werde, so stößt diese Auffassung bei der gegebenen Sach- und Rechtslage auf keinen Einwand.

5. Unter dem Beschwerdegrund der Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften bringt der Beschwerdeführer vor, die Begründung des angefochtenen Bescheides sei bloß oberflächlich; es werde nicht begründet, warum die belangte Behörde davon ausgehe, daß sein weiterer Aufenthalt dem Wohl des Landes zuwiderlaufe. Dem ist zu entgegnen, daß die belangte Behörde ausdrücklich eine negative Zukunftsprognose erstellte und diese auch begründete.

Weiters bringt der Beschwerdeführer nicht vor, welche Feststellungen die belangte Behörde über die angeführten hinaus hätte treffen müssen, die zu einem für den Beschwerdeführer günstigeren Ergebnis der Rechtssache geführt hätten. Die vom Beschwerdeführer als seine Integration begründend angeführten Umstände wurden von der belangten Behörde ohnehin festgestellt; ob die Eltern des Beschwerdeführers "in Kürze die österreichische Staatsbürgerschaft erhalten", vermag die nach § 20 Abs. 1 vorgenommene Interessenabwägung nicht zugunsten des Beschwerdeführers zu verändern.

Soweit der Beschwerdeführer auf eine nicht ausreichende Beachtung seiner Eheschließung durch die belangte Behörde verweist, wurde dazu bereits oben zu II.3. Stellung genommen. Dem einerseits auf das Ausmaß seiner Integration in Österreich, andererseits auf das Fehlen von Beziehungen und die Einziehung zum Kriegsdienst in Bosnien Bezug nehmenden Vorbringen fehlt im Hinblick auf das bereits Gesagte die Relevanz.

Schließlich unterläßt es der Beschwerdeführer, konkret anzugeben, in welcher Weise seine Berufung gegen den erstinstanzlichen Bescheid unerledigt geblieben wäre.

6. Da - wie ausgeführt - bereits der Inhalt der Beschwerde erkennen läßt, daß die behauptete Rechtsverletzung nicht vorliegt, war die Beschwerde gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung als unbegründet abzuweisen.

Bei diesem Ergebnis erübrigte sich eine Entscheidung über den Antrag, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1996:1995181361.X00

Im RIS seit

11.07.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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