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L8500 StraßenNorm
B-VG Art139 Abs1 Z1Leitsatz
Abweisung des Antrags auf Aufhebung eines Bebauungsplans einer Tiroler Gemeinde betreffend die Festlegung der Baufluchtlinie und den Verlauf der Straßenfluchtlinie; hinreichende Dokumentation der Entscheidungsgrundlage; hinreichende Erkennbarkeit der Entscheidungsgrundlagen des VerordnungsgebersSpruch
Der Antrag wird abgewiesen.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Antrag
Mit dem vorliegenden, auf Art139 Abs1 Z1 B-VG gestützten Antrag begehrt das Landesverwaltungsgericht Tirol, "den Bebauungsplan 'Winklweg – Embacher' (Gemeinderatsbeschluss vom 22.3.2018), kundgemacht durch Anschlag an der Amtstafel der Gemeinde Angath im Zeitraum vom 30.5.2018 bis zum 14.6.2018, als gesetzwidrig aufzuheben, in eventu, allenfalls die Gesetzwidrigkeit der festgelegten Straßenfluchtlinie und Baufluchtlinie auszusprechen".
II. Rechtslage
1. Die einschlägigen Bestimmungen Tiroler Raumordnungsgesetz 2016 (TROG 2016), LGBl 101/2016 (Wv), idF LGBl 116/2020 lauten:
"4. Abschnitt
Bebauungspläne
§54
Bebauungspläne
(1) In den Bebauungsplänen sind unter Berücksichtigung der Ziele der örtlichen Raumordnung, des örtlichen Raumordnungskonzeptes, des Flächenwidmungsplanes und der Ergebnisse der Bestandsaufnahme die verkehrsmäßige Erschließung und die Art der Bebauung des Baulandes, von Sonderflächen und von Vorbehaltsflächen festzulegen. Die Bebauungspläne mit Ausnahme der ergänzenden Bebauungspläne (Abs9) sind möglichst für größere funktional zusammenhängende Gebiete zu erlassen.
(2) Bebauungspläne sind für die nach §31b Abs1 erster Satz im örtlichen Raumordnungskonzept festgelegten Gebiete und Grundflächen zu erlassen, sobald
a) diese Gebiete bzw Grundflächen als Bauland, als Sonderflächen oder als Vorbehaltsflächen gewidmet sind und
b) die Gemeinde finanziell in der Lage ist, die verkehrsmäßige Erschließung und die Erschließung dieser Gebiete bzw Grundflächen mit Einrichtungen zur Wasserversorgung und Abwasserbeseitigung vorzunehmen.
(3) Für die im örtlichen Raumordnungskonzept nach §31b Abs1 festgelegten Gebiete können Bebauungspläne auch dann erlassen werden, wenn diese noch nicht als Bauland, als Sonderflächen oder als Vorbehaltsflächen gewidmet sind.
(4) Die Verpflichtung zur Erlassung von Bebauungsplänen nach Abs2 besteht nicht für bereits bebaute Grundstücke, sofern die verkehrsmäßige Erschließung und die Erschließung dieser Grundstücke mit Einrichtungen zur Wasserversorgung und Abwasserbeseitigung bereits besteht und die Erlassung von Bebauungsplänen zur Gewährleistung einer geordneten weiteren Bebauung derselben nicht erforderlich ist.
(5) – (9) […]
§56
Inhalte
(1) Im Bebauungsplan sind hinsichtlich der verkehrsmäßigen Erschließung die Straßenfluchtlinien (§58) und hinsichtlich der Bebauung die Baufluchtlinien (§59 Abs1 und 2), die Bauweisen (§60), die Mindestbaudichten (§61) und die Bauhöhen von Gebäuden (§62 Abs1) festzulegen.
(2) […]
(3) Im Bebauungsplan können weiters die Höchstgröße der Bauplätze, die Mindest- und die Höchstnutzfläche (§61 Abs5 zweiter und dritter Satz), die Firstrichtungen und Dachneigungen, die Baugrenzlinien (§59 Abs3) und die Höhenlage (§62 Abs7) festgelegt sowie ergänzende Festlegungen über die Baudichten (§61) und die Bauhöhen (§62 Abs1 bis 5) getroffen werden. Weiters kann das zulässige Ausmaß der Veränderung des Geländeniveaus im Verhältnis zum Geländeniveau vor der Bauführung festgelegt werden. Ferner kann festgelegt werden, dass statt der Mindestabstände nach §6 Abs1 litb der Tiroler Bauordnung 2018 jene nach §6 Abs1 lita der Tiroler Bauordnung 2018 einzuhalten sind. Gegenüber den Grenzen zu Grundstücken, für die diese Festlegung nicht gilt, sind jedoch stets die Mindestabstände nach §6 Abs1 litb der Tiroler Bauordnung 2018 einzuhalten. Schließlich können textliche Festlegungen über die Fassadengestaltung, die Gestaltung der Dachlandschaften, das zulässige Ausmaß von Geländeveränderungen und dergleichen getroffen werden.
§57
Änderung und Außerkrafttreten von Bebauungsplänen
(1) Bebauungspläne sind zu ändern, soweit dies
a) aufgrund einer Änderung des örtlichen Raumordnungskonzeptes oder des Flächenwidmungsplanes,
b) aufgrund von Raumordnungsprogrammen oder anderen vorrangigen raumbedeutsamen Planungen oder Maßnahmen des Landes zur Vermeidung von Planungswidersprüchen oder
c) aufgrund der verfassungsrechtlich gebotenen Berücksichtigung raumbedeutsamer Planungen oder Maßnahmen des Bundes zur Vermeidung von Planungswidersprüchen
erforderlich ist.
(2) Bebauungspläne dürfen geändert werden, wenn die Änderung den Zielen der örtlichen Raumordnung und dem örtlichen Raumordnungskonzept entspricht.
(3) – (4) […]
§58
Straßenfluchtlinien
(1) Die Straßenfluchtlinien grenzen die unmittelbar dem Verkehr dienenden Flächen von Straßen und die der Gestaltung des Straßenraumes dienenden Flächen von den übrigen Grundflächen ab.
(2) Die Straßenfluchtlinien sind unter Bedachtnahme auf die allgemeinen straßenbaulichen Erfordernisse nach §37 Abs1 des Tiroler Straßengesetzes festzulegen.
(3) Wird innerhalb von zehn Jahren nach dem Inkrafttreten der Festlegung der Straßenfluchtlinien für die betreffende Straße eine Straßenbaubewilligung nach §44 des Tiroler Straßengesetzes nicht erteilt, so kann der Grundeigentümer die Einlösung der von den Straßenfluchtlinien umfassten Grundflächen durch die Gemeinde verlangen. Der Antrag auf Einlösung ist bei der Gemeinde schriftlich einzubringen. Kommt innerhalb eines Jahres nach der Einbringung des Einlösungsantrages eine Vereinbarung über die Einlösung der Grundflächen oder über die Bereitstellung eines Ersatzgrundstückes durch die Gemeinde nicht zustande und legt die Gemeinde innerhalb dieser Frist die Straßenfluchtlinien nicht so fest, dass die Grundflächen des Antragstellers davon nicht mehr umfasst sind, so gilt die Zustimmung der Gemeinde zur Einlösung der Grundflächen als gegeben. Im Übrigen gilt §52 Abs5 vierter und fünfter Satz sinngemäß.
§59
Baufluchtlinien, Baugrenzlinien
(1) Die Baufluchtlinien sind straßenseitig gelegene Linien, durch die der Abstand baulicher Anlagen von den Straßen bestimmt wird. Gebäudeteile und bauliche Anlagen dürfen nur in den in der Tiroler Bauordnung 2018 besonders geregelten Fällen vor die Baufluchtlinie vorragen oder vor dieser errichtet werden.
(2) Die Baufluchtlinien sind so festzulegen, dass das Orts- und Straßenbild und die Sicherheit, Leichtigkeit und Flüssigkeit des Verkehrs nicht beeinträchtigt werden und eine ausreichende Belichtung und Belüftung der straßenseitig gelegenen Räume gewährleistet ist. Für verschiedene Höhenabschnitte können verschiedene Baufluchtlinien festgelegt werden (gestaffelte Baufluchtlinien). Weiters kann insbesondere im Interesse des Schutzes des Orts- und Straßenbildes festgelegt werden, dass an die Baufluchtlinien heranzubauen ist (zwingende Baufluchtlinien). Im Fall einer Gefährdung durch Naturgefahren (§37 Abs3) sind die Baufluchtlinien weiters so festzulegen, dass eine solche Gefährdung von Gebäuden und sonstigen baulichen Anlagen vermieden wird; im Fall einer Gefährdung durch Hochwasser sind die Baufluchtlinien erforderlichenfalls weiters so festzulegen, dass wesentliche Hochwasserabflussbereiche und –rückhalteräume nicht beeinträchtigt werden. In diesen Fällen ist erforderlichenfalls durch eine zusätzliche Festlegung zu bestimmen, dass §5 Abs2 und 3 der Tiroler Bauordnung 2018 nicht zur Anwendung gelangt.
(3) Die Baugrenzlinien sind nicht straßenseitig gelegene Linien, durch die der Mindestabstand baulicher Anlagen gegenüber anderen Grundstücken als Straßen bestimmt wird. Dabei dürfen gegenüber bebaubaren Grundstücken nur größere Abstände als die Mindestabstände von 3 bzw 4 m (§6 Abs1 der Tiroler Bauordnung 2018) und gegenüber nicht bebaubaren Grundstücken größere oder kleinere Abstände als diese Mindestabstände festgelegt werden. Im Übrigen sind die Baugrenzlinien so festzulegen, dass das Orts- und Straßenbild nicht beeinträchtigt wird und den Erfordernissen des Brandschutzes entsprochen wird. Abs2 zweiter und dritter Satz gilt sinngemäß. Im Fall einer Gefährdung durch Naturgefahren (§37 Abs3) sind die Baugrenzlinien weiters so festzulegen, dass eine solche Gefährdung von Gebäuden und sonstigen baulichen Anlagen vermieden wird; im Fall einer Gefährdung durch Hochwasser sind die Baugrenzlinien erforderlichenfalls weiters so festzulegen, dass wesentliche Hochwasserabflussbereiche und –rückhalteräume nicht beeinträchtigt werden. Wenn dies zur Erhaltung ökologisch besonders wertvoller Flächen erforderlich ist, sind die Baugrenzlinien so festzulegen, dass diese Flächen in ihrer ökologischen Funktion erhalten bleiben. In diesen Fällen ist durch eine zusätzliche Festlegung zu bestimmen, dass §6 Abs5 der Tiroler Bauordnung 2018 nicht zur Anwendung gelangt."
2. Die einschlägigen Bestimmungen des Gesetzes vom 16. November 1988 über die öffentlichen Straßen und Wege (Tiroler Straßengesetz), LGBl 13/1989, idF LGBl 144/2018 lauten:
"7. Abschnitt
Bau und Erhaltung von Straßen
§37
Allgemeine Erfordernisse
(1) Straßen müssen nach den Erfahrungen der Praxis und den Erkenntnissen der Wissenschaft so geplant und gebaut werden, daß
a) sie für den Verkehr, dem sie gewidmet sind, bei Beachtung der straßenpolizeilichen und der kraftfahrrechtlichen Vorschriften sowie bei Bedachtnahme auf die durch die Witterung oder durch Elementarereignisse hervorgerufenen Verhältnisse ohne besondere Gefahr benützt werden können,
b) sie im Hinblick auf die bestehenden und die abschätzbaren künftigen Verkehrsbedürfnisse den Erfordernissen der Leichtigkeit und Flüssigkeit des Verkehrs entsprechen,
c) Beeinträchtigungen der angrenzenden Grundstücke durch den Bestand der Straße sowie Gefährdungen oder Beeinträchtigungen der Nachbarn durch den Verkehr auf der Straße oder durch Erhaltungsarbeiten an der Straße, soweit solche Beeinträchtigungen nicht nach den örtlichen Verhältnissen und der Widmung des betreffenden Grundstückes zumutbar sind, so weit herabgesetzt werden, wie dies mit einem im Verhältnis zum erzielbaren Erfolg wirtschaftlich vertretbaren Aufwand möglich ist und
d) sie mit den Zielen der überörtlichen und der örtlichen Raumordnung im Einklang stehen.
(2) – (5) […]"
III. Anlassverfahren, Antragsvorbringen und Vorverfahren
1. Dem Antrag liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
1.1. Auf dem im Eigentum der beteiligten Partei stehenden Grundstück Nr 701/4, KG Angath, (in der Folge: "Grundstück") befand sich ein rund 200 Jahre alter Stadel ("Stuckstadl"), der durch einen Brand am 29. April 2017 stark beschädigt wurde. Am 18. September 2017 stellte die beteiligte Partei einen Antrag auf Erteilung einer Baubewilligung für die Wiedererrichtung des Stadels an seiner ursprünglichen Stelle. Nach fruchtlosem Verstreichen einer für die Verbesserung des Ansuchens gesetzten Frist wurde der Antrag zurückgewiesen.
1.2. Am 21. September 2017 wurde in einer Sitzung des Gemeinderates der Gemeinde Angath anhand einer ersten raumordnungsfachlichen Beurteilung über die Absicht der Erlassung eines Bebauungsplanes für den Bereich des Grundstückes bzw eine Anpassung der Baufluchtlinien und eine Verbreiterung des Gehsteiges diskutiert. Ferner wurde die Auflage eines Entwurfes eines Bebauungsplanes beschlossen, die von 25. September bis 23. Oktober 2017 erfolgte. Innerhalb dieser Frist brachte die beteiligte Partei eine Stellungnahme ein. Am 28. November 2017 führte der Verkehrsausschuss der Gemeinde Angath einen Lokalaugenschein beim Grundstück im Beisein eines Verkehrsplaners durch. In weiterer Folge wurde die raumplanungsfachliche Stellungnahme überarbeitet und am 4. Dezember 2017 erneut an die Gemeinde Angath übermittelt. In einer Sitzung des Gemeinderates der Gemeinde Angath vom 13. Dezember 2017 wurde über einen überarbeiteten Entwurf des Bebauungsplanes diskutiert (Erhöhung des höchsten Punktes der Bebauung, Begradigung der Baufluchtlinie, keine Änderung der Baumassendichte). Im Anschluss daran wurde die (verkürzte) Auflage des geänderten Entwurfes beschlossen (22. Dezember 2017 bis 5. Jänner 2018) und zugleich ein Beschluss über die Erlassung des Bebauungsplanes "Winklweg-Embacher" gefasst; dies unter der Bedingung, dass dieser nur rechtswirksam werde, wenn innerhalb der Auflegungs- und Stellungnahmefrist keine Stellungnahme abgegeben werde. Nachdem von der beteiligten Partei innerhalb dieser Frist eine Stellungnahme eingebracht wurde, war der Bebauungsplan "Winklweg-Embacher" erneut Gegenstand einer Sitzung des Gemeinderates der Gemeinde Angath am 22. März 2018. Darin wurde auf eine erneute Prüfung des Sachverhaltes durch den raumordnungsfachlichen Sachverständigen verwiesen, die keine Änderung des Sachverhaltes ergeben habe, und die Erlassung des Bebauungsplanes "Winklweg-Embacher" beschlossen. Mit Schreiben der Tiroler Landesregierung vom 23. Mai 2018 wurde mitgeteilt, dass gegen den Bebauungsplan keine Einwände bestünden. Die Kundmachung des Bebauungsplanes erfolgte von 30. Mai bis 14. Juni 2018 an der Amtstafel der Gemeinde Angath.
1.3. Am 26. April 2018 stellte die beteiligte Partei erneut einen Antrag auf Erteilung einer Baubewilligung für die Wiedererrichtung des Stadels an der ursprünglichen Stelle. Dieser Antrag wurde mit Bescheid des Bürgermeisters der Gemeinde Angath vom 15. Oktober 2018 wegen Widerspruches zum Bebauungsplan "Winklweg-Embacher" (Überschreitung der darin festgelegten Baufluchtlinie) abgewiesen. Eine gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde ist beim Landesverwaltungsgericht Tirol anhängig.
2. Das Landesverwaltungsgericht Tirol legt die Bedenken, die es zur Antragstellung beim Verfassungsgerichtshof bestimmt haben, wie folgt dar (ohne Hervorhebungen im Original):
"Zur Zulässigkeit des Antrages:
Mit Bauansuchen vom 26.4.2018, eingelangt bei der Gemeinde Angath am 27.4.2018, beantragte […] die Baubewilligung für den Teil-/Wiederaufbau des auf Gst 701/4 KG Angath befindlichen Stuckstadls.
Mit Baubescheid des Bürgermeisters der Gemeinde Angath vom 15.10.2018, 06/2018, wurde das oben angeführte Bauvorhaben gemäß §34 Abs3 lita Z2 TBO 2018 infolge eines Widerspruchs zum mittlerweile erlassenen Bebauungsplan 'Winklweg – Embacher' abgewiesen.
Gegen diese Abweisung hat die Beschwerdeführerin zulässig und rechtzeitig Beschwerde an das Landesverwaltungsgericht Tirol erhoben und wies darin unter anderem auf die ungerechtfertigte Verunmöglichung des Wiederaufbaus durch nachträgliche Erlassung eines Bebauungsplanes hin.
Das Beschwerdeverfahren ist beim Landesverwaltungsgericht Tirol anhängig.
Der Bebauungsplan enthält neben Bau- und Straßenfluchtlinien, der Festlegung der offenen Bauweise auch Mindest- und Höchstgrenzen der Baumassendichte sowie die Festlegung eines höchsten obersten Gebäudepunktes.
Das Landesverwaltungsgericht hat im gegenständlichen Verfahren diesen Bebauungsplan unmittelbar anzuwenden, zumal er die Grundlage der mit 15.10.2018 bescheidmäßig verfügten Abweisung des Bauansuchens darstellt. Die Verordnung greift unmittelbar in die Rechtssphäre der Beschwerdeführerin ein, weil sie die Grundlage der Abweisung des Bauvorhabens darstellt. Die zur Überprüfung beantragte Verordnung wurde ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides wirksam und wurde von der betroffenen Grundstückseigentümerin im Auflageverfahren des Bebauungsplanes eine fristgerechte Stellungnahme abgegeben.
Die baurechtliche Disposition der Beschwerdeführerin wird insofern stark eingeschränkt, als mit der Erlassung des gegenständlichen Bebauungsplanes und der Festlegung von Straßenflucht- und Baufluchtlinien, wobei letztere zwischen 2,50 Meter und 4 Meter von der Grundgrenze zurückspringen und dadurch die rechtmäßig bestehenden Außenmauern des Stuckstadls zu gut 70 % vor die Baufluchtlinie ragen, der Stuckstadl dergestalt 'eingefroren' wird, als gemäß §§5 Abs1 und 2 und 6 Abs10 litd und 11 TBO 2018 neben einem Wiederaufbau auch zukünftige Zu- und Umbaumaßnahmen praktisch verunmöglicht werden.
Daraus folgt, dass die Beschwerdeführerin — unabhängig vom gegenständlichen Antrag auf Wiederaufbau — auch sämtliche über §28 Abs3 litb TBO 2018 hinausgehenden Sanierungsarbeiten infolge eines Widerspruchs zum Bebauungsplan nicht (mehr) hätte vornehmen können und somit der Stuckstadl längerfristig dem Verfall preisgegeben wird. […]
In der Sache:
[…] Nach Ansicht des gefertigten Gerichts fußt der Bebauungsplan auf einer unzureichenden Bestands- und Grundlagenerhebung, da weder für die Festlegung einer Straßenfluchtlinie noch jene der Baufluchtlinie schriftliche verkehrstechnische Beurteilungen durch einen einschlägigen Sachverständigen vorgenommen wurden bzw vorlagen.
Wie in weiterer Folge dargelegt, wurde das dem Verordnungsgeber zustehende Planungsermessen für dieses zentrale Planungsinstrument der örtlichen Raumordnung nach dem Dafürhalten des gefertigten Gerichts nicht in der Qualität einer den gesetzlichen Erfordernissen entsprechenden Grundlagenerhebung und einer darauf basierenden kritischen Interessensabwägung, sondern durch faktisches Handeln der Akteure ohne Bezugnahme auf eine integrierte Gesamtplanung, in der die örtliche Verkehrsplanung nur einen von vielen Bestandteilen darstellt, geprägt.
Vorauszuschicken ist, dass das Tiroler Raumordnungsgesetz — anders als einige einschlägige Bestimmungen anderer Bundesländer, etwa §34 Abs3 NÖ ROG 2014 — keine Bestimmung dergestalt beinhaltet, wonach Bauverfahren, die im Zeitpunkt der Kundmachung der Auflegung des Entwurfs des Bebauungsplanes bereits anhängig waren, durch die Änderung des Bebauungsplans nicht berührt werden.
Um vor diesem gesetzlichen Hintergrund der Gefahr einer Anlassverordnungserlassung zu begegnen, wird daher im Gegenstandsfall, bei dem das erste Bauansuchen auf Wiederaufbau vom 18.9.2017 vor der gegenständlichen Auflage und Erlassung des Bebauungsplanes erfolgte — der Auflagebeschluss wurde erst wenige Tage später in der Gemeinderatssitzung vom 21.9.2017 gefasst — dem Vorliegen einer hinreichenden raumordnungsfachlichen Bestandserhebung einerseits, auf deren Basis eine nachvollziehbare Interessensabwägung andererseits vorgenommen wird, welche schließlich in der Erlassung eines Bebauungsplanes gipfelt, besonderes Augenmerk zu widmen sein:
Umgelegt auf den Gegenstandsfall ist daher davon auszugehen, dass dem Verordnungsgeber abverlangt werden muss, die zur Festlegung der Straßenfluchtlinie und Baufluchtlinie führenden verkehrstechnischen Notwendigkeiten und Erfordernisse so hinreichend zu erheben oder erheben zu lassen, dass sie den Bebauungsplan in der gegenständlich erlassenen Form zu tragen vermögen.
Auf die Notwendigkeit der Einholung einer verkehrstechnischen Beurteilung wurde bereits in der Stellungnahme des örtlichen Raumplaners DI […] vom 4.12.2017, welche als raumordnungsfachliche Replik zu den in der Stellungnahme der Beschwerdeführerin vom 9.10.2017 geäußerten Einwänden der betroffenen Grundstückseigentümerin gegen die Erlassung des gegenständlichen Bebauungsplanes durch den Gemeinderat der Gemeinde Angath dienten, ausdrücklich hingewiesen. Dort wurde ausgeführt wie folgt […]:
'Ich wurde von der Gemeindeführung Angath mit der Erstellung eines Bebauungsplanes beauftragt, wobei zu prüfen war, ob der so genannte Stuck-Stadl wieder an der selben Stelle im Dorf errichtet werden soll, oder ob es besser wäre, die Errichtung des Stadls an dieser Stelle nicht mehr zuzulassen.
[…]
Nach neuerlicher Prüfung dieses Sachverhalts erscheint es nicht einleuchtend, dass einerseits Maßnahmen zur Reduzierung der Geschwindigkeit des Verkehrs getroffen werden, andererseits aber bestehende Tempobremsen entfernt werden sollen. Nach neuerlicher Begehung im Sinne der angeführten Aspekte konnte weiters festgestellt werden, dass Hecken, die anstelle von Einfriedungen gepflanzt wurden oder diese unterstützen, an vielen Stellen im Straßenbereich weit, gemessen mit max. 70cm, in den Straßenraum hineinragen.
Auch vis-a-vis des Stuck-Stadls beengt die Hecke im Bereich des Gst Nr 700/1 den Straßenraum. Die Maßnahmen, die [die Beschwerdeführerin] vorschlägt — Reduzierung der Hecke und Verbreiterung des Gehsteiges um dieses Maß mit erhabenen Randsteinen zur Sicherung der Benützung an dieser Stelle — erscheint sinnvoll.
Zusammenfassend möchte ich bestätigen, dass die Argumentationen, die im Einwand vorgebracht werden, durchaus sinnvoll erscheinen und eine gewisse Richtigkeit aufweisen, einen anderen Standpunkt zum Thema Verkehr in Angath aufzeigen. Ein maßgeblicher Punkt, der nicht übersehen werden darf, ist die Unterschriftenliste mit ca 56 Einträgen Angather Bürger, die sich für den Verbleib des Stadls an dieser Stelle aussprechen.
Als von der Gemeinde Angath beauftragter örtlicher Raumplaner empfehle ich dem Gemeinderat von Angath, mit dieser Thematik ein befugtes Ingenieurbüro für Verkehrstechnik zu beauftragen, das überprüft, welche Maßnahmen zur Verkehrssicherheit unbedingt umgesetzt werden müssen. Ich sehe mich außer Stande, dies zu entscheiden.'
Aktenkundig ist aus dem eingeholten Verordnungsakt lediglich, dass eine Besichtigung des Stuckstadls am 28.11.2017 in Anwesenheit zweier Mitglieder des Verkehrsausschusses der Gemeinde Angath und des Verkehrsplaners Ing. […] erfolgt ist. Dabei wurde protokolliert, dass seitens des Verkehrsplaners die geplante Änderung der Baufluchtlinie um 2,5 m entlang der Unteren Dorfstraße und Winklweg begrüßt und von diesem ein näher konkretisierter Vorschlag für die weitere Gestaltung des Gehsteiges gemacht wurde.
Die erste und gleichzeitig einzige schriftliche verkehrstechnische Beurteilung der Festlegungen des Bebauungsplanes wurde erst gut zwei Jahre nach dem Inkrafttreten des Bebauungsplanes von der Gemeinde Angath bei der […] Verkehrsplanung in Auftrag gegeben und datiert vom 23.6.2020. Selbst diese Stellungnahme enthält lediglich eine verkehrstechnische Beurteilung der Straßenfluchtlinie, nicht jedoch eine solche der Baufluchtlinie.
Auch blieb völlig unklar, welche raumordnerischen Überlegungen oder welche Ergebnisse der Bestandsaufnahme iSd §54 TROG 2016 die nachträgliche Erlassung eines Bebauungsplanes für ein ca 600 m² großes Grundstück nach Einbringung des Bauansuchens auf Wiederaufbau des abgebrannten Stuckstadels vom 18.9.2017 geboten haben, dies umso mehr, als dieser Stuckstadl mit Bescheid des Bürgermeisters der Gemeinde Angath vom 14.4.2016, 1/2016, als rechtmäßiger Bestand festgestellt wurde und dessen Wiederaufbau daher gemäß §6 Abs10 und 11 TBO 2018 ohne weiteres zulässig gewesen wäre.
Ein Erläuterungsbericht des örtlichen Raumplaners zum gegenständlichen Bebauungsplan ist nicht Bestandteil des Verordnungsaktes und wurde offenbar nicht erstellt; so bleibt insbesondere unerfindlich, wieso ein im Wohngebiet rechtmäßig bestehender Stuckstadl, somit ein widmungsfremdes und ausschließlich dem Schutz von Sachen dienendes landwirtschaftliches Gebäude, durch einen nur für ebendieses Grundstück konzipierten Bebauungsplan einem nahezu identen Abstandsregime als die umliegenden reinen Wohngebäude in offener Bauweise unterworfen und von der Festlegung einer besonderen Bauweise iSd §60 Abs4 letzter Satz TROG 2016, die für ebensolche (widmungsfremde) Gebäude konzipiert worden ist, abgesehen wurde.
Bis zum heutigen Tag gibt es keinerlei Erhebungen des Verordnungsgebers dazu, inwiefern die konkrete Festlegung der Baufluchtlinie im Hinblick auf das Orts- und Straßenbild und die Gewährleistung der Sicherheit, Leichtigkeit und Flüssigkeit des Verkehrs iSd §59 Abs2 TROG 2016 erforderlich war.
Auch ist nicht zu ersehen, auf welche allgemeinen straßenbaulichen Erfordernisse nach §37 Abs1 des Tiroler Straßengesetzes mit dem gegenständlichen Verlauf der Straßenfluchtlinie Bedacht genommen werden sollte (§58 Abs2 TROG 2016).
Dies, obwohl durch die nachträgliche Erlassung des Bebauungsplanes massivst in Eigentumsrechte der Beschwerdeführerin eingegriffen wurde, da ihr — neben den bereits oben angeführten baurechtlichen Restriktionen — verunmöglicht wurde, den gegenständlichen Stuckstadl unter Verwendung der bestehenden und trotz des Brandes größtenteils unversehrt gebliebenen Steinfundamente wiederaufzubauen. Zu diesem Zweck hätte sie — neben der bautechnischen Sanierung der Fundamente an punktuellen Stellen — lediglich die auf den Fundamenten aufliegende Holzkonstruktion, somit die Seitenwände, und die Überdachung, erneuern müssen. Eine solche Vorgangsweise wäre laut den schlüssigen und glaubwürdigen Aussagen der Beschwerdeführerin anlässlich der Lokalaugenscheine vom 27.3.2019 und 6.10.2020 aus der von der Gebäudeversicherung zugesagten Deckungssumme — anders als der durch den Bebauungsplan ermöglichte Neubau an anderer Stelle mit völlig anderen Ausmaßen — zu bewerkstelligen gewesen.
Seitens des Gefertigten wurde die diesem Antrag zu Grunde liegende Rechtsansicht der zu prüfenden Gesetzwidrigkeit des zu Grunde liegenden Bebauungsplanes dem Bürgermeister der Gemeinde Angath bereits anlässlich des Lokalaugenscheines vom 27.3.2019 mitgeteilt und über einen Zeitraum von nunmehr nahezu zwei Jahren versucht, eine gütliche und gleichsam pragmatische Lösung zwischen der Gemeinde Angath und [der Beschwerdeführerin] ohne Verordnungsprüfung durch den Verfassungsgerichtshof zu erzielen, bei der einerseits der Beschwerdeführerin der weitest gehende Wiederaufbau des Stuckstadls in den Bestandsausmaßen, andererseits der Gemeinde Angath die mit der Festlegung der Straßenfluchtlinie beabsichtigte und grundsätzlich begrüßenswerte Verbreiterung des Gehsteiges im Bereich der Unteren Dorfstraße, ermöglicht wird.
Anlässlich des Lokalaugenscheines vom 6.10.2020 wurde der Gemeinde von der Beschwerdeführerin erneut ein Kompromissvorschlag dergestalt unterbreitet, dass sie im südöstlichen Bereich des Baugrundstückes gewillt sei, die Außenmauern des Stuckstadels entsprechend der festgelegten Straßenfluchtlinie in Richtung ihres Baugrundstückes zu verschieben, sodass durch den Wiederaufbau die Festlegungen der Straßenfluchtlinie vollständig eingehalten werden. Damit hätte auch die seitens der Gemeinde Angath angestrengte Verbreiterung des Gehsteiges bei der Unteren Dorfstraße verwirklicht werden können, wenn für die Bauwerberin sichergestellt ist, dass sich der restliche Wiederaufbau an den bestehenden Fundamenten des Stuckstadls orientieren kann.
Nach zunächst vorsichtig positiven Signalen des Bürgermeisters der Gemeinde Angath teilte dieser schließlich telefonisch mit, dass er nach erfolgter Rücksprache mit dem neuen Ortsplaner der Gemeinde Angath nicht gewillt sei, den gegenständlichen Bebauungsplan aufzuheben oder hinsichtlich der Baufluchtlinie abzuändern.
Da es sich bei Straßenfluchtlinien, Baufluchtlinien und Bauweisen gemäß §56 Abs1 TROG 2016 um verpflichtende Inhalte des Bebauungsplanes handelt, ist von der allfälligen Gesetzwidrigkeit dieser Festlegungen der gesamte Bebauungsplan betroffen."
3. Der Gemeinderat der Gemeinde Angath hat die Akten betreffend das Zustandekommen der angefochtenen Verordnung vorgelegt und eine Äußerung erstattet, in der den im Antrag erhobenen Bedenken wie folgt entgegengetreten wird (ohne Hervorhebungen im Original):
"[…] Zur durchgeführten Grundlagenforschung
[…]
Vor Beschlussfassung über den nunmehr dem VfGH vorgelegten Bebauungsplan durch den Gemeinderat im Rahmen der Sitzung vom 22.03.2018 wurde, nachdem die Grundeigentümerin […] gegen den am 21.09.2017 beschlossenen Entwurf eines Bebauungsplans für das Gst 701/4 KG Angath eine Stellungnahme einbrachte, eine raumordnungsfachliche Stellungnahme zu den von der Grundeigentümerin erhobenen Einwänden durch den Raumplaner […] eingeholt. Wie dessen Stellungnahme vom 04.12.2017 entnommen werden kann, wurde von diesem schon allein aus raumordnungsfachlicher Sicht empfohlen, 'cirka dieselben Abstände zur Straße festzulegen, wie dies bei anderen bestehenden Wohngebäuden im Ortsbereich ersichtlich ist' […]. Abschließend hielt der Sachverständige fest, dass der 'Stadl [...] grundsätzlich auf dem Grundstück wieder errichtbar [ist], jedoch nicht mehr an derselben Stelle'.
Zudem fand, wie der verkehrstechnischen Stellungnahme des Ingenieurbüros für Verkehrswesen […] vom 23.06.2020, schon am 28.11.2017 ein Ortsaugenschein mit dem verkehrstechnischen Sachverständigen Ing. […] statt, im Zuge dessen festgestellt wurde, dass eine Aufweitung des Straßenraumes im Bereich des Gst 701/4 notwendig sei.
Auf Basis des durchgeführten Lokalaugenscheins mit Ing. […] vom 28.11.2017 sowie der eindeutigen Stellungnahme des Raumplaners […], die sich auch nochmals in den Erläuterungen zum Bebauungsplan vom 04.12.2017 wiederfinden, fasste der Gemeinderat der Gemeinde Angath am 13.12.2017 den Beschluss über den überarbeiteten Bebauungsplan. Dieser Bebauungsplan wurde nach nochmaliger Stellungnahme durch Frau […] im Rahmen der Gemeinderatssitzung vom 22.03.2018 bestätigt.
Sowohl der normierten Straßenfluchtlinie als auch der festgelegten Baufluchtlinien lagen sohin umfassende und fachkundig unterstützte Erhebungen auf Sachverhaltsebene zugrunde, sodass keinesfalls davon die Rede sein kann, dass eine den gesetzlichen Erfordernissen entsprechende Grundlagenerhebung nicht stattfand.
[…] Zur Erkennbarkeit der Entscheidungsgrundlagen
Nach der ständigen Rechtsprechung des VfGH müssen die Entscheidungsgrundlagen für einen Bebauungsplan erkennbar und dokumentiert sein (VfSlg 18.640/2008). Allerdings ist nicht jede einzelne Festlegung eines Bebauungsplanes (zB die Höhe jedes einzelnen Gebäudes) zu begründen, sondern muss nur die dahinter stehende allgemeine Planungsabsicht erkennbar bleiben (VfSlg 16.896/2003, 17.224/2004). Gesetzwidrig ist ein Plan nur dann, wenn die Entscheidungsgrundlagen so mangelhaft sind, dass eine Aussage darüber, ob er den gesetzlich vorgegebenen Zielen entspricht, nicht möglich ist (VfSlg 8280/1978, 8330/1978).
Im Hinblick auf den vorliegenden Fall ist nunmehr festzuhalten, dass die Entscheidungsgrundlagen, auf deren Basis der Entwurf des Bebauungsplans am 13.12.2017 sowie der Bebauungsplan am 22.03.2018 beschlossen wurde, in den Erläuterungen zum Bebauungsplan 'Winklweg-Embacher' des raumordnungsfachlichen Sachverständigen […] vom 04.12.2017 eindeutig zum Ausdruck kommen. Auch wenn der raumordnungsfachliche Sachverständige im Erläuterungsbericht verweist, dass die verkehrliche Situation von einem technischen Büro mit entsprechender Befugnis zu erfolgen habe (S. 4), so wurde von diesem schon 'ungeachtet von der verkehrlichen Situation' empfohlen, 'einen Bebauungsplan zu erlassen, in dem die Abstände allfälliger Gebäude von den Grundgrenzen [...]' geregelt werden. Doch nicht nur die damit eindeutig erkennbaren Grundlagen für die Definition der Baufluchtlinie lagen vor, auch das von der Gemeinde intendierte Planungsziel im Hinblick auf die Normierung der Straßenfluchtlinie ist dem Erläuterungsbericht zweifellos zu entnehmen. So führt der raumordnungsfachliche Sachverständige […] im Erläuterungsbericht vom 04.12.2017 aus:
'Der Stadl ist grundsätzlich auf dem Grundstück wieder errichtbar, jedoch nicht mehr an derselben Stelle. Um die Fahrbahn verbreitern zu können wird empfohlen, die Hecke bei Gst Nr700/1 auf das Maß der Grundgrenze zurückzuschneiden. Wie schon erwähnt, ist die Aufweitung des Straßenraums für die Verbreiterung des Gehsteiges und die Herstellung der Hochbordkante zulässig'.
Das verkehrstechnische Planungsziel der Gemeinde, nämlich eine Verbreiterung der 'Unteren Dorfstraße' ist sohin aus den – dem am 22.3.2018 beschlossenen Bebauungsplan zugrundeliegenden – Planungsgrundlagen eindeutig entnehmbar. Weitergehende Erhebungen auf Sachverhaltsebene waren aus Sicht der Gemeinde Angath zum damaligen Zeitpunkt sohin nicht erforderlich, zumal das Planungsinteresse – die Verbreiterung der 'Unteren Dorfstraße' – eindeutig war und das Mittel zur Umsetzung dieses Interesses, die Normierung einer Straßenfluchtlinie ob Gst 701/4 KG Angath sich als alternativlos darstellte. Zudem wurde die Straßenfluchtlinie auch keinesfalls überschießend, sondern mit einem Abstand von 90 cm festgelegt, damit die 'Untere Dorfstraße' – Fahrbahnbreite von insgesamt 6,00 Metern (zzgl. 50 cm Bankett) erreicht. Im Falle der Errichtung eines Gehsteiges muss diese sogar unter Berücksichtigung der normierten Straßenfluchtlinie auf maximal 4,5 Meter reduziert werden, wie sich der verkehrstechnischen Stellungnahme de[s] Ingenieurbüro für Verkehrswesen […] vom 23.06.2020 entnehmen lässt.
Eine weitergehende Abklärung, insbesondere die – nachträglich noch erfolgte – Einholung einer schriftlichen verkehrstechnischen Stellungnahme (eine mündliche lag ja bereits vor) stellte sich sohin für den verordnungserlassenden Gemeinderat als nicht notwendig dar. Aus Sicht des verordnungserlassenden Gemeinderates würde es die Anforderungen an die Erhebung von Grundlagen auch weit überspannen, wenn zusätzlich zur Einholung einer raumordnungsfachlichen Stellungnahme samt Erläuterungsbericht auch für jedwede Normierung einer Straßenfluchtlinie ein verkehrstechnisches Gutachten eingeholt werden müsste, dies insbesondere in einem Fall wie dem vorliegenden, in welchem sowohl das Planungsziel der Gemeinde offenkundig als auch sachlich gerechtfertigt ist, wie nachfolgend noch näher ausgeführt werden wird.
Die Ansicht des antragstellenden Verwaltungsgerichts, wonach keinerlei Erhebungen des Verordnungsgebers dazu vorgenommen wurden, inwiefern die konkrete Festlegung der Baufluchtlinie im Hinblick auf das Orts- und Straßenbild und die Gewährleistung der Sicherheit, Leichtigkeit und Flüssigkeit des Verkehrs iSd §59 Abs2 TROG 2016 erforderlich war, ist sohin ebenso unrichtig wie die Meinung, dass nicht ersichtlich sei, auf welche allgemeinen straßenbaulichen Erfordernisse nach §37 TirStrG mit dem gegenständlichen Verlauf der Straßenfluchtlinie Bedacht genommen wurde. Vielmehr soll, wie nachfolgend noch näher dargetan war, mit den getroffenen Festlegungen eine Gefahrenquelle und Engstelle entschärft werden.
[…] Zur sachlichen Begründung der getroffenen Festlegungen
[…]
Wie sich aus den Erläuterungen zum Bebauungsplan 'Winklweg-Embacher' vom 04.12.2017 ergibt, verjüngte die Ostseite bzw das Nordosteck des Gebäudes die Untere Dorfstraße um ca 2 Meter, sodass die Sicht auf die Kreuzung bzw von der Kreuzung in Gegenrichtung nicht möglich war. In Anbetracht dieser Sichtbehinderung ist die Normierung der Baufluchtlinie mit einem Abstand von 2,5 bzw 4 Metern zur Grundgrenze parallel zu den Straßenfluchtlinien jedenfalls gerechtfertigt. Ziel einer Baufluchtlinie gemäß §59 TROG 2016 ist es nämlich, dass das Orts- und Straßenbild und die Sicherheit, Leichtigkeit und Flüssigkeit des Verkehrs nicht beeinträchtigt werden und eine ausreichende Belichtung und Belüftung der straßenseitig gelegenen Räume gewährleistet ist. Wie sich aus dem ob zitierten Erläuterungsbericht vom 04.12.2017 eindeutig ergibt, beeinträchtigte der Stadel bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt die dem Verordnungsgeber von §59 Abs2 TROG 2016 vorgegebenen Ziele.
Wie bereits weiter oben dargetan, steht auch die Sachlichkeit der normierten Straßenfluchtlinie außer Zweifel: Wie das Ingenieurbüro für Verkehrswesen […] im Rahmen seiner Stellungnahme vom 23.06.2020 ausführt, sollte die mit der gegenständlichen Straßenfluchtlinie vorgesehen Gesamtbreite der Straße (unter Berücksichtigung eines Straßenbanketts von insgesamt 0,5 Metern, eines Gehsteigs mit mindestens 1,5 Metern und eines Verkehrsraums für die Begegnung von Pkw/Pkw mit mindestens 4,5 Metern) im Ausmaß von 6,5 Metern nicht unterschritten werden, um die Leichtigkeit und Flüssigkeit des Verkehrs gewährleisten zu können.
Am 06.10.2020 erfolgte darüber hinaus auch noch ein Lokalaugenschein des LVwG Tirol vor Ort im Beisein des Amtssachverständigen [...], der die normierte Straßenfluchtlinie ebenfalls ausdrücklich für notwendig befunden hat.
Insgesamt stellen sich die Festlegungen sohin als notwendig, geeignet und verhältnismäßig dar, um die Planungsinteressen und -ziele der Gemeinde Angath zu verwirklichen. Es wird der Beschwerdeführerin […] auch nicht verunmöglicht, den Stuckstadel wieder zu errichten, lediglich die Position bzw die Ausrichtung desselben müsste sich verändern.
[…] Abschließende rechtliche Bemerkungen
Wenn das antragstellende Landesverwaltungsgericht abschließend vermeint, dass es sich um eine unzulässige 'Anlassverordnungsgebung' handle, so ist diesbezüglich auszuführen wie folgt: Es ist der Rechtsordnung inhärent, dass sich diese im Wandel befindet. Aus diesem Grund besteht keinerlei Anspruch darauf, dass eine Gemeinde für ein Grundstück mangels Vorliegen eines Bebauungsplans noch nicht definierte Planungsziele normiert oder auch Bebauungspläne abändert, wenn sich die Planungsziele oder -interessen ändern. Der Verfassungsgerichtshof hat sogar im Falle wohlerworbener Rechte, worum es sich vorliegenden Fall jedoch gar nicht handelt, dargetan, dass keine Verfassungsvorschrift den Schutz dieser Rechte gewährleistet, so dass es in den rechtspolitischen Gestaltungsspielraum des Gesetz- und Verordnungsgebers fällt, eine einmal geschaffene Rechtsposition auch zu Lasten des Betroffenen zu verändern (VfSlg 3665/1959;3768/1960; 3836/1960; Erk.v. 18.03.1987, G255/86; JBl 1988, 442).
Wie bereits oben ausgeführt, lag es auch keinesfalls im Interesse des Verordnungsgebers, ein bestimmtes Bauvorhaben durch die Erlassung eines Bebauungsplans 'zu verhindern'; vielmehr besteht ein eminentes öffentliches Interesse daran, die vormals bestehende Sichtbehinderung des Stuckstadels ob Gst 701/4 KG Angath nicht erneut zu schaffen und damit eine Verkehrsbehinderung und Gefahrenquelle zu prolongieren. Wenn das Verwaltungsgericht behauptet, dass eine 'Anlassverordnungsgebung' vorliege, ist dem entgegenzuhalten, dass freilich bis zum Verschwinden des Stuckstadels keine Möglichkeit bestand, regulierend auf das Gst 701/4 KG Angath einzugreifen, weshalb erst nach dem Brandereignis vom 29.04.2017 überhaupt eine Bebauungsplanerlassung in Frage kam. Eine unzulässige Anlassverordnungsgebung liegt daher keinesfalls vor.
Im Hinblick auf die vom Landesverwaltungsgericht zitierte Bestimmung des §6 Abs10 iVm Abs11 TBO 2018 ist schließlich auszuführen, dass diese Normen einen ausdrücklichen Vorbehalt für die Wiederrichtung von zerstörten Gebäuden kennen, nämlich dass kein Widerspruch zu einem Bebauungsplan besteht (vgl §6 Abs10 litd TBO 2018). Darin kommt eindeutig zum Ausdruck, dass der Bauordnungsgesetzgeber das Planungsinteresse der Gemeinde über das Interesse des Bauwerbers stellt, ein zerstörtes Gebäude an der vorigen Stelle jedenfalls wieder zu errichten."
4. Die Beschwerdeführerin im Verfahren vor dem antragstellenden Gericht hat im verfassungsgerichtlichen Verfahren als beteiligte Partei eine Äußerung erstattet, in der sie sich den Bedenken des antragstellenden Gerichtes anschließt und unter anderem darauf hinweist, dass die Gemeinde Angath die von ihr als Missstand erachtete "gefährliche Engstelle" selbst geschaffen habe, indem sie noch im Jahr 1999 dem Besitzer des gegenüberliegenden Gebäudes erlaubt habe, so nahe an die Straße heranzubauen. Ferner gelte im Bereich des "Stuckstadls" bis heute keine Geschwindigkeitsbegrenzung und die Bewohner der in unmittelbarer Nähe gelegenen Wohnanlage hätten um den Wiederaufbau des Stadls als wirksame Tempobremse gebeten.
5. Die Tiroler Landesregierung hat die Bezug habenden Verordnungsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Äußerung aber abgesehen.
IV. Erwägungen
1. Zur Zulässigkeit des Antrages
1.1. Der Verfassungsgerichtshof ist nicht berechtigt, durch seine Präjudizialitätsentscheidung das antragstellende Gericht an eine bestimmte Rechtsauslegung zu binden, weil er damit indirekt der Entscheidung dieses Gerichtes in der Hauptsache vorgreifen würde. Gemäß der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes darf daher ein Antrag iSd Art139 Abs1 Z1 B-VG nur dann wegen Fehlens der Präjudizialität zurückgewiesen werden, wenn es offenkundig unrichtig (denkunmöglich) ist, dass die – angefochtene – generelle Norm eine Voraussetzung der Entscheidung des antragstellenden Gerichtes im Anlassfall bildet (vgl etwa VfSlg 15.237/1998, 16.245/2001 und 16.927/2003).
1.2. Im Verfahren ist nichts hervorgekommen, was an der Präjudizialität der angefochtenen Verordnung zweifeln ließe. Wie das Landesverwaltungsgericht Tirol zutreffend ausgeführt hat, hat es den angefochtenen Bebauungsplan "Winklweg-Embacher" unmittelbar anzuwenden, "zumal er die Grundlage der […] bescheidmäßig verfügten Abweisung des Bauansuchens darstellt".
Der angefochtene Bebauungsplan "Winklweg-Embacher" bezieht sich nur auf das im zugrunde liegenden Baubewilligungsverfahren vor dem Landesverwaltungsgericht Tirol betroffene Grundstück und ist somit zur Gänze präjudiziell. Der Hauptantrag auf Aufhebung des (gesamten) Bebauungsplanes "Winklweg-Embacher" ist daher zulässig.
1.3. Angesichts der Zulässigkeit des Hauptantrages erübrigt es sich, auf den Eventualantrag einzugehen.
2. In der Sache
2.1. Der Verfassungsgerichtshof hat sich in einem auf Antrag eingeleiteten Verfahren zur Prüfung der Gesetzmäßigkeit einer Verordnung gemäß Art139 B-VG auf die Erörterung der geltend gemachten Bedenken zu beschränken (vgl VfSlg 11.580/1987, 14.044/1995, 16.674/2002). Er hat sohin ausschließlich zu beurteilen, ob die angefochtene Bestimmung aus den in der Begründung des Antrages dargelegten Gründen gesetzwidrig ist (VfSlg 15.644/1999, 17.222/2004).
2.2. Der Antrag ist nicht begründet:
2.3. Das Landesverwaltungsgericht Tirol macht im Wesentlichen zwei Bedenken geltend: Erstens sei vor Erlassung des Bebauungsplanes "Winklweg-Embacher" keine hinreichende Grundlagenforschung durchgeführt worden. Zweitens seien die Entscheidungsgrundlagen des Verordnungsgebers nicht hinreichend erkennbar; insbesondere sei nicht zu ersehen, auf welche allgemeinen straßenbaulichen Erfordernisse nach §37 Abs1 Tiroler Straßengesetz mit dem Verlauf der Straßenfluchtlinie Bedacht genommen werden sollte, und es seien keine Erhebungen durchgeführt worden, inwiefern die konkrete Festlegung der Baufluchtlinie im angefochtenen Bebauungsplan erforderlich sei.
2.4. Zum Vorbringen, dass im Hinblick auf den Bebauungsplan "Winklweg-Embacher" keine hinreichende Grundlagenforschung durchgeführt worden sei:
2.4.1. Maßgeblich für die Beurteilung der Gesetzmäßigkeit des angefochtenen Bebauungsplanes ist §54 Abs1 TROG 2016 idF LGBl 110/2019, demzufolge in den Bebauungsplänen unter Berücksichtigung der Ziele der örtlichen Raumordnung, des örtlichen Raumordnungskonzeptes, des Flächenwidmungsplanes und der Ergebnisse der Bestandsaufnahme die verkehrsmäßige Erschließung und die Art der Bebauung des Baulandes, von Sonderflächen und von Vorbehaltsflächen festzulegen sind.
2.4.2. Ein Bebauungsplan entspricht diesen Kriterien nur dann, wenn ihm – ob vom Gesetzgeber ausdrücklich vorgesehen oder nicht (vgl VfSlg 15.011/1997) – eine entsprechende Grundlagenforschung vorangegangen ist. Die Grundlagenforschung hat im Allgemeinen aus Überlegungen zu bestehen, die die Grundlage für die jeweilige Planungsentscheidung bilden und als solche auch erkennbar und nachvollziehbar sind (zB VfSlg 14.537/1996, 19.075/2010).
2.4.3. Der Verfassungsgerichtshof sieht die Erfordernisse der hinreichenden Grundlagenforschung in Bezug auf den Bebauungsplan "Winklweg-Embacher" als erfüllt an:
Aus den vorgelegten Akten der verordnungserlassenden Behörde und der Tiroler Landesregierung ergibt sich, dass die verordnungserlassende Behörde eine hinreichende Grundlagenforschung durchgeführt hat. In einer Sitzung des Gemeinderates der Gemeinde Angath am 21. September 2017 wurde anhand einer ersten raumordnungsfachlichen Beurteilung über die Absicht der Erlassung eines Bebauungsplanes für den Bereich des Grundstückes bzw eine Anpassung der Baufluchtlinien und eine Verbreiterung des Gehsteiges in diesem Zusammenhang diskutiert. Ferner wurde die Auflage eines Entwurfes eines Bebauungsplanes beschlossen, die von 25. September bis 23. Oktober 2017 erfolgte. Innerhalb dieser Frist brachte die beteiligte Partei eine Stellungnahme ein. Am 28. November 2017 führte der Verkehrsausschuss der Gemeinde Angath im Rahmen einer Sitzung einen Lokalaugenschein beim Grundstück im Beisein eines Verkehrsplaners durch. Wie aus dem Sitzungsprotokoll hervorgeht, begrüßte der Verkehrsplaner eine Änderung der Baufluchtlinie um 2,5 m und schlug die Weiterführung eines leicht erhöhten Gehsteiges in diesem Bereich vor, um den Verkehrsfluss zu entschleunigen. Aus der in weiterer Folge überarbeiteten raumplanungsfachlichen Stellungnahme in der Fassung vom 4. Dezember 2017 geht unter anderem hervor:
"Aus raumordnungsfachlicher Sicht ist Folgendes anzumerken:
Zum Zeitpunkt der Errichtung des Stadls vor rund 200 Jahren befand sich die Position vermutlich außerhalb des Dorfes an einem Weg nach Oberlangkampfen. Damals war das Planungsinstrument 'Raumordnung' noch nicht erfunden bzw notwendig.
Im Jahr 2017 befindet sich die bebaute Parzelle im zentralen Mittelteil der Siedlungsentwicklung in Angath, mitten im Bauland — Wohngebiet […].
Dass im Wohngebiet ein Stadl für Lagerzwecke errichtet w