TE Vfgh Erkenntnis 2022/9/19 E4145/2021 ua

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 19.09.2022
beobachten
merken

Index

L7400 Fremdenverkehr, Tourismus

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gerichtsakt
StGG Art2
Oö TourismusG 2018 §54
VfGG §7 Abs2
  1. B-VG Art. 7 heute
  2. B-VG Art. 7 gültig ab 01.08.2013 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 114/2013
  3. B-VG Art. 7 gültig von 01.01.2004 bis 31.07.2013 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 100/2003
  4. B-VG Art. 7 gültig von 16.05.1998 bis 31.12.2003 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 68/1998
  5. B-VG Art. 7 gültig von 14.08.1997 bis 15.05.1998 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 87/1997
  6. B-VG Art. 7 gültig von 01.07.1988 bis 13.08.1997 zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 341/1988
  7. B-VG Art. 7 gültig von 01.01.1975 bis 30.06.1988 zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 444/1974
  8. B-VG Art. 7 gültig von 19.12.1945 bis 31.12.1974 zuletzt geändert durch StGBl. Nr. 4/1945
  9. B-VG Art. 7 gültig von 03.01.1930 bis 30.06.1934
  1. VfGG § 7 heute
  2. VfGG § 7 gültig ab 22.03.2020 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 16/2020
  3. VfGG § 7 gültig von 01.01.2015 bis 21.03.2020 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 101/2014
  4. VfGG § 7 gültig von 01.01.2015 bis 31.12.2014 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 92/2014
  5. VfGG § 7 gültig von 01.03.2013 bis 31.12.2014 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 33/2013
  6. VfGG § 7 gültig von 01.07.2008 bis 28.02.2013 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 4/2008
  7. VfGG § 7 gültig von 01.01.2004 bis 30.06.2008 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 100/2003
  8. VfGG § 7 gültig von 01.10.2002 bis 31.12.2003 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 123/2002
  9. VfGG § 7 gültig von 01.01.1991 bis 30.09.2002 zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 329/1990
  10. VfGG § 7 gültig von 01.07.1976 bis 31.12.1990 zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 311/1976

Leitsatz

Verletzung im Gleichheitsrecht durch Vorschreibung einer Freizeitwohnungspauschale nach dem Oö TourismusG 2018; keine Abgabepflicht für Freizeitwohnungen, die trotz ernsthafter Vermietungsabsicht längere Zeit nicht vermietet werden können; Unterlassung von Ermittlungen, ob für sämtliche Wohnungen eine Nutzung als Freizeitwohnung auszuschließen ist

Spruch

I. Die Beschwerdeführerin ist durch die angefochtenen Erkenntnisse im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz (Art7 Abs1 B-VG) verletzt worden.

Die Erkenntnisse werden aufgehoben.

II. Das Land Oberösterreich ist schuldig, der Beschwerdeführerin zuhanden ihrer Rechtsvertreter die mit € 3.096,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerden und Vorverfahren

1. Die Beschwerdeführerin ist Eigentümerin einer Liegenschaft in der Marktgemeinde St. Georgen an der Gusen, auf der sich unter anderem eine Wohnung mit einem ungefähren Flächenausmaß von 50 m2 befindet. Die Wohnung war zuletzt im Jahr 2019 vermietet. Danach war eine Nutzung der Wohnung nicht möglich, weil die Beschwerdeführerin in der Wohnung Sanierungsarbeiten durchführen musste.

2. Mit Bescheid des Bürgermeisters der Marktgemeinde St. Georgen an der Gusen vom 3. Juli 2020 wurden der Beschwerdeführerin für die eben genannte Wohnung für das Kalenderjahr 2019 die Freizeitwohnungspauschale in der Höhe von € 108,– und ein Zuschlag in der Höhe von € 216,– vorgeschrieben. Für das Kalenderjahr 2020 wurden der Beschwerdeführerin mit Bescheid des Bürgermeisters der Marktgemeinde St. Georgen an der Gusen vom 29. April 2021 die Freizeitwohnungspauschale in der Höhe von € 108,– und ein Zuschlag in der Höhe von € 216,– vorgeschrieben.

3. Die gegen diese Bescheide erhobenen Beschwerden wies das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich mit Entscheidungen vom 22. September 2021 als unbegründet ab.

4. Gegen diese Entscheidungen richten sich die vorliegenden, auf Art144 B-VG gestützten Beschwerden, in welchen die Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz und auf Unversehrtheit des Eigentums sowie die Verletzung in Rechten wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes (§§54 bis 57 Oö TG 2018) behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Erkenntnisse beantragt werden.

5. Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich hat die Gerichts- und Verwaltungsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift jedoch abgesehen.

II. Rechtslage

§54 des Landesgesetzes zur Förderung des Tourismus in Oberösterreich (Oö Tourismusgesetz 2018 – Oö TG 2018), LGBl 3/2018, idF LGBl 55/2019 lautet:

"2. Unterabschnitt

Freizeitwohnungen

§54

Abgabenpflicht

(1) Das Land erhebt auf Freizeitwohnungen eine Abgabe nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen.

(2) Freizeitwohnungen sind Wohnungen im Sinn des §2 Z4 des Bundesgesetzes über das Gebäude- und Wohnungsregister (GWR-Gesetz), die

1. in das Gebäude- und Wohnungsregister eingetragen sind und

2. länger als 26 Wochen keinen Hauptwohnsitz darstellen und

3. nicht überwiegend zu folgenden Zwecken benötigt werden:

a) als Gästeunterkunft im Sinn des §47 Abs2;

b) zur Erfüllung der Schulpflicht oder zur Absolvierung des Besuchs einer allgemein bildenden höheren oder berufsbildenden Schule oder einer Hochschule oder zur Absolvierung einer Lehre;

c) zur Ableistung des Wehr- oder Zivildienstes;

d) zur Berufsausübung, insbesondere als Pendlerin bzw Pendler;

e) zur Unterbringung von Dienstnehmerinnen bzw Dienstnehmern.

(3) Nicht als Freizeitwohnung gilt eine Wohnung, wenn seit mindestens fünf Jahren auf demselben Grundstück

1. zumindest eine Person durchgehend mit Hauptwohnsitz wohnt,

2. keine Wohnung als Gästeunterkunft verwendet wird und

3. nicht Personen wohnen, die keine nahen Angehörigen im Sinn des §2 Abs7 Oö Grundverkehrsgesetz 1994 sind.

Ein Hauptwohnsitz ist nicht erforderlich, solange dieser aus gesundheitlichen oder altersbedingten Gründen aufgegeben werden muss.

(3a) Nicht als Freizeitwohnungen gelten überdies Wohnungen, die nicht vermietet sind und im Eigentum einer gemeinnützigen Bau-, Wohnungs- und Siedlungsvereinigung oder eines Unternehmens, dessen Betriebsgegenstand die Schaffung von Wohnraum ist, stehen.

(4) Länger als zwei Monate auf Campingplätzen abgestellte Wohnwagen, Wohnmobile oder Mobilheime (Dauercamper) gelten als Freizeitwohnungen."

III. Erwägungen

1. Die – zulässigen – Beschwerden sind begründet.

2. Eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz kann nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (zB VfSlg 10.413/1985, 14.842/1997, 15.326/1998 und 16.488/2002) nur vorliegen, wenn die angefochtene Entscheidung auf einer dem Gleichheitsgebot widersprechenden Rechtsgrundlage beruht, wenn das Verwaltungsgericht der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat.

Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 8808/1980 mwN, 14.848/1997, 15.241/1998 mwN, 16.287/2001, 16.640/2002).

3. Ein solcher Fehler ist dem Landesverwaltungsgericht Oberösterreich unterlaufen.

3.1. Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich stellt fest, dass die Beschwerdeführerin Eigentümerin des gegenständlichen Wohnobjektes mit einer Nutzfläche von über 50 m2 ist. Die Beschwerdeführerin hat im Wesentlichen vorgebracht, dass die Wohnung sich in einem Mehrparteienhaus befinde, welches 2005 errichtet wurde. Die Wohnung wurde seit der Errichtung bis zum Jahr 2019 vermietet. Auf Grund des desolaten Zustands der Wohnung hätten die ursprünglich geplanten Sanierungsmaßnahmen nicht ausgereicht, um das Objekt an einen neuen Mieter übergeben zu können, zudem hätten sich Verzögerungen hinsichtlich der Sanierung ergeben.

3.2. Indem das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich allein aus dem Umstand, dass die Wohnung im Jahr 2019 und im Jahr 2020 jeweils länger als 26 Wochen keinen Hauptwohnsitz dargestellt hat und nicht zu einem der in §54 Abs2 Z3 Oö TG 2018 genannten Zwecke genutzt worden ist, die Schlussfolgerung zieht, dass für die Wohnung der Beschwerdeführerin Abgabepflicht besteht, hat es die Rechtslage verkannt:

Wie der Verfassungsgerichtshof im Erkenntnis vom 23. Juni 2022, E710/2021, festgehalten hat, hat der Landesgesetzgeber mit der Abgabe auf Freizeitwohnungen eine Fremdenverkehrsabgabe geregelt. Aus dieser Belastungskonzeption folgt, dass in verfassungskonformer Auslegung des §54 Abs1 und 2 Oö TG 2018 eine Abgabepflicht nicht für den Zeitraum der Sanierung einer Wohnung eintreten kann, die bis zur Sanierung vermietet war und nach Abschluss der Sanierung zur weiteren Vermietung bestimmt ist, da in einem solchen Fall keine Umstände ersichtlich sind, die eine Nutzung für Freizeitzwecke indizieren.

3.3. Indem das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich der Vorschrift des §54 Abs2 Oö TG 2018 einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt (vgl VfGH 23.6.2022, E710/2021) und vor dem Hintergrund des vorliegenden Sachverhaltes Ermittlungen dahingehend unterlassen hat, ob für die Wohnung eine Nutzung als Freizeitwohnung auszuschließen ist, hat es Willkür geübt.

IV. Ergebnis

1. Die Beschwerdeführerin ist somit durch die angefochtenen Erkenntnisse im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt worden.

Die Erkenntnisse sind daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– sowie zwei Eingabengebühren gemäß §17a VfGG in der Höhe von € 480,– enthalten.

Schlagworte

Fremdenverkehr, Abgaben, Wohnsitz Freizeit-, Entscheidungsbegründung, Auslegung verfassungskonforme

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2022:E4145.2021

Zuletzt aktualisiert am

28.11.2022
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten