TE Vwgh Erkenntnis 1996/2/21 92/14/0057

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Veröffentlicht am 21.02.1996
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Index

20/01 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB);
32/01 Finanzverfahren allgemeines Abgabenrecht;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

ABGB §871;
AVG §63 Abs4 impl;
BAO §255 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Weiss sowie die Hofräte Dr. Karger, Dr. Graf, Mag. Heinzl und Dr. Zorn als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Traudtner, über die Beschwerde der M & R GmbH & Co KG in I, vertreten durch Dr. P, Rechtsanwalt in I, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Tirol vom 31. Mai 1991, 30.534-3/89, betreffend Zurückweisung einer Berufung, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen von 4.565 S binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Anläßlich seines Ausscheidens aus der in der Rechtsform einer KG geführten Beschwerdeführerin entnahm deren Gesellschafter Dr. SM im Betriebsvermögen der Beschwerdeführerin befindliche Liegenschaften.

Im Zug einer das Jahr 1986 betreffenden abgabenbehördlichen Prüfung stellte der Prüfer fest, die Werte des Grund und Bodens seien in den Bilanzen der Beschwerdeführerin nie ausgewiesen worden, weswegen anläßlich der Entnahme der Liegenschaften lediglich der Wert der Gebäude, nicht jedoch der des Grund und Bodens erfaßt worden sei. Der Prüfer ersuchte daher die Beschwerdeführerin um Stellungnahme sowie um Bekanntgabe zutreffender Bilanzansätze. Die Beschwerdeführerin regte daraufhin an, die für den Entnahmegewinn maßgeblichen Wertansätze (fiktiver Buchwert, Teilwert) einvernehmlich zu ermitteln. Der Prüfer brachte zunächst einen Buchwert von 600 S je m2 zum 1. Jänner 1983 zum Ansatz und stellte sodann an Hand der Kaufpreissammlung Preise von durchschnittlich 7.300 S je m2 für unbebaute Liegenschaften in vergleichbarer Lage fest. Unter Berücksichtigung eines Bebauungsabschlages gelangte der Prüfer zu einem Wert von 5.000 S je m2. Demgegenüber vertrat die Beschwerdeführerin die Ansicht, es sei lediglich ein solcher von 3.000 S je m2 angemessen. Anläßlich der am 21. Juni 1988 gemäß § 149 Abs 1 BAO abgehaltenen Schlußbesprechung einigten sich die Beschwerdeführerin und der Prüfer im Beisein weiterer Organwalter des Finanzamtes auf einen Wert von 4.000 S je m2. Am 1. September 1988 brannte ein Teil der sich auf den entnommenen Liegenschaften befindlichen Gebäude ab. Am 20. September 1988 verzichtete die Beschwerdeführerin auf die Einbringung einer Berufung gegen die auf Grund der Ergebnisse der abgabenbehördlichen Prüfung noch zu erlassenden Bescheide betreffend einheitliche und gesonderte Feststellung von Einkünften sowie Gewerbesteuer für das Jahr 1986 (in der Folge: Rechtsmittelverzicht). Mit Schreiben vom 2. Dezember 1988 ersuchte die Beschwerdeführerin den Magistrat der Stadt Innsbruck unter Hinweis auf den eingetretenen Totalschaden eines Teiles der sich auf den entnommenen Liegenschaften befindlichen Gebäude um Auskunft, inwieweit sich bei einer Abtragung und Neuerrichtung derselben Minderungen der bisher bestehenden Kubatur auf Grund der Tiroler Bauordnung bzw der Städtischen Bebauungsrichtlinien über die Hofentkernung, Hoffreihaltung und Hofbegrünung ergeben würden. In Beantwortung dieses Schreibens wurde der Beschwerdeführerin am 13. Dezember 1988 mitgeteilt, die durch den Brand beschädigten Gebäude könnten lediglich im bestehenden Umfang saniert werden. Die bisherige Nutzung könne in diesem Fall beibehalten werden, obwohl sie der Flächenwidmung Wohngebiet nicht entspreche. Im Fall des Abbruches und Neubaues von Gebäuden wären die Flächenwidmung sowie die Zielsetzungen des vom Innsbrucker Gemeinderat beschlossenen Stadtentwicklungskonzeptes über die Freihaltung, Entkernung und qualitative Verbesserung von Hofbereichen zu beachten. Diese Zielsetzungen seien bereits in verschiedene Bebauungspläne eingearbeitet worden und bedeuteten zum Teil wesentlich eingeschränkte bauliche Nutzungsmöglichkeiten. Im Zug der Sanierung sollte angestrebt werden, jene Flächen des Hofes, die zur Manipulation für den Betrieb entbehrlich seien, entsprechend (zB Baumpflanzungen, Rasengittersteine) zu gestalten. Am 13. Jänner 1989 überreichte die Beschwerdeführerin dem Finanzamt das eben erwähnte Schreiben vom 13. Dezember 1988. Am 27. Jänner 1989 erließ das Finanzamt im wiederaufgenommenen Verfahren Bescheide betreffend einheitliche und gesonderte Feststellung von Einkünften sowie Gewerbesteuer für das Jahr 1986, wobei es - ohne auf das Schreiben vom 13. Dezember 1988 einzugehen - ebenfalls von einem Wert des entnommenen Grund und Bodens von 4.000 S je m2 ausging und zur Begründung auf den gemäß § 150 BAO erstatteten Bericht verwies.

Die gegen diese Bescheide erhobene Berufung wies die belangte Behörde als unzulässig zurück, wobei sie zur Begründung im wesentlichen die Ansicht vertritt, der von der Beschwerdeführerin behauptete, die Bewertung der Liegenschaften betreffende gemeinsame Irrtum ihres steuerlichen Vertreters und des Prüfers sowie weiterer Organwalter des Finanzamtes, der den Rechtsmittelverzicht unwirksam mache, liege nicht vor, weil der Prüfer bei der Bewertung nicht von gewerblich nutzbarem Bauland ausgegangen sei. Er habe bei der Ermittlung des Wertes des Grund und Bodens die Kaufpreise unbebauter Liegenschaften herangezogen und dem Umstand, daß der Wert des Grund und Bodens bebauter Liegenschaften in der Regel nicht ohne weiteres dem unbebauter Liegenschaften gleichgesetzt werden könne, durch den Bebauungsabschlag Rechnung getragen. Der so ermittelte Wert sei um weitere 1.000 S je m2 reduziert worden. Dieser zusätzliche Abschlag könne nur so verstanden werden, daß damit die baulich geringere Ausnutzbarkeit der Hoffläche sowie die damit naturgemäß verbundenen Bebauungsbeschränkungen berücksichtigt werden sollten. Allerdings habe bei realistischer Einschätzung des Wertes nicht außer Betracht bleiben können, daß der Wert des Grund und Bodens einer Liegenschaft nicht nur im Zusammenhang mit der zulässigen Nutzung auf Grund baubehördlicher Maßnahmen, sondern vielmehr auch im Hinblick auf deren Ertragsmöglichkeit zu sehen sei. Es könne nicht bezweifelt werden, daß selbst die Nutzung von in der Stadt Innsbruck gelegenen Liegenschaftsteilen als Verkehrs- bzw Parkflächen den vom Prüfer angesetzten Wert rechtfertigten. Der vom Prüfer im Schätzungsweg vorgenommenen Bewertung der Liegenschaften seien somit weder deren Nutzungsmöglichkeit als gewerbliches Bauland noch deren uneingeschränkte Bebaubarkeit zugrunde gelegt worden.

Demgegenüber meint die Beschwerdeführerin, es habe zwischen ihrem steuerlichen Vertreter und dem Prüfer sowie weiteren Organwaltern des Finanzamtes über die Bebaubarkeit der Liegenschaften Einvernehmen bestanden. Es liege somit ein gemeinsamer Irrtum iSd § 871 ABGB vor, der ihren Rechtsmittelverzicht unwirksam mache. Darüber hinaus habe sie bei Abgabe des Rechtsmittelverzichtes angesichts der Pflicht des Finanzamtes, den entscheidungswesentlichen Sachverhalt zu ermitteln und auch abgabenmindernde Umstände zu berücksichtigen, darauf vertrauen dürfen, daß eine solche Berücksichtigung auch dann erfolge, wenn derartige Umstände erst nach Abgabe des Rechtsmittelverzichtes, aber noch vor Erlassung der Abgabenbescheide hervorkämen. Durch die Außerachtlassung des vor Bescheiderlassung hervorgekommenen Bauverbotes habe das Finanzamt ein Fehlverhalten gesetzt, mit dem sie bei Abgabe des Rechtsmittelverzichtes nicht habe rechnen müssen. Dem Rechtsmittelverzicht komme daher keine Wirkung zu. Die belangte Behörde habe auch Verfahrensvorschriften verletzt, weil sie sich zur Frage der Angemessenheit des Wertes des Grund und Bodens nicht mit der ihr vorgelegten Untersuchung über Liegenschaftsbewegungen im selben Stadtteil in den Jahren 1984 bis 1986 sowie mit dem ihr ebenfalls vorgelegten Gutachten eines Bausachverständigen auseinandergesetzt habe. Die belangte Behörde habe weiters Verfahrensvorschriften verletzt, weil sie es unterlassen habe, den steuerlichen Vertreter und den Prüfer zu befragen, unter welchen Annahmen die Einigung über den Wert des Grund und Bodens zustande gekommen sei. Schließlich hätte die belangte Behörde bei Beurteilung der Wirksamkeit des Rechtsmittelverzichtes den Irrtum auch dann berücksichtigen müssen, wenn nur der steuerliche Vertreter einem solchen erlegen wäre.

Gegen den im Spruch dieses Erkenntnisses genannten Bescheid wendet sich die, zunächst an den Verfassungsgerichtshof gerichtete und von diesem nach dem ablehnenden Beschluß vom 25. Februar 1992, B 706/91-3, dem Verwaltungsgerichtshof abgetretene, wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde. Die Beschwerdeführerin erachtet sich in ihrem Recht auf meritorische Entscheidung über ihre Berufung verletzt.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragt in ihrer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.

Die Beschwerdeführerin erstattete eine Stellungnahme zur Gegenschrift der belangten Behörde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 255 Abs 1 BAO kann auf die Einbringung einer Berufung verzichtet werden. Nach Abs 2 leg cit kann vor Erlassung ein Verzicht rechtswirksam nur abgegeben werden, wenn aus der Verzichtserklärung (Niederschrift) hervorgeht, daß dem Verzichtenden im Zeitpunkt ihrer Abgabe der Inhalt des zu erwartenden Bescheides, bei Abgabenbescheiden die Grundlagen der Abgabenfestsetzung, die Höhe der Abgabe und die Abweichungen von den bisherigen Festsetzungen, bekannt waren. Eine trotz Verzichts eingebrachte Berufung ist nach Abs 3 leg cit unzulässig.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt einem Rechtsmittelverzicht keine Wirkung zu, wenn dieser Willensäußerung jene allgemeinen Erfordernisse fehlen, die für das Zustandekommen einer rechtsverbindlichen Willenserklärung gelten. Ein Irrtum iSd § 871 ABGB schließt die Wirksamkeit eines Rechtsmittelverzichtes aus. Nach dieser Bestimmung entsteht für den Erklärenden ua dann keine Verbindlichkeit, falls er in einem wesentlichen Irrtum befangen und dieser durch den anderen Teil veranlaßt war. Veranlassen umfaßt in diesem Zusammenhang jedes für die Entstehung des Irrtums ursächliche Verhalten des anderen, im Abgabenverfahren der Organwalter der Abgabenbehörde. Die Irreführung muß weder vorsätzlich noch fahrlässig erfolgen (vgl beispielsweise die Erkenntnisse vom 3. Juni 1953, 213/51, Slg Nr 774/F, und vom 26. Juni 1975, 1268/74, Slg Nr 8860/A).

Im Beschwerdefall ist somit entscheidungswesentlich, ob die Beschwerdeführerin über den Wert des Grund und Bodens im Zeitpunkt der Abgabe des Rechtsmittelverzichtes in einem wesentlichen Irrtum befangen war, wobei dieser durch den Prüfer sowie weitere Organwalter des Finanzamtes veranlaßt worden ist. Daß ein gemeinsamer Irrtum vorgelegen wäre, ist aus der Aktenlage nicht ersichtlich. Denn weder der Prüfer noch weitere Organwalter des Finanzamtes befanden sich hinsichtlich des Wertes des Grund und Bodens in einem Irrtum. Von einem wesentlichen Irrtum der Beschwerdeführerin über den Wert des Grund und Bodens kann jedoch ebensowenig die Rede sein, wie von einer Veranlassung dieses Irrtumes durch den Prüfer sowie weitere Organwalter des Finanzamtes. Die strittigen Liegenschaften befinden sich im Zentrum der Stadt Innsbruck. Für unbebaute Liegenschaften in vergleichbarer Lage hat der Prüfer Preise von durchschnittlich 7.300 S je m2 festgestellt, was von der Beschwerdeführerin konkret nicht in Abrede gestellt wird. Wenn nun der Wert des GESAMTEN Grund und Bodens der entnommenen Liegenschaften unter Berücksichtigung eines Bebauungsabschlages mit 4.000 S je m2 als angemessen angesehen worden ist, liegt kein wesentlicher Irrtum der Beschwerdeführerin über den wahren Wert des Grund und Bodens vor. Denn es wurde nicht ein Teil der Liegenschaften (unbebaubare Hoffläche) entnommen und sodann bewertet, sondern der vom Prüfer zum Ansatz gebrachte Wert bezieht sich auf die Gesamtfläche der Liegenschaften. Es entspricht auch nicht den Tatsachen, daß die Liegenschaften nach der Tiroler Bauordnung bzw nach der Flächenwidmung Wohngebiet überhaupt nicht bebaut werden dürften. Vielmehr ist bei Abbruch und Neuerrichtung, nicht jedoch bei Sanierung der abgebrannten Gebäude ALLEIN die Verbauung der Hoffläche unzulässig. Wie aus dem von der Beschwerdeführerin im Zug des Rechtsmittelverfahrens vorgelegten Gutachten ersichtlich, ist der Wert von Liegenschaften mit größerer Tiefe im städtischen Bereich zweigeteilt zu ermitteln. Es ist zunächst das wertvollere Vorderland und sodann das in seinem Wert geminderte, meist Bebauungsbeschränkungen unterliegende Hinterland zu bewerten. Als Wert für das Hinterland wäre ein Abschlag vom Vorderland von etwa 33 % bis 50 % vorzunehmen. Im vorliegenden Fall ist der Prüfer von vergleichbaren Durchschnittspreisen GESAMTER Liegenschaften von 7.300 S je m2 ausgegangen. Auch diese vergleichbaren Preise könnten in solche für das Vorder- und das Hinterland aufgeteilt werden, beziehen sich jedoch als Durchschnittspreise stets auf die gesamten Liegenschaften. Daß eine unverbaubare Hoffläche allein um 2.000 S je m2 in vergleichbarer Lage verkauft worden sei, wird von der Beschwerdeführerin nicht behauptet. Mit ihrem Vorbringen, die Hoffläche sei nach dem Brand der Gebäude nicht mehr bebaubar gewesen, zeigt die Beschwerdeführerin somit nicht auf, daß sie im Zeitpunkt der Abgabe des Rechtsmittelverzichtes in einem wesentlichen Irrtum über den wahren Wert des GESAMTEN Grund und Bodens befangen gewesen wäre, was den Rechtsmittelverzicht unwirksam machen würde. Die Beschwerdeführerin zeigt auch nicht auf, der von ihr behauptete Irrtum wäre durch den Prüfer oder weitere Organwalter des Finanzamtes veranlaßt worden, was Voraussetzung für die Unwirksamkeit des Rechtsmittelverzichtes wäre. Dem von der Beschwerdeführerin erklärten Rechtsmittelverzicht kommt daher die Wirkung des § 255 Abs 3 BAO zu.

Bei der gegebenen Sach- und Rechtslage erübrigt es sich darauf einzugehen, ob Verfahrensvorschriften insofern verletzt worden sind, als weder der steuerliche Vertreter der Beschwerdeführerin noch der Prüfer befragt worden seien, auf Grund welcher Annahmen die Einigung über den Wert des Grund und Bodens auf 4.000 S je m2 zustande gekommen sei, weil nicht die Frage der Bebaubarkeit der Liegenschaften im Zug der gemäß § 149 Abs 1 BAO abgehaltenen Schlußbesprechung erörtert worden ist, sondern der Wert des GESAMTEN Grund und Bodens.

Die Beschwerde erweist sich somit insgesamt als unbegründet und war daher gemäß § 42 Abs 1 VwGG abzuweisen.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl Nr 416/94.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1996:1992140057.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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