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61/01 Familienlastenausgleich;Norm
FamLAG 1967 §8 Abs4;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Weiss und die Hofräte Dr. Karger, Dr. Graf, Mag. Heinzl und Dr. Zorn als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Traudtner, über die Beschwerde des M in W, vertreten durch Dr. A, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid (Berufungsentscheidung) der Finanzlandesdirektion für Kärnten vom 7. Dezember 1990, Zl 266/3-3/89, betreffend erhöhte Familienbeihilfe, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer bezog für seine im Juni 1971 geborene Tochter seit 1. Juni 1971 Familienbeihilfe gemäß § 8 Abs 2 FLAG 1967 und seit 1. September 1986 (erhöhte) Familienbeihilfe gemäß § 8 Abs 4 leg cit wegen "Hüftdysplasie bds.". Anläßlich der Überprüfung des Anspruches durch das Finanzamt im Jänner 1989 gab der Beschwerdeführer an, daß seine Tochter derzeit ein Gymnasium besuche und ab Herbst 1989 ein Universitätsstudium aufnehmen werde. Vom Beschwerdeführer wurden ärztliche Zeugnisse des Landessonderkrankenhauses S vorgelegt. Im zeitlich letzten dieser Zeugnisse wird ausgeführt, daß die Tochter des Beschwerdeführers im Sinne des § 8 Abs 5 FLAG 1967 erheblich behindert sei, da sie infolge des festgestellten Leidens bzw Gebrechens in der Berufsausbildung voraussichtlich dauernd und wesentlich beeinträchtigt sei. Als festgestellte Leiden bzw Gebrechen werden angeführt:
"Skoliotische Fehlhaltung, Coxa valga bds. Mit einer Absatzerhöhung re. von 0,5 cm ist die WS im Lot, die Hüftköpfe bds. zu 2/3 von den Pfannen überdacht. Da bei Belastung Schmerzen auftreten, wird weiterhin Schonung empfohlen, zur Beweglichkeitserhaltung Schwimmen und Radfahren, jährliche Kontrollen angezeigt."
Mit Bescheid vom 27. Jänner 1989 wurde der Antrag auf Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe für die Zeit ab dem 1. Februar 1989 abgewiesen. Dies im wesentlichen mit der Begründung, daß die Tochter des Beschwerdeführers durch das ärztlich bescheinigte Leiden voraussichtlich nicht dauernd und wesentlich beeinträchtigt erscheine. Die sich auf Grund des Leidens ergebenden Schwierigkeiten in der Berufsausbildung an einer höheren Schule könnten sich nur auf die Sportausübung im Turnunterricht beziehen. Damit liege aber keine erhebliche Behinderung im Sinne des § 8 Abs 5 lit c FLAG 1967 vor.
Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer nach mehrfach verlängerter Rechtsmittelfrist im September 1989 Berufung. Dies im wesentlichen mit der Begründung, daß die Behörde vom Leiden seiner Tochter eine völlig falsche Vorstellung habe. Seine Tochter habe schon bei geringster Bewegung bzw beim Sitzen, Gehen oder Stehen heftige Schmerzen, wodurch eine Entlastung durch sofortiges Liegen erforderlich sei. Seine Tochter sei auf Grund dieser Schmerzen gar nicht in der Lage, der Berufsausbildung jederzeit nachzukommen. Dies richte sich ausschließlich nach ihrem jeweiligen Schmerzzustand. Darüberhinaus sei sie nicht in der Lage, die Schule täglich ohne Hilfe des Beschwerdeführers zu besuchen. Bei den häufigen Schmerzanfällen müsse der Beschwerdeführer seine Tochter mit dem Pkw zur Schule bringen oder sie mit einem Taxi dorthin bringen lassen. Nach Versicherung der Ärzte könnten die Schmerzen seiner Tochter nur durch ständige Therapien gelindert werden. Allein dadurch sei sie in ihrem Studium voraussichtlich dauernd und wesentlich beeinträchtigt. Von einer Operation in ihrem jugendlichen Alter werde abgeraten, weil eine dauernde Erleichterung und Besserung ihres Zustandes von den Ärzten nicht garantiert werden könne. Abgesehen von der physischen Behinderung müsse seine Tochter auch mit allen ihr auferlegten Einschränkungen und den ständigen Schmerzen psychisch fertig werden. Es sei für sie nicht einfach, mehr oder weniger als ein Mensch zweiter Kategorie zu gelten. Mit der Begründung des Abweisungsbescheides setze sich das Finanzamt ganz einfach über ein ärztliches Zeugnis hinweg, welches vom Gesetzgeber als Voraussetzung für die Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe gefordert werde. Folge man im übrigen der Argumentation des Finanzamtes, so würde eine körperliche Behinderung niemals die Berufsausbildung dauernd oder wesentlich beeinträchtigen, weil jedes körperliche Gebrechen nur eine Behinderung in einem speziellen Bereich darstelle. Im vorliegenden Fall wirke sich das Gebrechen seiner Tochter nicht nur auf den Turnunterricht allein aus, sondern auf die gesamte Berufsausbildung. Da der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 20. September 1988, 88/14/0121, zum Ausdruck gebracht habe, daß auch die Schwachsichtigkeit an einem Auge eine erhebliche Behinderung sein könne, schließe der Beschwerdeführer, daß der Verwaltungsgerichtshof ein körperliches Gebrechen auch bei in Berufsausbildung stehenden Kindern als "erhebliche Behinderung" ansehe.
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung als unbegründet ab. Dies im wesentlichen gestützt auf das hg Erkenntnis vom 21. Februar 1990, 89/13/0094, wonach bei einem Kind, das in seinem Zeugnis einen guten (positiven) Schulerfolg aufweise, keine wesentliche Beeinträchtigung in der "Schulbildung (Berufsausbildung)" gegeben sei, selbst wenn dies in den ärztlichen Zeugnissen bestätigt sei. Daß ein entsprechender Schulerfolg im Beschwerdefall vorhanden gewesen sei, werde durch den positiven Abschluß des Gymnasiums und die Ablegung der Matura im Juni 1989 mit ausgezeichnetem Erfolg bewiesen.
Der Beschwerdeführer erhob gegen diesen Bescheid zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, welcher deren Behandlung jedoch mit Beschluß vom 25. Februar 1992, B 87/91-7, gemäß Art 144 Abs 2 B-VG ablehnte und sie über nachträglichen Antrag dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.
Vor dem Verwaltungsgerichtshof erachtet sich der Beschwerdeführer in seinem Recht "auf erhöhte Familienbeihilfe" verletzt und beantragt die Aufhebung des angefochtenen Bescheides wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragte in ihrer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
§ 8 Abs 4 FLAG 1967 sieht für erheblich behinderte Kinder eine erhöhte Familienbeihilfe vor. Als erheblich behindert gelten gemäß Abs 5 lit c der zitierten Bestimmung (in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl Nr 23/1973) Kinder, deren Berufsausbildung infolge eines Leidens oder Gebrechens voraussichtlich dauernd und wesentlich beeinträchtigt ist. Die erhebliche Behinderung ist durch ein Zeugnis eines inländischen Amtsarztes nachzuweisen, wobei einem amtsärztlichen Zeugnis eine entsprechende Bestätigung einer inländischen Universitätsklinik oder einer inländischen Krankenanstalt sowie eine entsprechende Bestätigung des Schularztes gleichzusetzen ist (Abs 6 der zitierten Bestimmung (in der Fassung der Bundesgesetze BGBl Nr 23/1973 und Nr 573/1978).
Mit der Frage nach der Rechtsnatur des amtsärztlichen Zeugnisses bzw der entsprechenden Bestätigung im Sinne des § 8 Abs 6 FLAG 1967 hat sich der Gerichtshof schon wiederholt auseinandergesetzt. Danach stellt ein solches amtsärztliches Zeugnis bzw eine entsprechende Bestätigung ein Beweismittel dar, welches im Sinne des § 167 Abs 2 BAO der freien Beweiswürdigung durch die Beihilfenbehörde unterliegt. Voraussetzung dafür, daß ein amtsärztliches Zeugnis oder eine ihr gleichzuhaltende Bestätigung einer Krankenanstalt bzw eines Schularztes geeignet ist, das Vorliegen einer erheblichen Behinderung eines Kindes im Sinne des § 8 Abs 5 lit c FLAG 1967 als erwiesen anzunehmen oder zu verneinen, ist nicht nur die Feststellung des Leidens an sich (ärztlicher Befund). Vielmehr müssen die konkreten Auswirkungen des festgestellten Leidens auf die Berufsausbildung dargelegt und schlüssig begründet sein (vgl das hg Erkenntnis vom 13. Oktober 1993, 90/14/0021). Die in § 8 Abs 6 FLAG 1967 erwähnten Zeugnisse als Nachweis für die Anspruchsvoraussetzungen sind Gutachten. Den im Gesetz erwähnten Sachverständigen (sachverständigen Stellen) kommt nicht die Befugnis zur Entscheidung über den Anspruch auf erhöhte Familienbeihilfe (Zuerkennung oder Versagung) zu. Dies folgt schon aus dem Fehlen entsprechender Rechtsschutzeinrichtungen hinsichtlich der betreffenden Zeugnisse (vgl das hg Erkenntnis vom 31. Mai 1994, 94/14/0013).
Die Rüge des Beschwerdeführers, daß die belangte Behörde den vorgelegten ärztlichen Zeugnissen nicht gefolgt ist, ist daher unberechtigt, zumal in diesen Zeugnissen neben der medizinischen Diagnose lediglich (und auch das nur in der Bestätigung vom 18. Mai 1988) Schonung sowie Schwimmen und Radfahren sowie eine jährliche Kontrolle empfohlen wird.
Demgegenüber hat die belangte Behörde aus dem Umstand, daß die Tochter des Beschwerdeführers im Juni 1989 die Matura mit ausgezeichnetem Erfolg abgelegt hat, geschlossen, daß die Voraussetzung des § 8 Abs 5 lit c FLAG 1967 - insbesondere das Vorliegen einer WESENTLICHEN Beeinträchtigung in der Berufsausbildung - nicht gegeben ist. Nun kann zwar den Verwaltungsakten nicht entnommen werden, daß dem Beschwerdeführer dieser durch telefonische Rücksprache mit der Schule seiner Tochter in Erfahrung gebrachte Umstand vorgehalten wurde, doch wurde dessen Richtigkeit in der Beschwerde nicht bestritten, sodaß der darin allenfalls liegende Verfahrensmangel nicht als wesentlich zu erkennen ist. Die Beurteilung einer unter den gegebenen Umständen nicht wesentlichen Beeinträchtigung in der Berufsausbildung bei sehr gutem oder sogar ausgezeichnetem Ausbildungserfolg kann aber aus den bereits im Erkenntnis vom 21. Februar 1990, 89/13/0094, angeführten Gründen nicht als rechtswidrig erkannt werden.
Wenn der Beschwerdeführer in diesem Zusammenhang meint, der Begriff "erheblich behindert" sei ein medizinischer, so ist darauf hinzuweisen, daß erhöhte Familienbeihilfe zwar gemäß § 8 Abs 4 FLAG 1967 für "erheblich behinderte Kinder" zusteht, als solche aber nur Kinder im Sinne des Abs 5 dieser Gesetzesstelle gelten, somit - beschwerdefallbezogen - nach lit c dieser Gesetzesstelle solche, DEREN BERUFSAUSBILDUNG infolge eines Leidens oder Gebrechens voraussichtlich dauernd und WESENTLICH BEEINTRÄCHTIGT ist. Somit ist aber letztlich nicht die - medizinische - Frage der erheblichen Behinderung des Kindes, sondern die dauernde und wesentliche Beeinträchtigung in der Berufsausbildung des Kindes entscheidend (vgl abermals das oben zitierte Erkenntnis vom 13. Oktober 1993). Keineswegs ist in der Verneinung einer solchen wesentlichen Beeinträchtigung der Berufsausbildung des Kindes die Aussage enthalten, daß ein Kind mit einem schweren Gebrechen, wie auch die Tochter des Beschwerdeführers, im Sinne des allgemeinen Sprachgebrauches nicht schwer behindert ist. Im Hinblick darauf sieht sich der Verwaltungsgerichtshof auch aus Anlaß der vorliegenden Beschwerde nicht veranlaßt, von der im oben zitierten Erkenntnis vom 21. Februar 1990 vertretenen Ansicht abzugehen.
Zuletzt ist darauf hinzuweisen, daß ein erhöhter Unterhaltsaufwand kein Tatbestandsmerkmal des § 8 Abs 5 lit c FLAG 1967 darstellt, weshalb auch dahingestellt bleiben kann, ob und wie oft der Beschwerdeführer seine Tochter allenfalls in die Schule bringen (lassen) mußte.
Da die Beschwerde somit nicht erkennen läßt, daß der Beschwerdeführer durch den angefochtenen Bescheid in seinem Recht auf Zuerkennung der erhöhten Familienbeihilfe verletzt wurde, war sie gemäß § 42 Abs 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl Nr 416/1994.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1996:1992140070.X00Im RIS seit
01.06.2001