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10/11 Vereins- und VersammlungsrechtNorm
EMRK Art11Leitsatz
Keine Verletzung im Recht auf Versammlungsfreiheit durch Untersagung der Versammlung "Friedensdialog Wien" am Praterstern auf Grund hinreichender Begründung der EntscheidungSpruch
I. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.
II. Die Beschwerde wird abgewiesen und dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung darüber abgetreten, ob der Beschwerdeführer durch das angefochtene Erkenntnis in einem sonstigen Recht verletzt worden ist.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren
1. Mit Bescheid vom 12. September 2019 untersagte die Landespolizeidirektion Wien dem Beschwerdeführer die Abhaltung einer Versammlung zum Thema "Friedensdialog Wien", die er am 7. September 2019 von 12:00 bis 17:00 Uhr mit dem Standort "1020 Wien Praterstern, Ausgang Praterallee" angezeigt hatte.
2. Das Verwaltungsgericht Wien wies die dagegen erhobene Beschwerde des Beschwerdeführers mit Erkenntnis vom 6. Juli 2020 als unbegründet ab und bestätigte den angefochtenen Bescheid.
3. Gegen dieses Erkenntnis erhob der Beschwerdeführer Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof. Mit Erkenntnis vom 27. Februar 2021, E2867/2020, gab der Verfassungsgerichtshof der Beschwerde statt und hob das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien auf. Begründend führte der Verfassungsgerichtshof dazu im Wesentlichen aus, dass das Verwaltungsgericht Wien schuldig geblieben sei, eine nachvollziehbare Begründung für die Untersagung der Versammlung zu liefern. Aus der Begründung des Verwaltungsgerichtes Wien sei nicht erkennbar, wie es zu seiner Einschätzung, dass die angezeigte Versammlung gegen den demokratischen Verfassungsstaat gerichtete sei, gekommen ist.
4. Mit Folgeerkenntnis vom 20. Juli 2021 wurde die Beschwerde des Beschwerdeführers erneut als unbegründet abgewiesen. Begründend wird dazu im Wesentlichen ausgeführt, dass die Ergebnisse der österreichischen staatsschützerischen Beobachtungen den Eindruck, den das Verwaltungsgericht Wien bereits im ersten Erkenntnis vom 6. Juli 2020 zur Staats- und Verfassungsfeindlichkeit des Beschwerdeführers hatte, verfestigt hätten. Nämlich, dass der "Friedensdialog" mit dem prominent auftretenden Beschwerdeführer die öffentliche Ordnung, das Wohl und die Sicherheit der Republik gefährde. Aufwendige Überwachungs- und Recherchetätigkeiten des Staatsschutzes hätten ergeben, dass der Beschwerdeführer eine führende Position in einer bestimmten Organisation hat, die einen Einstieg in eine extreme Form des religiös motivierten Extremismus darstelle. Allfällige Agitationen des Beschwerdeführers seien daher äußerst kritisch zu betrachten; die Propagierung solcher Zielvorstellungen würde Gegenentwürfe zum österreichischen aufgeklärten westlichen Wertesystem und Gesellschaftsmodell forcieren, die im fundamentalen Widerspruch zum demokratischen Verfassungsstaat stünden. Diese Einschätzung des Staatsschutzes reiche dem Verwaltungsgericht Wien aus, dass die angezeigte Versammlung im fundamentalen Widerspruch zum demokratischen österreichischen Verfassungsstaat stehe.
5. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in die Versammlungsfreiheit behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, beantragt wird.
6. Die Gerichts- bzw Verwaltungsakten wurden vom Verwaltungsgericht Wien bzw der Landespolizeidirektion Wien vorgelegt, eine Gegenschrift wurde nicht erstattet.
II. Erwägungen
1. Die – zulässige – Beschwerde ist nicht begründet.
2. Bedenken gegen die der angefochtenen Entscheidung zugrunde liegenden Rechtsvorschriften sind – aus der Sicht des Beschwerdefalles – nicht entstanden.
3. Ein Eingriff in das durch Art11 EMRK verfassungsgesetzlich garantierte – unter Gesetzesvorbehalt stehende – Recht ist dann verfassungswidrig, wenn die ihn verfügende Entscheidung ohne Rechtsgrundlage ergangen ist, auf einer dem Art11 EMRK widersprechenden Rechtsvorschrift beruht oder wenn bei Erlassung der Entscheidung eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Rechtsgrundlage in denkunmöglicher Weise angewendet wurde; ein solcher Fall liegt vor, wenn die Entscheidung mit einem so schweren Fehler belastet ist, dass dieser mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen wäre, oder wenn der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise ein verfassungswidriger, insbesondere ein dem Art11 Abs1 EMRK widersprechender und durch Art11 Abs2 EMRK nicht gedeckter Inhalt unterstellt wurde (vgl zB VfSlg 19.961/2015, 19.962/2015).
4. §6 Versammlungsgesetz 1953 sieht vor, dass Versammlungen, deren Zweck den Strafgesetzen zuwiderläuft oder deren Abhaltung die öffentliche Sicherheit oder das öffentliche Wohl gefährdet, von der Behörde zu untersagen sind. Für die Auflösung der Versammlung selbst und mehr noch für eine auf §6 Versammlungsgesetz 1953 gestützte Untersagung im Vorfeld des Stattfindens einer Versammlung ist (ebenso wie bei der Frage, ob eine Versammlung iSd Art11 EMRK vorliegt) eine strengere Kontrolle geboten. Diese Maßnahmen beeinträchtigen die Freiheit der Versammlung in besonders gravierender Weise und berühren den Kernbereich des Grundrechts. Sie sind daher nur zulässig, wenn sie zur Erreichung der in Art11 Abs2 EMRK genannten Ziele zwingend notwendig sind, sodass die Untersagung einer Versammlung stets nur ultima ratio sein kann (vgl zB VfSlg 19.961/2015, 19.962/2015).
5. In der Begründung des Folgeerkenntnisses geht das Verwaltungsgericht Wien unter Bezugnahme auf den Bericht des Bundesamtes für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung, wonach die Tätigkeiten des Beschwerdeführers und seines Umfeldes als demokratiegefährdend einzustufen seien, davon aus, dass die angezeigte Versammlung im fundamentalen Widerspruch zum demokratischen österreichischen Verfassungsstaat stehe.
Trotz dieser knappen Begründung hat das Verwaltungsgericht Wien jedoch nun dargelegt, dass die öffentlichen Interessen an der Untersagung der Versammlung jene des Beschwerdeführers an der Abhaltung der Versammlung überwiegen. Dieser Einschätzung, die die Untersagung der Versammlung trägt, ist aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht entgegenzutreten.
III. Ergebnis
1. Die behauptete Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Versammlungsfreiheit hat sohin nicht stattgefunden.
Das Verfahren hat auch nicht ergeben, dass der Beschwerdeführer in von ihm nicht geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt wurde. Angesichts der Unbedenklichkeit der angewendeten Rechtsgrundlagen ist es auch ausgeschlossen, dass er in seinen Rechten wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm verletzt wurde.
2. Die Beschwerde ist daher abzuweisen und gemäß Art144 Abs3 B-VG antragsgemäß dem Verwaltungsgerichtshof abzutreten (zum System der Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof durch den Verfassungsgerichtshof nach Inkrafttreten der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012 vgl VfSlg 19.867/2014).
3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
Schlagworte
Versammlungsrecht, EntscheidungsbegründungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2022:E3356.2021Zuletzt aktualisiert am
23.11.2022