TE Lvwg Erkenntnis 2022/7/29 VGW-151/044/5415/2022

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Veröffentlicht am 29.07.2022
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Entscheidungsdatum

29.07.2022

Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht
60/04 Arbeitsrecht allgemein
62 Arbeitsmarktverwaltung

Norm

NAG 2005 §28 Abs6
NAG 2005 §42 Abs1
AuslBG §12c Abs1
  1. AuslBG § 12c heute
  2. AuslBG § 12c gültig ab 01.10.2022 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 106/2022
  3. AuslBG § 12c gültig von 01.07.2011 bis 30.09.2022 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 25/2011

Text

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Verwaltungsgericht Wien hat durch seinen Richter Mag. Senft über die Beschwerde des Herrn A. B., geb.: 1981, StA: Indien, vertreten durch F. Rechtsanwälte GmbH & Co KG, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien, Magistratsabteilung 35, vom 08.03.2022, ..., mit welchem der Aufenthaltstitel "Blaue Karte EU" mit der Nummer ..., ausgestellt für den Zeitraum vom 11.02.2021 bis 11.02.2023, gemäß § 28 Abs. 6 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz, NAG, iVm § 42 Abs. 1 NAG, entzogen wurde,

zu Recht erkannt:

I. Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG wird der Beschwerde stattgegeben und der angefochtene Bescheid ersatzlos behoben.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist gemäß § 25a VwGG eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig.

Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang

1. Dem Beschwerdeführer wurde – nach Mitteilung des AMS Wien ... im Sinne des § 20d Abs. 1 AuslBG – am 25. Februar 2021 bei der belangten Behörde ein Aufenthaltstitel „Blaue Karte EU“ (Aufenthaltstitelkartennummer ...) gemäß § 42 Abs. 1 NAG mit einer Gültigkeitsdauer von 11. Februar 2021 bis 11. Februar 2023 erteilt.

2. Mit an die belangte Behörde ergangenem Schreiben des Arbeitsmarktservice Wien vom 16. Dezember 2021 wurde mitgeteilt, dass das Arbeitsmarktservice (AMS) die Entlohnung des Beschwerdeführers zu prüfen habe. Zur Entlohnungsprüfung sei am 26. Februar 2021 ein Anforderungsschreiben ergangen, jedoch keine Nachreichung erfolgt. Eine Lohnprüfung durch das AMS habe daher nicht durchgeführt werden können.

3. Mit dem angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom 8. März 2022 wurde der dem Beschwerdeführer ausgestellte Aufenthaltstitel „Blaue Karte EU“ gemäß § 28 Abs. 6 NAG iVm § 42 Abs. 1 NAG entzogen. Begründet wurde der Bescheid damit, dass das AMS mangels Mitwirkung des Beschwerdeführers keine Lohnprüfung durchführen habe können, und daher davon auszugehen sei, dass die Voraussetzungen gemäß §§ 12 bis 12c, 14 oder 18a AuslBG nicht länger vorlägen. Der Beschwerdeführer habe auch auf die behördliche Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme vom 14. Jänner 2022 nicht reagiert.

4. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, rechtzeitig eingebrachte Beschwerde, in welcher beantragt wird, den angefochtenen Bescheid ersatzlos zu beheben. Zur Begründung wird ausgeführt, dass nicht geklärt habe werden können, weshalb das Anforderungsschreiben des AMS, noch die behördliche Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme dem Beschwerdeführer nicht zugestellt hätten werden können. Jedoch sei festzuhalten, dass sämtliche Zulassungsvoraussetzungen für die Erteilung einer „Blaue Karte EU“ seit Beschäftigungsbeginn am 1. März 2021 durchgehend erfüllt seien. Zum Beweis dafür wurden den Beschwerdeführer betreffende Lohnzettel sowie die am 26. Februar 2021 bei der OEGK erfolgte Anmeldung des Beschwerdeführers zur Sozialversicherung vorgelegt.

5. Die belangte Behörde nahm von der Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung Abstand und legte die Beschwerde samt dem Bezug habenden Verwaltungsakt dem Verwaltungsgericht Wien zur Entscheidung vor (einlangend beim Verwaltungsgericht Wien am 28. April 2022).

6. Nach verwaltungsgerichtlicher Aufforderung vom 13. Juni 2022 legte der Beschwerdeführer weitere Gehaltsabrechnungen betreffend der seit Beschwerdeerhebung vergangenen Monate vor.

7. Mit verwaltungsgerichtlicher Verfügung vom 13. Juni 2022 erging folgendes Schreiben an die belangte Behörde und das Arbeitsmarktservice Wien:

Mit Bescheid der belangten Behörde vom 8. März 2022 wurde der dem Beschwerdeführer ausgestellte Aufenthaltstitel „Blaue Karte EU“ gemäß § 28 Abs. 6 NAG iVm § 42 Abs. 1 NAG entzogen. Begründet wurde der Bescheid damit, dass das AMS keine Lohnprüfung durchführen habe können, und daher davon auszugehen sei, dass die Voraussetzungen gemäß § 12 bis 12c, 14 oder 18a AuslBG nicht länger vorlägen.

Mit der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde des laut Sozialversicherungsdatenauszug seit 1. März 2021 bis laufend als Angestellter bei C. GmbH & Co KG beschäftigte Beschwerdeführer wurden die – auch dem gegenständlichen Schreiben beigelegten den Bf. betreffenden – Lohnzetteln vorgelegt.

Vor diesem Hintergrund und den vorgelegten Lohnzetteln ist jedoch nicht ersichtlich, dass die Voraussetzungen gem. § 12c AuslBG hinsichtlich des Beschwerdeführers nicht länger vorlägen. Insbesondere ist auch erkennbar, dass er für die seiner Ausbildung entsprechende Beschäftigung ein Bruttojahresgehalt erhält, das dem Eineinhalbfachen des von der Bundesanstalt „Statistik Österreich“ zuletzt veröffentlichten durchschnittlichen österreichischen Bruttojahresgehalts (2020) von Vollzeitbeschäftigten entspricht. Es liegen daher nach vorläufiger Prüfung durch das Verwaltungsgericht Wien die Voraussetzungen gem. § 28 Abs. 6 NAG für die Entziehung des dem Beschwerdeführer erteilten Aufenthaltstitels nicht vor.

Sie werden aufgefordert, dazu binnen der Frist von zwei Wochen Stellung zu nehmen.“

7.1. Mit Schreiben des AMS Wien vom 28. Juni 2022 wurde mitgeteilt, dass wenn die dem Landesverwaltungsgericht Wien nachträglich vorgelegten Lohnzettel des Beschwerdeführers als Angestellter bei C. GmbH & Co KG, Wien, dem AMS Wien zeitgerecht vorgelegt worden wären, hätte das AMS Wien das Vorliegen der Voraussetzungen für die Beschäftigung als Schlüsselkraft gemäß § 12 bis 12c AuslBG prüfen können und – da diese Voraussetzungen, insbesondere die lohnrechtlichen Voraussetzungen sich als erfüllt herausgestellt haben – wäre in weiterer Folge keine negative Stellungnahme gemäß § 42 Abs. 1 Z 2 NAG iVM § 12c und 20d Abs. 1 Z 5 AuslBG an die Aufenthaltsbehörde erfolgt. Das AMS Wien hätte diesfalls der Aufenthaltsbehörde gemäß § 20d Abs. 1 AuslBG schriftlich mitgeteilt, dass die Voraussetzungen für die Zulassung des Beschwerdeführers als Schlüsselkraft gemäß § 12c AuslBG erfüllt seien und gegen seine Zulassung als Schlüsselkraft beim Arbeitgeber C. GmbH & Co KG, Wien, aus Sicht des AMS Wien keine Bedenken bestünden.

II. Sachverhalt

1. Das Verwaltungsgericht Wien legt seiner Entscheidung folgende Feststellungen zugrunde:

Der am ... 1981 in D. geborene Beschwerdeführer ist indischer Staatsangehöriger.

Der Beschwerdeführer hat im Jahr 2003 an der ... University das Bachelorstudium of Engineering/Technology abgeschlossen und anschließend ein Masterstudium “International Business“ am E. erfolgreich absolviert (Abschluss im Jahr 2005).

Dem Beschwerdeführer wurde – nach Mitteilung des AMS Wien ... im Sinne des § 20d Abs. 1 AuslBG – am 25. Februar 2021 bei der belangten Behörde ein Aufenthaltstitel „Blaue Karte EU“ (Aufenthaltstitelkartennummer ...) gemäß § 42 Abs. 1 NAG mit einer Gültigkeitsdauer von 11. Februar 2021 bis 11. Februar 2023 erteilt.

Der Beschwerdeführer ist seit 1. März 2021 bis laufend bei der C. GmbH & Co KG als Angestellter mit einem Bruttogehalt von monatlich € 8.000,-- (ohne Berücksichtigung von Sonderzahlungen) beschäftigt.

Das von der Statistik Österreich zuletzt für 2020 veröffentlichte durchschnittliche österreichische Bruttojahreseinkommen der ganzjährig Vollzeitbeschäftigten betrug € 44.395,--.

2. Das Verwaltungsgericht Wien hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den Verwaltungsakt der belangten Behörde, Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens sowie Einholung eines Versicherungsdatenauszuges, eines Auszuges aus dem Zentralen Melderegister, sowie dem Fremdenregister. Der festgestellte Sachverhalt ergibt sich zur Gänze aus dem unstrittigen Akteninhalt, den eingeholten Registerabfragen, Einsichtnahme in die auf www.statistik.at veröffentlichten Einkommensberichte und dem mit Gehaltsabrechnungen untermauerten Beschwerdevorbringen.

III. Rechtliche Beurteilung

1. Die im Beschwerdefall maßgeblichen Bestimmungen des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes, NAG, in den gegenständlich maßgeblichen Fassungen lauten:

„Rückstufung und Entziehung eines Aufenthaltstitels

§ 28. (1) […]

(2) Drittstaatsangehörigen, die im Besitz eines Aufenthaltstitels sind, kann dieser entzogen werden, wenn gegen sie eine rechtskräftige, vollstreckbare Rückführungsentscheidung (Aufenthaltsverbot) eines anderen EWR-Mitgliedstaates vorliegt, der mit einer akuten Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung oder nationale Sicherheit begründet wird und das Aufenthaltsverbot

1. auf der strafrechtlichen Verurteilung einer mit mindestens einjähriger Freiheitsstrafe bedrohten vorsätzlichen Straftat beruht;

2. erlassen wurde, weil ein begründeter Verdacht besteht, dass der Drittstaatsangehörige Straftaten nach Z 1 begangen habe oder konkrete Hinweise bestehen, dass er solche Straftaten im Hoheitsgebiet eines EWR-Mitgliedstaates plante, oder

3. erlassen wurde, weil der Drittstaatsangehörige gegen die Einreise- und Aufenthaltsbestimmungen des Entscheidungsstaates verstoßen hat.

(3) Die Entziehung des Aufenthaltstitels nach Abs. 2 ist unzulässig, wenn durch die Vollstreckung der Rückführungsentscheidung Art. 2 und 3 EMRK, das Protokoll Nr. 6 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe, BGBl. Nr. 138/1985, oder das Protokoll Nr. 13 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die vollständige Abschaffung der Todesstrafe, BGBl. III Nr. 22/2005, verletzt würde.

(4) Würde durch die Entziehung des Aufenthaltstitels nach Abs. 2 in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen werden, so ist diese Entziehung nur zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

(5) Aufenthaltstitel sind zu entziehen, wenn die besonderen Erteilungsvoraussetzungen des 2. Teiles nicht mehr vorliegen. Von einer Entziehung kann abgesehen werden, wenn ein Fall des § 27 Abs. 1 bis 3 vorliegt oder dem Fremden im Rahmen eines Zweckänderungsverfahrens (§ 26) ein anderer Aufenthaltstitel zu erteilen ist. § 10 Abs. 3 Z 1 gilt.

(6) Aufenthaltstitel gemäß §§ 41, 42, 43a Abs. 1 Z 1, 58 und 58a sind überdies zu entziehen, wenn die regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice der Behörde mitteilt, dass die jeweiligen Voraussetzungen gemäß §§ 12 bis 12c, 14 oder 18a AuslBG nicht länger vorliegen. Im Falle der Entziehung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 58 oder 58a ist der Bescheid auch der aufnehmenden Niederlassung gemäß § 2 Abs. 13 AuslBG zuzustellen.

„Aufenthaltstitel „Blaue Karte EU“

§ 42. (1) Drittstaatsangehörigen ist ein Aufenthaltstitel „Blaue Karte EU“ zu erteilen, wenn

1. sie die Voraussetzungen des 1. Teiles mit Ausnahme des § 11 Abs. 2 Z 2 und 4 erfüllen und

2. eine schriftliche Mitteilung der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice gemäß § 20d Abs. 1 Z 5 AuslBG vorliegt.

(2) Entscheidungen über die Erteilung eines Aufenthaltstitels „Blaue Karte EU“ sind überdies von der zuständigen Niederlassungs- und Aufenthaltsbehörde und der zuständigen Behörde gemäß § 20d Abs. 1 AuslBG unverzüglich, längstens jedoch binnen acht Wochen zu treffen. Von der Einholung einer schriftlichen Mitteilung der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice ist abzusehen, wenn der Antrag

1. wegen eines Formmangels oder Fehlens einer Voraussetzung gemäß §§ 19 bis 24 zurück- oder abzuweisen ist oder

2. wegen zwingender Erteilungshindernisse (§ 11 Abs. 1) abzuweisen ist.

(3) Erwächst die negative Entscheidung der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice gemäß § 20d Abs. 1 AuslBG über die Zulassung zur Beschäftigung als Schlüsselkraft in Rechtskraft, ist das Verfahren ohne weiteres einzustellen.

(4) Der Aufenthaltstitel „Blaue Karte EU“ ist für die Dauer von zwei Jahren auszustellen, es sei denn, der Arbeitsvertrag weist eine kürzere Dauer auf. In diesen Fällen ist der Aufenthaltstitel für einen um drei Monate über die Dauer des Arbeitsvertrages hinausgehenden Zeitraum auszustellen.“

2. Die vorliegend relevanten Bestimmungen des Ausländerbeschäftigungsgesetzes, AuslBG, lauten:

„Abschnitt II

Beschäftigungsbewilligung

Voraussetzungen

§ 4. (1) Einem Arbeitgeber ist auf Antrag eine Beschäftigungsbewilligung für den im Antrag angegebenen Ausländer zu erteilen, wenn die Lage und Entwicklung des Arbeitsmarktes die Beschäftigung zulässt (Arbeitsmarktprüfung), wichtige öffentliche und gesamtwirtschaftliche Interessen nicht entgegenstehen und

1. der Ausländer über ein Aufenthaltsrecht nach dem NAG oder dem Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100, verfügt, das die Ausübung einer Beschäftigung nicht ausschließt, oder seit drei Monaten zum Asylverfahren zugelassen ist und über einen faktischen Abschiebeschutz oder ein Aufenthaltsrecht gemäß den §§ 12 oder 13 AsylG 2005 verfügt oder über ein Aufenthaltsrecht gemäß § 54 Abs. 1 Z 2 oder 3 AsylG 2005 verfügt oder gemäß § 46a FPG geduldet ist und zuletzt gemäß § 1 Abs. 2 lit. a vom Anwendungsbereich dieses Bundesgesetzes ausgenommen war,

2. die Gewähr gegeben erscheint, dass der Arbeitgeber die Lohn- und Arbeitsbedingungen einschließlich der sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften einhält,

3. keine wichtigen Gründe in der Person des Ausländers vorliegen, wie wiederholte Verstöße infolge Ausübung einer Beschäftigung ohne Beschäftigungsbewilligung während der letzten zwölf Monate,

4. die Beschäftigung, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, nicht bereits begonnen hat,

5. der Arbeitgeber während der letzten zwölf Monate vor der Antragseinbringung nicht wiederholt Ausländer entgegen den Bestimmungen dieses Bundesgesetzes beschäftigt hat,

6. die Vereinbarung über die beabsichtigte Beschäftigung (§ 2 Abs. 2) nicht aufgrund einer gemäß dem Arbeitsmarktförderungsgesetz, BGBl. Nr. 31/1969, unerlaubten Arbeitsvermittlung zustande gekommen ist und der Arbeitgeber dies wusste oder hätte wissen müssen,

7. der Arbeitgeber den Ausländer auf einem Arbeitsplatz seines Betriebes beschäftigen wird, wobei eine Zurverfügungstellung des Ausländers an Dritte unbeschadet des § 6 Abs. 2 nicht als Beschäftigung im eigenen Betrieb gilt,

8. die Erklärung über die Verständigung des Betriebsrates oder der Personalvertretung von der beabsichtigten Einstellung des Ausländers vorliegt,

9. der Arbeitgeber nicht hinsichtlich des antragsgegenständlichen oder eines vergleichbaren Arbeitsplatzes innerhalb von sechs Monaten vor oder im Zuge der Antragstellung

a) einen Arbeitnehmer, der das 50. Lebensjahr vollendet hat, gekündigt hat oder

b) die Einstellung eines für den konkreten Arbeitsplatz geeigneten Arbeitnehmers, der das 50. Lebensjahr vollendet hat, abgelehnt hat,

es sei denn, er macht glaubhaft, dass die Kündigung oder die Ablehnung der Einstellung nicht aufgrund des Alters des Arbeitnehmers erfolgt ist,

10. der Arbeitgeber im Fall der Beschäftigung eines Ausländers gemäß § 5 während der letzten zwölf Monate vor der Antragseinbringung nicht wiederholt Ausländern eine nicht ortsübliche Unterkunft zur Verfügung gestellt hat und

11. der Arbeitgeber im Fall der Beschäftigung eines Ausländers gemäß § 5 bestätigt, dass dem Ausländer für die beabsichtigte Dauer der Beschäftigung eine ortsübliche Unterkunft zur Verfügung stehen wird und, sofern die Unterkunft vom oder über den Arbeitgeber zur Verfügung gestellt wird, die Miete nicht automatisch vom Lohn abgezogen wird.

[…]“

„Blaue Karte EU

§ 12c. Ausländer werden zu einer Beschäftigung als Schlüsselkraft zugelassen, wenn sie über einen Abschluss eines Studiums an einer tertiären Bildungseinrichtung mit dreijähriger Mindestdauer verfügen, für eine dieser Ausbildung entsprechende Beschäftigung ein Bruttojahresgehalt erhalten, das dem Eineinhalbfachen des von der Bundesanstalt „Statistik Österreich“ zuletzt veröffentlichten durchschnittlichen österreichischen Bruttojahresgehalts von Vollzeitbeschäftigten entspricht, und sinngemäß die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 mit Ausnahme der Z 1 erfüllt sind.“

„Zulassungsverfahren für besonders Hochqualifizierte, Fachkräfte, sonstige Schlüsselkräfte, Studienabsolventen und Künstler

§ 20d. (1) Besonders Hochqualifizierte, Fachkräfte sowie sonstige Schlüsselkräfte und Studienabsolventen haben den Antrag auf eine „Rot-Weiß-Rot – Karte“, Schlüsselkräfte gemäß § 12c den Antrag auf eine „Blaue Karte EU“ und ausländische Künstler den Antrag auf eine „Niederlassungsbewilligung – Künstler“ gemeinsam mit einer schriftlichen Erklärung des Arbeitgebers, die im Antrag angegebenen Beschäftigungsbedingungen einzuhalten, bei der nach dem NAG zuständigen Behörde einzubringen. Der Antrag kann auch vom Arbeitgeber für den Ausländer im Inland eingebracht werden. Die nach dem NAG zuständige Behörde hat den Antrag, sofern er nicht gemäß § 41 Abs. 3 Z 1 oder 2 NAG zurück- oder abzuweisen ist, unverzüglich an die nach dem Betriebssitz des Arbeitgebers zuständige regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice zur Prüfung der jeweiligen Zulassungsvoraussetzungen zu übermitteln. Die regionale Geschäftsstelle hat den Regionalbeirat anzuhören und binnen vier Wochen der nach dem NAG zuständigen Behörde – je nach Antrag – schriftlich zu bestätigen, dass die Voraussetzungen für die Zulassung

1. als besonders Hochqualifizierter gemäß § 12

2. als Fachkraft gemäß § 12a,

3. als Schlüsselkraft gemäß § 12b Z 1,

4. als Schlüsselkraft gemäß § 12b Z 2 (Studienabsolvent),

5. als Schlüsselkraft gemäß § 12c (Anwärter auf eine „Blaue Karte EU“) oder

6. als Künstler gemäß § 14

erfüllt sind. Die nach dem NAG zuständige Behörde hat die regionale Geschäftsstelle über die Erteilung des jeweiligen Aufenthaltstitels unter Angabe der Geltungsdauer zu verständigen. Bei Nichtvorliegen der Voraussetzungen hat die regionale Geschäftsstelle die Zulassung zu versagen und den diesbezüglichen Bescheid unverzüglich der nach dem NAG zuständigen Behörde zur Zustellung an den Arbeitgeber und den Ausländer zu übermitteln.

(2) Die Zulassung gemäß Abs. 1 gilt für die Beschäftigung bei dem im Antrag angegebenen Arbeitgeber im gesamten Bundesgebiet. Die regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice hat unverzüglich nach Beginn der Beschäftigung die Anmeldung zur Sozialversicherung zu überprüfen. Entspricht diese nicht den für die Zulassung maßgeblichen Voraussetzungen, ist die nach dem NAG zuständige Behörde zu verständigen (§ 28 Abs. 6 NAG). Bei einem Arbeitgeberwechsel vor Erteilung einer „Rot-Weiß-Rot – Karte plus“ (§ 41a NAG) ist Abs. 1 sinngemäß anzuwenden.

[…]“

3. Vorauszuschicken ist, dass das Verwaltungsgericht – wenn es wie im Gegenstand in der Sache selbst entscheidet – seine Entscheidung grundsätzlich an der zum Zeitpunkt seiner Entscheidung maßgeblichen Sach- und Rechtslage auszurichten hat (VwGH 28.02.2022, Ra 2021/09/0251).

4. Aufenthaltstitel gemäß §§ 41, 42, 43a Abs. 1 Z 1, 58 und 58a sind gemäß § 28 Abs. 6 NAG überdies zu entziehen, wenn die regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice der Behörde mitteilt, dass die jeweiligen Voraussetzungen gemäß §§ 12 bis 12c, 14 oder 18a AuslBG nicht länger vorliegen.

Für die vorliegende Verfahrenskonstellation bedeutet dies, dass gemäß § 28 Abs. 6 NAG Aufenthaltstitel gemäß 42 NAG („Blaue Karte EU“) zu entziehen sind, wenn die regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice der Behörde mitteilt, dass die Voraussetzungen gemäß § 12c AuslBG nicht länger vorliegen.

Die Anordnung des § 28 Abs. 6 NAG, wonach bei Vorliegen einer Mitteilung des AMS, dass die jeweiligen Voraussetzungen nach den genannten Bestimmungen des AuslBG nicht länger vorliegen, bedeutet aber nicht, dass die Mitteilung des AMS durch den Antragsteller nicht entkräftet oder widerlegt werden könnte oder dass die Behörde bzw. das Verwaltungsgericht an eine unschlüssige Mitteilung gebunden wäre. Vielmehr gilt auch in Bezug auf die Würdigung dieses Beweismittels, dass die in § 45 AVG verankerten allgemeinen Verfahrensgrundsatze der materiellen Wahrheit, der freien Beweiswürdigung und des Parteiengehörs uneingeschränkt Anwendung finden (vgl. zu einer vergleichbaren Konstellation im Zusammenhang mit Gutachten des AMS gemäß § 24 AuslBG etwa VwGH 7.1.2020, Ra 2017/22/0215; 10.12.2013, 2013/22/0200; 29.06.2020, Ra 2017/22/0001).

Im Gegenstand hat jedoch bereits weder das AMS der belangten Behörde mitgeteilt, dass die Voraussetzungen gemäß § 12c AuslBG nicht länger vorliegen, noch hat die belangte Behörde dies selbst festgestellt. Dass das AMS der belangten Behörde mitgeteilt hat, dass keine Lohnprüfung vorgenommen werden konnte, führt – für sich genommen – nicht zum Vorliegen der Voraussetzungen für eine Entziehung gemäß § 28 Abs. 6 NAG.

Im Gegenstand ist vielmehr nach den Ergebnissen des verwaltungsgerichtlichen Ermittlungsverfahrens festzuhalten, dass im Hinblick auf den Beschwerdeführer, der über einen Abschluss eines Studiums mit dreijähriger Mindestdauer verfügt und für eine dieser Ausbildung entsprechende Beschäftigung insbesondere auch ein Bruttojahresgehalt erhält, das über das Eineinhalbfache des von der Bundesanstalt „Statistik Österreich“ zuletzt für 2020 veröffentlichten durchschnittlichen österreichischen Bruttojahresgehalts von Vollzeitbeschäftigten hinausgeht, die Voraussetzungen gemäß § 12c AuslBG seit Beginn seiner Beschäftigung bis laufend vorliegen. Gegenteilige Anhaltspunkte sind weder vom AMS oder von der belangten Behörde vorgebracht worden, noch hervorgekommen. Vielmehr ist auch das AMS Wien in seiner Stellungnahme vom 28. Juni 2022 (aufgrund der vom Beschwerdeführer im verwaltungsgerichtlichen vorgelegten Beweismittel) nunmehr davon ausgegangen, dass der Beschwerdeführer die Zulassungsvoraussetzungen gemäß § 12c AuslBG erfüllt.

Die Voraussetzungen für eine Entziehung des dem Beschwerdeführer erteilten Aufenthaltstitels gemäß § 28 Abs. 6 NAG liegen daher nicht vor, weshalb spruchgemäß zu entscheiden war.

Es ließen die Akten erkennen, dass – nach Einräumung von schriftlichem Parteiengehör – der entscheidungserhebliche Sachverhalt unstrittig ist und die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 EMRK, noch Art. 47 GRC entgegenstehen, es kann sohin gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG von der Verhandlung abgesehen werden.

Zumal das erkennende Gericht bei den sich stellenden Rechtsfragen nicht von der zitierten höchstgerichtlichen Judikatur abgewichen ist, eine solche Judikatur nicht fehlt und die bestehende Judikatur nicht widersprüchlich ist, war die ordentliche Revision nicht zuzulassen. Es liegt zudem auch zu den hier zu beurteilenden Fragen eine klare Rechtslage vor.

Schlagworte

Entziehung eines Aufenthaltstitels; Mitteilung des AMS; Beweismittelwürdigung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGWI:2022:VGW.151.044.5415.2022

Zuletzt aktualisiert am

22.11.2022
Quelle: Landesverwaltungsgericht Wien LVwg Wien, http://www.verwaltungsgericht.wien.gv.at
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