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90/01 Straßenverkehrsordnung 1960Norm
B-VG Art7 Abs1 / GerichtsaktLeitsatz
Verletzung im Gleichheitsrecht durch die Verhängung einer Verwaltungsstrafe wegen Missachtung eines Halte- und Parkverbotes in Wien trotz VerjährungSpruch
I. Die Beschwerdeführerin ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt worden.
Das Erkenntnis wird aufgehoben.
II. Das Land Wien ist schuldig, der Beschwerdeführerin zuhanden ihrer Rechtsvertreterin die mit € 2.856,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren
1. Mit Straferkenntnis vom 30. März 2020 wurde über die Beschwerdeführerin gemäß §99 Abs3 lita StVO 1960 eine Geldstrafe in Höhe von € 78,– (Ersatzfreiheitsstrafe in der Dauer von 18 Stunden) verhängt, weil sie am 18. Oktober 2019, um 9.36 Uhr, in 1010 Wien, Wiesingerstraße 4, im Bereich des Vorschriftszeichens "HALTEN UND PARKEN VERBOTEN" mit dem Zusatz "Mo-Fr (werkt.) von 3-19 Uhr, ausgenommen Ladetätigkeit mit Lastfahrzeugen" gehalten habe, ohne eine Ladetätigkeit durchzuführen. Die Beschwerdeführerin habe dadurch die Rechtsvorschrift des §24 Abs1 lita StVO 1960 verletzt.
2. Mit am 28. September 2021 mündlich verkündetem und am 30. November 2021 schriftlich ausgefertigtem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien wurde der dagegen erhobenen Beschwerde keine Folge gegeben und das angefochtene Straferkenntnis bestätigt. Begründend wird im Wesentlichen ausgeführt, dass die Beschwerdeführerin im Verfahren lediglich die Notwendigkeit des Halte- und Parkverbotes, nicht aber den Tatvorwurf selbst bestritten habe. In der Beschwerde gegen das Straferkenntnis werde ausdrücklich eingestanden, dass das Fahrzeug der Beschwerdeführerin in die Verbotszone geragt habe.
3. Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter und auf Unversehrtheit des Eigentums sowie die Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnung behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses beantragt werden. Die Beschwerde wird im Wesentlichen begründet wie folgt:
Gemäß §43 Abs1 VwGVG trete ein Straferkenntnis nach Ablauf von 15 Monaten nach dem Einlangen einer rechtzeitig eingebrachten und zulässigen Beschwerde ex lege außer Kraft und das Verwaltungsstrafverfahren sei einzustellen. Die Beschwerde gegen das angefochtene Straferkenntnis sei am 9. Juni 2020 eingelangt und die angefochtene Entscheidung, mit welcher der Beschwerde keine Folge gegeben worden sei, sei in der mündlichen Verhandlung am 28. September 2021 ergangen. Das Verwaltungsgericht Wien habe damit eine Strafbefugnis in Anspruch genommen, die ihm wegen bereits eingetretener Verjährung nicht mehr zugekommen sei. Der angefochtenen Entscheidung liege ferner eine gesetzwidrige Verordnung zugrunde, weil in der verordneten Ladezone "praktisch nie" eine Ladetätigkeit stattfinde. Das Verwaltungsgericht Wien habe das angefochtene Erkenntnis darüber hinaus dadurch, dass es sich nicht mit dem Vorbringen der Beschwerdeführerin auseinandergesetzt habe, mit Willkür belastet.
4. Das Verwaltungsgericht Wien hat die Gerichtsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift jedoch abgesehen.
5. Der Magistrat der Stadt Wien hat über Aufforderung des Verfassungsgerichtshofes die auf das der angefochtenen Entscheidung zugrunde liegende Halte- und Parkverbot Bezug habenden Verordnungsakten vorgelegt.
II. Rechtslage
§43 des Bundesgesetzes über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz – VwGVG), BGBl I 33/2013, lautet:
"Verjährung
§43. (1) Sind seit dem Einlangen einer rechtzeitig eingebrachten und zulässigen Beschwerde des Beschuldigten gegen ein Straferkenntnis bei der Behörde 15 Monate vergangen, tritt es von Gesetzes wegen außer Kraft; das Verfahren ist einzustellen.
(2) In die Frist gemäß Abs1 werden die Zeiten gemäß §34 Abs2 und §51 nicht eingerechnet."
III. Erwägungen
Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.
1. Eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz kann nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (zB VfSlg 10.413/1985, 14.842/1997, 15.326/1998 und 16.488/2002) nur vorliegen, wenn die angefochtene Entscheidung auf einer dem Gleichheitsgebot widersprechenden Rechtsgrundlage beruht, wenn das Verwaltungsgericht der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat.
Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 8808/1980 mwN, 14.848/1997, 15.241/1998 mwN, 16.287/2001, 16.640/2002).
2. Ein solcher Fehler ist dem Verwaltungsgericht Wien unterlaufen:
Gemäß §43 Abs1 VwGVG tritt ein Straferkenntnis von Gesetzes wegen außer Kraft, wenn seit dem Einlangen einer rechtzeitig eingebrachten und zulässigen Beschwerde des Beschuldigten gegen ein Straferkenntnis bei der Behörde 15 Monate vergangen sind. Der Lauf dieser Frist beginnt mit dem Tag des Einlangens der Beschwerde bei der belangten Behörde (vgl zB VwGH 2.5.2018, Ra 2017/02/0252). Die Beschwerde der Beschwerdeführerin langte ausweislich der vom Verwaltungsgericht Wien vorgelegten Akten am 2. Juni 2020 bei der im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht Wien belangten Behörde ein. Die Frist des §43 Abs1 VwGVG endete im vorliegenden Fall daher am 2. September 2021, das angefochtene Erkenntnis wurde jedoch erst am 28. September 2021 im Rahmen der mündlichen Verhandlung verkündet und damit erlassen. Die Rechtsvertreterin der Beschwerdeführerin hat in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Frist des §43 Abs1 VwGVG an diesem Tag bereits abgelaufen war, und im Hinblick darauf die Aufhebung des Straferkenntnisses sowie die Einstellung des Strafverfahrens beantragt. Angesichts dieser Umstände hat das Verwaltungsgericht Wien dadurch, dass es auf die Frage der Verjährung in keiner Weise eingegangen ist, seine Entscheidung mit Willkür belastet.
IV. Ergebnis
1. Die Beschwerdeführerin ist somit durch die angefochtene Entscheidung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt worden.
2. Das Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.
3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 436,– sowie eine Eingabengebühr gemäß §17a VfGG in der Höhe von € 240,– enthalten.
Schlagworte
Verjährung, Strafe (Verwaltungsstrafrecht), Halte(Park-)verbot, Verhandlung mündliche, Entscheidungsverkündung, FristenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2022:E151.2022Zuletzt aktualisiert am
22.11.2022