TE Vfgh Erkenntnis 1993/12/16 B893/93

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 16.12.1993
beobachten
merken

Index

10 Verfassungsrecht
10/11 Vereins- und Versammlungsrecht

Norm

B-VG Art144 Abs1 / Legitimation
StGG Art12 / Vereinsrecht
EMRK Art11 Abs2
VereinsG 1951 §24

Leitsatz

Keine Verletzung der Vereinsfreiheit durch die Auflösung eines Vereins wegen statutenwidriger Tätigkeit; Vereinstätigkeit bloßer Deckmantel für wirtschaftliche Betätigung auf dem Gebiet der Arbeitsvermittlung

Spruch

Die Beschwerdeführer sind durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in ihren Rechten verletzt worden.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Der nach dem Vereinsgesetz 1951, BGBl. 233, in der Fassung der Novelle BGBl. 648/1987 (VG), gebildete Verein "Institut für europäische soziale und humanitäre Zusammenarbeit", dessen Bildung mit Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Tirol vom 5. April 1991 nicht untersagt worden war, wurde mit Bescheid dieser Behörde vom 4. November 1992 gemäß §24 VG behördlich aufgelöst.

Der Bundesminister für Inneres hat die dagegen vom Verein erhobene Berufung mit Bescheid vom 17. März 1993 abgewiesen und den erstinstanzlichen Bescheid bestätigt.

2. Gegen diesen Bescheid erheben der ehemalige Präsident des Vereines und seine ehemalige Stellvertreterin die auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde. Die Beschwerdeführer behaupten, in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten, insbesondere im Recht auf Vereinsfreiheit, verletzt worden zu sein und beantragen die Aufhebung des angefochtenen Bescheides.

3. Die belangte Behörde hat eine Gegenschrift erstattet, in welcher sie die Abweisung der Beschwerde begehrt.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

1. Nach rechtskräftiger Auflösung eines Vereines sind die ehemaligen Vereinsmitglieder als Träger der Vereinsfreiheit berechtigt, eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Vereinsfreiheit geltend zu machen (vgl. die ständige Judikatur des Verfassungsgerichtshofes, zB VfSlg. 8090/1977, 9567/1982).

Die Beschwerdeführer waren im Zeitpunkt der Auflösung des Vereines dessen Mitglieder (Präsident und Stellvertreterin des Präsidenten). Ihre Legitimation zur Beschwerdeführung ist somit gegeben.

Da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen vorliegen, ist die Beschwerde zulässig.

2. Der angefochtene Bescheid ist materiell auf §24 VG gestützt. Diese Gesetzesbestimmung lautet:

"Jeder Verein kann aufgelöst werden, wenn von ihm Beschlüsse gefaßt oder Erlässe ausgefertigt werden, welche den Bestimmungen des §20 dieses Gesetzes zuwiderlaufen, wenn er seinen statutenmäßigen Wirkungskreis überschreitet oder überhaupt den Bedingungen seines rechtlichen Bestandes nicht mehr entspricht."

Danach ist die Behörde - wie der Verfassungsgerichtshof im Erkenntnis VfSlg. 8090/1977 dargetan hat - zur Auflösung eines Vereines nur dann befugt, wenn hiefür ein schwerwiegender Grund vorliegt.

3.a. Der im vorliegenden Zusammenhang maßgebliche Punkt 2 der Statuten des Vereines "Institut für europäische soziale und humanitäre Zusammenarbeit" lautete:

"Der Verein, dessen Tätigkeit nicht auf Gewinn gerichtet ist, bezweckt ausschließlich und unmittelbar die Unterstützung von und Hilfeleistung an in Not geratene Ausländer, insbesondere aber auch jede erdenkliche Unterstützung bei der Arbeitssuche sowie besonders auch bei der Wohnungssuche und den etwaig erforderlichen Beistand bei Behördengängen oder sonstigen Verwaltungsangelegenheiten. Der Verein verfolgt die Idee eines gemeinsamen Europas und die in diesem Sinne zu entwickelnden Beziehungen über die Grenzen Österreichs hinausgehend in kultureller und vor allem in sozialer und humanitärer Hinsicht. Der Verein stellt sich die Aufgabe menschliche Hilfe jeglicher Art zuteil werden zu lassen, überall dort, wo diese besonders nötig ist sowie jedem, dessen Schicksal die Hilfe des Vereins herausfordert.

Der Verein ist gemeinnützig; es wird jegliches Gewinnstreben ausgeschlossen. Weder Mitglieder noch Nicht-Mitglieder dürfen durch zweckfremde Verwaltungsausgaben oder durch unverhältnismässig hohe Vergütungen begünstigt werden. Der Verein erfüllt den Vereinszweck so weit als möglich selbst. Für den Fall, daß dritte Personen den begünstigten Zweck im Auftrag des Vereines, wenn auch nur teilweise, erfüllen, ist dies nur zulässig, wenn diese dritten Personen den Weisungen des Vereines unterworfen sind."

b. Die belangte Behörde hat den Auflösungsbescheid im wesentlichen wie folgt begründet:

"Aufgrund der im Akt befindlichen Unterlagen und Erhebungsergebnisse ist erwiesen, daß der Verein 1991 und 1992 in ehemaligen Ostblockstaaten Arbeitskräfte (zB Haushaltshilfen) anwarb und diese an Interessenten insbesondere in Südtirol vermittelt hat. Von den Arbeitskräften wurde die Bezahlung eines Betrages von ÖS 550,--, vom Dienstgeber eines solchen von ÖS 4.800,-- begehrt.

So lautet es in einem vom Verein an eine Südtirolerin gerichteten Schreiben vom 29. November 1991 abschließend:

'Wenn es zu einer Anstellung (der vermittelten tschechoslowakischen Hausgehilfin) kommt, dann erwarten wir die Bezahlung des Institutsbeitrages von ÖS 4.800,--, mit welchem sie unsere Tätigkeit unterstützen.'

Ob die über M R verhängte Ersatzfreiheitsstrafe EMRK konform ist oder nicht ist im gegebenen Zusammenhang ohne Belang.

Die arbeitsvermittelnde Tätigkeit des Vereines ist erwiesen. Sie führte sogar zu einer Anfrage im Südtiroler Landtag.

Fest steht, daß der Vereinspräsident beim Verein angestellt war, daß er dem Verein Räume vermietet und sich von diesem über ihn verhängte Verwaltungsstrafen bezahlen ließ.

Dieser Sachverhalt wird in der Berufung nicht in Abrede gestellt.

Die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Tirol hat den Sachverhalt rechtlich zutreffend gewürdigt:

Das gewerbsmäßige Vermitteln von Arbeitskräften war die Haupttätigkeit des Vereines. Sie war in den Statuten nicht gedeckt. Das Setzen strafbarer Handlungen durch Vereinsorgane, die - wie im gegenständlichen Fall - dem Verein zuzurechnen sind, stellt eine Übertretung des statutenmäßigen Wirkungsbereiches dar (vgl. zB VfSlg. 3957/1961).

Der Verein war außerdem auf Gewinn gerichtet (§2 Vereinsgesetz 1951). Ein Widerspruch zu §2 Vereinsgesetz 1951 rechtfertigt jedoch die Untersagung der Vereinsbildung nach §6 leg.cit.. Damit aber entsprach er nicht mehr den Bedingungen seines rechtlichen Bestandes (vgl. zB VfSlg. 9567/1982).

Ein Verein ist ua dann auf Gewinn gerichtet, wenn er bloß den Deckmantel für die Erwerbstätigkeit von Vereinsfunktionären oder dritten Personen abgibt (vgl. VfSlg. 4411/1963, 8844/1980 und 11 735/1988).

Entgegen der in der Berufung vertretenen Ansicht liegt ein solcher Fall hier vor:

Zwar ist es unbedenklich, wenn ein Verein über die zur Ausübung der statutenmäßigen Tätigkeit erforderlichen Angestellten, Büroräume und Fahrzeuge verfügt und dafür die angemessene Bezahlung leistet. Als vereinsrechtlich unzulässig muß aber dieser Vorgang dann bezeichnet werden, wenn auf diesen Gebieten der einzige oder doch hauptsächliche Vertragspartner des Vereins dessen eigener Präsident ist, der also mit sich selbst kontrahiert. Das Angestelltengehalt des Präsidenten betrug monatlich ÖS 16.000,--, der monatliche Mietzins für das von ihm dem Verein vermietete Büro ÖS 5.500,--. Diese Beträge erlaubten dem Vereinspräsidenten, daraus den Lebensunterhalt zu bestreiten, und fallen derart ins Gewicht, daß der Verein offenkundig als Deckmantel für die Erwerbstätigkeit seines Präsidenten diente.

Die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Tirol hat aufgrund des von ihr festgestellten Sachverhaltes sohin zu Recht das Vorliegen der im §24 Vereinsgesetz 1951 verankerten Voraussetzungen für eine behördliche Vereinsauflösung bejaht. Dies auch unter Berücksichtigung der Judikatur des Verfassungsgerichtshofes (zB VfSlg. 8090/1977), wonach die Behörde von der ihr nach der zitierten Gesetzesbestimmung erteilten Ermächtigung nur dann Gebrauch machen darf, wenn dies aus den in Art11 Abs2 EMRK taxativ aufgezählten Gründen notwendig ist.

Im gegenständlichen Fall war die Vereinsauflösung im Interesse der öffentlichen Sicherheit und der Aufrechterhaltung der Ordnung geboten."

4. In der Beschwerde gegen diesen Berufungsbescheid wird zunächst darauf hingewiesen, daß ein gegen die Zweitbeschwerdeführerin ergangenes Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Innsbruck vom 9. September 1992 wegen Übertretung des Arbeitsmarktförderungsgesetzes mit Berufungserkenntnis des Unabhängigen Verwaltungssenates Tirol vom 10. März 1993 aufgehoben und das Verwaltungsstrafverfahren eingestellt worden sei. Der Unabhängige Verwaltungssenat Tirol habe festgestellt, daß die der Zweitbeschwerdeführerin zur Last gelegte Vermittlung von Arbeitssuchenden vom Ausland ins Ausland nicht vom Arbeitsmarktförderungsgesetz umfaßt ist, sodaß die Tat weder eine in die Zuständigkeit der Gerichte fallende, noch eine sonst strafbare Verwaltungsübertretung darstelle.

Sodann wird in der Beschwerde im wesentlichen ausgeführt, es seien keine Beweisergebnisse hervorgekommen, wonach der Verein nur ein Deckmantel für die Erwerbstätigkeit von Vereinsfunktionären gewesen wäre, da die seitens der belangten Behörde aufgezählten Beweise einer rechtlichen Überprüfung nicht standhielten bzw. überhaupt verfehlt seien. Es sei zwar richtig, daß der Erstbeschwerdeführer für die Zurverfügungstellung von Büroräumlichkeiten einen Betrag von S 5.500,- monatlich an Miete vom Verein verlangt und weiters für die Benützung seines PKWs dem Verein das amtliche Kilometergeld in Rechnung gestellt habe. Eine derartige Vorgangsweise sei jedoch durchaus üblich, zumal diese Beträge keineswegs als überhöht zu bezeichnen seien. Es sei wohl bei den meisten österreichischen Vereinen so, daß die Verwendung bzw. Zurverfügungstellung von Eigenmitteln der einzelnen Vereinsmitglieder dem Verein in Rechnung gestellt werden. Richtig sei weiters, daß seitens des Vereines zwei- oder dreimal geringfügige Verwaltungsstrafen wegen Verkehrsdelikten für den Erstbeschwerdeführer bezahlt worden seien. Auch dies sei jedoch eine vielfach in Österreich übliche Praxis, welche sicherlich keinen Eingriff in das Grundrecht auf Vereinsfreiheit rechtfertige. Schließlich sei noch festzuhalten, daß der Erstbeschwerdeführer als Präsident des Vereines für seine Tätigkeit ein Gehalt in Höhe von S 16.000,- monatlich bezogen habe. Dagegen habe seine Gattin, die Zweitbeschwerdeführerin, die die Verwaltungstätigkeit des Vereines zum Großteil besorgt habe, völlig unentgeltlich gearbeitet. Auch das dem Vereinspräsidenten bezahlte Entgelt sei zweifelsohne angemessen und keineswegs überhöht gewesen. Es dürfte gerichtsbekannt sein, daß in Österreich zahlreiche als gemeinnützig bezeichnete und anerkannte Vereine existieren, deren angestellte Vereinsmitglieder weitaus höhere Entlohnungen für ihre Tätigkeiten erhielten.

In der Beschwerde wird schließlich festgehalten, daß das gegen beide Beschwerdeführer zu 24 Vr 894/92 beim Landesgericht Innsbruck wegen des Verdachtes der Untreue eingeleitete Strafverfahren noch nicht abgeschlossen sei, sodaß diesbezüglich für die Beschwerdeführer die Unschuldsvermutung zu gelten habe. Im übrigen seien die beiden Beschwerdeführer nach der Hauptverhandlung am 22. Dezember 1992 auf freien Fuß gesetzt worden; die Vereinsbehörde hätte das Ergebnis dieses Strafverfahrens abwarten müssen.

5. Aus dem Beschwerdevorbringen und den in den Verwaltungsakten befindlichen, mit beiden Beschwerdeführern aufgenommenen Niederschriften ergibt sich, daß die - oben unter Punkt 3. wiedergegebenen - Sachverhaltsfeststellungen der belangten Behörde zutreffen. Aus den Aussagen der Zweitbeschwerdeführerin ist - soweit im hier gegebenen Zusammenhang wesentlich - überdies festzuhalten, daß der Verein in Ländern des ehemaligen Ostblocks durch Werbung (auch mittels Inseraten) auf sich aufmerksam gemacht hat, es etwa für den Zeitraum von Ende Februar 1992 bis 14. April 1992 zu ca. 80 Arbeitsvermittlungen gekommen ist, seit Bestehen des Vereines lediglich ein Betrag von S 50.000,- als Unterstützung im Sinne des Vereinszwecks verwendet wurde und daß weitere Überweisungen für Hilfsaktionen oder Bargeldauszahlungen für Hilfsbedürftige nicht stattgefunden haben. Bis 31. März 1992 waren auf das Vereinskonto 1,2 Millionen Schilling eingegangen (Bericht der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Tirol vom 16. April 1992 nach Einsichtnahme in dieses Konto).

Bei zusammenfassender Beurteilung dieser Feststellungen ergibt sich ein eindeutiges Gesamtbild: Die Vereinstätigkeit gab in Wahrheit nur den formalen Deckmantel für die wirtschaftliche Betätigung (s. hiezu Korinek, Vereins- und gewerberechtliche Fragen der Wirtschaftstätigkeit von Vereinen, in: Korinek-Krejci (Hrsg.), Der Verein als Unternehmer (1988), S 40 und Fessler-Keller, Österreichisches Vereinsrecht7 (1990), S 14) des Vereinspräsidenten und seiner Ehefrau ab, einer Tätigkeit, welche keineswegs nur einen Nebeneffekt (s. hiezu VfSlg. 11735/1988) darstellte. Dieses Bild wird durch die freimütige Antwort der Zweitbeschwerdeführerin anläßlich ihrer Einvernahme vor dem Gendarmeriepostenkommando Telfs am 14. April 1992 abgerundet, sie habe ihre Tätigkeit "als Verein" ausgeübt, weil sie die Einnahmen ansonsten versteuern müßte.

Die belangte Behörde konnte daher mit Recht davon ausgehen, daß die vom Verein entfaltete - statutenwidrige - Tätigkeit, für welche die Rechtsform des Vereines vorgeschoben wurde, nicht durch das VG gedeckt war (zum Verein als Deckmantel für eine Erwerbstätigkeit s. VfSlg. 3731/1960 und 4411/1963 sowie insb. VfSlg. 9566/1982). Sie konnte den Verein somit im Interesse der Aufrechterhaltung der Ordnung im Sinne des Art11 Abs2 EMRK gemäß §24 VG behördlich auflösen.

Die Vereinsauflösung war somit gesetzmäßig.

Die Beschwerdeführer sind also nicht im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Vereinsfreiheit verletzt worden.

6. Die Verletzung eines anderen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes kommt angesichts der festgestellten Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides nicht in Betracht (vgl. zB VfSlg. 8567/1979, 9567/1982).

Der Verfassungsgerichtshof hat unter dem Gesichtspunkt des vorliegenden Beschwerdefalles gegen die bei Erlassung des angefochtenen Bescheides angewendeten Rechtsvorschriften keine verfassungsrechtlichen Bedenken (vgl. auch hiezu VfSlg. 9567/1982). Die Beschwerdeführer sind mithin auch nicht wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in ihren Rechten verletzt worden.

Die Beschwerde ist daher abzuweisen, was gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG in nichtöffentlicher Sitzung erfolgen konnte.

Schlagworte

VfGH / Legitimation, Vereinsrecht, Vereinsauflösung, Arbeitsvermittlung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1993:B893.1993

Dokumentnummer

JFT_10068784_93B00893_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten