Index
10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AsylG 1968 §1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Dorner und die Hofräte Dr. Holeschofsky, Dr. Bachler, Dr. Dolp und Dr. Zens als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Kopp, über die Beschwerde des I in W, vertreten durch Dr. K, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 11. Oktober 1994, Zl. 4.339.040/1-III/13/92, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug gemäß § 66 Abs. 4 AVG ergangenen Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 11. Oktober 1994 wurde die Berufung des Beschwerdeführers, eines Staatsangehörigen von Nigeria, der am 10. Mai 1992 in das Bundesgebiet eingereist ist und am 11. Mai 1992 den Antrag auf Asylgewährung gestellt hat, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom 31. Juli 1992, mit welchem festgestellt worden war, daß der Beschwerdeführer nicht Flüchtling sei, abgewiesen.
Der Beschwerdeführer gab bei seiner niederschriftlichen Einvernahme vom 27. Juli 1992 an, er und sein Vater seien seit 1990 Mitglieder des "National-Republikanischen Convents" (NRC) gewesen. Sein Vater sei Sekretär des NRC und für die Landwirtschaft in Benin City zuständig gewesen. Sie hätten gemeinsam Wahlveranstaltungen besucht. Der Bruder seines Vaters sei stellvertretender Sekretär bei der SDP in Benin City gewesen. Dieser habe den Beschwerdeführer und seinen Vater mehrmals aufgefordert, zur SDP zu wechseln. Aufgrund der Ablehnung habe der Onkel mit Konsequenzen gedroht. Im März oder April 1991 seien sein Vater und der Beschwerdeführer samt zwei Parteifreunden zu Wahlveranstaltungen gefahren, wobei sie auf einer Landstraße von acht Mitgliedern der SDP überfallen worden seien. Diese hätten den Beschwerdeführer und seinen Vater aufgefordert, die Partei zu wechseln. Sie hätten abgelehnt, worauf sie angegriffen worden seien. Der Beschwerdeführer sei am linken Unterarm mit einer Flasche leicht verletzt worden und davongelaufen. In Benin City habe er sich bei einem Freund versteckt. Durch diesen habe er erfahren, daß sich sein Vater in einem Krankenhaus in Benin City befinde. Mitglieder der SDP hätten vor dem Krankenhaus Wache gehalten, um auf den Beschwerdeführer zu warten. Sein Vater sei nach ca. zwei Wochen im Krankenhaus seinen Verletzungen erlegen. Da die SDP-Mitglieder nach dem Beschwerdeführer in der ganzen Stadt gesucht hätten, habe er sich als Frau verkleidet und bei seinem Großvater versteckt. Das Elternhaus sei von den SDP-Leuten überfallen worden. Sie hätten nach dem Beschwerdeführer gesucht und mitgeteilt, daß sie den Beschwerdeführer umbringen wollten. Als dies der Beschwerdeführer durch seinen Bruder erfahren habe, sei er zur Polizei gegangen, um dort Schutz zu suchen. Von der Polizei sei ihm mitgeteilt worden, daß er zuerst 500 Naira zu zahlen hätte. Erst nach deren Zahlung würden sie ihn beschützen oder eine Anzeige entgegennehmen. Der Beschwerdeführer habe keine Bestechungsgelder zahlen wollen und sei wieder zurück zu seinem Großvater gegangen. Dieser habe ihm geraten, das Land zu verlassen. Er habe einen Reisepaß, ein Visum nach Bulgarien und Jugoslawien und ein Flugticket nach Sofia organisiert und den Beschwerdeführer bis zu seiner Abreise bei Bekannten in Okogbo versteckt. Der Beschwerdeführer gab letztlich an, er wolle nach Hause fahren, sollte sich die Lage in seiner Heimat beruhigen. Seine Frau und seine beiden Kinder wolle er nicht nach Österreich holen, da diese zu Hause nicht gefährdet seien.
In der gegen den negativen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich gerichteten Berufung betonte der Beschwerdeführer, daß er bei seinem "Erstinterview die reine Wahrheit" gesagt habe. Über die erstinstanzlichen Angaben hinausgehend führte der Beschwerdeführer aus, daß die politische Lage in seinem Heimatland so unsicher sei, daß die Obrigkeit nicht imstande sei, bedrohte Staatsbürger zu schützen, bzw. seien Polizei und Regierung dermaßen korrupt, daß selbst im Falle einer Verurteilung niemals mit einem fairen Gerichtsverfahren zu rechnen sei.
Die belangte Behörde begründete den nunmehr angefochtenen Bescheid im wesentlichen damit, daß die vom Beschwerdeführer angenommene Gefahr einer politischen Verfolgung unbegründet sei. Der NRC sei keine verbotene Organisation. Die Bedrohung und Mißhandlung seiner Person durch Angehörige der SDP könne nicht als asylbegründende mittelbare staatliche Verfolgung gewertet werden, da dies Übergriffe von Einzelpersonen seien, welche sich nicht als politisch, religiös oder ethnisch motivierte, vom Staat initiierte oder geduldete Verfolgungshandlungen darstellten. Die Behauptung, daß es dem Beschwerdeführer unmöglich gewesen sei, sich des Schutzes des Staates zu bedienen, da er dafür Bestechungsgelder hätte zahlen müssen, sei weder ausreichend konkretisiert noch belegt. Die Mißhandlung des Vaters sei asylrechtlich nicht relevant, weil sie nicht gegen den Beschwerdeführer unmittelbar gerichtet gewesen sei. Es müßten konkrete, gegen den Asylwerber selbst gerichtete Verfolgungshandlungen glaubhaft gemacht werden; allgemeine Berichte (z.B. Amnesty International oder CSI) genügten nicht. Die Verfolgung müsse entweder von staatlichen Stellen des Heimatlandes des Asylwerbers ausgehen oder der betreffende Staat sei nicht in der Lage oder nicht gewillt, die von anderen Stellen ausgehenden Verfolgungshandlungen hintanzuhalten. Der Beschwerdeführer habe niemals angegeben, konkreter und individueller Verfolgung aus Konventionsgründen, ausgehend von den Behörden seines Heimatlandes, ausgesetzt gewesen zu sein. Er hätte sich sehr wohl unter den Schutz des Staates stellen können, um den Angriffen der SDP-Angehörigen zu entgehen. Es sei ihm des weiteren offen gestanden, sich in einen anderen Landesteil zu begeben, um den Drohungen seines Onkels und den damit in Verbindung stehenden Angriffen der SDP-Mitglieder in seiner Heimatstadt zu entgehen. Die belangte Behörde kam zu dem Schluß, daß der Beschwerdeführer nicht Verfolgung aus den in § 1 Z. 1 des Asylgesetzes 1991 genannten Gründen zu gewärtigen hatte bzw. derzeit für den Fall einer etwaigen Rückkehr in seine Heimat zu befürchten hätte.
Die dagegen erhobene Beschwerde rügt zunächst, daß der Beschwerdeführer die Berufung zu einem Zeitpunkt eingebracht habe, zu welchem § 20 Abs. 2 Asylgesetz 1991 in der nicht bereinigten Fassung in Geltung gestanden sei. Er sei dadurch zum Zeitpunkt der Einbringung in der Geltendmachung von Berufungsgründen in rechtswidriger Weise beschränkt gewesen. Die belangte Behörde habe nach der durch Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 1. Juli 1994, G 92, 93/94, durch welches das Wort "offenkundig" in § 20 Abs. 2 Asylgesetz 1991 aufgehoben wurde, wobei die Kundmachung des Erkenntnisses mit BGBl. Nr. 610/1994 am 5. August 1994 erfolgte, keine Gelegenheit zu einer Ergänzung seines Berufungsvorbringens eingeräumt. Er ergreife nunmehr die Gelegenheit, Mängel des erstinstanzlichen Verfahrens zu rügen und bringe in diesem Zusammenhang neue Tatsachen betreffend die Stellung der SDP in Nigeria vor. Des weiteren rügt der Beschwerdeführer im Sinne des § 16 Abs. 1 Asylgesetz 1991 einen Ermittlungsmangel, weil er nicht aufgefordert worden sei, seine Angaben zu konkretisieren oder zu bescheinigen. Er gehe aber selbst davon aus, daß er seine Angaben "seiner Ansicht nach ohnehin ausreichend" konkretisiert und bescheinigt habe.
Unter Rechtswidrigkeit des Inhaltes bringt der Beschwerdeführer im wesentlichen vor, daß aus seinen erstinstanzlichen Angaben bereits eine wohlbegründete Furcht im Sinne des § 1 Z. 1 Asylgesetz 1991 zu erkennen sei.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Die belangte Behörde ging unrichtigerweise davon aus, daß sie das AsylG 1991 anzuwenden hatte. Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 31. März 1993, Zl. 92/01/0831 - auf das gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird -, ausführlich begründet hat, bewirkt die Anhängigkeit eines Asylverfahrens in erster Instanz am 1. Juni 1992, daß für das gesamte Verfahren das AsylG (1968) anzuwenden ist.
Die belangte Behörde hätte daher im vorliegenden Beschwerdefall das (bei ihr erst nach dem 1. Juni 1992 anhängig gewordene) Verwaltungsverfahren gemäß § 25 Abs. 1 erster Satz AsylG 1991 nach der bis zum Inkrafttreten dieses Bundesgesetzes geltenden Rechtslage zu Ende zu führen gehabt. Daß sie demgegenüber - anders als die Behörde erster Instanz - bereits die materiellen Bestimmungen dieses Bundesgesetzes angewendet hat, bedeutet aber noch nicht zwangsläufig eine zu seiner Aufhebung führende Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides, setzt doch eine solche eine damit verbundene Rechtsverletzung des Beschwerdeführers voraus. Diese ist aus der Anwendung des § 1 Z. 1 AsylG 1991 noch nicht gegeben, weil der Flüchtlingsbegriff des § 1 Z. 1 AsylG 1991 von jenem des § 1 AsylG (1968) - ungeachtet dessen, daß es nach der neuen Rechtslage für den Erwerb dieses Status keiner behördlichen Feststellung mehr bedarf, was im gegebenen Zusammenhang ohne rechtliche Bedeutung ist - nicht abweicht, sondern mit dem des Art. 1 Abschnitt A der Genfer Flüchtlingskonvention, soweit es sich um dessen Z. 2 (in der Fassung des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 18/1974) handelt, vollinhaltlich übereinstimmt.
Der Beschwerdeführer verkennt, daß - selbst nach dem hier nicht anzuwendenden AsylG 1991 - nach der Kundmachung des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes vom 1. Juli 1994 kein Hindernis bestand, auch andere als "offenkundige" Verfahrensmängel in einer Berufungsergänzung zu rügen. Auf diese Berufungsergänzung hätte die belangte Behörde einzugehen gehabt. Es ist im Gesetz keine Verpflichtung der Behörde normiert, den Beschwerdeführer in förmlicher Weise auf diese Möglichkeit der Berufungsergänzung aufmerksam zu machen. Umso mehr gilt dies für ein Verfahren nach dem AsylG (1968), welches eine der Norm des § 20 Abs. 2 AsylG 1991 vergleichbare Bestimmung nicht kannte. Da der Beschwerdeführer diese Möglichkeit jedoch bis zur Erlassung des angefochtenen Bescheides (die Zustellung erfolgte am 14. Oktober 1994) nicht genützt hat, unterliegt das neue Tatsachenvorbringen in der Beschwerde betreffend die angeblich dominante Stellung der SDP in Nigeria dem im verwaltungsgerichtlichen Verfahren geltenden Neuerungsverbot des § 41 Abs. 1 VwGG.
Der Beschwerdeführer hat aber bereits in erster Instanz dargestellt, daß er aufgrund eines Rivalitätsverhältnisses zwischen den Parteien NRC und SDP von Mitgliedern der letzteren Partei verfolgt werde. Die ihm drohende Verfolgung wiederholte und unterstrich er in der Berufung mit der Behauptung, daß sein Leben als enger politischer Mitarbeiter seines Vaters besonders bedroht sei. Er habe nur durch die Flucht einem Anschlag entgehen können. Diese Bedrohung wertete die belangte Behörde lediglich mit dem Argument, daß es sich beim NRC um keine verbotene Organisation handle, als unglaubwürdig. Ohne Ermittlungen und nähere Begründung kann diesem Schluß der belangten Behörde jedoch nicht gefolgt werden, zumal dem Beschwerdeführer diesbezüglich auch keine Widersprüche in seinen Angaben entgegengehalten wurden.
Damit wäre für den Beschwerdeführer noch nichts gewonnen, denn - wie die belangte Behörde richtig erkannt hat - ist nur eine solche Verfolgung asylrechtlich relevant, die entweder von staatlichen Stellen des Heimatlandes ausgeht, oder wenn der betreffende Staat nicht in der Lage oder nicht gewillt ist, die von anderen Stellen ausgehenden Verfolgungshandlungen hintanzuhalten.
Der Beschwerdeführer hat diesbezüglich zunächst nur behauptet, staatlichen Schutz nicht in Anspruch genommen zu haben, weil er nicht bereit war, die geforderten 500 Naira zu bezahlen, weshalb in der hierauf gestützten Schlußfolgerung der belangten Behörde, der Beschwerdeführer hätte sich unter den Schutz des Staates stellen können, um den Angriffen SDP-Angehöriger zu entgehen, keine Rechtswidrigkeit zu erkennen ist. Der Beschwerdeführer hat auch nicht angedeutet, daß die SDP - so wie in der Beschwerde dargestellt - de facto staatliche Autorität ausübe. Folgte man dieser - wie oben ausgeführt, dem Neuerungsverbot unterliegenden - Behauptung, so wäre im übrigen gänzlich unverständlich, daß der Beschwerdeführer in erster Instanz vorbrachte, zur Polizei gegangen zu sein, um Schutz zu suchen. Da der Beschwerdeführer auch den konkreten Umstand ausführte, weshalb er in der Folge den Schutz der Polizei nicht in Anspruch nahm, bestand für die Behörde erster Instanz kein Grund, auf eine weitere Konkretisierung seiner Angaben zu dringen. Jedoch hat der Beschwerdeführer in der Berufung behauptet, die staatlichen Stellen seien weder imstande noch gewillt, bedrohte Staatsbürger zu schützen und dies mit der politisch unsicheren Lage und der Korruption der Behörden (incl. Polizei) begründet.
Mit diesem Vorbringen hat sich die belangte Behörde nicht auseinandergesetzt.
Nach dem gemäß § 67 AVG auch von der Berufungsbehörde anzuwendenden § 60 leg. cit. sind in der Begründung des Berufungsbescheides die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenzufassen. Demnach muß in der Bescheidbegründung in einer eindeutigen, die Rechtsverfolgung durch die Partei ermöglichenden und einer nachprüfenden Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechtes zugänglichen Weise dargetan werden, welcher Sachverhalt der Entscheidung zugrunde gelegt wurde, aus welchen Erwägungen die Behörde zu der Ansicht gelangte, daß gerade dieser Sachverhalt vorliege und aus welchen Gründen sie die Subsumtion dieses Sachverhaltes unter einen bestimmten Tatbestand als zutreffend erachtete (vgl. u.a. die hg. Erkenntnisse vom 30. Mai 1985, Zl. 84/08/0047, vom 28. Juni 1988, Zl. 87/11/0066, und vom 26. Juli 1995, Zl. 94/20/0722). Diesen Erfordernissen wird der angefochtene Bescheid insoweit nicht gerecht, als diesem nicht klar entnommen werden kann, aus welchen Erwägungen und aufgrund welcher Ermittlungsergebnisse die belangte Behörde der Ansicht ist, die in der Berufung behauptete Schutzunfähigkeit bzw. -unwilligkeit des Heimatstaates liege nicht vor, zumal es sich hiebei um keine offenkundige Tatsache handelt.
Da somit Verfahrensvorschriften außer acht gelassen wurden, bei deren Einhaltung die belangte Behörde zu einem anderen Bescheid hätte kommen können, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Von der von dem Beschwerdeführer beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG abgesehen werden.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 416/1994.
Schlagworte
Sachverhalt Neuerungsverbot Besondere RechtsgebieteEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1996:1995190025.X00Im RIS seit
20.11.2000