Index
001 Verwaltungsrecht allgemein;Norm
AVG §37;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Leukauf und die Hofräte Dr. Waldner, Dr. Bernard, Dr. Graf und Dr. Gall als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Neumeister, über die Beschwerde des A in L, vertreten durch Mag. T, Rechtsanwalt in L, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Oberösterreich vom 9. Juni 1995, Zl. VerkR-391.801/2-1995/Au, betreffend Wiederaufnahme eines Verfahrens und Erteilung einer Lenkerberechtigung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.770,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Auf Grund eines vom Beschwerdeführer (einem ghanesischen Staatsangehörigen) am 16. September 1994 gestellten Antrages erteilte ihm die Erstbehörde, die Bundespolizeidirektion Linz, am 4. November 1994 gemäß § 64 Abs. 6 KFG 1967 auf Grund seiner ghanesischen Lenkerberechtigung eine österreichische Lenkerberechtigung für Kraftfahrzeuge der Gruppe B. Ebenfalls am 4. November 1994 leitete sie - aus Gründen, die den vorgelegten Verwaltungsakten nicht entnommen werden können - Erhebungen zur Frage der Echtheit des vom Beschwerdeführer bei seiner Antragstellung vorgelegten ghanesischen Führerschein-Dokumentes ein. Auf Grund eines entsprechenden Ersuchens wurde von der Kriminaltechnischen Zentralstelle in der Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit beim Bundesministerium für Inneres ein "Untersuchungsbericht" vom 20. Jänner 1995 erstellt. Darin wurde ausgeführt, daß zwei Seiten des (mehrseitigen) Dokumentes Nachahmungen darstellten, weil sie auf "elektrofotografischem Weg" hergestellt worden seien. Eine Reihe von Umständen (unregelmäßig punktierte Schreibhilfslinien mit teilweisen Druckausfällen, eine Vielzahl verstümmelter Buchstaben, Reproduktionsspuren durch unsaubere Entfernung der Ausfüllschriften vor der Reproduktion, allgemein sehr unsauberes und nur schlecht lesbares Druckbild) sprächen dafür, daß auch die restlichen Seiten Nachahmungen darstellten. Hingewiesen wurde ferner darauf, daß die in das Dokument eingeklebten Verlängerungen teilweise keine Seriennummer aufwiesen (lediglich die letzte Verlängerung sei mit einer Seriennummer versehen) und daß der Ausstellungsort vom Wohnort des Beschwerdeführers 300 km entfernt sei, wobei der untersuchenden Stelle auch im Wohnort ausgestellte unbedenkliche Führerscheine bekannt seien. Die auf den Ecken des Lichtbildes befindlichen Abdrucke stammten nicht von Stampiglien, sondern seien "jeweils drei willkürlich gesetzte Abdrucke eines oder mehrerer Werkzeuge und somit nicht ... authentische Abdrucke einer zur Ausstellung autorisierten Behörde". Hinsichtlich der Ausfüllschriften seien keine Abänderungen oder Hinzufügungen festgestellt worden, für eine Lichtbildauswechslung ergebe sich kein Anhaltspunkt.
Mit Bescheid vom 8. März 1995 nahm die Erstbehörde gemäß § 69 Abs. 3 und Abs. 1 Z. 1 AVG das Verfahren betreffend Erteilung einer österreichischen Lenkerberechtigung wieder auf und wies den Antrag des Beschwerdeführers vom 16. September 1994 ab. In seiner Berufung gegen diesen Bescheid bekämpfte der Beschwerdeführer die Annahme der Behörde, der von ihm vorgelegte Führerschein sei gefälscht; er rügte, daß er keine Gelegenheit gehabt habe, das kriminaltechnische Untersuchungsergebnis zur Kenntnis und dazu Stellung zu nehmen, und wies insbesondere auf die Möglichkeit hin, eine Anfrage an die Ausstellungsbehörde in Ghana zu stellen. Laut Niederschrift vom 26. Mai 1995 wurde dem Beschwerdeführer der kriminaltechnische Untersuchungsbericht vom 20. Jänner 1995 zur Kenntnis gebracht; er hielt seine Behauptung, der Führerschein sei echt, aufrecht.
Mit dem angefochtenen Bescheid wurde der Berufung keine Folge gegeben und der Bescheid vom 8. März 1995 bestätigt.
In seiner an den Verwaltungsgerichtshof gerichteten Beschwerde macht der Beschwerdeführer Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend und beantragt die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides. Die belangte Behörde hat eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 69 Abs. 1 Z. 1 AVG ist dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Bescheid abgeschlossenen Verfahrens stattzugeben, wenn ein Rechtsmittel gegen den Bescheid nicht oder nicht mehr zulässig ist und der Bescheid durch Fälschung einer Urkunde, falsches Zeugnis oder eine andere gerichtlich strafbare Handlung herbeigeführt oder sonstwie erschlichen worden ist. Gemäß § 69 Abs. 3 AVG kann unter den Voraussetzungen des Abs. 1 die Wiederaufnahme des Verfahrens auch von Amts wegen verfügt werden. Gemäß § 64 Abs. 6 KFG 1967 ist Besitzern einer im Ausland erteilten Lenkerberechtigung auf Antrag insoweit ohne Ermittlungsverfahren eine Lenkerberechtigung mit dem gleichen Berechtigungsumfang zu erteilen, als auf Grund der Vorschriften des Staates, in dem die ausländische Lenkerberechtigung erteilt wurde, bei der Erteilung einer Lenkerberechtigung auf Grund einer österreichischen Lenkerberechtigung von der Feststellung der Erteilungsvoraussetzungen abzusehen ist. Diesem Antrag darf nur unter den in dieser Gesetzesstelle näher angeführten Voraussetzungen stattgegeben werden.
Es kann dahinstehen, welche Gründe dafür ausschlaggebend waren, daß die Erstbehörde am selben Tag sowohl dem Beschwerdeführer durch Aushändigung eines österreichischen Führerscheines eine Lenkerberechtigung erteilt als auch Ermittlungen über die Echtheit des vom Beschwerdeführer vorgelegten ausländischen Führerscheines in die Wege geleitet hat. Beide Verhaltensweisen stehen zueinander in unauflösbarem Widerspruch. Bei Bedenken gegen das Vorliegen einer ausländischen Lenkerberechtigung, weil der zu ihrem Nachweis beigebrachte Führerschein nicht echt sei, hätte keinesfalls mit der Erteilung der Lenkerberechtigung vorgegangen werden dürfen, sondern das Ermittlungsverfahren betreffend Erteilung einer österreichischen Lenkerberechtigung ergänzt werden müssen.
Hat aber die Behörde die beantragte Lenkerberechtigung erteilt und hegt sie Bedenken gegen das Vorliegen des der Erteilung zugrundeliegenden Bestandes einer ausländischen Lenkerberechtigung, so ist es ihre Sache, ihre Annahme des Erschleichens der österreichschen Lenkerberechtigung durch eine gerichtlich strafbare Handlung (hier durch Verwendung einer verfälschten öffentlichen Urkunde) durch Ergebnisse eines Ermittlungsverfahrens ausreichend zu belegen. Anders als im Verfahren betreffend Erteilung der Lenkerberechtigung besteht für die Partei zunächst keine qualifizierte Mitwirkungspflicht, deren Verletzung zur Versagung der beantragten Lenkerberechtigung führen kann (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 30. Jänner 1996, Zl. 93/11/0281). Wenn es darum geht, eine bereits erteilte Lenkerberechtigung im Wege einer amtswegigen Wiederaufnahme wieder aus der Welt zu schaffen, muß die Behörde von Amts wegen die ihr erforderlich erscheinenden Ermittlungen anstellen und kann jedenfalls dann, wenn dazu die Mitwirkung der Partei nicht unbedingt erforderlich ist, das bloße Bestreiten der Richtigkeit ihrer Annahme nicht zum Anlaß nehmen, ihre Annahme als erhärtet anzusehen, nur weil die Partei von sich aus keine konkreten Schritte unternommen hat, ihre Bestreitung zu untermauern.
Auf den konkreten Fall angewendet bedeutet dies, daß der vorliegende kriminaltechnische Befund, der in seinen Aussagen keinesfalls eindeutig darauf schließen läßt, dem vom Beschwerdeführer beigebrachten Dokument liege keine Lenkerberechtigung zugrunde, und dessen Richtigkeit vom Beschwerdeführer der Sache nach bestritten wurde, noch zum Anlaß für die amtswegige Wiederaufnahme hätte genommen werden dürfen. Wenn auch einiges dafür spricht, daß der Führerschein zumindest teilweise nicht von einer Behörde hergestellt worden sei, so ist doch insbesondere bemerkenswert, daß dies auf die zuletzt erfolgte Verlängerung ihrer Gültigkeit nicht zuzutreffen scheint und daß eine Auswechslung des Lichtbildes des Beschwerdeführers offenbar nicht anzunehmen sei. Wenn somit auf Grund dieses Befundes auch Zweifel am Bestand einer Lenkerberechtigung des Beschwerdeführers gerechtfertigt gewesen sind, so hätte die Behörde der entscheidenden Frage durch eine Anfrage bei der angegebenen ausländischen Kraftfahrbehörde nachzugehen gehabt (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 23. November 1993, Zl. 93/11/0151). Das Unterbleiben dieser Ermittlungen stellt einen Verfahrensmangel dar. Dieser Verfahrensmangel ist auch wesentlich, weil - wie sich aus den Akten des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens ergibt - eine solche Anfrage durchaus Aussicht auf Beantwortung gehabt hätte und ein für den Beschwerdeführer sprechendes Ergebnis hätte erbringen können (der Beschwerdeführer hat sich aus Ghana eine Bestätigung beschafft, wonach ihm eine Lenkerberechtigung erteilt worden sei).
Die Verfügung der amtswegigen Wiederaufnahme ist damit mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften behaftet und gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b VwGG aufzuheben. Diese Aufhebung hat notwendigerweise auch die durch die Wiederaufnahme ermöglichte Entscheidung im wiederaufgenommenen Erteilungsverfahren zu umfassen.
Der Zuspruch von Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Das Mehrbegehren war abzuweisen, weil die Umsatzsteuer bereits in dem Pauschalsatz für Schriftsatzaufwand nach der zitierten Verordnung enthalten ist.
Schlagworte
Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Beweislast Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung MitwirkungspflichtEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1996:1995110260.X00Im RIS seit
11.07.2001