TE Vfgh Erkenntnis 2022/9/20 E4601/2021

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Veröffentlicht am 20.09.2022
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Index

41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, Asylrecht

Norm

BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1
AsylG 2005 §3, §6, §8, §10, §57
FremdenpolizeiG 2005 §46, §52, §55
Flüchtlingskonvention Genfer, BGBl 55/1955 Art1 Abschnitt D
Statusrichtlinie 2011/95/EU Art12
VfGG §7 Abs2
  1. VfGG § 7 heute
  2. VfGG § 7 gültig ab 22.03.2020 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 16/2020
  3. VfGG § 7 gültig von 01.01.2015 bis 21.03.2020 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 101/2014
  4. VfGG § 7 gültig von 01.01.2015 bis 31.12.2014 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 92/2014
  5. VfGG § 7 gültig von 01.03.2013 bis 31.12.2014 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 33/2013
  6. VfGG § 7 gültig von 01.07.2008 bis 28.02.2013 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 4/2008
  7. VfGG § 7 gültig von 01.01.2004 bis 30.06.2008 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 100/2003
  8. VfGG § 7 gültig von 01.10.2002 bis 31.12.2003 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 123/2002
  9. VfGG § 7 gültig von 01.01.1991 bis 30.09.2002 zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 329/1990
  10. VfGG § 7 gültig von 01.07.1976 bis 31.12.1990 zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 311/1976

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Abweisung eines Antrages auf internationalen Schutz betreffend einen staatenlosen palästinensischen Flüchtling; mangelhafte Auseinandersetzung mit Länderinformationen des UNHCR über den Gazastreifen

Spruch

I. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973) verletzt worden.

Das Erkenntnis wird aufgehoben.

II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1. Der Beschwerdeführer ist ein aus dem palästinensischen Autonomiegebiet des Gazastreifens (im Folgenden: Gaza) stammender staatenloser Palästinenser, der sich zum sunnitisch-muslimischen Glauben bekennt. Er ist beim Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästinaflüchtlinge im Nahen Osten (United Nations Relief and Works Agency for Palestine Refugees in the Near East – UNRWA) als palästinensischer Flüchtling in Gaza registriert. Nach seiner Einreise in das österreichische Bundesgebiet stellte der Beschwerdeführer am 4. Mai 2016 einen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Bei der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) am 9. Jänner 2018 gab der Beschwerdeführer an, dass er sein Zuhause verlassen habe, als im Juli 2014 der Krieg zwischen Israel und den Rebellen in Gaza begonnen habe. Eine Bombe sei in das Haus seiner Familie eingeschlagen. Der Beschwerdeführer und sein Bruder seien dabei verletzt worden. Nach dem Bombenangriff sei das Haus seiner Familie wiederaufgebaut worden und die Familie dorthin zurückgekehrt. Am 20. Jänner 2016 seien gegen Mitternacht fünf maskierte Männer auf das Feld vor dem Haus gekommen. Nachdem ein Familienmitglied des Beschwerdeführers die Männer aufgefordert habe, das Grundstück zu verlassen, hätten die Männer den Beschwerdeführer mitnehmen wollen. Daraufhin sei er zunächst zu Verwandten und danach, als er auch dort gesucht worden sei, nach Europa geflohen.

3. Mit Bescheid vom 25. Jänner 2018 wies das BFA den Antrag gemäß §3 Abs1 iVm §2 Abs1 Z13 AsylG 2005 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten und gemäß §8 Abs1 iVm §2 Abs1 Z13 AsylG 2005 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ab, erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass eine Abschiebung nach Israel (Gaza) zulässig sei und setzte eine vierzehntägige Frist für die freiwillige Ausreise.

4. Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit Erkenntnis vom 12. November 2021 mit der Maßgabe als unbegründet ab, dass der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß §3 Abs3 Z2 iVm §6 Abs1 Z1 AsylG 2005 abzuweisen sei.

Begründend führt das Bundesverwaltungsgericht im Wesentlichen aus, dass gemäß §6 Abs1 Z1 AsylG 2005 bzw Art12 Abs1 lita Richtlinie 2011/95/EU über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (im Folgenden: Status-RL), ABl. 2011 L 337, 9, ein Fremder von der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigen ausgeschlossen sei, solange er Schutz gemäß Art1 Abschnitt D GFK genieße. Der Beschwerdeführer sei als palästinensischer Flüchtling beim UNRWA registriert. Er falle daher in den Anwendungsbereich des Art1 Abschnitt D GFK. Es sei zu prüfen, ob der Beistand des UNRWA nicht länger gewährt werde, was unter anderem voraussetze, dass der Wegzug des Beschwerdeführers durch nicht von ihm zu kontrollierende und von seinem Willen unabhängige Gründe gerechtfertigt sei, die ihn zum Verlassen des Gebietes gezwungen hätten und auch pro futuro daran hindern würden, den vom UNRWA gewährten Beistand zu genießen.

Die vom Beschwerdeführer behauptete Bedrohung bzw Verfolgung durch Mitglieder der Hamas bzw unbekannte Dritte vor der Ausreise sei nicht glaubhaft, weshalb der Beschwerdeführer eine individuelle Verfolgung im Herkunftsstaat nicht glaubhaft machen habe können. Es seien sohin unter diesem Gesichtspunkt keine von seinem Willen unabhängige Gründe, die ihn zum Verlassen seiner Herkunftsregion gezwungen und an der Inanspruchnahme des Schutzes des UNRWA gehindert hätten, hervorgekommen. Andere außerhalb des Einflussbereiches des Beschwerdeführers liegende Gründe für die Unmöglichkeit einer Inanspruchnahme des Schutzes des UNRWA seien von Amts wegen nicht festzustellen, zumal auch die länderkundlichen Informationen zur Herkunftsregion des Beschwerdeführers nicht aufzeigten, dass eine Wiedereinreise nach Gaza gänzlich unmöglich wäre oder das UNRWA dort seine Aktivitäten eingestellt hätte. Schließlich seien auch keine stichhaltigen Hinweise dafür hervorgekommen, dass das UNRWA seine Aufgaben in Gaza wegen eines aktuellen innerstaatlichen bewaffneten Konflikts nicht mehr wahrnehmen könnte oder aus sonstigen Gründen nicht mehr vor Ort agieren würde. Der Beschwerdeführer habe sohin den Schutz und Beistand des UNRWA, dem er sich jedoch freiwillig entzogen habe. Der Schutz des UNRWA werde ihm auch weiterhin gewährt, weshalb sein Wegzug nicht gerechtfertigt gewesen sei. Der Beschwerdeführer sei somit gemäß §6 Abs1 Z1 AsylG 2005 von der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ausgeschlossen.

Auch die Voraussetzungen der Gewährung des subsidiären Schutzes gem. §8 Abs1 AsylG 2005 seien nicht gegeben. Der Beschwerdeführer sei als arbeitsfähiger Mann mit Schulbildung, abgeschlossenem Studium und Berufserfahrung als Gelegenheitsarbeiter im Herkunftsstaat selbsterhaltungsfähig. Darüber hinaus könne davon ausgegangen werden, dass ihm bei seiner Rückkehr auch im Rahmen seines Familienverbandes eine ausreichende wirtschaftliche und soziale Unterstützung zuteilwerde und er auf die Unterstützung des UNRWA zurückgreifen könne. Es gebe auch keine Anhaltspunkte dafür, dass dem Beschwerdeführer bei seiner Rückkehr eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der körperlichen Unversehrtheit drohe. Das BVwG verkenne nicht, dass die Sicherheitslage in den palästinensischen Autonomiegebieten angespannt sei und wesentlich vom israelisch-palästinensischen Konflikt geprägt sei. Doch habe nach der Eskalation der Lage zwischen Israel und Gaza am 12. und 13. November 2019 seit dem 14. November 2019 ein Waffenstillstand geherrscht. Zwar sei es im Sommer zu einer neuerlichen Eskalation des Konfliktes zwischen palästinensischen Gruppierungen und israelischen Militärkräften gekommen, die auch Menschenleben auf palästinensischer und israelischer Seite gefordert habe. Aber auch angesichts dessen sowie einer teils schwierigen allgemeinen Versorgungslage stelle sich die Lage in Gaza nicht dergestalt dar, dass jeder dort Lebende mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit der Verletzung seiner Rechte nach Art2 und 3 EMRK ausgesetzt wäre.

5. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, beantragt wird.

6. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Gerichts- und Verwaltungsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift jedoch abgesehen.

II. Erwägungen

1. Die – zulässige – Beschwerde ist begründet:

2. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg cit gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

3. Ein solcher Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:

3.1. UNRWA ist eine Organisation der Vereinten Nationen im Sinne des Art1 Abschnitt D GFK, auf die sowohl Art12 Abs1 lita Status-RL als auch §6 Abs1 Z1 AsylG 2005 Bezug nehmen. Die Rechtsstellung von Asylwerbern, die unter dem Schutz oder Beistand des UNRWA stehen, unterscheidet sich von jener anderer Asylwerber (VfSlg 19.777/2013; VfGH 24.9.2018, E761/2018 ua mwN):

Gemäß §6 Abs1 Z1 AsylG 2005 (in Umsetzung des Art12 Abs1 lita erster Satz Status-RL und dieser wiederum in Entsprechung des Art1 Abschnitt D erster Satz GFK) sind diese Personen von der Anerkennung als Flüchtling zunächst ausgeschlossen. Sie genießen aber – nach der in diesem Punkt im innerstaatlichen Recht nicht umgesetzten und sohin unmittelbar anwendbaren Bestimmung des zweiten Satzes des Art12 Abs1 lita Status-RL – dann "ipso facto" den Schutz der Status-RL bzw der GFK, wenn der Schutz oder Beistand des UNRWA "aus irgendeinem Grund" nicht länger gewährt wird. Dieser "ipso facto"-Schutz bewirkt insofern eine Privilegierung, als für die Zuerkennung des Status von Asylberechtigten keine Verfolgung aus den in Art1 Abschnitt A GFK genannten Gründen glaubhaft zu machen ist, sondern nur, dass sie erstens unter dem Schutz des UNRWA gestanden sind und zweitens, dass dieser Beistand aus "irgendeinem Grund" weggefallen ist. Die erste Voraussetzung ist mit der Vorlage einer UNRWA-Registrierungskarte erfüllt (EuGH 17.6.2010, Rs C-31/09, Bolbol, Rz 52). Die zweite Voraussetzung erfordert eine Prüfung, "ob der Wegzug des Betroffenen durch nicht von ihm zu kontrollierende und von seinem Willen unabhängige Gründe gerechtfertigt ist, die ihn zum Verlassen dieses Gebiets zwingen und somit daran hindern, den vom UNRWA gewährten Beistand zu genießen" (EuGH 19.12.2012 [GK], Rs C-364/11, El Kott, Rz 61). Ein Zwang zum Verlassen des Einsatzgebietes einer Organisation iSd Art12 Abs1 lita zweiter Satz Status-RL liegt nach den Ausführungen des Gerichtshofes der Europäischen Union in der Rechtssache El Kott dann vor, wenn sich die betroffene Person in einer sehr unsicheren persönlichen Lage befindet und es dem UNRWA unmöglich ist, ihr in diesem Gebiet Lebensverhältnisse zu gewährleisten, die mit der Aufgabe des UNRWA im Einklang stehen (EuGH, El Kott, Rz 65; vgl auch EuGH 25.7.2018, Rs C-585/16, Alheto, Rz 86). Bei dieser Beurteilung ist nach der weiteren Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union auch festzustellen, ob der Betroffene derzeit daran gehindert ist, Schutz oder Beistand des UNRWA zu erhalten, weil sich mutmaßlich die Lage im betreffenden Einsatzgebiet aus nicht von ihm zu kontrollierenden und von seinem Willen unabhängigen Gründen verschlechtert hat (EuGH 3.3.2022, Rs C-349/20, NB und AB, Rz 57). Zur Feststellung, ob der Schutz oder Beistand des UNRWA nicht länger gewährt wird, sind im Rahmen einer individuellen Beurteilung aller maßgeblichen Umstände des fraglichen Sachverhaltes alle Operationsgebiete des Einsatzgebietes des UNRWA zu berücksichtigen, in deren Gebiete ein Staatenloser palästinensischer Herkunft, der dieses Einsatzgebiet verlassen hat, eine konkrete Möglichkeit hat, einzureisen und sich dort in Sicherheit aufzuhalten (EuGH 13.1.2021, Rs C-507/19, Bundesrepublik Deutschland, Rz 67).

3.2. Im Februar 2015 veröffentlichte der UNHCR, dessen Einschätzungen im gegebenen Zusammenhang maßgebliches Gewicht zukommt (vgl VfGH 24.9.2018, E761/2018 ua mwN), eine mit dem UNRWA koordinierte Position, in der die Staaten ersucht werden, von einer Rückverbringung palästinensischer Flüchtlinge in den Gazastreifen abzusehen, bis sich die Lebensbedingungen und die humanitäre Situation spürbar und erheblich bessern, wobei dies auch bei der Prüfung von Anträgen nach Art1 Abschnitt D GFK gebührend zu berücksichtigen sei. Die militärischen Eskalationen im Gazastreifen im Sommer 2014 hätten enorme Zerstörungen hinterlassen. Der Abschiebestopp diene als Minimumstandard und müsse aufrecht bleiben, "until such time as the situation in Gaza has improved sufficiently" (UNHCR, Position on Deportations to Gaza, Februar 2015, 2). UNHCR verwies auch 2018 nochmals auf sein Ersuchen um eine "non-removal policy" aus dem Jahr 2015 (siehe UNHCR, Country of Origin Information on the Situation in the Gaza Strip, Including on Restrictions on Exit and Return, Februar 2018). Demgegenüber sieht das Bundesverwaltungsgericht im vorliegenden Fall – ohne auf die seit 2015 vom UNHCR eingenommene Position zu Abschiebungen in den Gazastreifen Bezug zu nehmen – keine Hindernisse für eine Rückkehr nach Gaza. Das Bundesverwaltungsgericht legt auch nicht dar, dass es auf Grund nachfolgender Länderinformationen zu einer anderen Einschätzung als der UNHCR gelangt wäre.

3.3. Vielmehr ist in der jüngsten Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 21. Mai 2021 – die das Bundesverwaltungsgericht gleichfalls nicht berücksichtigt – weiterhin keine Verbesserung der Lage zu erkennen. Im Gegenteil wird von einer zunehmenden Verschlechterung, insbesondere seit dem Gaza-Krieg im Mai 2021, berichtet:

"Die Kämpfe zwischen Israel und der Hamas eskalierten im Mai 2021 zu der schwersten Auseinandersetzung seit dem Gaza-Krieg 2014. […]

In den seit Jahren intensivsten Luftangriffen wurden bisher mindestens 188 Menschen im Gazastreifen und zehn in Israel getötet. […]

Israel führte Hunderte von Luft- und mehrere Bodenangriffe im Gazastreifen durch, jedoch drangen die IDF-Truppen im Rahmen einer Bodenoffensive in den Gazastreifen nicht ein. […] Im Gazastreifen wird die Lage für die Zivilbevölkerung immer dramatischer. Hilfsgüter werden knapp – und COVID-19 beeinflusst die Lage ebenso.

Wie schon bei den vorangegangenen gewalttätigen Auseinandersetzungen des Konflikts zwischen Israel und Palästina hat sich auch zum Berichtszeitpunkt die Situation für die Zivilbevölkerung im Gazastreifen erneut verschlechtert. Bereits jetzt haben laut UN-Angaben rund 10.000 Menschen aus Furcht vor einer bevorstehenden israelischen Bodenoffensive ihre Wohnungen verlassen. […]

Die Angriffe erschweren auch die Arbeit für Hilfsorganisationen, auf die große Teile der Zivilbevölkerung im Gazastreifen angewiesen sind."

3.4. Indem das Bundesverwaltungsgericht weder die Position des UNHCR noch die Anfragebeantwortung der Staatendokumentation berücksichtigt, hat es seine Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt unterlassen und sein Erkenntnis daher mit Willkür belastet (vgl VfGH 14.6.2022, E761/2022).

III. Ergebnis

1. Der Beschwerdeführer ist somit durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander gemäß ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, verletzt worden.

Das Erkenntnis wird aufgehoben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– enthalten. Ein Ersatz der Eingabegebühr ist nicht zuzusprechen, weil der Beschwerdeführer Verfahrenshilfe im Umfang des §64 Abs1 Z1 lita ZPO genießt.

Schlagworte

Asylrecht, Entscheidungsbegründung, Ermittlungsverfahren, Rückkehrentscheidung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2022:E4601.2021

Zuletzt aktualisiert am

21.11.2022
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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