TE Vfgh Erkenntnis 2022/9/29 E903/2022

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Veröffentlicht am 29.09.2022
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Index

41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, Asylrecht

Norm

BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1
AsylG 2005 §8, §10, §57
FremdenpolizeiG 2005 §46, §52, §55
VfGG §7 Abs2
  1. AsylG 2005 § 8 heute
  2. AsylG 2005 § 8 gültig von 01.11.2017 bis 31.10.2017 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 84/2017
  3. AsylG 2005 § 8 gültig ab 01.11.2017 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 145/2017
  4. AsylG 2005 § 8 gültig von 01.01.2014 bis 31.10.2017 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 68/2013
  5. AsylG 2005 § 8 gültig von 01.01.2014 bis 31.12.2013 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 87/2012
  6. AsylG 2005 § 8 gültig von 01.01.2010 bis 31.12.2013 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 122/2009
  7. AsylG 2005 § 8 gültig von 01.01.2006 bis 31.12.2009
  1. VfGG § 7 heute
  2. VfGG § 7 gültig ab 22.03.2020 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 16/2020
  3. VfGG § 7 gültig von 01.01.2015 bis 21.03.2020 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 101/2014
  4. VfGG § 7 gültig von 01.01.2015 bis 31.12.2014 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 92/2014
  5. VfGG § 7 gültig von 01.03.2013 bis 31.12.2014 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 33/2013
  6. VfGG § 7 gültig von 01.07.2008 bis 28.02.2013 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 4/2008
  7. VfGG § 7 gültig von 01.01.2004 bis 30.06.2008 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 100/2003
  8. VfGG § 7 gültig von 01.10.2002 bis 31.12.2003 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 123/2002
  9. VfGG § 7 gültig von 01.01.1991 bis 30.09.2002 zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 329/1990
  10. VfGG § 7 gültig von 01.07.1976 bis 31.12.1990 zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 311/1976

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Nichtzuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten betreffend einen kurdischen Staatsangehörigen des Iraks; mangelhafte Auseinanderset-zung mit den Erkrankungen des Beschwerdeführers und der medizinischen Versorgung in seiner Herkunftsregion

Spruch

I. 1. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit die Beschwerde gegen die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak, gegen die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, gegen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung, gegen die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung und gegen die Festsetzung einer 14-tägigen Frist für die freiwillige Ausreise abgewiesen wird, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.

Das Erkenntnis wird insoweit aufgehoben.

2. Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.

II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.640,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1. Der Beschwerdeführer ist ein im Jahr 1988 geborener irakischer Staatsangehöriger, der der sunnitischen Glaubensrichtung und der Volksgruppe der Kurden angehört. Vor seiner Ausreise aus dem Irak lebte er zuletzt in der Kleinstadt Darbandichan, in der in der Autonomen Region Kurdistan gelegenen Provinz Sulaymaniyah. Als Fluchtgründe führte der Beschwerdeführer zum einen gesundheitliche Beschwerden an: So ließ er sich bereits mehrfach wegen Antrumgastritis (Magenschleimhautentzündung im Bereich des Magenantrums), Hämatemesis (Erbrechen von Blut), Pruritus (Juckreiz) sowie einer rezidivierenden Herpesinfektion medizinisch behandeln. Zum anderen drohe ihm bei Rückkehr eine Verfolgung durch den IS, weil sein Vater als Mitglied der Patriotischen Union Kurdistans regierungskritische und islamkritische Handlungen gesetzt hätte und sein Bruder bei einer Spezialeinheit der Polizei tätig gewesen sei. Der Beschwerdeführer leidet des Weiteren – wie dies auch das Bundesverwaltungsgericht festgestellt hat – an einer rezidivierenden depressiven Störung, einer posttraumatischen Belastungsstörung sowie einer anhaltenden Persönlichkeitsveränderung nach Extrembelastung.

2. Am 10. Juli 2017 stellte der Beschwerdeführer im Bundesgebiet einen Antrag auf internationalen Schutz. Mit Bescheid vom 25. Juli 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl diesen Antrag sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten als unbegründet ab, erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass die Abschiebung in den Irak zulässig ist, und setzte eine Frist von 14 Tagen für die freiwillige Ausreise.

3. Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit Erkenntnis vom 28. Februar 2022 als unbegründet ab.

Das Bundesverwaltungsgericht begründet seine Entscheidung – auf das Wesentliche zusammengefasst – damit, dass es dem Beschwerdeführer nicht gelungen sei, eine individuell gegen seine Person gerichtete asylrelevante Verfolgung glaubhaft zu machen. Auch die Voraussetzungen für die Zuerkennung von subsidiärem Schutz lägen nicht vor. Ganz allgemein bestehe im Irak keine solche Gefährdungslage, dass gleichsam jeder, der dorthin zurückkehrt, einer Gefährdung im Sinne des Art2 und 3 EMRK bzw des 6. oder 13. ZPEMRK ausgesetzt sei. Ferner stünde auch die psychische Beeinträchtigung einer Erwerbstätigkeit des Beschwerdeführers nicht entgegen und er könne sich die – in seiner Herkunftsregion zugänglichen – Medikamente durch die Aufnahme einer beruflichen Tätigkeit auch finanzieren. Diesbezüglich führt das Bundesverwaltungsgericht Folgendes aus:

"Seiner Erwerbsfähigkeit steht auch seine psychische Beeinträchtigung nicht entgegen. Wie festgestellt, ist ihm unter Einnahme von Medikamenten eine berufliche Tätigkeit möglich und kann er sich dadurch die benötigten Medikamente finanzieren. Diese sind ihm in seinem Herkunftsstaat, so auch in Erbil, zugänglich, wie ihm auch die stationäre und ambulante Hilfe und medizinische Betreuung, allenfalls auch in entsprechenden Fachkliniken (für Innere Medizin, Dermatologie Gastroenterologie und Psychiatrie), zur Verfügung steht. Auch wenn eine Konsultation eines Psychiaters oder Psychologen nicht vom öffentlichen Gesundheitssystem umfasst sein sollte, sondern er eine private Versorgung in Anspruch nehmen müsste, kann der Beschwerdeführer auf die Unterstützung seiner im Irak lebenden Familie zurückgreifen. Seine Eltern unterstützten ihn nicht nur, solange er sich im Irak aufhielt bzw im Fall der wiederholten Rückkehr in den Irak, sondern finanzierten auch die in Österreich durchgeführten medizinischen Behandlungen bis zu seiner zuletzt erfolgten Einreise in das Bundesgebiet im Juni 2017. In der mündlichen Verhandlung versicherte der Beschwerdeführer, dass es seiner Familie finanziell ganz gut gehe (S 5). Daher kann er weiterhin darauf vertrauen, dass er im Irak die medizinische und fachärztliche Betreuung und die Behandlung mit Medikamenten wird in Anspruch nehmen können. Die Medikamente mit den entsprechenden Wirkstoffen sind im Irak, so auch in Erbil, erhältlich.

Daran können die Bestätigungen der Psychosozialer Dienst Burgenland-GmbH vom 13.10.2021, wonach der Beschwerdeführer seit seinem ersten Kontakt Ende September 2021 in regelmäßigem Kontakt zur Einrichtung stehe und er auch zwei Mal wöchentlich an einer begleiteten Walkinggruppe teilnehme, und der Psychotherapeutin V-M vom 28.01.2021, wonach er von der Österreichischen Gesundheitskasse im Ausmaß von 30 Sitzungen bewilligte psychotherapeutische Behandlung wegen 'Angst und depressive Störung, gemischt' in Anspruch nehme, nichts ändern. Der Beschwerdeführer zeigt, belegt durch aktuelle (fach-) ärztliche und/oder medizinische Befunde, zum gegebenen Zeitpunkt keine psychotischen Symptome auf, wie auch eine Suizidgefahr derzeit nicht vorliegt. Die medizinische Versorgung seiner psychischen Krankheiten ist im Irak, wie dem Länderinformationsblatt zum Irak zu entnehmen ist, möglich. Auch wenn Therapiestunden aus Eigenem zu bezahlen wären, wird er diese durch das erzielte Einkommen aus einer Erwerbstätigkeit und die familiäre Unterstützung finanzieren können. Eine lebensbedrohliche Erkrankung ist nicht gegeben. Wie bereits dargelegt, hat der Beschwerdeführer auch im Irak Zugang zu Medikamenten; eine weitergehende Behandlung benötigt er nicht und war er in den letzten Jahren auch nicht mehr stationär aufgenommen worden. Selbst wenn sich seine Erkrankung im Zuge der Abschiebung verschlechtern sollte, ist nicht von einer 'unwiederbringlichen' Verschlechterung auszugehen. Die Rückkehr zu seinen Eltern und seinen Geschwistern kann auf der anderen Seite auch zu einer Verbesserung seiner psychischen Situation führen. Es ist nicht zu verkennen, dass die Behandlung in Österreich für den Beschwerdeführer besser und kostengünstiger sein mag, doch reicht dies nicht, um eine Verletzung der in Art2 und 3 EMRK geschützten Rechte darzulegen. Wenn in der Beschwerde moniert wird, dass der Beschwerdeführer bei der Rückkehr in den Irak die notwendigen Medikamente und die entsprechende medizinische Behandlung nicht erhalten könne, wird verkannt, dass dies nicht die für eine Verletzung der in Art2 und Art3 EMRK geschützten Rechte geforderte Schwelle erreicht. Dass die Behandlung im Zielland nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver ist, ist, wie bereits dargelegt, der Rechtsansicht des Verwaltungsgerichtshofes folgend, unerheblich."

4. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses beantragt wird.

5. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl und das Bundesverwaltungsgericht haben die Verwaltungs- bzw Gerichtsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift jedoch abgesehen.

II. Erwägungen

A. Soweit sich die – zulässige – Beschwerde gegen die Abweisung der Beschwerde durch das Bundesverwaltungsgericht hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak, der Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, der Erlassung einer Rückkehrentscheidung, der Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung und der Festsetzung einer 14-tägigen Frist für die freiwillige Ausreise richtet, ist sie begründet:

1. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg cit gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

2. Ein derartiger, in die Verfassungssphäre reichender Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht bei seiner Entscheidung hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten unterlaufen:

2.1. In Bezug auf den Gesundheitszustand des Beschwerdeführers stellt das Bundesverwaltungsgericht zunächst fest, dass dieser an einer rezidivierenden depressiven Störung (gegenwärtig eine schwere Episode), einer posttraumatischen Belastungsstörung sowie einer anhaltenden Persönlichkeitsveränderung nach Extrembelastung leide. Ferner stellte das Bundesverwaltungsgericht fest, dass der Beschwerdeführer am 12. Jänner 2020 einen Suizidversuch verübt habe, auf Grund dessen er auch stationär in der Psychiatrie des Wiener Krankenanstaltenverbundes aufgenommen worden sei. Während dieses stationären Aufenthaltes habe der Beschwerdeführer weitere Suizidversuche und wiederholt selbstverletzende Verhaltensweisen durchgeführt. Zur Behandlung seiner psychischen Erkrankungen seien dem Beschwerdeführer auch – im angefochtenen Erkenntnis näher bezeichnete – Medikamente verschrieben worden und er stehe in psychotherapeutischer Behandlung.

In seiner rechtlichen Beurteilung gelangt das Bundesverwaltungsgericht sodann zur Schlussfolgerung, dass der Beschwerdeführer unter Einnahme von Medikamenten einer beruflichen Tätigkeit nachgehen könne und er sich durch die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit die benötigten Medikamente – die in der Herkunftsregion zugänglich seien – finanzieren könne. Ferner trifft das Bundesverwaltungsgericht unter Bezugnahme auf (nicht näher spezifizierte) "aktuelle fachärztliche und medizinische Befunde" die Annahme, dass im Entscheidungszeitpunkt keine psychotischen Symptome und keine Suizidgefahr vorlägen.

2.2. In den dem Erkenntnis zugrunde gelegten Länderinformationen ("Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zum Irak vom 15.10.2021") finden sich zwar allgemeine Ausführungen zur medizinischen Versorgung in der Herkunftsregion (Sulaymaniyah) des Beschwerdeführers, jedoch fehlt es an konkreten Informationen zur Verfügbarkeit von psychotherapeutischen Behandlungsmöglichkeiten und dem Zugang zu den vom Beschwerdeführer benötigten Medikamenten (vgl etwa das Themenpapier der Schweizerischen Flüchtlingshilfe, "Irak: Psychiatrische Versorgung in Sulaimaniyya" vom 13.5.2020 zur psychotherapeutischen Versorgungslage). Das Bundesverwaltungsgericht geht nun aber zum einen selbst von der Notwendigkeit der Einnahme von Medikamenten zur Behandlung der psychischen Erkrankungen des Beschwerdeführers aus und zum anderen zeichnet sich eine rezidivierende depressive Störung insbesondere dadurch aus, dass sie wiederholt auftritt und folglich – ohne Fortsetzung der psychotherapeutischen Behandlung – eine erneute Verschlechterung des Zustandes des Beschwerdeführers im Falle einer Rückkehr in die Herkunftsregion drohen kann. Das Bundesverwaltungsgericht wäre daher verpflichtet gewesen, die zur Erhebung des entscheidungsrelevanten Sachverhaltes notwendigen Ermittlungsschritte hinsichtlich des Zuganges zu psychotherapeutischen Behandlungsmöglichkeiten und den benötigten Medikamenten in der Herkunftsregion des Beschwerdeführers zu setzen. Ferner bleibt auch unter Bezugnahme auf die Gerichts- und Verwaltungsakten unklar, auf welche konkreten "aktuellen fachärztlichen und medizinischen Befunde" sich die Feststellungen des Bundesverwaltungsgerichtes zum Gesundheitszustand des Beschwerdeführers im Entscheidungszeitpunkt stützen.

2.3. Das Bundesverwaltungsgericht hat es somit unterlassen, sich mit der individuellen Situation des Beschwerdeführers im Falle der Rückkehr in den Irak auseinanderzusetzen und die für diese Auseinandersetzung maßgeblichen Ermittlungsschritte vorzunehmen. Insbesondere fehlt neben einer Würdigung des aktuellen Gesundheitszustandes und der Schwere der Erkrankung auch eine konkrete Auseinandersetzung mit dem Zugang des Beschwerdeführers zu psychotherapeutischen Behandlungsmöglichkeiten und der Verfügbarkeit der von ihm benötigten Medikamente in seiner Herkunftsregion (vgl etwa VfGH 11.6.2019, E3796/2018; 18.3.2022, E948/2022; s. weiters zur Maßgeblichkeit dieser Kriterien EGMR 13.12.2016 [GK], Fall Paposhvili, Appl 41738/10 [Z189 f.]).

2.4. Soweit sich das angefochtene Erkenntnis auf die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten und – daran anknüpfend – auf die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, die Erlassung einer Rückkehrentscheidung sowie auf die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung in den Herkunftsstaat Irak unter Setzung einer 14-tägigen Frist für die freiwillige Ausreise bezieht, ist es daher mit Willkür behaftet und insoweit aufzuheben.

B. Im Übrigen, soweit sich die Beschwerde gegen die Abweisung des Antrages auf Zuerkennung des Status des Asylberechtigten richtet, wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt:

1. Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde ablehnen, wenn von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144 Abs2 B-VG). Ein solcher Fall liegt vor, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich sind.

2. Die Beschwerde rügt die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten. Die gerügten Rechtsverletzungen wären im vorliegenden Fall aber nur die Folge einer – allenfalls grob – unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beantwortung der aufgeworfenen Fragen nicht anzustellen.

III. Ergebnis

1. Der Beschwerdeführer ist somit durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit seine Beschwerde gegen die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak, gegen die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, gegen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung, gegen die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung und gegen die Festsetzung einer 14-tägigen Frist für die freiwillige Ausreise abgewiesen wird, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) verletzt worden.

Das Erkenntnis ist daher in diesem Umfang aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

2. Im Übrigen wird von der Behandlung der Beschwerde abgesehen.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 bzw §19 Abs3 Z1 iVm §31 letzter Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 400,– sowie eine Eingabengebühr gemäß §17a VfGG in der Höhe von € 240,– enthalten.

Schlagworte

Asylrecht / Vulnerabilität, Ermittlungsverfahren, Entscheidungsbegründung, Rückkehrentscheidung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2022:E903.2022

Zuletzt aktualisiert am

21.11.2022
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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