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001 Verwaltungsrecht allgemeinNorm
BDG 1979 §43 Abs2Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Thienel, die Hofräte Dr. Doblinger und Mag. Feiel sowie die Hofrätinnen Dr. Koprivnikar und Mag. Schindler als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Vitecek, über die Revision des Disziplinaranwaltes beim Bundesministerium für Inneres gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 30. Mai 2022, W116 2252604-1/6E, betreffend Disziplinarstrafe nach dem BDG 1979 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesdisziplinarbehörde; mitbeteiligte Partei: A B in C, vertreten durch Dr. Hans-Moritz Pott, Rechtsanwalt in 8940 Liezen, Döllacher Straße 1; weitere Partei: Bundesminister für Kunst, Kultur, öffentlicher Dienst und Sport), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
1 1. Die Mitbeteiligte steht als Polizistin in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis zum Bund. Mit Wirkung vom 1. September 2020 wurde sie aus dem Planstellenbereich der LPD D zur PI X im Bereich der LPD E versetzt.
2 2.1. Mit Urteil des LG Leoben vom 25. Juni 2021 wurde die Mitbeteiligte wegen des Vergehens des schweren Diebstahls durch Einbruch oder mit Waffen gemäß den §§ 127, 128 Abs. 1 Z 5, 129 Abs. 1 Z 2 StGB schuldig gesprochen und nach § 129 Abs. 1 StGB zu zehn Monaten Freiheitsstrafe sowie gemäß § 389 Abs. 1 StPO zum Ersatz der Kosten des Strafverfahrens verurteilt. Die Mitbeteiligte habe im Tatzeitraum am Tatort eine fremde bewegliche Sache einem anderen durch Öffnen eines Behältnisses mit einem widerrechtlich erlangten Schlüssel mit dem Vorsatz weggenommen, sich oder einen Dritten durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, indem sie im Haus ihrer Schwiegereltern den im Esszimmer verwahrten Tresorschlüssel an sich genommen, mit diesem den Tresor geöffnet und daraus Bargeld im Wert von € 173.600,-- und eine näher bezeichnete Goldmünze in unbekanntem Wert der F und des G weggenommen habe.
3 Gemäß § 43 Abs. 1 StGB wurde der Vollzug der Freiheitsstrafe unter Bestimmung einer Probezeit in der Dauer von drei Jahren bedingt nachgesehen. Gemäß § 369 Abs. 1 StPO wurde die Mitbeteiligte schuldig gesprochen, den Privatbeteiligten jeweils einen Schadenersatzbetrag in der Höhe von € 45.800,-- binnen 14 Tagen zu bezahlen.
4 Mildernd wurde vom Strafgericht das Geständnis, der bisherige ordentliche Lebenswandel, die teilweise Schadensgutmachung und die Bereitschaft der vollständigen Schadensgutmachung gewertet; erschwerend dagegen die hohe Schadenssumme und der Umstand, dass die Tat als Exekutivbeamtin vorgenommen worden sei.
5 2.2. Mit Beschluss des LG Leoben vom 22. Februar 2022 wurde die über die Mitbeteiligte verhängte Freiheitsstrafe gemäß § 31a StGB nachträglich auf acht Monate gemildert, weil diese mittlerweile den vollen Schaden wieder gut gemacht habe.
6 3. Mit Disziplinarerkenntnis der belangten Behörde vom 4. Februar 2022 wurde die Mitbeteiligte nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung schuldig gesprochen, durch die auch vom Strafgericht inkriminierte Tathandlung ihre Dienstpflicht nach § 43 Abs. 2 BDG 1979, nämlich in ihrem gesamten Verhalten darauf zu achten, dass das Vertrauen der Allgemeinheit in die sachliche Wahrnehmung ihres Amtes erhalten bleibe, gemäß § 91 BDG 1979 schuldhaft verletzt zu haben. Gemäß § 92 Abs. 1 Z 4 BDG 1979 wurde über die Mitbeteiligte die Disziplinarstrafe der Entlassung verhängt.
7 4.1. Das Bundesverwaltungsgericht (Verwaltungsgericht) gab der lediglich gegen den Strafausspruch dieses Disziplinarerkenntnisses erhobenen Beschwerde der Mitbeteiligten nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung Folge und setzte als Disziplinarstrafe anstelle der Entlassung gemäß § 92 Abs. 1 Z 3 BDG 1979 die Disziplinarstrafe der Geldstrafe in der Höhe von fünf Monatsbezügen fest (Spruchpunkt A). Weiters sprach es aus, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof zulässig sei (Spruchpunkt B).
8 4.2. Das Verwaltungsgericht traf u.a. folgende Feststellungen: Die Mitbeteiligte stehe als Polizistin in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis zum Bund. Mit Wirkung vom 1. September 2020 sei sie vom Planstellenbereich der LPD D in jenen der LPD E versetzt worden; zu diesem Zeitpunkt habe sie sich nach der Geburt ihres dritten Kindes bereits in Karenzurlaub befunden. Mit Bescheid der LPD E vom 23. Juli 2021 sei ihr gemäß § 75 Abs. 1 BDG 1979 Karenzurlaub gegen Entfall der Bezüge von 14. August 2021 bis 13. August 2022 gewährt worden. Am 27. Dezember 2020 habe die Mitbeteiligte im Zuge eines Besuchs im Haus ihrer Schwiegereltern den im Esszimmer verwahrten Tresorschlüssel widerrechtlich an sich genommen, damit den Tresor geöffnet und aus diesem Bargeld im Wert von € 173.600,-- sowie eine Goldmünze weggenommen, das der Schwester der Schwiegermutter und deren Ehemann gehörten, um sich damit unrechtmäßig zu bereichern. Einen Teil des Geldes (ca. € 40.000,--) habe die Mitbeteiligte verwendet, um offene Kreditraten und laufende Rechnungen zu bezahlen, für ca. € 15.000,-- habe sie Kinderwaren eingekauft, welche sie in der Folge über einen Onlineshop gewinnbringend habe wiederverkaufen wollen, um damit das aus dem Tresor genommene Geld wieder zurückzahlen zu können. Im April 2021 habe die Schwiegermutter das Fehlen des Geldes bemerkt. Da im Zuge einer daraufhin abgehaltenen Familiensitzung nicht hervorgekommen sei, wer das Geld genommen habe, sei man übereingekommen, dass jene fünf Personen, die dafür in Frage gekommen seien, das Geld gemeinsam zurückzahlen sollten. Dabei habe es sich um die Mitbeteiligte, ihren Ehemann, den Bruder des Ehemannes und die Schwiegereltern gehandelt, also jene Familienmitglieder, denen der Aufenthaltsort des Tresorschlüssels bekannt gewesen sei. Die Eigentümer des Geldes hätten dieser Vereinbarung zugestimmt. Durch diese familiäre Situation habe sich die Mitbeteiligte zunehmend unter Druck gesetzt gefühlt, was schließlich dazu geführt habe, dass sie wenige Tage später der Schwiegermutter gestanden habe, das Geld genommen zu haben. Noch am selben Tag sei der Bruder des Ehemannes mit Polizeibeamten im Haus der Mitbeteiligten erschienen. Die Mitbeteiligte habe ein Geständnis abgelegt, den Opfern der Straftat den noch in ihrem Besitz befindlichen Teilbetrag von € 81.800,-- sowie die Goldmünze zurückgegeben, sich entschuldigt und volle Schadenswiedergutmachung versprochen.
9 4.3. Das Verwaltungsgericht führte unter Zitierung von Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes aus, die Mitbeteiligte habe „grundsätzlich“ ein Verhalten gesetzt, das geeignet sei, das Vertrauen der Allgemeinheit in die sachliche Wahrnehmung ihrer dienstlichen Aufgaben als Polizistin schwer zu erschüttern, und dass sie damit auch einen Verstoß gegen die in § 43 Abs. 2 BDG 1979 normierte Dienstpflicht begangen habe. Die Pflicht des Beamten, in seinem gesamten Verhalten darauf Bedacht zu nehmen, dass das Vertrauen der Allgemeinheit in die sachliche Wahrnehmung seiner dienstlichen Aufgaben erhalten bleibe, umfasse nämlich sowohl sein dienstliches als auch sein außerdienstliches Verhalten.
10 Die Mitbeteiligte sei als Polizistin nach dem SPG grundsätzlich auch zur Abwehr und Verfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen nach dem StGB berufen. Wenn eine Polizistin außerhalb ihres Dienstes selbst Vergehen nach dem StGB begehe, verletze sie damit eben jene Rechtsgüter, die sie im Dienst zu schützen habe. Dazu komme, dass die Mitbeteiligte in der Vergangenheit auch tatsächlich regelmäßig mit kriminalpolizeilichen Aufgaben betraut worden sei. Ein besonderer Funktionsbezug liege daher vor.
11 Auch gebe es einen disziplinären Überhang; ein Einbruchsdiebstahl einer Polizistin sei grundsätzlich geeignet, das Vertrauen der Allgemeinheit nicht nur in die sachliche Wahrnehmung ihrer Aufgaben, sondern auch in das rechtmäßige Vorgehen der Exekutive an sich schwer zu beeinträchtigen. Aufgrund der sensiblen Aufgaben der Exekutive sei gerade in diesem Bereich das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Rechtstreue ihrer Organe für ein ordnungsgemäßes Funktionieren des Polizeibetriebes unverzichtbar. Die Verhängung einer zusätzlichen Disziplinarstrafe erscheine daher nach Ansicht des Verwaltungsgerichtes jedenfalls notwendig, um allen Exekutivbediensteten das mit ihrer besonderen Stellung verbundene hohe Maß an Verantwortung vor Augen zu führen.
12 Zu Recht sei die belangte Behörde von einer schweren Dienstpflichtverletzung ausgegangen. Der Gesetzgeber habe für das von der Mitbeteiligten verwirklichte Delikt der Eigentumskriminalität einen Strafrahmen von bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe vorgesehen, wobei auch die hohe Schadenssumme bei der objektiven Schwere mit zu berücksichtigen sei. Außerdem habe die Mitbeteiligte gerade jene Werte verletzt, zu deren Schutz sie als Polizistin berufen sei, was bei der Beurteilung der Schwere als gravierend ins Gewicht falle.
13 In subjektiver Sicht habe die Mitbeteiligte nach den bindenden Feststellungen des Strafgerichtes vorsätzlich gehandelt.
14 Allerdings sei gemäß dem nach § 93 Abs. 1 dritter Satz BDG 1979 zu berücksichtigenden § 32 StGB auch darauf Bedacht zu nehmen, inwieweit die Tat auf eine gegenüber rechtlich geschützten Werten ablehnende oder gleichgültige Einstellung des Täters und inwieweit sie auf äußere Umstände oder Beweggründe zurückzuführen sei, durch die sie auch einem mit den rechtlich geschützten Werten verbundenen Menschen naheliegen könnten.
15 Die Mitbeteiligte habe sich zur Tatzeit offensichtlich steigendem finanziellen und auch familiärem Druck ausgesetzt gesehen, weil sie sich bereits mehrere Jahre zur Betreuung ihrer damals ein, vier und sechs Jahre alten Kinder in Karenz befunden und damit zunächst ein geringeres und schließlich gar kein Einkommen mehr gehabt habe, aber von ihrem Ehemann dennoch erwartet worden sei, dass sie für die monatlichen Kreditrückzahlungen und laufenden Betriebskosten weiter alleine aufkommen solle, weil er der Ansicht gewesen sei, dass er bereits die gemeinsame Wohnraumbeschaffung zum Großteil finanziert habe. Die Mitbeteiligte, die anfangs noch mit finanzieller Unterstützung ihres Vaters habe rechnen können, sei bei der Bezahlung der offenen Rechnungen immer mehr in Schwierigkeiten geraten. Gegenüber ihrem Ehemann und dessen Familie habe sie diese Probleme „offenbar aus Scham oder falschem Stolz“ nicht angesprochen. Schließlich habe sie die Gelegenheit eines Besuchs bei den Schwiegereltern genützt, um den Schlüssel für den Safe, dessen Aufbewahrungsort sie gekannt habe, an sich zu nehmen, diesen zu öffnen und sich das darin von der Schwester der Schwiegermutter und deren Ehemann verwahrte Bargeld anzueignen, zumal sich die beiden für ein halbes Jahr in Südafrika aufgehalten hätten und die Mitbeteiligte gehofft habe, mit zukünftigen Einnahmen aus einem von ihr geplanten Webshop ausreichend Geld zu verdienen, um das Geld wieder zurücklegen zu können, bevor die Tat bemerkt werde. Diese Tatumstände würden die Tat zwar weder zu rechtfertigen noch zu entschuldigen vermögen, ließen jedoch ebensowenig auf eine generell gegenüber rechtlich geschützten Werten ablehnende oder gleichgültige Haltung schließen.
16 Zusammengefasst habe die Mitbeteiligte eine in objektiver Hinsicht schwere Dienstpflichtverletzung begangen, wobei ihr auch subjektiv ein hoher Grad an Verschulden vorzuwerfen sei.
17 Für die Strafbemessung im engeren Sinne sei das Verwaltungsgericht davon überzeugt, dass die Mitbeteiligte die Tat zutiefst bereue und in Zukunft weder weitere strafbare Handlungen noch Dienstpflichtverletzungen begehen werde. Sie sei sich ihrer Schuld bewusst und habe sich mit aller Kraft um Schadenswiedergutmachung bemüht. Vor dem Hintergrund dieser positiven Zukunftsprognose bedürfe es keiner zusätzlichen Disziplinarstrafe, um die Mitbeteiligte von der Begehung weiterer Dienstpflichtverletzungen abzuhalten.
18 Aus generalpräventiven Gründen sei zu überlegen, dass in Anbetracht der vorliegenden objektiv und subjektiv schwerwiegenden Dienstpflichtverletzung und ihrer potentiell negativen Auswirkungen auf das notwendige Vertrauen der Öffentlichkeit in die für ein ordnungsgemäßes Funktionieren unerlässliche Rechtstreue ihrer Organe grundsätzlich auch eine strenge Disziplinarstrafe geboten erscheine, um allen Exekutivbediensteten das mit ihrer besonderen Stellung verbundene hohe Maß an Verantwortung vor Augen zu führen und diese so von der Begehung derartiger Pflichtverletzungen in Zukunft abzuhalten.
19 Es seien im vorliegenden Fall jedoch auch Milderungsgründe zu berücksichtigen: der bisherige ordentliche Lebenswandel und die Tatsache, dass die Tat in auffallendem Widerspruch zu ihrem sonstigen Verhalten stehe; der Umstand, dass sie ihren Dienst bisher ohne Beanstandung erfüllt habe und dafür sogar dreimal Belobigungen für besonderen Fle