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19/05 Menschenrechte;Norm
AufG 1992 §5 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Dorner und die Hofräte Dr. Holeschofsky, Dr. Bachler, Dr. Dolp und Dr. Zens als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Kopp, über die Beschwerde der F in W, vertreten durch Dr. X, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 11. Juli 1995, Zl. 107.353/2-III/11/94, betreffend Aufenthaltsbewilligung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 12.770,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Bundesministers für Inneres (der belangten Behörde) vom 11. Juli 1995 wurde der Antrag der Beschwerdeführerin auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung gemäß § 5 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufG) in Verbindung mit § 10 Abs. 1 Z. 4 des Fremdengesetzes (FrG) abgewiesen.
Begründend führte die belangte Behörde aus, die Beschwerdeführerin sei wegen folgender strafrechtlicher Delikte rechtskräftig verurteilt worden:
Landesgericht für Strafsachen Wien 6a Vr 14653/92, Hv 5672/93 vom 21. September 1993, gemäß § 16 Abs. 1 SGG zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von 7 Monaten;
Bezirksgericht Donaustadt 10 U 1015/94 vom 11. November 1994, gemäß §§ 15, 127 StGB zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je S 60,--.
Durch das diesen Verurteilungen zugrundeliegende Verhalten habe die Beschwerdeführerin den Sichtvermerksversagungsgrund nach § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG gesetzt; die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung sei, zumal die öffentlichen Interessen ihre privaten Interessen überwögen, ausgeschlossen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften mit dem Begehren, ihn aus diesen Gründen aufzuheben.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Der belangten Behörde ist zunächst dahingehend beizupflichten, daß das den rechtskräftigen Verurteilungen nach § 16 Abs. 1 SGG und nach §§ 15, 127 StGB zugrundeliegende Verhalten der Beschwerdeführerin die Annahme, sie gefährde die öffentliche Sicherheit im Sinne des § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG, rechtfertigt (vgl. das hg. Erkenntnis vom 25. Jänner 1996, Zl. 95/19/1730).
Die Beschwerdeführerin rügt jedoch zutreffend, daß es die belangte Behörde unterlassen hat, ihr zu dem von ihr erstmals herangezogenen Versagungsgrund nach § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG Parteiengehör zu gewähren. Ändert die Behörde gegenüber dem Bescheid der Vorinstanz den Versagungsgrund, so ist sie verpflichtet, dies dem Berufungswerber vorzuhalten (vgl. das hg. Erkenntnis vom 26. März 1985, Zl. 84/07/0221). Durch das - nicht dem im verwaltungsgerichtlichen Verfahren herrschenden Neuerungsverbot unterliegende - Vorbringen, daß sie seit 1969 in Österreich lebe, ihre vier Kinder alle in Österreich geboren seien und ihre gesamte Familie in Österreich lebe, sie über Arbeit und Unterkunft verfüge und Österreich der Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen sei, zeigt sie auf, daß die belangte Behörde Verfahrensvorschriften außer acht gelassen hat, bei deren Einhaltung sie zu einem anderen Bescheid hätte kommen können.
Bei Anwendung des § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG hat nämlich die Behörde auf die privaten und familiären Interessen des Fremden Bedacht zu nehmen, indem sie zu prüfen hat, ob sein Aufenthalt im Bundesgebiet die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit derart gefährden würde, daß die im Art. 8 Abs. 2 MRK genannten öffentlichen Interessen einen Eingriff in sein Privat- und Familienleben rechtfertigen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 19. Mai 1994, Zl. 93/18/0380). Die behaupteten privaten und familiären Bindungen der Beschwerdeführerin in Österreich sind nun derart intensiv, daß ein Ausgang der Güterabwägung zugunsten ihrer privaten und familiären Interessen nicht ausgeschlossen erscheint. Dieser Überlegung stehen auch nicht die hg. Erkenntnisse vom 1. Dezember 1994, Zl. 94/18/0864, und vom 28. April 1995, Zl. 95/18/0569, entgegen, denen jeweils eine Verurteilung nach der gravierenderen Strafbestimmung des § 12 Abs. 1 SGG zugrundelag.
Aus diesen Gründen war der Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG aufzuheben.
Die Kostenentscheidung gründet auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung wäre lediglich die Einbringung zweier Ausfertigungen der Beschwerde sowie die Vorlage des angefochtenen Bescheides in einfacher Ausfertigung notwendig gewesen.
Schlagworte
Parteiengehör Rechtsmittelverfahren Umfang der Abänderungsbefugnis Auswechslung des RechtsgrundesEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1996:1995190535.X00Im RIS seit
02.05.2001