TE Vwgh Beschluss 1996/2/23 95/17/0026

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 23.02.1996
beobachten
merken

Index

L34008 Abgabenordnung Vorarlberg;
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
32/01 Finanzverfahren allgemeines Abgabenrecht;

Norm

AbgVG Vlbg 1984 §127 Abs6;
AbgVG Vlbg 1984 §127 Abs8;
BAO §305 Abs3;
BAO §307;
VwGG §33 Abs1;
VwGG §45 Abs1 Z5;
VwGG §56;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Hnatek und die Hofräte Dr. Puck, Dr. Höfinger, Dr. Köhler und Dr. Zens als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Fegerl, über die Beschwerde der XY-Aktiengesellschaft in B, Liechtenstein, vertreten durch Dr. M, Rechtsanwalt in F, gegen den Bescheid der Vorarlberger Landesregierung vom 30. November 1994, Zl. IIIa-211/16, betreffend Vorschreibung von Anzeigenabgabe, den Beschluß gefaßt:

Spruch

Die Beschwerde wird als gegenstandslos erklärt und das Verfahren eingestellt.

Das Land Vorarlberg hat der beschwerdeführenden Partei Aufwendungen in der Höhe von S 12.800,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

1.1. Mit Bescheid vom 3. Juni 1994 setzte das Landesabgabenamt für Vorarlberg gegenüber der beschwerdeführenden Partei die Anzeigenabgabe für die in Vorarlberg erschienenen Ausgaben 1 bis 3 des Druckwerkes "Vorarlberg V" nach den §§ 1 bis 5 des Anzeigenabgabegesetzes, LGBl. Nr. 30/1990, in der Höhe von S 38.808,-- fest; vorgeschrieben wurde auch ein Säumniszuschlag in Höhe von S 596,70.

Die beschwerdeführende Partei erhob Berufung.

Mit Bescheid vom 30. November 1994 - dem angefochtenen Bescheid - wies die Vorarlberger Landesregierung diese Berufung als unbegründet ab.

1.2. Gegen diesen Bescheid wendet sich die am 17. Jänner 1995 zur Post gegebene Beschwerde vor dem Verwaltungsgerichtshof.

In der Folge legte die Vorarlberger Landesregierung als belangte Behörde dem Verwaltungsgerichtshof den Bescheid des Landesabgabenamtes für Vorarlberg vom 10. Oktober 1995, Zl. LAA 201-34-006, 2-1431, vor. Nach Spruchpunkt I dieses Bescheides wird gemäß § 127 Abs. 3, 5, 8 und 10 des Abgabenverfahrensgesetzes, Vorarlberger LGBl. Nr. 23/1984 (im folgenden: Vlbg AbgVerfG), das Verfahren über die Festsetzung der Anzeigenabgabe für die Ausgaben 1 bis 3 des Druckwerkes "Vorarlberg V" von Amts wegen wieder aufgenommen und der Abgabenbescheid vom 3. Juni 1994, Zl. LAA 2/39/1431, aufgehoben.

Im Spruchpunkt II dieses Bescheides werden die Anzeigenabgabe und der jeweilige Säumniszuschlag für die drei Ausgaben jeweils im einzelnen festgesetzt, wobei die Gesamtsumme von Anzeigenabgabe und Säumniszuschlägen S 44.006,-- beträgt. Aufgrund geleisteter Zahlungen wird als Zahlungsdifferenz und ausständige Abgabenschuld ein Betrag von S 4.601,62 ausgewiesen und vorgeschrieben.

1.3. Der Verwaltungsgerichtshof ersuchte die beschwerdeführende Partei um Mitteilung, ob und in welchem Recht sie sich durch den angefochtenen Bescheid auch noch nach Erlassung des zitierten Bescheides des Landesabgabenamtes vom 10. Oktober 1995 verletzt erachtet oder ob sie die Beschwerde im Hinblick auf die die Wirkungen des angefochtenen Bescheides überholende Rechts- und Sachlage als gegenstandslos geworden ansieht (§ 33 Abs. 1 VwGG). Die beschwerdeführende Partei erstattete keine Äußerung.

2.0. Der Verwaltungsgerichtshof hat in dem gemäß § 12 Abs. 3 VwGG gebildeten Senat erwogen:

2.1. Bei einer Bescheidbeschwerde gemäß Art. 131 Abs. 1 Z. 1 B-VG ist unter einer "Klaglosstellung" nach § 33 Abs. 1 und § 56 erster Satz VwGG nur eine solche zu verstehen, die durch eine formelle Aufhebung des beim Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheides durch die belangte Behörde oder die allenfalls in Betracht kommende Oberbehörde oder durch den Verfassungsgerichtshof eingetreten ist (Beschluß eines verstärkten Senates vom 9. April 1980, Slg. N.F. Nr. 10.092/A).

§ 33 Abs. 1 VwGG ist aber nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht nur auf die Fälle der formellen Klaglosstellung beschränkt. Ein Einstellungsfall liegt, wie der Verwaltungsgerichtshof im zitierten Beschluß vom 9. April 1980, darlegte, z.B. auch dann vor, wenn der Beschwerdeführer kein rechtliches Interesse mehr an einer Sachentscheidung des Gerichtshofes hat (vgl. die hg. Beschlüsse vom 23. Mai 1985, Zl. 84/08/0080 = ZfVB 1986/2/749, vom 23. Mai 1989, Zl. 84/08/0189 = ZfVB 1990/3/1282, und vom 16. Dezember 1991, Zl. 91/10/0006 = ZfVB 1992/6/2166).

Zu prüfen ist somit, ob im Beschwerdefall eine "Klaglosstellung" im Sinne des § 33 Abs. 1 und des § 56 erster Satz VwGG - die Rechtsprechung spricht auch von "formeller Klaglosstellung" - eingetreten ist.

2.2.1. Der angefochtene Bescheid, um dessen allfällige "Aufhebung" während des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens durch die in der Vorjudikatur genannten Behörden es geht, ist ein Abgabenberufungsbescheid der Vorarlberger Landesregierung.

§ 127 Vlbg AbgVerfG lautet auszugsweise:

"(3) Eine Wiederaufnahme des Verfahrens von Amts wegen ist unter den Voraussetzungen des Abs. 1 lit. a und c und in allen Fällen zulässig, in denen Tatsachen oder Beweismittel neu hervorkommen, die im Verfahren nicht geltend gemacht worden sind und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte.

(4) ...

(5) Die Entscheidung über die Wiederaufnahme des Verfahrens steht der Behörde zu, die den Bescheid in letzter Instanz erlassen hat.

(6) Wurde ein Wiederaufnahmsgrund anläßlich einer Nachschau (§ 63) festgestellt, so steht die Verfügung der Wiederaufnahme des Verfahrens der Behörde zu, die den Bescheid in erster Instanz erlassen hat.

(7) ...

(8) Mit dem die Wiederaufnahme des Verfahrens bewilligenden oder verfügenden Bescheid ist unter gleichzeitiger Aufhebung des früheren Bescheides die das wiederaufgenommene Verfahren abschließende Sachentscheidung zu verbinden.

(9) ..."

Die die Wiederaufnahme des Verfahrens verfügende Abgabenbehörde erster Instanz (Landesabgabenamt) hat ihre diesbezügliche Zuständigkeit offenkundig auf § 127 Abs. 6 leg. cit. gestützt (wobei das Vorliegen der Zuständigkeitsvoraussetzungen im vorliegenden Zusammenhang ohne Bedeutung ist). Gemäß § 127 Abs. 8 Vlbg AbgVerfG ist mit dem die Wiederaufnahme des Verfahrens bewilligenden oder verfügenden Bescheid die das wiederaufgenommene Verfahren abschließende Sachentscheidung zu verbinden und gleichzeitig der frühere Bescheid aufzuheben. Der rechtskräftige "frühere Bescheid" wäre hier der im vorliegenden Beschwerdeverfahren angefochtene Berufungsbescheid vom 30. November 1994 gewesen. Wäre dieser vom Landesabgabenamt aufgehoben worden, dann läge Klaglosstellung vor. Insoweit wäre die oben wiedergegebene Rechtsprechungsformel zu erweitern, weil hier die formelle Aufhebung des zweitinstanzlichen Bescheides durch eine erstinstanzliche Behörde erfolgt, ein Fall, dessen in der zitierten Vorjudikatur nicht gedacht wird.

Tatsächlich wurde der ANGEFOCHTENE Bescheid in der Verfügung der Wiederaufnahme (judicium rescindens) allerdings nicht aufgehoben. Die formelle Aufhebung erfaßt nämlich nach dem eindeutigen Wortlaut des Spruchpunktes I des Wiederaufnahmebescheides vom 10. Oktober 1995 den Abgabenbescheid vom 3. Juni 1994, also nur den früheren ERSTINSTANZLICHEN Bescheid. Daß das Landesabgabenamt die angefochtene Berufungsentscheidung vom 30. November 1994 aufgehoben hat, ist aufgrund der ausdrücklichen Bezeichnung des intendierten Aufhebungsgegenstandes mit Behördenbezeichnung, Datum und Geschäftszahl ausgeschlossen. Weil der seinerzeitige erstinstanzliche Abgabenbescheid in der Berufungsentscheidung (dem angefochtenen Bescheid) aufgegangen war, ist die Aufhebung durch den Spruchpunkt I des Wiederaufnahmebescheides ins Leere gegangen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 16. Oktober 1992, Zl. 90/17/0188) und die Klaglosstellung im Sinne des § 33 Abs. 1 VwGG, die bei Aufhebung des angefochtenen Berufungsbescheides erfolgt wäre, nicht eingetreten.

2.2.2. Die nach § 127 Abs. 8 Vlbg AbgVerfG mit der Verfügung der Wiederaufnahme (unter gleichzeitiger Aufhebung des früheren Bescheides) zu verbindende, das wiederaufgenommene Verfahren "abschließende" Sachentscheidung ist dann, wenn nach Abs. 6 ausnahmsweise die erstinstanzliche Abgabenbehörde zur Verfügung der Wiederaufnahme zuständig ist, eine erstinstanzliche Entscheidung, da sich kein Hinweis im Gesetz findet, daß die Abgabenbehörde erster Instanz diesfalls (im judicium rescissorium) anstelle der Berufungsbehörde tätig zu werden hätte. Im Bescheid des Landesabgabenamtes wird dies in der positiven Rechtsmittelbelehrung zutreffend zum Ausdruck gebracht.

Mit dem Bescheid des Landesabgabenamtes vom 10. Oktober 1995 wurde die Anzeigenabgabe für die drei gegenständlichen Ausgaben des Druckwerkes samt Säumniszuschlägen festgesetzt und die ausgewiesene Zahlungsdifferenz zur Zahlung vorgeschrieben. Durch diesen Bescheid (der selbst später zur Gänze im Berufungsbescheid vom 2. Jänner 1996 aufgegangen ist) werden in der selben Sache die Rechtswirkungen des angefochtenen Berufungsbescheides in einer Weise überlagert, die eine Rechtsverletzung der beschwerdeführenden Partei - die sich im übrigen zu der vom Verwaltungsgerichtshof gestellten Frage der Gegenstandslosigkeit nicht geäußert hat - durch den angefochtenen Bescheid ausgeschlossen erscheinen läßt. Die vorliegende Beschwerde vor dem Verwaltungsgerichtshof ist somit unter Bedachtnahme auf die prozessuale und auch sachliche Überholung des Beschwerdegegenstandes gegenstandslos geworden.

Das Verfahren war infolgedessen in sinngemäßer Anwendung des § 33 Abs. 1 VwGG einzustellen.

Das Rechtsschutzinteresse der Partei erscheint auch für den Fall, daß die "überlagerten" (verdrängten) Bescheidwirkungen infolge späterer Aufhebung des verdrängenden Bescheides wiederaufleben sollten (was im übrigen bei verwaltungsgerichtlicher Aufhebung selbst bei Annahme von Derogation im engeren Sinn gemäß § 42 Abs. 3 VwGG der Fall wäre), durch die Möglichkeit der Wiederaufnahme nach § 45 Abs. 1 Z. 5 VwGG hinreichend gewahrt. Nach dieser Bestimmung ist die Wiederaufnahme eines durch Erkenntnis oder Beschluß des Verwaltungsgerichtshofes abgeschlossenen Verfahrens auf Antrag einer Partei zu bewilligen, wenn das Verfahren vor dem Gerichtshof wegen Klaglosstellung oder wegen einer durch Klaglosstellung veranlaßten Zurückziehung der Beschwerde eingestellt, die behördliche Maßnahme, die die Klaglosstellung bewirkt hatte, jedoch nachträglich behoben wurde. Der Verwaltungsgerichtshof ist nämlich der Auffassung, daß auch der in dieser Bestimmung verwendete Begriff der Klaglosstellung nicht bloß als formelle Klaglosstellung zu verstehen ist.

2.3.1. Gemäß § 56 erster Satz VwGG ist dann, wenn der Beschwerdeführer hinsichtlich einzelner oder aller Beschwerdepunkte klaglos gestellt (§ 33) wurde, die Frage des Anspruches auf Aufwandersatz (§ 47) so zu beurteilen, wie wenn er obsiegende Partei im Sinne des § 47 Abs. 1 VwGG wäre. Soweit die §§ 47 bis 56 nichts anderes bestimmen, hat gemäß § 58 VwGG jede Partei den ihr im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof erwachsenden Aufwand selbst zu tragen.

Nach der Rechtsprechung ist dann, wenn keine formelle Klaglosstellung eingetreten ist, bei der Kostenentscheidung nicht § 56 erster Satz VwGG, sondern § 58 leg. cit. anzuwenden; in einem solchen Fall wird der Kostenersatzantrag der beschwerdeführenden Partei abgewiesen (vgl. den Beschluß eines verstärkten Senates des Verwaltungsgerichtshofes vom 9. April 1980, Slg. N.F. Nr. 10.092/A).

2.3.2. Der Verwaltungsgerichtshof ist der Auffassung, daß der vorliegende Fall eine sinngemäße Anwendung nicht nur des § 33 Abs. 1 VwGG, sondern auch des § 56 erster Satz VwGG gerechtfertigt erscheinen läßt. Hätte nämlich die erstinstanzliche Wiederaufnahmebehörde richtigerweise den angefochtenen zweitinstanzlichen Bescheid (als "früheren" Bescheid im Sinne des § 127 Abs. 8 Vlbg AbgVerfG) aufgehoben, bestünde kein Zweifel über die Kostenersatzpflicht. Zwar hat sie dies nicht getan, immerhin aber durch die Erlassung des neuen, das wiederaufgenommene Verfahren abschließenden Sachbescheides den angefochtenen Bescheid in seinen Wirkungen - jedenfalls im gegenwärtigen Zeitpunkt - völlig verdrängt (vgl. Punkt 2.2.2.). Diese Wirkung kommt einer Aufhebung gleich und rechtfertigt auch im Bereich des Kostenersatzrechtes eine sinngemäße Anwendung des auf eine "Klaglosstellung" abstellenden § 56 erster Satz VwGG.

Hingewiesen sei jedenfalls noch auf § 13 Abs. 2 VwGG in der Fassung BGBl. Nr. 298/1984, wonach eine Beschlußfassung auf Verstärkung des Senates im Sinne des § 13 Abs. 1 leg. cit. für Entscheidungen über den Aufwandersatz nicht zulässig ist.

Das Mehrbegehren auf S 120,-- an Stempelgebührenersatz war abzuweisen, weil die eingebrachte dritte Beschwerdeausfertigung nicht erforderlich war.

2.4. Soweit Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes zitiert wurden, die in der Amtlichen Sammlung der Erkenntnisse und Beschlüsse dieses Gerichtshofes nicht veröffentlicht sind, wird auf Art. 14 Abs. 4 und 7 der Geschäftsordnung des Verwaltungsgerichtshofes, BGBl. Nr. 45/1965, hingewiesen.

Schlagworte

Einstellung des Verfahrens wegen Klaglosstellung gemäß VwGG §56 erster SatzEinstellung des Verfahrens wegen Klaglosstellung gemäß VwGG §33 Abs1

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1996:1995170026.X00

Im RIS seit

29.11.2000

Zuletzt aktualisiert am

16.12.2011
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten