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34 MonopoleNorm
B-VG Art7 Abs1 / GerichtsaktLeitsatz
Verletzung im Gleichheitsrecht durch Verhängung einer Geldstrafe mangels zeitnaher schriftlicher Ausfertigung der nahezu drei Jahre vorher mündlich verkündeten EntscheidungSpruch
I. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt worden.
Das Erkenntnis wird aufgehoben.
II. Der Bund (Bundesminister für Finanzen) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.856,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren
1. Der Beschwerde liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
1.1. Mit Straferkenntnis vom 23. Mai 2018, Z VStV/918300093568/2018, verhängte die Landespolizeidirektion Wien über den Beschwerdeführer acht Geldstrafen in der Höhe von jeweils € 10.000,– wegen Übertretung des §52 Abs1 Z1 vierter Fall iVm §52 Abs2 dritter Strafsatz GSpG.
1.2. Mit am 2. Juli 2019 mündlich verkündetem Erkenntnis setzte das vom Beschwerdeführer angerufene Verwaltungsgericht Wien die verhängten Geldstrafen hinsichtlich zweier Eingriffsgegenstände auf jeweils € 3.500,– pro Glücksspielgerät herab. Hinsichtlich sechs weiterer Eingriffsgegenstände hob das Verwaltungsgericht Wien das Straferkenntnis der Landespolizeidirektion Wien auf und stellte das Verwaltungsstrafverfahren ein.
1.3. Mit Schreiben vom 9. Juli 2019 beantragte der Beschwerdeführer die schriftliche Ausfertigung des am 2. Juli 2019 mündlich verkündeten Erkenntnisses.
1.4. Erst am 31. Mai 2022 erging die schriftliche Ausfertigung des am 2. Juli 2019 mündlich verkündeten Erkenntnisses.
2. In der vorliegenden, auf Art144 B-VG gestützten Beschwerde behauptet der Beschwerdeführer die Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz. Begründend führt der Beschwerdeführer aus, die schriftliche Ausfertigung der am 2. Juli 2019 mündlich verkündeten Entscheidung sei am 31. Mai 2022 und somit nahezu 3 Jahre nach der mündlichen Verkündung erfolgt. Eine derart lange Zeitspanne zwischen mündlicher Verkündung und schriftlicher Ausfertigung von Entscheidungen, für die im Beschwerdeverfahren keine besonderen Umstände hervorgekommen seien, die diese rechtfertigen könnte, widerspreche jedenfalls der Pflicht einer möglichst zeitnahen schriftlichen Ausfertigung der Entscheidung und somit den rechtsstaatlichen Anforderungen der Begründung gerichtlicher Entscheidungen (vgl VfGH 22.9.2021, E2442/2021).
3. Das Verwaltungsgericht Wien legte die Gerichtsakten vor und sah von der Erstattung einer Gegenschrift ab.
II. Erwägungen
1. Die – zulässige – Beschwerde ist begründet:
1.1. Eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz (zur Anwendung dieses verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auch auf Unionsbürger vgl VfSlg 19.077/2010, 19.515/2011) kann nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (zB VfSlg 10.413/1985, 14.842/1997, 15.326/1998 und 16.488/2002) nur vorliegen, wenn die angefochtene Entscheidung auf einer dem Gleichheitsgebot widersprechenden Rechtsgrundlage beruht, wenn das Verwaltungsgericht der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat. Angesichts der verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit der angewendeten Rechtsvorschriften und des Umstandes, dass kein Anhaltspunkt dafür besteht, dass das Verwaltungsgericht diesen Vorschriften fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt hat, könnte der Beschwerdeführer im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürg Gesetz nur verletzt worden sein, wenn das Verwaltungsgericht Willkür geübt hätte.
1.2. Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 8808/1980 mwN, 14.848/1997, 15.241/1998 mwN, 16.287/2001, 16.640/2002).
2. Vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung ist dem Verwaltungsgericht Wien ein willkürliches Vorgehen anzulasten:
2.1. Nach der Rechtsprechung der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts ist bezüglich der Erlassung einer verwaltungsgerichtlichen Entscheidung der Zustellung einer Entscheidung ihre mündliche Verkündung gleichzuhalten (vgl VwGH 15.12.2014, Ro 2014/04/0068; 22.11.2017, Ra 2017/03/0082; s. auch VfSlg 19.965/2015 und VfGH 10.3.2021, E2059/2020 ua). Mit der mündlichen Verkündung wird die Entscheidung unabhängig von der Zustellung einer schriftlichen Ausfertigung (§29 Abs4 VwGVG) rechtlich existent (VwGH 27.6.2016, Ra 2016/11/0059; 14.9.2016, Fr 2016/18/0015; 4.4.2017, Ra 2017/02/0050), wenn sowohl der Inhalt einer Entscheidung als auch die Tatsache ihrer Verkündung in der Niederschrift festgehalten werden (VwGH 13.10.2015, Fr 2015/03/0007; 22.11.2017, Ra 2017/03/0082). Bereits an die Verkündung einer Entscheidung knüpfen sich daher deren Rechtswirkungen (vgl VfGH 10.3.2021, E2059/2020 ua; VwGH 23.9.2020, Ra 2019/14/0558). Aus diesem Grund kann die Entscheidung bereits nach der mündlichen Verkündung mit Beschwerde gemäß Art144 B-VG angefochten werden, sofern mindestens ein hiezu Berechtigter einen Antrag auf schriftliche Ausfertigung der Entscheidung gemäß §29 Abs4 VwGVG gestellt hat (§82 Abs3b letzter Satz VfGG; siehe VfGH 10.3.2021, E2059/2020; VwGH 15.12.2014, Ro 2014/04/0068; 22.11.2017, Ra 2017/03/0082).
2.2. Unabhängig von der Möglichkeit, die Entscheidung bereits nach der mündlichen Verkündung anzufechten, ist der Rechtsschutzsuchende in der Regel auf die – nähere und ausführliche – Begründung der Entscheidung in der schriftlichen Ausfertigung gemäß §29 Abs4 VwGVG angewiesen, um die Entscheidung auf Grund der maßgebenden Erwägungen gegebenenfalls mit einer Beschwerde gemäß Art144 B-VG bekämpfen zu können. Aus der rechtsstaatlich gebotenen Pflicht zur Begründung verwaltungsgerichtlicher Entscheidungen folgt daher im Zusammenhang mit der Regelungssystematik des §29 VwGVG auch die Pflicht zu einer möglichst zeitnahen schriftlichen Ausfertigung der Entscheidung, weil andernfalls dem Rechtsschutzsuchenden effektiver Rechtsschutz verwehrt sein könnte (zum Grundsatz der Effektivität des Rechtsschutzes siehe zB VfSlg 11.196/1986, 15.218/1998, 17.340/2004, 20.107/2016), was rechtsstaatlichen Anforderungen an die Erlassung gerichtlicher Entscheidungen widerspricht (VfGH 10.3.2021, E2059/2020 ua; VfGH 23.6.2021, E720/2021; zuletzt auch VfGH 22.9.2021, E2443/2021).
2.3. Die schriftliche Ausfertigung der am 2. Juli 2019 mündlich verkündeten Entscheidung erfolgte vorliegend am 31. Mai 2022 und somit nahezu 3 Jahre nach der mündlichen Verkündung. Eine derart lange Zeitspanne zwischen mündlicher Verkündung und schriftlicher Ausfertigung der Entscheidungen, für die im Beschwerdeverfahren auch keine besonderen Umstände hervorgekommen sind, welche diese Verzögerung rechtfertigen könnten, widerspricht jedenfalls der Pflicht zu einer möglichst zeitnahen schriftlichen Ausfertigung der Entscheidungen und somit den rechtsstaatlichen Anforderungen an die Begründung gerichtlicher Entscheidungen (VfGH 10.3.2021, E2059/2020; VfGH 23.6.2021, E720/2021; zuletzt auch VfGH 22.9.2021, E2443/2021).
III. Ergebnis
1. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt worden.
2. Das Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.
3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 436,– sowie eine Eingabengebühr gemäß §17a VfGG in der Höhe von € 240,– enthalten.
Schlagworte
Verhandlung mündliche, Entscheidungsverkündung, Verwaltungsgerichtsverfahren, Rechtsschutz, Rechtsstaatsprinzip, Glücksspiel, Strafe (Verwaltungsstrafrecht)European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2022:E1641.2022Zuletzt aktualisiert am
18.11.2022