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10/04 WahlenNorm
B-VG Art26, Art60 Abs1, Art141 Abs1 litaLeitsatz
Zurückweisung einer Anfechtung der Wahl des Bundespräsidenten mangels Vorlage der für die Einbringung eines Wahlvorschlages notwendigen Unterstützungserklärungen; keine Bedenken gegen das System der Unterstützungserklärungen und des Kostenbeitrags; hinreichende Gelegenheit zur Unterschriftsleistung vor den Gemeindebehörden zur Unterstützung eines Kandidaten; keine gesetzliche Verpflichtung zur Veröffentlichung der Personen, die Unterstützungserklärungen sammeltenSpruch
Die Anfechtung wird zurückgewiesen.
Begründung
Begründung
I. Sachverhalt, Anfechtung und Vorverfahren
1. Am 9. Oktober 2022 fand die mit Verordnung der Bundesregierung, BGBl II 273/2022, ausgeschriebene Wahl des Bundespräsidenten statt, deren Ergebnis mit Kundmachung der Bundeswahlbehörde vom 17. Oktober 2022, GZ.: 2022-0.724.413, verlautbart wurde.
2. Für diese Wahl legte der Anfechtungswerber der Bundeswahlbehörde beim Bundesministerium für Inneres am 31. August 2022 (durch persönliche Übergabe) einen auf ihn selbst lautenden Wahlvorschlag vor, dem 125 jeweils mit der Bestätigung einer Gemeinde versehene Unterstützungserklärungen sowie die Zustimmungserklärung des Wahlwerbers angeschlossen waren. Der Kostenbeitrag gemäß §7 Abs9 Bundespräsidentenwahlgesetz 1971 (BPräsWG) in Höhe von € 3.600,– wurde zugleich mit der Einbringung des Wahlvorschlages in bar hinterlegt. Als zustellungsbevollmächtigter Vertreter des Wahlvorschlages war der Anfechtungswerber selbst bezeichnet.
Mit Schreiben vom 3. September 2022 forderte die Bundeswahlbehörde den Anfechtungswerber auf, binnen drei Tagen 5.875 gültige Unterstützungserklärungen nachzureichen, andernfalls der Wahlvorschlag gemäß §8 Abs3 BPräsWG als nicht eingebracht gelte.
3. Nach fruchtlosem Verstreichen dieser Frist beschloss die Bundeswahlbehörde in ihrer Sitzung am 7. September 2022, den Wahlvorschlag iSd §8 Abs3 BPräsWG als nicht eingebracht anzusehen. Davon wurde der Anfechtungswerber schriftlich verständigt. Der Wahlvorschlag schien folglich nicht in der Veröffentlichung der Wahlvorschläge (§9 BPräsWG) am 7. September 2022 (im Internet, auf der Amtstafel des Bundesministeriums für Inneres sowie in allen Gemeinden ortsüblich) auf und lag auch der Wahl des Bundespräsidenten am 9. Oktober 2022 nicht zugrunde.
4. Mit der vorliegenden, der Sache nach auf Art141 Abs1 lita B-VG gestützten Wahlanfechtung vom 24. Oktober 2022 (beim Verfassungsgerichtshof am gleichen Tag eingebracht) begehrt der Anfechtungswerber, "[d]er Verfassungsgerichtshof möge eine mündliche Verhandlung anberaumen, gemäß §69 VfGG; weiters das gesamte Wahlverfahren betreffend der [sic!] Wahl des Bundespräsidenten am 09.10.2022 aufheben und für nichtig erklären; weiters die Wahlentscheidung der Bundeswahlbehörde vom 17.10.2022 über das Wahlergebnis aufheben und für nichtig erklären […]". Überdies wird die Vernehmung näher bezeichneter Zeugen beantragt.
4.1. Begründend bringt der Anfechtungswerber dazu – auf das Wesentliche zusammengefasst – Folgendes vor:
4.1.1. Die Anfechtungslegitimation des Anfechtungswerbers ergebe sich daraus, dass er am 31. August 2022, sohin rechtzeitig am 39. Tag vor dem Wahltag, einen auf seine Person lautenden Wahlvorschlag durch persönliche Übergabe an den Leiter der Abteilung III/S/2 beim Bundesministerium für Inneres vorgelegt habe.
4.1.2. Im Zusammenhang mit der Abgabe von Unterstützungserklärungen seien in mehrfacher Hinsicht Rechtswidrigkeiten unterlaufen:
4.1.2.1. Das in Anlage 1 zum BPräsWG enthaltene Musterformular zur Abgabe einer Unterstützungserklärung habe durch das am 20. Juli 2022 – und damit erst nach der am 7. Juli 2022 erfolgten Ausschreibung der Wahl des Bundespräsidenten – in Kraft getretene Wahlrechtsänderungsgesetz, BGBl I 101/2022, eine Änderung (in Form einer näher dargestellten sprachlichen Anpassung) erfahren. In Ermangelung einer Übergangsbestimmung sei für den Rechtsunterworfenen – im Widerspruch zu Art18 Abs1 B-VG – nicht erkennbar gewesen, ob diese Änderung bereits für das laufende Wahlverfahren wirksam werde.
Da das Musterformular in der nunmehr geltenden Fassung erst rund zwei Wochen nach dem Zeitpunkt der Ausschreibung der Wahl verfügbar gewesen sei, sei die Vorbereitungszeit für das Sammeln von Unterstützungserklärungen für alle Kandidaten entsprechend verkürzt worden. Dadurch seien zwei namentlich bezeichnete Personen mit hoher Wahrscheinlichkeit von der Vorlage von 6.000 Unterstützungserklärungen abgehalten worden.
4.1.2.2. In Wien sei es zudem – anders als im übrigen Bundesgebiet – bereits ab dem 7. Juli 2022, dem Tag der Ausschreibung der Bundespräsidentenwahl, möglich gewesen, zwecks Unterzeichnung einer Unterstützungserklärung vor der Behörde zu erscheinen. Die Vorgehensweise in Wien sei dergestalt gewesen, dass von den Magistratischen Bezirksämtern das persönliche Erscheinen der unterstützungswilligen Person vermerkt worden sei; bei nochmaliger Vorlage der Unterstützungserklärung – von wem auch immer (zB auch durch einen Wahlwerber) – nach dem 9. August 2022 sei der amtliche Vermerk über die Wahlberechtigung der unterstützungswilligen Person am Stichtag ergänzt worden. Im übrigen Bundesgebiet sei es unterstützungswilligen Personen hingegen erst ab dem Stichtag möglich gewesen, zur Abgabe einer Unterstützungserklärung vor der Gemeindebehörde zu erscheinen. Diese unterschiedliche Handhabung durch die Gemeinden zeige die mangelnde Bestimmtheit der anzuwendenden Rechtsvorschriften iSd Art18 Abs1 B-VG und führe zu einem rechtswidrigen Eingriff in Wahlgrundsätze sowie in das demokratische, freiheitliche, rechtsstaatliche und bundesstaatliche Grundprinzip. Es stelle einen wesentlichen Unterschied dar, ob der – am 37. Tag vor dem Wahltag endende – Zeitraum zum Sammeln von Unterstützungserklärungen mit der Wahlausschreibung (Dauer der Frist: 58 Tage) oder dem Stichtag (Dauer der Frist: 25 Tage) beginne.
Überdies sei von einer namentlich bezeichneten Person berichtet worden, dass unterstützungswilligen Personen in einigen Gemeinden, ua in Eferding, Wilhering, Hörbranz, Bregenz und Dornbirn, die amtliche Bestätigung der aufrechten Eintragung in die Wählerevidenz am ersten in ganz Österreich akzeptierten Unterzeichnungstag, dem Stichtag, verweigert worden sei. Dies sei von unmittelbarem Einfluss auf das Sammelergebnis der Bewerber und in der Folge auf das Wahlergebnis gewesen, denn bei korrekter Arbeit der Gemeindebehörden wären eventuell ein bis drei weitere Kandidaten auf dem Stimmzettel aufgeschienen.
4.1.2.3. Art60 Abs3 B-VG bestimme als Voraussetzung für das passive Wahlrecht für das Amt des Bundespräsidenten ausschließlich die Wählbarkeit zum Nationalrat und ein – vom Anfechtungswerber überschrittenes – Mindestalter von 35 Jahren. Sonstige Beschränkungen, wie etwa die Notwendigkeit von Unterstützungserklärungen, seien in der Verfassung nicht vorgesehen, weshalb die Bestimmung des §7 BPräsWG mit Verfassungswidrigkeit belastet sei.
Sollte der Verfassungsgerichtshof gegen das System der Unterstützungserklärungen keine Bedenken hegen, bleibe die Frage offen, ob nun "6" oder "6 000" oder "6.000" Unterstützungserklärungen gesammelt werden müssten. Im BPräsWG werde die Anzahl der erforderlichen Unterstützungserklärungen mit "6 000" festgelegt, was von der Bundeswahlbehörde – entgegen jeder Konvention zum Schreiben von Zahlen und unter Negierung des Leerzeichens – als "6000" interpretiert werde. Tatsächlich seien "6" Unterstützungserklärungen beizulegen, sodass der Wahlvorschlag des Anfechtungswerbers, dem 125 Unterstützungserklärungen angeschlossen gewesen seien, von der Bundeswahlbehörde nicht hätte abgelehnt werden dürfen.
4.1.2.4. Im Übrigen habe sich das Bundesministerium für Inneres geweigert, unterstützungswilligen Personen (zB über seine Website, mittels Presseaussendung oder auf den Gemeindewahlbehörden vor Ort) bekanntzugeben, welche Personen für die Abgabe von Unterstützungserklärungen überhaupt zur Auswahl gestanden seien, was zu Wettbewerbsverzerrungen sowie zu einer mangelhaften, teils irreführenden medialen Berichterstattung geführt habe.
5. Die Bundeswahlbehörde legte den Wahlakt vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie den Ausführungen des Anfechtungswerbers entgegentritt und die Zurückweisung der Anfechtung beantragt.
Begründend führt sie im Wesentlichen Folgendes aus:
Die Bundeswahlbehörde habe in ihrer Sitzung vom 7. September 2022 beschlossen, dass der Wahlvorschlag des Anfechtungswerbers, dem lediglich 125 gültige Unterstützungserklärungen beigelegen seien, als nicht eingebracht gelte und nicht zu veröffentlichen sei. Der vom Anfechtungswerber vorgebrachten Verfassungswidrigkeit des in §7 Abs1 BPräsWG enthaltenen Erfordernisses der Vorlage von Unterstützungserklärungen sei die bisherige Judikatur des Verfassungsgerichtshofes (VfGH 28.6.2016, WI10/2016) entgegenzuhalten. Dass der im BPräsWG verwendete Zahlenbegriff "6 000" als "6" zu verstehen sei, sei unzutreffend; die im Gesetzestext verwendete Schreibweise entspreche im Übrigen den vom Bundeskanzleramt herausgegebenen Legistischen Richtlinien 1990 (S 37 f.). Das Vorbringen des Anfechtungswerbers, dass in einigen Gemeinden ab dem Stichtag die Abgabe einer Unterstützungserklärung nicht möglich gewesen sei, sei nicht hinreichend substantiiert. Der Bundeswahlbehörde seien keine Anhaltspunkte zur Kenntnis gelangt, dass Bestätigungen über die Eintragung unterstützungswilliger Personen bereits vor dem Stichtag ausgestellt worden seien. Die Behauptung, es habe angesichts des Inkrafttretens des Wahlrechtsänderungsgesetzes nach Ausschreibung der Wahl – jedoch deutlich vor dem Stichtag – Unklarheiten über das zu verwendende Unterstützungsformular gegeben, sei ebenfalls nicht substantiiert. Inwiefern der Anfechtungswerber durch das Inkrafttreten des Wahlrechtsänderungsgesetzes am Sammeln von Unterstützungserklärungen gehindert gewesen sei, erschließe sich nicht. Soweit die Anfechtungsschrift darüber hinaus Aspekte ins Treffen führe, die über die Nicht-Zulassung seines Wahlvorschlages hinausgingen, sei eine Beschwer des Anfechtungswerbers nicht gegeben.
6. Mit Schriftsatz vom 14. November 2022 replizierte der Anfechtungswerber auf die Gegenschrift der Bundeswahlbehörde.
II. Rechtslage
Die maßgeblichen Bestimmungen des Bundespräsidentenwahlgesetzes 1971 – BPräsWG, BGBl 57/1971, idF BGBl I 101/2022 lauten – auszugsweise – wie folgt:
"§7. (1) Wahlvorschläge für die Wahl des Bundespräsidenten müssen der Bundeswahlbehörde spätestens am siebenunddreißigsten Tag vor dem Wahltag bis 17 Uhr vorgelegt werden; §42 Abs1 NRWO ist sinngemäß anzuwenden. Den Wahlvorschlägen sind insgesamt 6 000 Unterstützungserklärungen nach Muster der Anlage 1 und Auslands-Unterstützungserklärungen nach Muster der Anlage 7 anzuschließen.
(2) Die Unterstützungserklärung hat die Bestätigung der Gemeinde zu enthalten, dass die in der Erklärung genannte Person am Stichtag in der Wählerevidenz eingetragen und wahlberechtigt (§21 Abs1 NRWO) war. Diese Bestätigung ist von der Gemeinde nur dann zu erteilen, wenn die in der Erklärung genannte Person vor der zur Führung der Wählerevidenz zuständigen Gemeindebehörde persönlich erscheint, ihre Identität durch ein mit Lichtbild ausgestattetes Identitätsdokument (zB Personalausweise, Pässe und Führerscheine) nachgewiesen hat, die Unterstützungserklärung die Angaben über Vornamen, Familiennamen, Geburtsdatum und Wohnort sowie den Namen des zu unterstützenden Wahlwerbers enthält und die eigenhändige Unterschrift der die Unterstützungserklärung abgebenden Person entweder vor der Gemeindebehörde geleistet wurde oder gerichtlich oder notariell beglaubigt ist. Die Gemeinden sind verpflichtet, Unterstützungswilligen Drucksorten nach Muster der Anlage 1 ohne Einhebung von Verwaltungsabgaben, sonstigen Abgaben und Gebühren zur Verfügung zu stellen; hiebei haben sie ihnen allenfalls zur Verfügung stehende, auf den vom Unterstützungswilligen bezeichneten Wahlwerber lautende Drucksorten zu verwenden. Die Bestätigung auf einer Unterstützungserklärung ist unverzüglich auszufertigen.
(3) – (6) […]
(7) Der Wahlvorschlag hat zu enthalten:
1. Vornamen, Familiennamen, Geburtsdatum, Geburtsort, Beruf und Wohnort des Wahlwerbers;
2. die Erklärung des Wahlwerbers, daß er der Aufnahme in den Wahlvorschlag zustimmt;
3. die Bezeichnung eines zustellungsbevollmächtigten Vertreters, der die Voraussetzungen des §41 NRWO erfüllt und ermächtigt ist, die Unterzeichner des Wahlvorschlages zu vertreten, sowie zumindest zweier Stellvertreter, die ebenfalls die Voraussetzungen des §41 NRWO erfüllen.
(8) – (9) […]
§8. (1) Die Bundeswahlbehörde überprüft unverzüglich, ob die eingelangten Wahlvorschläge den gesetzlichen Erfordernissen (§§6 und 7) entsprechen. Hierbei überprüft der Bundeswahlleiter anhand einer gemäß §6 des Tilgungsgesetzes 1972, BGBl Nr 68/1972 in der geltenden Fassung, beschränkten Auskunft aus dem Strafregister, ob bei einem Wahlwerber ein Ausschluss von der Wählbarkeit (§41 Abs1 NRWO) vorliegt.
(2) […]
(3) Verspätet vorgelegte Wahlvorschläge oder Wahlvorschläge, in denen der namhaft gemachte Wahlwerber nicht wählbar ist, gelten als nicht eingebracht. In beiden Fällen ist der zustellungsbevollmächtigte Vertreter hiervon zu verständigen. Weist ein Wahlvorschlag nicht die erforderliche Anzahl an Unterstützungserklärungen auf oder enthält er nicht die Erklärung des Wahlwerbers, daß er der Aufnahme in den Wahlvorschlag zustimmt, so gilt der Wahlvorschlag dann als nicht eingebracht, wenn die Aufforderung an den zustellungsbevollmächtigten Vertreter, diese Mängel binnen drei Tagen zu beheben, fruchtlos geblieben ist.
[…]
§9. (1) Am einunddreißigsten Tag vor dem Wahltag hat die Bundeswahlbehörde die dem Gesetz entsprechenden Wahlvorschläge abzuschließen und unter Weglassung von Straßennamen und Ordnungsnummern in alphabetischer Reihenfolge der Familiennamen auf der Amtstafel des Bundesministeriums für Inneres sowie im Internet zu veröffentlichen; […]
(2) Die Kundmachung ist in allen Gemeinden ortsüblich, jedenfalls aber auch durch öffentlichen Anschlag, zu verlautbaren.
(3) Wird ein Wahlvorschlag nicht veröffentlicht, so ist der Kostenbeitrag (§7 Abs9) zurückzuerstatten.
[…]
§21. (1) Die Bundeswahlbehörde hat das Ergebnis der Wahl (§17, gegebenenfalls §20) auf der Amtstafel des Bundesministeriums für Inneres sowie im Internet unverzüglich zu verlautbaren.
(2) Innerhalb einer Woche vom Tag der Verlautbarung kann die Wahlentscheidung der Bundeswahlbehörde (Abs1) beim Verfassungsgerichtshof wegen jeder behaupteten Rechtswidrigkeit des Wahlverfahrens vom zustellungsbevollmächtigten Vertreter eines dem Gesetz entsprechenden Wahlvorschlages (§9) angefochten werden. Die Anfechtung hat den begründeten Antrag auf Nichtigerklärung des Wahlverfahrens oder eines bestimmten Teiles desselben zu enthalten. Der Verfassungsgerichtshof hat über die Anfechtung längstens innerhalb von vier Wochen nach ihrer Einbringung zu entscheiden. Auf das Verfahren über solche Anfechtungen sind die Bestimmungen der §§68 Abs2, 69, 70 Abs1 und 4 des Verfassungsgerichtshofgesetzes 1953 sinngemäß anzuwenden."
III. Erwägungen
1. Die Anfechtung ist unzulässig:
2. Gemäß Art141 Abs1 lita B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Anfechtung der Wahl des Bundespräsidenten (vgl VfSlg 10.951/1986, 13.068/1992, 13.071/1992, 15.168/1998, 15.169/1998, 17.191/2004, 17.192/2004, 20.071/2016).
2.1. Nach §21 Abs2 BPräsWG ist die Anfechtung der Wahlentscheidung der Bundeswahlbehörde (§21 Abs1) wegen jeder behaupteten Rechtswidrigkeit des Wahlverfahrens innerhalb einer Woche vom Tag der Verlautbarung beim Verfassungsgerichtshof einzubringen. Die Anfechtung hat den begründeten Antrag auf Nichtigerklärung des Wahlverfahrens oder eines bestimmten Teiles desselben zu enthalten. Auf das Verfahren über solche Anfechtungen sind die Bestimmungen der §§68 Abs2, 69, 70 Abs1 und 4 VfGG sinngemäß anzuwenden.
2.1.1. Gemäß §21 Abs2 BPräsWG kann die Wahlentscheidung der Bundeswahlbehörde beim Verfassungsgerichtshof nur "vom zustellungsbevollmächtigten Vertreter eines dem Gesetz entsprechenden Wahlvorschlages (§9) angefochten werden". Die Legitimation zur Anfechtung der Wahl des Bundespräsidenten ist allein auf Grund dieser – gegenüber §67 Abs2 VfGG speziellen – Regelung des §21 Abs2 BPräsWG zu beurteilen (zB VfGH 18.6.2016, WI7/2016 mwN.).
2.1.2. §21 Abs2 BPräsWG ist dahin zu verstehen, dass den dem Gesetz entsprechenden Wahlvorschlägen jene gleichzuhalten sind, die bei rechtskonformer Durchführung des Wahlverfahrens dem Gesetz entsprochen hätten; dies ergibt sich nicht nur aus dem Sinn des Gesetzes, sondern ist auch aus dem Grundsatz der verfassungskonformen Auslegung abzuleiten; nur diese (extensive) Interpretation gewährleistet nämlich die von Art141 Abs1 B-VG auch für die Wahl des Bundespräsidenten vorgesehene umfassende Kontrolle des Wahlverfahrens (vgl VfSlg 10.951/1986; VfGH 28.6.2016, WI5/2016). Die Anfechtungslegitimation des zustellungsbevollmächtigten Vertreters eines nicht veröffentlichten Wahlvorschlages betrifft lediglich die Überprüfung der Entscheidung, den Wahlvorschlag nicht zuzulassen und zu veröffentlichen (vgl VfGH 28.6.2016, WI10/2016).
2.2. Ausgehend davon ergibt sich für die Anfechtungslegitimation des Anfechtungswerbers Folgendes:
2.2.1. Gemäß §7 Abs1 BPräsWG müssen Wahlvorschläge für die Wahl des Bundespräsidenten von "6 000" Personen, die am Stichtag in die Wählerevidenz eingetragen und wahlberechtigt waren, unterstützt sein. Es bestehen keine Zweifel, dass mit dem im Gesetzestext verwendeten Zahlenbegriff sechstausend Unterstützungserklärungen gemeint sind (vgl zB VfSlg 15.169/1998, 17.192/2004; VfGH 28.6.2016, WI10/2016; IA 161/A 15. GP, 2; AB 1161 BlgNR 15. GP, 1). Weist ein Wahlvorschlag nicht die erforderliche Anzahl von Unterstützungserklärungen auf, so gilt er gemäß §8 Abs3 letzter Satz BPräsWG dann als nicht eingebracht, wenn die Aufforderung an den zustellungsbevollmächtigten Vertreter, diesen Mangel binnen drei Tagen zu beheben, fruchtlos geblieben ist.
2.2.2. Wie sich aus den Wahlakten ergibt und vom Anfechtungswerber selbst nicht bestritten wird, war der vom Anfechtungswerber bei der Bundeswahlbehörde vorgelegte Wahlvorschlag lediglich von 125 Personen unterstützt. Der Aufforderung der Bundeswahlbehörde nach §8 Abs3 letzter Satz BPräsWG, binnen drei Tagen die für einen dem Gesetz entsprechenden Wahlvorschlag noch fehlende Anzahl von Unterstützungserklärungen nachzureichen, kam der Anfechtungswerber nicht nach.
2.2.3. Im Hinblick auf die in der Anfechtungsschrift behauptete Verletzung von verfassungsgesetzlich vorgegebenen Wahlgrundsätzen – insbesondere durch die in §7 BPräsWG vorgesehene Notwendigkeit der Vorlage von Unterstützungserklärungen und der Entrichtung eines Kostenbeitrages – ist zunächst auf Art60 Abs1 B-VG zu verweisen, der für die Wahl des Bundespräsidenten die sinngemäße Anwendbarkeit von Art26 Abs5 bis 7 B-VG vorsieht. Gemäß Art26 Abs7 B-VG werden die näheren Bestimmungen über das Wahlverfahren durch Bundesgesetz getroffen. Aus diesem Grund hegt der Verfassungsgerichtshof – wie bereits in zahlreichen Erkenntnissen ausgesprochen (vgl zur Bundespräsidentenwahl bereits VfSlg 13.068/1992, 15.169/1998, 17.192/2004; VfGH 28.6.2016, WI5/2016 und unter Berücksichtigung der bereits in VfSlg 15.169/1998 ausgesprochenen Übertragbarkeit der Überlegungen auf die Bundespräsidentenwahl darüber hinaus auch VfSlg 2758/1954, 3969/1961, 6087/1969, 6201/1970, 6207/1970, 7387/1974, 7821/1976, 8694/1979, 10.217/1984, 11.256/1987) – keine Bedenken gegen das (in den einfachgesetzlichen Wahlordnungen vorgesehene) System der Unterstützungserklärungen. Im Speziellen begegnen auch die mit einem solchen System verbundene (notwendige) Deklarierung des vor der Gemeindewahlbehörde persönlich erscheinenden Unterstützungswilligen (etwa unter Aspekten des Sachlichkeitsgebotes oder des Prinzips des geheimen Wahlrechtes; vgl insb. VfSlg 10.065/1984, 10.178/1984, 10.217/1984; s. auch VfSlg 19.893/2014), die Beschränkung der Gelegenheit zur Einholung des Bestätigungsvermerks auf die ortsüblichen Amtsstunden (s VfSlg 11.256/1987) oder die Möglichkeit des persönlichen Erscheinens unterstützungswilliger Personen vor der Gemeindewahlbehörde zwecks Unterzeichnung einer Unterstützungserklärung bereits vor dem Stichtag sowie die (folgende) amtliche Bestätigung über die aufrechte Eintragung in die Wählerevidenz in deren Abwesenheit (vgl VfSlg 12.064/1989) keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Der Verfassungsgerichtshof sieht sich – auch aus Sicht der vorliegenden Rechtssache – nicht veranlasst, von dieser Rechtsprechung abzugehen.
2.2.4. §7 Abs2 BPräsWG legt die Anforderungen an die Abgabe einer gültigen Unterstützungserklärung iSd §7 Abs1 BPräsWG fest. Eine Unterstützungserklärung hat demnach die Bestätigung der Gemeinde zu enthalten, dass die in der Erklärung genannte Person am Stichtag in der Wählerevidenz eingetragen und wahlberechtigt (§21 Abs1 NRWO) war. Diese Bestätigung durch die Gemeinde setzt voraus, dass die in der Erklärung genannte Person vor der zur Führung der Wählerevidenz zuständigen Gemeindebehörde persönlich erscheint (zu diesem – zwingenden – Erfordernis vgl zB VfSlg 10.065/1984, 10.178/1984) und ihre Identität durch ein mit Lichtbild ausgestattetes Identitätsdokument nachweist, die Unterstützungserklärung näher bezeichnete personenbezogene Angaben enthält und die eigenhändige Unterschrift der die Unterstützungserklärung abgebenden Person entweder vor der Gemeindebehörde geleistet wurde oder gerichtlich oder notariell beglaubigt ist.
Damit schreibt das Gesetz nicht vor, zu welchem Zeitpunkt (ab Ausschreibung der Wahl) die Unterstützungswilligen vor der Gemeindebehörde zu erscheinen haben. Es legt nur – implizit – jenen Tag fest, an dem die Gemeindebehörde ihren Bestätigungsvermerk frühestens erteilen darf, nämlich am Stichtag, der für die amtlich zu bestätigende (aufrechte) Eintragung der unterstützungswilligen Person in der Wählerevidenz maßgebend ist; die persönliche Anwesenheit der unterstützungswilligen Person zum Zeitpunkt der Bestätigung über die Eintragung in der Wählerevidenz bei der Gemeindebehörde ist nicht verpflichtend (vgl VfSlg 12.064/1989).
Der Anfechtungswerber bringt nicht vor, dass von den in §7 Abs2 BPräsWG festgelegten Anforderungen – der Unterschriftsleistung in einer der in §7 Abs2 zweiter Satz BPräsWG vorgesehenen Formen, dem persönlichen Erscheinen der unterstützungswilligen Person vor der Gemeindebehörde (nach Ausschreibung der Wahl) und der Erteilung des Bestätigungsvermerkes (frühestens am Stichtag) – abgewichen worden wäre. Soweit überhaupt von einer ausreichenden Substantiierung seines Vorbringens ausgegangen werden kann (zum Erfordernis der hinreichenden Substantiierung eines Wahlanfechtungsgrundes vgl zB VfSlg 6207/1970, 12.938/1991, 15.033/1997), würde ein von den Gemeinden – in der vom Anfechtungswerber dargestellten Weise – unterschiedlich ausgestalteter zeitlicher Rahmen, in dem unterstützungswillige Personen den Nachweis ihrer Identität bzw die Unterschriftsleistung vor der Gemeindebehörde erbringen konnten (§7 Abs2 zweiter Satz BPräsWG), nicht zur Rechtswidrigkeit des Wahlverfahrens führen, sofern die Wahlberechtigten hinreichende Gelegenheit zur Einholung des Bestätigungsvermerkes hatten (vgl sinngemäß die Erwägungen zur Beschränkung der Gelegenheit zur Einholung des Bestätigungsvermerks auf die ortsüblichen Amtsstunden in VfSlg 11.256/1987). Dass dies nicht der Fall gewesen wäre, wurde vom Anfechtungswerber nicht behauptet.
Gleiches gilt hinsichtlich des – ziffernmäßig nicht konkretisierten – Vorbringens, dass es in einigen näher bezeichneten Gemeinden am Stichtag selbst nicht möglich gewesen sei, einen Bestätigungsvermerk über die aufrechte Eintragung in der Wählerevidenz zu erlangen. Der Anfechtungswerber behauptet nicht, dass allenfalls von derartigen Vorfällen betroffene unterstützungswillige Personen keine Möglichkeit gehabt hätten, die beabsichtigte Unterstützungserklärung nach neuerlichem Erscheinen bei der Gemeindebehörde abzugeben. Das Vorbringen des Anfechtungswerbers, dass es bei korrekter Vorgehensweise "vielleicht 1 oder 2 oder 3 Kandidaten mehr am Stimmzettel gegeben" hätte, stellt eine reine Mutmaßung dar. Soweit der Anfechtungswerber Zeugen namhaft macht, behauptet er nicht, dass diese über Sachverhalte aussagen könnten, welche die Gültigkeit seines eigenen Wahlvorschlages bzw die von ihm gesammelten Unterstützungserklärungen betreffen; selbst wenn sein Vorbringen in diesem Sinn zu verstehen wäre, würde es – angesichts der bei weitem nicht erreichten Anzahl an erforderlichen Unterstützungserklärungen – den Anforderungen an einen ausreichend konkretisierten Wahlanfechtungsgrund (vgl zB VfSlg 17.192/2004) nicht entsprechen.
2.2.5. Die vom Anfechtungswerber monierte Änderung im BPräsWG durch das Wahlrechtsänderungsgesetz, BGBl I 101/2022, führte lediglich zu einer sprachlichen Anpassung der Bezeichnungen im Musterformular für Unterstützungserklärungen laut Anlage 1 des BPräsWG (dies, um im Lichte von VfSlg 20.258/2018 alle Bezeichnungen aus dem Normenbestand der Wahlgesetze zu entfernen, die eine Unterscheidung zwischen "männlich" und "weiblich" treffen, weil der Vermerk des Geschlechts einer Person kein zwingendes Erfordernis für die Erfassung und Identifizierung einer wahlberechtigten Person darstelle; vgl IA 2574/A 27. GP, 20, 24), die jedoch keine Auswirkung auf den Ablauf und Ausgang des Wahlverfahrens haben konnte. Mangels einer Übergangsbestimmung bestanden keine Zweifel an der Anwendbarkeit der novellierten Rechtslage ab dem Datum des Inkrafttretens mit Ablauf des 19. Juli 2022 (vgl §28 Abs15 BPräsWG). Der Anfechtungswerber brachte im Übrigen nicht vor, dass die Entgegennahme der früheren Version des Unterstützungsformulars verweigert worden wäre oder dass er durch die Anpassung des Formulars tatsächlich einen (sonstigen) Nachteil erlitten hätte (zu einem ähnlichen Vorbringen s. VfSlg 17.192/2004). Die Ausführungen des Anfechtungswerbers zur Ungültigkeit von durch Dr. Alexander Van der Bellen und Dr. Walter Rosenkranz vorgelegten Unterstützungserklärungen auf Grund einer Abweichung vom Musterformular laut Anlage 1 zum BPräsWG weisen keine potentielle Relevanz für die Rechtmäßigkeit der Nichtveröffentlichung des auf den Anfechtungswerber selbst lautenden Wahlvorschlag auf, weshalb auf dieses Vorbringen nicht einzugehen ist.
2.2.6. Soweit sich der Anfechtungswerber schließlich gegen die Nichtveröffentlichung der Personen, die Unterstützungserklärungen sammelten, durch die Bundeswahlbehörde bzw das Bundesministerium für Inneres wendet, ist ihm entgegenzuhalten, dass das Gesetz kein solches Erfordernis vorsieht und die Behörde zudem in der Regel keine (abschließende) Kenntnis darüber haben wird, wer die Einbringung eines Wahlvorschlages beabsichtigt. Eine rechtswidrige Vorgehensweise ist somit nicht zu erkennen. Auch die darauf aufbauenden Ausführungen des Anfechtungswerbers hinsichtlich einer "irreführenden" medialen Berichterstattung verfangen daher nicht.
2.2.7. Der Anfechtungswerber erfüllt daher den Auftrag des §21 Abs2 zweiter Satz BPräsWG, die Wahlanfechtung zu begründen, mangels hinreichender Konkretisierung und Glaubhaftmachung eines Wahlanfechtungsgrundes nicht (vgl zB VfSlg 10.217/1984, 12.938/1991, 17.192/2004; VfGH 28.6.2016, WI5/2016).
Da der Anfechtungswerber demnach – mangels Beibringung von 6.000 Unterstützungserklärungen – keinen dem Gesetz entsprechenden Wahlvorschlag vorgelegt hat, hat die Bundeswahlbehörde seinen Wahlvorschlag zu Recht als nicht eingebracht gewertet. Die Bundeswahlbehörde handelte sohin rechtmäßig, wenn sie den auf den Anfechtungswerber lautenden Wahlvorschlag nicht veröffentlichte (§9 BPräsWG).
2.3. Da der Wahlvorschlag, als dessen zustellungsbevollmächtigter Vertreter der Anfechtungswerber auftrat, zu Recht nicht iSd §9 BPräsWG veröffentlicht wurde, ist die Anfechtung mangels Legitimation zurückzuweisen (§21 Abs2 BPräsWG).
IV. Ergebnis
1. Die Anfechtung ist mangels Legitimation des Anfechtungswerbers zurückzuweisen.
2. Bei diesem Ergebnis konnte von der in der Anfechtungsschrift beantragten Beweisaufnahme durch Zeugeneinvernahmen abgesehen werden.
3. Über den Einwand der Befangenheit einzelner Mitglieder des Verfassungsgerichtshofes ist nicht abzusprechen (vgl zur Unzulässigkeit eines Antrages auf Ablehnung eines Mitgliedes des Verfassungsgerichtshofes VfSlg 19.893/2014; VfGH 6.3.2017, WI13/2016). Im Übrigen sind die von Amts wegen wahrzunehmenden Voraussetzungen einer Ausschließung iSd §12 VfGG nicht gegeben (vgl VfGH 6.3.2018, WI4/2017; 15.6.2018, WI1/2018).
4. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
Schlagworte
Wahlen, Bundespräsident, VfGH / Wahlanfechtung, VfGH / Legitimation, Wählerevidenz, WahlvorschlagEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2022:WI9.2022Zuletzt aktualisiert am
18.11.2022