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Auswertung in Arbeit!Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Enzenhofer und die Hofräte Dr. Kleiser, Dr. Fasching, Mag. Brandl sowie Dr. Terlitza als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Röder, über die Revision der E A in W, vertreten durch Ing. Dr. Wolfgang Gappmayer, LL.M., Rechtsanwalt in 1040 Wien, Margaretenstraße 22/12, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom 20. November 2019, Zl. VGW-152/019/10589/2019-27, betreffend Staatsbürgerschaft (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Wiener Landesregierung), zu Recht erkannt:
Spruch
Die Revision wird als unbegründet abgewiesen.
Begründung
Angefochtenes Erkenntnis
1 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde die Beschwerde der Revisionswerberin, einer irakischen Staatsangehörigen, gegen den Bescheid der Wiener Landesregierung vom 22. Juli 2019, mit dem ihr Antrag auf Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 1 Z 7 iVm § 10 Abs. 5 Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 (StbG) abgewiesen worden war, als unbegründet abgewiesen (Spruchpunkt I.).
2 Eine Revision gegen dieses Erkenntnis wurde gemäß § 25a VwGG für zulässig erklärt (Spruchpunkt II.).
3 Begründend führte das Verwaltungsgericht Wien (Verwaltungsgericht) im Wesentlichen aus, die Revisionswerberin habe im sechsjährigen Zeitraum (November 2011 bis Oktober 2017) vor der Stellung ihres Antrages auf Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft zwischen November 2011 und August 2016 „- ohne die Berücksichtigung der Monate April 2016 und September 2016 -“ in 36 Monaten „jedenfalls Leistungen aus der bedarfsorientierten Mindestsicherung bezogen.“
4 Zum Monat April 2016 führte das Verwaltungsgericht aus, die Revisionswerberin habe mit Antrag vom 26. Oktober 2015 Leistungen aus der bedarfsorientierten Mindestsicherung gemäß dem Wiener Mindestsicherungsgesetz (WMG), LGBl. Nr. 38/2010, begehrt. Mit Bescheid des Magistrates der Stadt Wien vom 2. Dezember 2015 seien der Revisionswerberin aufgrund dieses Antrages Leistungen aus der bedarfsorientierten Mindestsicherung für die Monate Jänner bis Dezember 2016 in näher genannter Höhe zuerkannt worden. Überdies sei die Beschwerdeführerin an näher bezeichneter Stelle dieses Bescheides darauf hingewiesen worden, „dass Hilfe empfangende Personen gemäß § 21 Abs. 1 WMG jede Änderung ihrer Vermögens-, Einkommens-, Familien- oder Wohnverhältnisse [...] unverzüglich dem Magistrat anzuzeigen haben.“ Eine Verletzung dieser Anzeigepflicht habe zur Folge, dass die zu Unrecht empfangenen Leistungen zurückzuzahlen seien.
5 Die Revisionswerberin habe am 29. Jänner 2016 einen Dienstvertrag mit einem näher genannten Unternehmen unterzeichnet und am 1. Februar 2016 eine Beschäftigung als Praktikantin bei diesem Unternehmen aufgenommen. Die Revisionswerberin sei bis 31. Mai 2016 bei dem Unternehmen beschäftigt gewesen.
6 Diesen Dienstvertrag vom 29. Jänner [gemeint wohl:] 2016 habe sie am 5. April 2016 im Zuge einer persönlichen Vorsprache beim Magistrat der Stadt Wien vorgelegt. Zu diesem Zeitpunkt sei die der Revisionswerberin mit Bescheid vom 2. Dezember 2015 zugesprochene Mindestsicherung für den Monat April 2016 bereits an die Revisionswerberin ausbezahlt gewesen.
7 Mit weiterem Bescheid des Magistrates der Stadt Wien vom 25. Mai 2016 seien die der Revisionswerberin bewilligten Leistungen mit 30. April 2016 eingestellt worden. Ferner habe der Magistrat der Stadt Wien einen weiteren, ebenfalls mit 25. Mai 2016 datierten Bescheid erlassen, mit dem von der Revisionswerberin „ab Rechtskraft dieses Bescheides die für den Zeitraum von 01.03.2016 bis 30.04.2016 zu Unrecht empfangenen Leistungen der Mindestsicherung in der Höhe von EUR 1307,28“ zurückgefordert worden seien.
8 Zum Monat September 2016 führte das Verwaltungsgericht aus, die Revisionswerberin habe mit auf den 3. Juni 2016 datiertem Antrag - beim Magistrat der Stadt Wien am selben Tag eingelangt - neuerlich Leistungen aus der bedarfsorientierten Mindestsicherung nach dem WMG begehrt. Mit Bescheid des Magistrates der Stadt Wien vom 19. Juli 2016 seien aufgrund dieses Antrages der Revisionswerberin Leistungen aus der bedarfsorientierten Mindestsicherung in jeweils näher genannter Höhe für die Monate Juli 2016 bis Mai 2017 zuerkannt worden.
9 Die Revisionswerberin habe am 10. Juli 2016 einen Dienstvertrag mit einem näher genannten Unternehmen unterzeichnet und am 18. Juli 2016 eine Beschäftigung angenommen. Die Revisionswerberin sei bis 31. Dezember 2017 bei diesem Unternehmen beschäftigt gewesen.
10 Mit Bescheid des Magistrates der Stadt Wien vom 19. Oktober 2016 seien die der Revisionswerberin zuletzt mit Bescheid vom 19. Juli 2016 gewährten Leistungen aus der bedarfsorientierten Mindestsicherung mit 30. September 2016 eingestellt worden. Ferner habe der Magistrat der Stadt Wien einen weiteren, ebenfalls auf den 19. Oktober 2016 datierten Bescheid erlassen, mit dem von der Revisionswerberin „ab Rechtskraft dieses Bescheides die für den 01.08.2016 bis 31.08.2016 zu Unrecht empfangenen Leistungen der Mindestsicherung in der Höhe von EUR 279,74“ zurückgefordert worden seien.
11 Im Hinblick auf die Auszahlung von Mindestsicherung an die Revisionswerberin für den Monat September [gemeint wohl: 2016] finde sich in diesem Bescheid folgende Ausführung: „Sie haben die Einkommensänderung am 01.08.2016 gemeldet, da die Leistung für September 2016 dennoch angewiesen wurde, wird von einer Rückforderung der September-Leistung abgesehen.“
12 In rechtlicher Hinsicht führte das Verwaltungsgericht zunächst aus, gemäß § 64a Abs. 28 StbG seien zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 56/2018 anhängige Verfahren nach den Bestimmungen in der Fassung vor dem BGBl. I Nr. 56/2018 zu Ende zu führen. Das treffe auf den Revisionsfall - Antragstellung am 3. November 2017 - zu.
13 Gemäß § 10 Abs. 1 Z 7 StbG habe der Lebensunterhalt des Antragstellers hinreichend gesichert zu sein. Dies sei dann der Fall, wenn die Voraussetzungen des § 10 Abs. 5 StbG erfüllt seien. Die Voraussetzungen der Lebensführung ohne Inanspruchnahme von Sozialleistungen einerseits und die den Ausgleichszulagenrichtsätzen entsprechende durchschnittliche Höhe der Einkünfte andererseits müssten kumulativ vorliegen und objektiv erfüllt sein (Verweis auf VwGH 4.4.2019, Ra 2019/01/0085); dass den Verleihungswerber am Fehlen eines hinreichend gesicherten Lebensunterhaltes kein Verschulden treffe, sei nicht von Belang (Verweis auf VwGH 17.3.2011, 2009/01/0055). Der Bezug von Sozialhilfeleistungen der Gebietskörperschaften - wie der bedarfsorientierten Mindestsicherung - im Berechnungszeitraum führe somit dazu, dass der Lebensunterhalt nicht hinreichend gesichert sei (Verweis auf VwGH 20.9.2011, 2011/01/0180).
14 Im Revisionsfall habe die Revisionswerberin jedenfalls in 36 Monaten im Beobachtungszeitraum Leistungen aus der bedarfsorientierten Mindestsicherung bezogen. Zu klären sei daher auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen, ob die Revisionswerberin in den Monaten April 2016 und September 2016 Leistungen aus der bedarfsorientierten Mindestsicherung und somit Sozialhilfeleistungen in Anspruch genommen habe.
15 Im Hinblick auf den April 2016 sei nach Auffassung des Verwaltungsgerichts aus folgenden Gründen von einer Inanspruchnahme von Sozialleistungen durch die Revisionswerberin auszugehen: Dass es im April 2016 zu einer Auszahlung von Leistungen an die Revisionswerberin und somit in diesem Monat zu einer durch Auszahlung von Sozialleistungen bedingten Vermögensverschiebung zu Gunsten der Revisionswerberin gekommen sei, sei überdies auch darauf zurückzuführen gewesen, dass die Revisionswerberin - entgegen ihrer sich aus § 21 WMG ergebenden Verpflichtung - es unterlassen habe, die Änderung ihrer Vermögensverhältnisse dem Magistrat der Stadt Wien unverzüglich (und nicht erst nach einem Zeitraum von mehr als zwei Monaten) bekannt zu geben.
16 Die bloße spätere Rückzahlung einer Sozialhilfeleistung - ohne dass im Vorfeld die Rückzahlung vereinbart worden wäre - habe auch nach der höchstgerichtlichen Rechtsprechung nicht zur Folge, dass im Zuge des Verfahrens zur Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft nicht mehr von einem Bezug von Sozialhilfeleistungen ausgegangen werden könne. Diesbezüglich sei nämlich in der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes bereits festgehalten worden, dass in einem solchen Fall keine „besondere Fallkonstellation“ vorliege, die es ermöglichen würde, die Verleihungsvoraussetzung des § 10 Abs. 1 Z 7 iVm Abs. 5 StbG als erfüllt anzusehen (Verweis auf VwGH 20.9.2011, 2009/01/0030).
17 Eine gegenteilige Sichtweise hätte nach Auffassung des Verwaltungsgerichtes überdies auch zur Folge, dass es dem jeweiligen Einbürgerungswerber offenstünde, durch eine - zuvor mit dem zuständigen Rechtsträger nicht vereinbarte - Rückzahlung der Sozialhilfeleistungen rückwirkend die Verleihungsvoraussetzung des § 10 Abs. 1 Z 7 iVm Abs. 5 StbG herzustellen, obwohl es bedingt durch einen Antrag und eine nicht fristgerechte Meldung der Änderung der Einkommensverhältnisse im geltend gemachten Monat zu einer Auszahlung von Leistungen aus der bedarfsorientierten Mindestsicherung gekommen sei. Auch sei im Hinblick auf April 2016 keine „freiwillige“ Rückzahlung der bedarfsorientierten Mindestsicherung vorgelegen, weil gegenüber der Revisionswerberin von Seiten des Magistrates der Stadt Wien ein entsprechender Rückzahlungsbescheid erlassen worden sei. Folglich liege auch keine besondere Fallkonstellation im Sinne der wiedergegebenen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes vor.
18 Anders verhalte es sich mit dem Monat September 2016: Aus den getroffenen Feststellungen ergebe sich, dass die Revisionswerberin in diesem Fall ihrer Verpflichtung zur Meldung der Änderung ihrer Einkommensverhältnisse rechtzeitig nachgekommen sei und sie dem Magistrat der Stadt Wien somit (implizit) bekannt gegeben habe, ihren Antrag nicht mehr aufrecht zu halten.
19 Zusammengefasst habe die Revisionswerberin - unter Berücksichtigung des Monates April 2016 - „an 37 Monaten im sechsjährigen Beobachtungszeitraum Sozialhilfeleistungen in Anspruch“ genommen. Die Verleihungsvoraussetzung des § 10 Abs. 1 Z 7 iVm Abs. 5 StbG sei im Revisionsfall somit nicht gegeben, die Beschwerde sei daher abzuweisen gewesen.
20 Die Revision sei nach Auffassung des Verwaltungsgerichts zulässig, weil gegenständlich eine Rechtsfrage zu lösen gewesen sei, der grundsätzliche Bedeutung zukomme: Es mangle an Rechtsprechung zur Frage, ob eine „Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen“ im Sinne des § 10 Abs. 5 StbG auch in einem Fall vorliege, in dem die Sozialhilfeleistung aufgrund einer entgegen § 21 WMG nicht unverzüglich erfolgten Meldung einer Änderung der Einkommensverhältnisse ausbezahlt worden sei, obwohl für den betreffenden Monat aufgrund der geänderten Einkommensverhältnisse materiell kein Anspruch auf den Bezug der bedarfsorientierten Mindestsicherung vorgelegen sei.
21 Ebenso mangle es an Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage, ob eine Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen vorliege, wenn es aufgrund eines behördlichen Fehlers zu einer Auszahlung der Sozialhilfeleistung komme, bzw. ob in einem solchen Fall eine „besondere Konstellation“ im Sinne der höchstgerichtlichen Rechtsprechung vorliege, nach der ein Sozialhilfebezug der Verleihung der Staatsbürgerschaft ausnahmsweise nicht entgegenstehe.
Vorverfahren
22 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende ordentliche Revision, die vom Verwaltungsgericht gemäß § 30a Abs. 6 VwGG unter Anschluss der Akten des Verfahrens vorgelegt wurde. Die belangte Behörde erstattete vor dem Verwaltungsgericht keine Revisionsbeantwortung.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Zulässigkeit
23 Die Revision ist in Anbetracht der vom Verwaltungsgericht erstgenannten Frage (Rn. 20) zulässig. Sie ist aber nicht begründet.
Rechtslage
24 § 10 Abs. 1 Z 7 und Abs. 5 Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 (StbG), BGBl. 311/1985 in der gemäß § 64a Abs. 28 StbG maßgeblichen Fassung BGBl. I Nr. 136/2013, lautet:
„Verleihung
§ 10. (1) Die Staatsbürgerschaft darf einem Fremden, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, nur verliehen werden, wenn
[...]
7. sein Lebensunterhalt hinreichend gesichert ist [...].
[...]
(5) Der Lebensunterhalt (Abs. 1 Z 7) ist dann hinreichend gesichert, wenn feste und regelmäßige eigene Einkünfte aus Erwerb, Einkommen, gesetzlichen Unterhaltsansprüchen oder Versicherungsleistungen zum Entscheidungszeitpunkt im Durchschnitt von 36 Monaten aus den letzten sechs Jahren vor dem Antragszeitpunkt vom Fremden nachgewiesen werden, wobei jedenfalls die letzten geltend gemachten sechs Monate unmittelbar vor dem Antragszeitpunkt liegen müssen. Im geltend gemachten Zeitraum müssen die eigenen Einkünfte des Fremden ihm eine Lebensführung ohne Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen der Gebietskörperschaften ermöglichen und der Höhe nach dem Durchschnitt der Richtsätze des § 293 des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes (ASVG), BGBl. Nr. 189/1955, der letzten drei Jahre entsprechen. Feste und regelmäßige eigene Einkünfte werden durch regelmäßige Aufwendungen geschmälert, insbesondere durch Mietbelastungen, Kreditbelastungen, Pfändungen und durch Unterhaltszahlungen an Dritte nicht im gemeinsamen Haushalt lebende Personen. Dabei bleibt einmalig ein Betrag bis zu der in § 292 Abs. 3 ASVG festgelegten Höhe unberücksichtigt und führt zu keiner Erhöhung der notwendigen Einkünfte im Sinne des ersten Satzes. Bei Nachweis der Unterhaltsmittel durch Unterhaltsansprüche ist zur Berechnung der Leistungsfähigkeit des Verpflichteten nur der das pfändungsfreie Existenzminimum gemäß § 291a der Exekutionsordnung (EO), RGBl. Nr. 79/1896, übersteigende Einkommensteil zu berücksichtigen. Wird in den letzten geltend gemachten sechs Monaten unmittelbar vor dem Antragszeitpunkt Kinderbetreuungsgeld gemäß den Bestimmungen des Kinderbetreuungsgeldgesetzes - KBGG, BGBl. I Nr. 103/2001, bezogen, so gilt in dem Zeitraum in dem Kinderbetreuungsgeld bezogen wird, der Lebensunterhalt jedenfalls als hinreichend gesichert.
[...]“
25 § 21 Wiener Mindestsicherungsgesetz (WMG), LGBl. Nr. 38/2010 (WMG), lautete (in Geltung von 1. Jänner 2014 bis zum 31. Jänner 2018):
„3. Abschnitt
Rückforderung und Ersatz
Anzeigepflicht und Rückforderungsanspruch
§ 21. (1) Hilfe empfangende Personen haben jede Änderung der für die Bemessung der Leistung maßgeblichen Umstände, insbesondere der Vermögens-, Einkommens-, Familien- oder Wohnverhältnisse sowie Aufenthalte in Kranken- oder Kuranstalten oder sonstige, voraussichtlich länger als zwei Wochen dauernde Abwesenheiten vom Wohnort unverzüglich dem Magistrat der Stadt Wien anzuzeigen.
(2) Leistungen, die auf Grund einer Verletzung der Anzeigepflicht gemäß Abs. 1 zu Unrecht empfangen wurden, sind mit Bescheid zurückzufordern. Die Behörde ist berechtigt, die Aufrechnung gegen Ansprüche auf Leistungen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung zu verfügen.
(3) Die Rückforderung kann in Teilbeträgen erfolgen oder unterbleiben, wenn die anzeigepflichtige Person glaubhaft macht, dass die Verletzung der Anzeigepflicht auf einem geringfügigen Verschulden beruht, die Rückforderung eine Notlage herbeiführen würde, der Anspruch voraussichtlich uneinbringlich wäre oder der Betrag unbedeutend ist.“
„Inanspruchnahme“ von Sozialhilfeleistungen
Kumulative Voraussetzungen in § 10 Abs. 5 StbG
26 § 10 Abs. 1 Z 7 und Abs. 5 StbG müssen unter dem Blickwinkel des damit verfolgten Zwecks gesehen werden, nämlich die Staatsbürgerschaft nur an Fremde zu verleihen, die ihren Lebensunterhalt in Österreich durch entsprechendes Einkommen (oder gleichzusetzende Leistungen) ohne Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen der Gebietskörperschaften hinreichend gesichert haben. Diese gesetzlichen Voraussetzungen müssen objektiv erfüllt sein (vgl. VwGH 31.5.2021, Ra 2019/01/0138, mwN).
27 Mit der Adaptierung des Durchrechnungszeitraums durch die Novelle BGBl. I Nr. 136/2013 für den Nachweis eines gesicherten Lebensunterhalts auf den Durchschnitt von 36 Monaten aus den letzten sechs Jahren vor dem Antragszeitpunkt wird - ausweislich der Gesetzesmaterialien - klargestellt, dass die geltend gemachten Monate aus den letzten sechs Jahren beliebig vom Fremden in diesem Durchrechnungszeitraum gewählt werden können, wobei die letzten sechs Monate unmittelbar vor dem Antragszeitpunkt jedenfalls vom Fremden geltend zu machen sind. Darüber hinaus wird verdeutlicht, dass die eigenen Einkünfte des Fremden ihm lediglich in den 36 geltend gemachten Monaten eine Lebensführung ohne Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen zu ermöglichen haben. Ein vorübergehender Sozialhilfebezug in der nicht geltend gemachten Zeit der letzten sechs Jahre steht somit der Erfüllung der Voraussetzung des hinreichend gesicherten Lebensunterhalts gemäß § 10 Abs. 1 Z 7 StbG nicht entgegen. Vielmehr ist der Lebensunterhalt des Fremden dann gemäß § 10 Abs. 5 StbG hinreichend gesichert, wenn in der geltend gemachten Zeit der letzten sechs Jahre vor Antragstellung sein Einkommen durchgehend dem Durchschnitt der Richtsätze des § 293 ASVG der letzten drei Jahre vor Antragstellung erreicht hat, ohne dass dabei Sozialhilfeleistungen der Gebietskörperschaften in Anspruch genommen wurden (vgl. VwGH 20.6.2017, Ra 2017/01/0127; 6.11.2018, Ra 2017/01/0013; jeweils mwN).
28 Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits festgehalten, dass nach dem klaren Wortlaut des § 10 Abs. 5 zweiter Satz StbG die Voraussetzungen der Lebensführung ohne Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen einerseits und die den Ausgleichszulagenrichtsätzen entsprechende durchschnittliche Höhe der Einkünfte andererseits kumulativ vorliegen müssen (vgl. VwGH 4.4.2019, Ra 2019/01/0085, mwN).
29 Daher kommt es bei der Beantwortung der oben ausgeführten Rechtsfrage im Revisionsfall darauf an, ob bei der Revisionswerberin im maßgeblichen Zeitraum eine Lebensführung ohne Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen vorliegt.
„Inanspruchnahme“ in wirtschaftlicher Betrachtungsweise
30 Der Verwaltungsgerichtshof hat zwar in seiner älteren Rechtsprechung im Erkenntnis vom 22. August 2007, 2007/01/0459, zur dortigen besonderen Fallkonstellation (einer einmaligen - mit der [auch eingehaltenen] Zusage der Rückzahlung nach Erhalt offener Gehaltsansprüche durch den Entgeltsicherungsfonds verbundenen - Inanspruchnahme einer Unterstützung des Sozialamtes für die Bezahlung des Mietrückstandes der gemeinsamen Wohnung durch den Ehepartner des Verleihungswerbers) ausgesprochen, dass das Verleihungshindernis nach § 10 Abs. 1 Z 7 und Abs. 5 StbG nicht vorgelegen sei, doch war dort einerseits maßgeblich, dass diese einmalige und bloß vorübergehende Inanspruchnahme einer Unterstützung des Sozialamtes nicht durch den Verleihungswerber selbst, sondern durch dessen Ehepartner erfolgte, und andererseits dadurch, dass vorweg eine Zusage der Rückzahlung gegenüber dem Sozialamt erfolgt war. Bereits dadurch unterscheidet sich der damalige Fall vom vorliegenden.
31 Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner jüngeren Rechtsprechung auch klargestellt, dass man vor dem Hintergrund des oben dargelegten Regelungszieles des § 10 Abs. 5 StbG den Begriff der „Inanspruchnahme“ weit und in wirtschaftlicher Betrachtungsweise verstehen muss (vgl. mit mwN der wirtschaftlichen Betrachtungsweise in anderen Materien erneut VwGH 12.12.2019, Ro 2019/01/0010).
32 Zwar hat der Gesetzgeber das Regelungsziel des § 10 Abs. 1 Z 7 iVm Abs. 5 StbG relativiert, indem die geltend gemachten Monate aus den letzten sechs Jahren beliebig vom Fremden in diesem Durchrechnungszeitraum gewählt werden können und dass ein vorübergehender Sozialhilfebezug in der nicht geltend gemachten Zeit der Erfüllung der Voraussetzung des hinreichend gesicherten Lebensunterhalts nicht entgegensteht (vgl. VwGH 6.11.2018, Ra 2017/01/0013, mwH auf u.a. die ErlRV 2303 BlgNR 24. GP 8).
33 Jedoch lässt der Gesetzgeber nicht erkennen, dass er vom grundsätzlichen Regelungsziel des § 10 Abs. 5 StbG abgehen wollte, wonach die Verleihung der Staatsbürgerschaft den Abschluss einer (erfolgreichen) Integration des Fremden in Österreich darstellen soll, zu der nach der Wertung des Gesetzgebers auch gehört, dass der Verleihungswerber sein Fortkommen ohne Unterstützung durch Sozialhilfeleistungen der Gebietskörperschaft(en) bestreiten kann (vgl. VwGH 30.4.2018, Ro 2017/01/0003, 0065; 28.2.2019, Ra 2019/01/0004; erneut 12.12.2019, Ro 2019/01/0010; jeweils mwN).
34 Vielmehr wird nach wie vor gemäß § 10 Abs. 1 Z 7 iVm Abs. 5 StbG eine Prognose vorzunehmen sein, ob der Verleihungswerber sein Fortkommen auch künftig ohne Unterstützung durch Sozialhilfeleistungen der Gebietskörperschaft(en) bestreiten kann (vgl. zu dieser Prognose neuerlich VwGH 28.2.2019, Ra 2019/01/0004, mwN). Eine solche Prognose wird nur dann verlässlich sein, wenn sie eine wirtschaftliche Betrachtungsweise bei der Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen erlaubt (vgl. VwGH 12.12.2019, Ro 2019/01/0010).
35 In wirtschaftlicher Betrachtungsweise kommt auch der Bezug von Sozialhilfeleistungen, der aus der verspäteten Meldung der Aufnahme einer Erwerbstätigkeit resultiert und zu einer Rückforderung durch die diese Sozialhilfeleistungen gewährende Gebietskörperschaft führt, ungeachtet einer späteren Rückzahlung der Betroffenen - wenngleich bloß vorübergehend, aber in der Art eines unverzinsten Darlehens in Geld im Sinne von § 984 Abs. 1 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB), JGS Nr. 946/1811, zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 28/2010 - zugute, sodass eine Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen vorliegt.
36 Daher ist die in der vorliegenden Revisionssache aufgeworfene grundsätzliche Rechtsfrage wie folgt zu beantworten:
37 Gemäß § 10 Abs. 1 Z 7 iVm Abs. 5 StbG ist auch der Bezug von Sozialhilfeleistungen, der aus der verspäteten Meldung der Aufnahme einer Erwerbstätigkeit resultiert und zu einer Rückforderung durch die diese Sozialhilfeleistungen gewährende Gebietskörperschaft führt, ungeachtet einer späteren Rückzahlung alsInanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen anzusehen, sodass für diesen Zeitraum keine „Lebensführung ohne Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen der Gebietskörperschaften“ nachgewiesen wird.
Einzelfallbezogene Beurteilung
38 Im Monat April 2016 bezog die Revisionswerberin Leistungen aus der bedarfsorientierten Mindestsicherung und somit Sozialhilfeleistungen infolge einer durch sie entgegen § 21 Abs. 1 WMG nicht unverzüglich erfolgten Meldung einer Änderung ihrer Einkommensverhältnisse.
39 Bis zur Rückzahlung konnte die Revisionswerberin über die bereits an sie ausbezahlte bedarfsorientierte Mindestsicherung für April 2016 in der Art eines unverzinsten Darlehens disponieren, sodass ihr diese in wirtschaftlicher Betrachtungsweise im oben näher definierten Durchrechnungszeitraum, wenngleich auch nur vorübergehend, zugutekam.
40 Auf die Frage der Auswirkung des Bezuges von Mindestsicherung durch die Antragstellerin auch im September 2016 auf den Verleihungsantrag kommt es bei diesem Ergebnis nicht an.
Ergebnis
41 Die Revision war aus diesen Erwägungen gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
42 Von der Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG abgesehen werden, da das Verwaltungsgericht, ein Tribunal iSd EMRK bzw. ein Gericht iSd Art. 47 GRC, eine mündliche Verhandlung durchgeführt hat (vgl. dazu VwGH 1.9.2017, Ra 2017/03/0030, mwN).
Wien, am 18. Oktober 2022
Schlagworte
Auswertung in Arbeit!European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2022:RO2020010003.J00Im RIS seit
17.11.2022Zuletzt aktualisiert am
17.11.2022